Siebenter Act.

[124] Der König auf einem Himmelswagen mit Matali.


KÖNIG. Matali! Zwar hab' ich Indra's Auftrag ausgeführt; doch er hat mir dafür so viel Ehre erwiesen, daß ich viel zu wenig gethan zu haben glaube.

MATALI lachend. Langlebender! Ihr scheint mir beide unzufrieden zu sein:

Du schlägst den ihm erwiesenen Dienst

Geringer an als Indra's Gunstbezeugung,

Er hält, von deiner That erfreut,

Die Ehren des Empfangs für ungenügend.

KÖNIG. Matali! Nein, nein! Die Ehren, mit denen er mich entließ, überstiegen meine Wünsche. Denn in Gegenwart aller Himmelsbewohner mir neben sich auf dem Throne einen Sitz einräumend[124]

Den mit geheimem Wunsch genüber stehnden

Dschajanta blickt' er lächelnd an und mir

Setzt er den mit des Busens Saudel-Salbe

Gezeichneten Mandâra-Kranz auf's Haupt.

MATALI. Was verdiente nicht der Langlebende vom Götterfürsten! Siehe:

Durch zweierlei ward Indra's Himmel

Gesäubert von der Götterfeinde Dräuen,

Durch deine Pfeile jetzt die scharfen,

Und vordem einst durch des Mannlöwen Klauen.

KÖNIG. Bei dem allem ist nur Indra's Größe zu preisen.

Was auch im großen Ding ein Diener leisten mag,

Du mußt es dem Verdienst zurechnen eines Herrn;

Wie würde wol die Finsterniß zertheilen Aruna,

Nähm' ihn der Tausendstrahlige nicht auf den Wagensitz?

MATALI. Das sieht dir ganz ähnlich. Weiter fahrend. Langlebender! Hier siehe bis zu des Wolkenhimmels Rücken gekommen die Herrlichkeit deines Ruhms.

Mit Tusche von der Götterschönen Schminke

Auf Paradiesbaumblättern schreiben hier

Die Luftbewohner, zu singbaren Weisen

Die Worte setzend, deine Thaten auf.

KÖNIG. Matali! Als ich Dämonenbekämpfungsbegierig gestern mit dir zu Himmel auffuhr, merkte ich nicht auf den[125] Weg; in welcher Region der Windgeister befinden wir uns jetzt?

MATALI.

Ihm, der die dreiströmige Ganga48 treibt, die Zier des Himmels,

Und die Sterne dreht mit allwärts hinvertheiltem Strahle,

Ihm ist dieser durch Wischnu's zweiten Schritt der Nacht entrissene Raum, dem Lüftegeist Umtreiber,49 zuzutheilen.

KÖNIG. Matali! Drum empfinde ich mit äußeren und inneren Sinnen diese Geistesruhe. Er blickt auf die Räder. Doch wir sind zur Wolkenregion herabgekommen.

MATALI. Woraus merkst du das?

KÖNIG.

Kukuke fliegend aus der Speichen Zwischenräumen

Und die von Gewitterstrahlen Glanzgesalbten Rosse

Machen klar, daß über Regenschwangeres Gewölke

Geht dein Wagen, dessen Felgen von den Tropfen triefen.

MATALI. In einem Augenblick wird der Langlebende sich auf dem Boden seiner eigenen Herrschaft befinden.[126]

KÖNIG hinblickend. Durch dies schnelle Abwärtsfahren erscheint wunderbaren Anblicks die Menschenwelt. Denn also

Von den auftauchenden Gebirgshöhn senkt das Gefild sich gleichsam nieder,

Aus der Verborgenheit im Laube tritt mit seinem Stamm der Baum,

Sichtbar entfalten den in dünne Streifen gezognen Strom die Flüsse,

Schau wie durch einer Schleuder Wurf entgegen wird gerückt die Erde!

MATALI. Gut gesehen! Mit ehrerbietigem Hinblick. O die große schöne Erde!

KÖNIG. Matali! Welcher vorn und hinten im Meere sich badende, Goldschaumtriefende, Morgenabendröthlichem Wolkenthorriegel gleichende Tafelberg ist jener?

MATALI. Langlebender! Das ist Goldgipfeler genannt, der Kimpuruscha-Berg, der Bußübungen Vollendungsplatz. Siehe[127]

Der von dem Brahma-Sohn Maritschi

Entsprungene Pradschapati,50

Der Götter und Ungötter Lehrer

Uebt Buße sammt der Gattin hier.

KÖNIG. Nun, beim Glück soll man nicht vorbeigehn. Ich will, eh' ich weiter gehe, den Heiligen verehrend begrüßen.

MATALI. Vortrefflich! Sie fahren hinab.

KÖNIG mit Erstaunen.

Die Räderfelgen machen kein Geräusch

Und keinen Staub sieht man aufwirbeln;

Von dir gelenkt merkt man's nicht, daß zur Erde

Der Wagen ist, weil er nicht rührt den Boden.

MATALI. Das ist Indra's und deine des Langlebenden Auszeichnung.

KÖNIG. Matali! In welcher Richtung liegt des Maritschi-Sohnes Kasjapa geweihter Aufenthalt?

MATALI mit der Hand zeigend.

Dort wo in den Ameisenhaufen halb versteckten Leibes, mit Schlangenhaut die Brust geschnürt,

Von altgewordner Schlinggewächsspang' an dem Halse nicht allzusehr gepeiniget,[128]

Dort mit dem Haargeflechte, das die Schultern überwuchernd von Vogelnestern ist besetzt,

Dort wo der Büßer baumsteif unbeweglich den Blick zur Sonnenscheibe kehrt.

KÖNIG. Verehrung dir dem Strengbüßer.

MATALI fährt vorbei und hält dann die Zügel. Großkönig! Hier haben wir bei den von Aditi51 gezogenen Paradiesbäumen des Pradschapati geweihten Aufenthalt betreten.

KÖNIG. Ein noch über Indra's Himmel gehender Wonneort. Ich dünke mich in einen Amrita-See52 badend zu tauchen.

MATALI den Wagen anhaltend. Der Langlebende steige ab!

KÖNIG abgestiegen. Matali! Und du?

MATALI. Der Wagen ist angehalten, auch ich will nun absteigen. Hier, Langlebender! Betracht' einmal dieser ehrwürdigen Frommen Bußhaingefilde.

KÖNIG. Mit Staunen seh' ich ja

In Wonneglanz vom Winde leben, da wo im Hain die Wunschfruchtbäume wachsen,[129]

Die heil'gen Waschungen verrichten in Lotosblüthenstaubvergoldetem Wasser,

Andacht auf Edelsteinsitz pflegen, Enthaltsamkeit bei Götterfrauenumgang;

Was andre durch die Buß' erstreben, das üben diese Frommen hier als Buße.

MATALI. Ja, hochstrebend ist der Sinn der Edlen. Herumgehend, in den Raum hinaussprechend. He, Wriddhasakalja! Was macht jetzt der heilige Maritscha? – Was sagst du? – Von der Dakscha- Tochter über die Pflichten einer guten Ehefrau befragt ertheile er ihr sammt den andern Büßerfrauen Unterweisung. – Wir müssen die gelegene Zeit zu unserm Vorhaben abwarten. Zum König. Der Langlebende lasse sich an dem Asoka-Baumstamme nieder, mittlerweile suche ich Gelegenheit dich beim Heiligen zu melden.

KÖNIG. Wie der Herr für gut findet. Läßt sich nieder.

MATALI. Langlebender, ich gehe. Geht.

KÖNIG gibt mit Geberden zu erkennen, daß er ein Vorzeichen fühle.53

Auf meinen Wunsch hoff' ich nicht mehr; was zuckst du Arm vergebens?

Ach, das einmal verschmähte Glück, es kehrt so leicht nicht wieder![130]

VON DRINNEN. Sei nicht so tollkühn! – Wie regt sich doch die Natur in ihm!

KÖNIG. Hier ist kein Ort für Ungebühr; wem wehrt man denn da? Der Stimme horchend; lachend. Ach! Wer ist dort der von zwei Klausnerinnen verfolgte unknabenmäßige Knabe?

Von der halbausgesogenen Brust der Mutter, mit gezauster Mähne

Ein Löwenjunges schleppt er da zum Spiele mit Gewalt herbei.


Der Knabe mit den beiden Frauen tritt auf.


KNABE. Sperr' auf, Löwe! Ich will deine Zähne zählen!

DIE ERSTE. Unartiger, was plagst du die von unsern Kindern nicht verschiedenen Geschöpfe? Ha, du wirst immer übermüthiger. Mit Recht haben dich die Klausner Allbändiger genannt.

KÖNIG. O wie schmilzt mir doch das Herz gegen diesen Knaben wie gegen meinen leiblichen Sohn! Wol die Kinderlosigkeit macht mich so zärtlich.

DIE ZWEITE. Die Löwin dort wird dich anfallen, wenn du ihr Junges nicht losgibst.

KNABE mit Lachen. Ahaha, ich fürchte mich gewaltig! Fletscht die Lippen.[131]

KÖNIG.

Der Knabe da scheint mir der Keim von glänzender Kraft zu sein,

Wie Feuer im Zustand des Funkens, das auf Brennholz harrt.

DIE ERSTE. Kind, laß diesen jungen Thierfürsten los; ich will dir ein anderes Spielzeug geben.

KNABE. Wo? Gib her! Er streckt die Hand aus.

KÖNIG. Wie? Auch dies Weltbeherrscherzeichen hat er an sich?

Die aus Verlangen offen dargestreckte Hand

Scheint mit der Finger Lineamentennetze

Ein von unmerklich innen Farbentglommenem

Frühroth gestreifter einzig schöner Lotos.

DIE ZWEITE. Suwrata! Mit Worten allein ist er nicht zur Ruhe zu bringen; geh, in meiner Hütte steht Markandeja's, des Einsiedlerknaben, mit Farben bemalter Pfau aus Lehm. Den bring' ihm.

DIE ERSTE. Es soll geschehen. Geht.

KNABE. Indeß will ich mit dem Löwen spielen. Er sieht die Klausnerin lachend an.

KÖNIG.

Mich verlangt wirklich nach diesem Wildfang.[132]

Die mit kindischem Lachen halbgesproßte Zähne zeigen

Und mit Stammelwörtchen lieblich an zu reden fangen,

Zuflucht in dem Schooße suchend, glücklich ist wer solche

Knaben tragen darf, wenn auch beschmutzt von ihrem Staube.

DIE KLAUSNERIN. Er achtet nicht auf mich. Rückwärts blickend. Wer ist hier von den Einsiedlerknaben? Sie wird den König gewahr. O du mit Glückverheißendem Antlitz, komm und befreie den von diesem Handfestanpackenden Knaben mit kindischem Spiele gequälten jungen Thierfürsten.

KÖNIG hinzutretend, mit Lächeln. He, frommen Mannes Sohn,

So mit Bußhainwidrigem Betragen

Warum wird von dir dein frommer Stammbaum,

Dessen Pflicht Thierschützung ist, besudelt

Wie der Sandelbaum vom Schlangenjungen?

DIE KLAUSNERIN. Edler! Er ist kein Einsiedlerkind.

KÖNIG. Das sagt schon sein Ansehen und das diesem entsprechende Benehmen; doch in Anbetracht des Ortes setzten wir jenes voraus. Den Knaben anfassend, für sich.

Berührt von diesem Sprößling fremden Stammes

Empfind' ich solche Lust in meinen Gliedern,

Was würd' er erst in dessen Brust erregen,

Des glücklichen, von dessen Leib er stammt![133]

DIE KLAUSNERIN beide betrachtend. O Wunder, Wunder!

KÖNIG. Beste, warum?

DIE KLAUSNERIN. Die mit diesem Knabenbilde an dir selbst übereinstimmenden Züge setzen mich in Erstaunen; und daß er gegen dich den unbekannten nicht widerspenstig ist.

KÖNIG den Knaben liebkosend. Nun, wenn er kein Einsiedlerkind ist, welches Herkommens ist er denn?

DIE KLAUSNERIN. Von Puru's Geschlecht.

KÖNIG für sich. Wie? Eines Stammes von mir? Darum meinte sie wol, er sehe mir ähnlich? Laut. Das ist ja der Puru-Söhne letzter Lebensberuf:

Die zuvor in reichen Lustpalästen

Weltbeherrschungshalber wohnen wollten,

Denen dienen endlich Baumgeflechte

Der Enthaltsamkeit geweiht zum Hause.

Doch nicht von selbst dürften wol Menschen hier den Aufenthalt nehmen.54[134]

DIE KLAUSNERIN. Wie der Edle sagt. In Folge der Abstammung von einer heiligen Nymphe hat dieses Kindes Mutter hier in des Götterlehrers Bußhain geboren.

KÖNIG heimlich. Ha, ein zweiter Hoffnungsstrahl! Laut. Aber jene edle Frau welch' eines königlichen Weisen Gattin ist sie?

DIE KLAUSNERIN. Wer mag des Eheweibverlassers Namen auszusprechen gedenken?

KÖNIG für sich. O dies Wort trifft mich. Wenn ich nun namentlich nach dieses Kindes Mutter fragte? Doch es ist unnütz, mit einem fremden Weibe sich zu beschäftigen.


Die andere Klausnerin kommt mit dem thönernen Pfau in der Hand.


DIE KLAUSNERIN. Allbändiger! Sieh den schönen Sakunta!55

KNABE umblickend. Wo ist Mütterchen?

DIE KLAUSNERIN. Die Namensähnlichkeit hat seine Mutterliebe getäuscht.

DIE ZWEITE. Kind! »Sieh die Schönheit des thönernen Pfauen!« hat man dir gesagt.

KÖNIG für sich. Wie, auch Sakuntala hieße seine Mutter? Doch es[135] gibt Namensähnlichkeiten. Soll wie ein Gazellendurst ein bloßer Name mich foppen?

KNABE. Base, der thönerne Pfau gefällt mir. Er nimmt das Spielzeug.

DIE ERSTE hinsehend, bestürzt. Ach, ach! Das Amulet fehlt an seiner Handwurzel.

KÖNIG. Keine Bestürzung! Hier beim Zähmen des Löwenjungen ist es ihm entfallen. Er will es vom Boden aufheben.

DIE BEIDEN. Nicht doch, nicht doch! – Wie? Er hat es ohne Zögern ergriffen? Sie blicken vor Erstaunen die Hände auf die Brust legend einander an.

KÖNIG. Weshalb wehrtet ihr uns?

DIE ERSTE. Der Großkönig höre! Dieses Kraut, Unüberwindlich genannt, ward bei der Geburtsweihe diesem vom heiligen Kasjapa gegeben. Dieses, außer Vater und Mutter oder er selber, nimmt kein anderer von der Erde auf.

KÖNIG. Nimmt er es aber auf?

DIE ERSTE. So wird's zur Schlange und beißt ihn.

KÖNIG. Habt ihr je seine Verwandelung wirklich gesehen?[136]

DIE BEIDEN. Mehr als einmal.

KÖNIG freudig, für sich. Warum begrüß' ich nicht freudig meinen doch erfüllten Wunsch? Er umarmt den Knaben.

DIE ZWEITE. Suwrata! Komm daß wir dieses Ereigniß der Andacht übenden Sakuntala melden! Beide ab.

KNABE. Laß mich los, ich will zu Mütterchen gehn.

KÖNIG. Mein Sohn! Mit mir zugleich sollst du die Mutter begrüßen.

KNABE. Duschianta ist mein Vater, nicht du.

KÖNIG mit Lachen. Eben dieser Widerspruch bestärkt mich. Er hält den Knaben im Arm.


Sakuntala in der Wittwenhaartracht tritt auf.56


SAKUNTALA. Als ich hörte, meines Allbändigers Amulet sei, wo es sich verwandeln sollte, unverwandelt geblieben, konnt' ich nicht an mein Glück glauben. Doch nach all dem was mir Sanumati berichtet hat, wär' es möglich.

KÖNIG Sakuntala erblickend.

Ha, sie ist es, Sakuntala, die hier[137]

In dunkelgraues Kleid gekleidet,

Mit Einzelflecht' und Bußemagerm Antlitz,

Von mir dem grausamen das lange

Trennungsgelübde trägt, die Tugendreine.

SAKUNTALA den von Reuepein bleichen König betrachtend. Er sieht nicht dem Gemahl gleich. Doch wer darf hier meinen Amuletbeschützten Knaben durch Leibesberührung beflecken?

KNABE zur Mutter laufend. Mütterchen! Wer ist der Mann, der »mein Sohn« zu mir sagt und mich umarmt?

KÖNIG. Geliebte! Die von mir an dir verübte Grausamkeit hat ein glückliches Ende genommen, weil ich nun mich von dir wieder erkannt sehe.

SAKUNTALA für sich. Herz! Athme auf, athme auf! Das Schicksal hat seinen feindseligen Groll erschöpft und sich meiner erbarmt. Es ist wirklich der Gemahl!

KÖNIG. Geliebte!

Heil mir, du stehst mir schön vorm Auge,

Von dem Erinnerung den Verblendungsflor hob.

Am Ende der Verfinsterung

Hat Rohini57 sich mit dem Mond vereinigt.[138]

SAKUNTALA. Es siege, siege der Gemahl – Ihre Stimme stockt in Thränenschluchzen.

KÖNIG. Schönste!

Wenn auch den Siegesruf die Thräne

Dir hemmte, hab' ich doch gesiegt,

Dein Antlitz schauend, dessen Lippen

Unpflege blaßroth hat gemacht.

KNABE. Mütterchen, wer ist der Mann?

SAKUNTALA. Kind! Frage das Geschick. Sie weint.

KÖNIG sich Sakuntala zu Füßen werfend.

Laß, schlanke, der Verfinstrung Unbill

Aus deinem Herzen weichen,

Ja die Verblendung meines Geistes

Ist damals groß gewesen.

So pflegen ganz verfinsterte

Im Glück sich zu betragen:

Der Blinde stößt den aufgesetzten Kranz weg,

Für eine Schlang' ihn haltend.

SAKUNTALA. Sohn meines Herrn, stehe auf! Gewiß haben meine Versündigungen aus einem frühern Leben in jenen Tagen ihre Früchte getragen, als der sonst Huldreiche Sohn des Herrn mir seine Zuneigung entzog. Der König steht auf. Doch wie erinnerte sich der Sohn des Herrn dieses unglücklichen Weibes?[139]

KÖNIG. Wenn mir der Dorn des Wehes ausgezogen ist, erzähl' ich dir es.

Wenn ich bethört einst, schlanke, die zum Tropfen

Geronnene ließ dir zur Lippe bringen,

Werd' ich jetzt diese noch am Wimpersaume

Hängende Thrän' abwischend, Reuerlöst sein.


Er thut wie er gesagt.


SAKUNTALA den Namensring an der Hand des Königs erblickend. Mein Gemahl, das ist jener Ring.

KÖNIG. Ja mit des Ringes Wiedererlangung erlangt' ich die Wiedererinnerung.

SAKUNTALA. Es war übel von ihm gethan, daß er damals, als ich den Sohn des Herrn überzeugen wollte, nicht zu finden war.

KÖNIG. So erhalte denn zu Frühlingsantritt die Ranke ihren Blumenschmuck wieder. Er will ihrer Hand den Ring anstecken.

SAKUNTALA. Ich traue ihm nicht, der Sohn des Herrn möge ihn tragen.


Matali tritt auf.


MATALI. Glück auf dem Langlebenden zur Wiedervereinigung mit der Gattin und Anblick des Sohns!

KÖNIG. Süße Frucht ward meinem Wunsch zu Theil. Matali! Sollte Indra nichts von der Sache gewußt haben?[140]

MATALI lachend. Was ist den Göttern verborgen? Komme der Langlebende! Der heilige Maritschi- Sohn gewährt dir seinen Anblick.

KÖNIG. Sakuntala! Nimm den Knaben. Mit dir voran wünsche ich den Heiligen zu sehen.

SAKUNTALA. Ich schäme mich mit dem Gemahl zum geistlichen Vater zu gehen.

KÖNIG. Ei, muß man denn bei freudigen Ereignissen Ceremonien machen? Komm, komm!


Alle ab.

Es erscheint Kasjapa mit Aditi auf einem Sessel sitzend.


KASJAPA sieht den König kommen. Dakscha-Tochter!

Das ist er, der für deinen Sohn geht an des Kampfes Spitze.

Duschianta so ist er genannt, der Herr des Erdenkreises,

Durch dessen Pfeil und Bogen die Beschäftigung verloren

Hat Indra's scharfer Donnerkeil, und ist ein Schmuck geworden.

ADITI.

Sein Aussehen läßt auf seine Würde schließen.

MATALI zum König. Langlebender! Dort mit Kindesliebeglänzendem Auge blickt das Elternpaar der Unsterblichen dem Langlebenden entgegen. So tritt heran.[141]

KÖNIG. Matali! Hier also? –

Das den Grund die Weisen nennen des zwölffalten Lichtbestandes,

Das den Dreiwelthalter hat, den Spendempfänger-Herrn gezeugt,

Das der überm Selbstgewordnen Sei'nde zur Geburtsstatt nahm;

Durch Maritschi-Dakscha stammt gradaus vom Schöpfer dieses Paar?58

MATALI. Wie anders?

KÖNIG sich verneigend. Beiden verneigt sich Indra's Diener Duschianta.

KASJAPA. Sohn! Lebe lange! Beschirme die Erde.

ADITI. Kind! Dir stehe kein Gegner.

SAKUNTALA. Ich mit dem Knaben bringe euch den Fußfall.

KASJAPA. Tochter![142]

Dem Indra ähnlich ist dein Gatte

Und dem Duschianta gleicht dein Sohn.

Kein andrer Segenswunsch dir eignete,

Als: wie Paulomi werde du.

ADITI. Kind! Sei geehrt vom Gatten. Leben sei deinem Sohn beschieden und er werde die Lust beider Stammgeschlechter! Setzet euch!


Alle setzen sich vor dem Pradschapati nieder.


KASJAPA eines nach dem andern betrachtend.

Glück auf! Sakuntala du treue,

Das Kind das treffliche, du selbst;

Liebe, Vermögen, Hochsinn also

Kam die Dreizahl zusammen hier.

KÖNIG. Heiliger! Erst Wunschgewähr, dann Schauen; so ist eine Gnade ohne gleichen. Ja wol

Zuerst erscheint die Blüthe, drauf die Frucht,

Zuvor die Wolke, dann nach ihr der Regen;

Das ist der Gang von Wirkendem und Wirkung,

Doch deiner Gnade ging voran der Segen.

MATALI. So erzeigen Weltschöpfer ihre Gunst.

KÖNIG. Heilige! Diese eure Dienerin mit Gandharwen-Ehe mir anvermählt, nach einiger Zeit von ihren Anverwandten mir zugeführt, hab' ich aus Gedächtnißlosigkeit verstoßend mich vergangen gegen den Verehrungswürdigen euren[143] Stammgenossen Kanwa, dann durch des Ringes Anblick als von mir zum Weibe genommen seine Tochter wieder erkannt; das erscheint mir wie ein Wunder.

Wie wenn »dies ist kein Elephant« der Zweifel so

Entstünde, wo sichtbar vorbei er schritt,

Dann Ueberzeugung käm' aus der geschauten Spur,

Von solcher Art war meine Sinneswandlung.

KASJAPA. Sohn, genug der Selbstanschuldigung! Die Verblendung selbst war dir nur angethan. Vernimm!

KÖNIG. Ich merke auf.

KASJAPA. Zu eben der Zeit, als die Nymphe Menaka zum Nymphenbade hinabgestiegen, dort die über ihre Verlassung Trostlose Sakuntala mit sich nahm und hieher zu meiner Gattin brachte, erkannte ich dies im Geiste: durch Durwâsas Fluch war die Büßerin Sakuntala, die rechtmäßige Gattin, von dir verstoßen, und dieser Fluch sollte durch nichts andres als durch den Anblick des Ringes ein Ende nehmen.

KÖNIG aufathmend. So bin ich frei von Tadel.

SAKUNTALA für sich. Glück auf! Der Sohn des Herrn hat mich nicht ohne Ursache verstoßen. In der That besinne ich mich nicht recht mehr. Doch ja, den mir zugezogenen Fluch merkt' ich Liebesbethörten Herzens nicht, da mir die beiden[144] Freundinnen andeuteten, ich sollte dem Gemahl den Ring vorzeigen.

KASJAPA. Tochter! Du bist nun befriedigt; du darfst deinem rechtmäßigen Gatten nicht zürnen.

Durch Fluch warst du gehemmt in dem durch sein Vergessen rauhen,

Im wiederhergestellten Geist des Gatten ist die Macht dein.

Platz findet nicht das Bild in dem vom Schmutze Glanzberaubten,

Doch im gereinigten Spiegel ist es freudig aufgenommen.

KÖNIG. Heiliger!59 In diesem fürwahr ist der Ruhmbestand meines Geschlechtes. Er nimmt den Knaben bei der Hand.

KASJAPA. Wisse, daß er ein solcher Weltherrscher sein wird; siehe

Erst mit des Wagens Anstoßschütterlosem Gang durch Meer und Land

Besiegt der unbesiegte Held der Erde sieben Eilande;

Sodann, der hier Allbändiger ob Bändigung der Thiere hieß,

Erhalter Bharata hinfort heißt ob der Welt Erhaltung er.

KÖNIG. Von Heiligen selbst geweiht läßt er uns alles hoffen.

ADITI. Heiliger! Von dieser seiner Pflegetochter nun erfülltem Wunsche werde auch Kanwa vollständig unterrichtet.[145]

SAKUNTALA für sich. Von der heiligen ward mein eigener Wunsch ausgesprochen.

KASJAPA. Kraft der Buße hat der Ehrwürdige schon alles geschaut.

KÖNIG. So wird der fromme Mann auch mir nicht mehr zürnen.

KASJAPA. Gleichwol soll er von uns um seine Zustimmung befragt werden – Heran, heran!


Ein Jünger tritt ein.


JÜNGER. Heiliger, hier bin ich.

KASJAPA. Galawa! Jetzt gleich durch die Luft gehend mußt du in meinem Namen dort dem ehrwürdigen Kanwa zu wissen thun, wie hier die Sohnbegabte Sakuntala von dem nach der Fluchabwendung wieder besonnenen König aufgenommen worden ist.

JÜNGER. Wie der Herr befiehlt! Geht ab.

KASJAPA. Sohn! Nun auf du, mit Weib und Kind deines Freundes Indra Wagen besteigend, brich nach deiner Residenz auf!

KÖNIG. Wie der Heilige befehlt.

KASJAPA. Und also hinfort[146]

Deinen Unterthanen gebe reichlich Regen Indra,

Du mit vollem Maß erfreu die himmlischen mit Opfern,

Und so beide hundertaltrig60 lebt in gegenseitigem

Freundschaftsdienst, der beiden Welten heilsam sei besungen.

KÖNIG. Heiliger! Nach Vermögen werd' ich nach dem Heile streben.

KASJAPA. Sohn! Was kann ich dir noch liebes gewähren?

KÖNIG. Gibt es noch liebes über das? Wenn hier der Heilige noch etwas liebes erzeigen will, so sei's dieser Spruch des Bharata61:

Auf's Beste seines Volkes sei der Fürst bedacht,

Von Glaubenspflegern sei gepflegt Saraswati;62

Und mich befreie der von mir verehrte Gott

Von zweitem Dasein, Siwa der selbseiende.

Fußnoten

1 Wir müssen uns an der Schwelle einen kleinen Anstoß nicht verdrießen noch dadurch abschrecken lassen. Das preciöse Gebet ist gerichtet an den Gott, der vorzugsweise der Herr heißt, Siwa, der in acht Gestalten die Welt darstellend gedacht wird, 1) als Wasser, wie in Pindar's erster Ode, 2) als Feuer, 3) als Opferhandlung des Brahmanen, 4) und 5) als Sonne und Mond, 6) als Aether, 7) als Erde, 8) als Luft.


2 »Pinaka«, Siwa's Bogen. Siwa verfolgte, nach der Legende, einst das aus Furcht vor ihm in Gestalt eines Hirsches fliehende Opfer.


3 »So vieles beschützt mein von der Senne narbiger Arm.« Die Opfer stehen unter dem Schutze des Königs, der den Beruf hat, mit seinem Bogen die opferstörenden Dämonen zu vertreiben.


4 Die ölgehaltreichen Körner einer Pflanze, woraus die Einsiedler Salb- und Brennöl gewinnen.


5 Sie tragen Bastgewänder und gehen darin ins Bad und aus dem Bade, oder waschen auch die Gewänder in jenen Wasserbecken, wie es unten heißt:

Also fällt der roßhufaufgeregte Staub

Wo Bastkleider am Gezweig zu trocknen

Hängen –


6 Wäre sie das, so dürfte sie nicht in die Kriegerkaste, wozu der König gehört, heirathen.


7 Weil durch deren Vollendung göttliche Macht zu erlangen ist. Dieses zu verhindern, senden sie die verführerischen Nymphen.


8 Der König hat im indischen Drama immer solche Frauen zur Begleitung auf der Jagd, wie wir später auch sehen werden, daß seine unmittelbare Bedienung im Palast einer Leibdienerin anvertraut ist. Jawana, wie das hebräische, arabische, syrische jawan ist nicht gleich Jonisch, d.i. Griechisch, bedeutet aber im Sanskrit zu verschiedenen Zeiten verschiedene Völkerschaften. Man vermuthet, daß unter den Jawanifrauen als Jagdbegleiterinnen tatarische oder baktrische Frauen gemeint seien.


9 Der Leser wird sich vielleicht nicht genau, wie der verliebte König, der Situation erinnern. Es sind gemeint die Worte Sakuntala's S. 21 zu der sie zurückhaltenden Priamwada, in Verbindung mit S. 22 »Wer bist du mich zurück zu halten?« Beide Aeußerungen mögen sich in der Erinnerung des Königs (oder des Dichters) in eins verschmolzen haben, wie sich denn allerdings die letzte Stelle auf die erste zurückbezieht.


10 D.i. die in ihm verborgene Sonnenkraft.


11 Im Texte haben Baum und Strauch ihre Eigennamen, die in der Uebersetzung unterdrückt wurden, weil sie uns nur Namen ohne Anschauung von der Besonderheit jenes Baumes und Strauches sind, und nichts sagen sondern das Bild nur beschweren und verdunkeln. Wir müssen uns einen prächtigen blühenden Baum denken und einen blüthenlosen Strauch, der sich nur mit der ihm zugefallenen Himmelsblüthe schmückt.


12 Der König bezieht das Sechstel alles Landertrags, natürlich nur von den angebauten Früchten. Der wildwachsende Reis, die Nahrung der Einsiedler, kommt dabei nicht in Rechnung.


13 Die Gandharwen sind himmlische Sänger und Lautenspieler, Namensverwandte der Kentauren am Pindus, unter denen Chiron dem Achilles im Lautenspiele Unterricht gibt.


14 Es gibt drei Stufen von Rischi's oder heiligen Weisen, aufwärts in folgender Ordnung: königliche, göttliche, brahmanische.


15 Eine Episode des bekannten zweiten großen Heldengedichtes der indischen Literatur, des Ramajana, heißt die Himmelfahrt des Trisanku. Diesen, einen fluchbeladenen König, wollte der gewaltsame Königsweise Wiswamitra (der oben mit seinem eigentlichen Namen Kausika als Vater Sakuntala's erwähnt wird) zum Himmel hinaufbeten; die Götter wollten ihn herunter stoßen, mußten sich aber zu dem Vergleich bequemen, daß er in Mitten des Weltraums als ein neues Sternbild schweben blieb.


16 Juwarâdscha = juvenis rex, d.i. Thronfolger.


17 Das heilige Gras zur Bestreuung des Opferplatzes und Opfers. Synonym damit ist das gleich darauf erwähnte Darbhagras.


18 Amor, Eros.


19 Die gewöhnliche Todtenspende.


20 Die beiden Sterne machen eines der 28 Mondhäuser aus; sie sind hier zur Vergleichung gewählt, weil ihrer zwei sind, wie die zwei Freundinnen Sakuntala's. Sie gehen gegen Ende Oktobers auf nach der Regenzeit im klaren Herbst, wie es unten S. 48 heißt: Wer wird wol den Leiberfrischenden herbstlichen Mondschein mit dem Saume des Kleides von sich abwehren?


21 Die Schwiele der Hand, die durch das fortwährende Anschlagen der Bogensenne entsteht.


22 Blumen die vom Opfer übrig geblieben sind, trägt man selbst oder gibt sie Freunden als geweihte Gabe.


23 Die Huld (Çrî) ist eine wirkliche Person, Hulda, Huldgöttin. Das angeführte Sanskritwort entspricht sprachlich und sachlich dem griechischen Χαρις, nur daß im Indischen nicht drei Huldinnen sind, wie im Griechischen, sondern eine, Wischnu's Gemahlin, wie im Homer die Charis Gemahlin des Hephästos. Hingegen ist die eine Glanzgestalt der griechischen Aphrodite bei den Indiern in 1000 Apsaras zersplittert; wir haben für den unbequemen Namen überall Nymphen übersetzt.


24 So darf Anasuja den König nennen, weil er der Geliebte ihrer Freundin ist. Eben so sehen wir, daß unten im sechsten Act der König zu seinem Kameraden, dem lustigen Rath, von Sakuntala sagt »deine Freundin« d.h. meine, deines Freundes, Geliebte.


25 Der Name und die Bedeutung der Gandharwen ist oben zu S. 35 erklärt worden. Diese Genien gehen geniale Verbindungen ein, deren Nachahmung sich bei den Kriegern findet. Eine Ehe nach Gandharwa-Brauch ist eine Ehe geschlossen nach gegenseitiger Zuneigung, ohne Ceremonie und ohne Zuziehung der Verwandten, oder sogar der Eltern, die dann nachträglich ihre Zustimmung geben.


26 Die Tschakrawaka's sind die indischen Inseparables, aber ein Fluch zwingt sie beim Eintritt der Nacht sich von einander trennen zu müssen. Sie bringen auf den entgegengesetzten Ufern des Stromes die Nacht hin in beständigen Sehnsuchtsrufen nach einander. Ebenso wie das Tschakrawaka-Weibchen ihren Gatten, muß jetzt Sakuntala den König verabschieden. Der mahnende Ruf kommt von der Freundin: die feine Anasuja hat nicht vergessen, was im Vorspiel des Actes der junge Klausner gesagt, er wolle der Mutter Gautami schmerzstillendes Weihwasser bringen, um es der leidenden Sakuntala zu übergeben. Die beiden Mädchen haben sich der zu erwartenden Gautami in den Weg gestellt und geben nun vor ihrer Annäherung das Zeichen, das Gautami nicht befremden kann, dessen Räthsel aber Sakuntala leicht deutet.


27 Hier gibt es keinerlei künstliche Uhr. Am Tage genügt die natürliche Sonnenuhr, die Sonne selbst in ihrer Bahn, woraus jeder die Zeit abnehmen kann. Für die Nacht aber, insbesondere gegen Morgen, kann es wol eines eigens angestellten Beobachters des Himmels bedürfen, damit die Opferstunde bei Sonnenaufgang nicht versäumt werde, zumal wenn der Hausvater und Priester, wie hier, erst den Abend zuvor nach Hause zurückgekehrt, noch reisemüde ist.


28 D.i. ich habe, zwar nicht ohne Betrübniß, doch gerade meinen Wunsch erreicht.


29 Der Meister gibt sein Bestes, seine Lehre, dem Jünger, der Vater dem Gatten die Tochter.


30 Die Frauen sprechen sonst Prakrit, eine volksthümliche Umgestaltung der gelehrten und vornehmen Sprache, andere Arten davon die verschiedenen hier im Drama auftretenden untergeordneten Personen. Daß alle diese Nüancen in der Uebersetzung wegfallen müssen, ist freilich eine große Einbuße.


31 Vom Boden der Badestellen der heiligen Wallfahrtorte.


32 Jetzt Delhi, die Residenz des Königs.


33 Der Heilige könnte durch seine Wunderkraft selbst dergleichen beschafft haben. Hier aber thaten es die Waldgottheiten aus Hochachtung vor ihm; statt der Blüthen ihrer Bäume die er für Sakuntala wollte, lassen sie ihm den Schmuck auf den Zweigen wachsen.


34 Waldfürsten oder Herren des Waldes d.h. große, die andern beherrschende Bäume.


35 An gesehenen Bildern und an eigenen nach deren Muster gefertigten haben sie die Stelle und Anordnung der ihnen in ihrer Weltabgeschiedenheit unbekannt gebliebenen Putzstücke kennen gelernt.


36 Der Gatte der Sarmischtha und Vater des Puru, also Stammvater des königlichen Geschlechts, wovon Duschianta selbst Puru-Sohn heißt.


37 Eine Feigenart.


38 Sakuntala ahnet Trennung vom Gatten, die ihr schmerzlich sein würde, wenn sie auch nur eine so scheinbare wäre, wie die hier. Die Freundin will sie darüber beruhigen und sagt prophetisch noch schlimmeres, eine lange Trennung wie die nächtliche der Tschakrawaka. Dieses ist der ferner liegende tiefere Bezug, der nähere ist die Trennung Sakuntala's von der Freundin.


39 Der Gedankengang liegt nicht auf der Oberfläche. Der gewissenhafte König meint: wie kann man mich für so gewissenlos halten? Glaubst du nicht, ich sage mir selber welche Folgen solch ein Rechtsbruch für mich haben müßte?


40 D.i. den Kopf blutig zu schlagen.


41 Sie hat den Wagen bestiegen um zum Himmel zurückzukehren.


42 Der Lustteich in den fürstlichen Gärten, der im Schutze der Nymphen steht, die der Reihe nach darüber Wache halten. Als Beschützerin der Sakuntala will sie ihr berichten, was sie jetzt als unsichtbarer Zeuge vom König und dessen Umgebung beobachtet hat. Sie hat noch keine Eile, da jetzt eben die Badestunde Sakuntala's in ihrem himmlischen Asyl ist.


43 Der sinnige deutsche Leser mag rathen, welche Geberde gemeint sei: die Sanskritgelehrten wissen es nicht.


44 In solchen Fällen ist immer anzunehmen, daß »beide« soviel ist, wie eine von beiden, gleichgültig welche. An andern Stellen habe ich so wirklich substituirt.


45 Wenn die Mutter in Hoffnung zuerst das Leben des Kindes spürt.


46 Was man einem Brahmanen nicht thun darf, Tod oder Gewalt.


47 Eine uns fremde naturhistorische Mythe. Der Vogel ist eigentlich hansa d.h. unsre Gans oder Schwan. Die Vorstellung ist schon Vedisch.


48 Die himmlische, die irdische und unterweltliche Ganga.


49 Die Luftgeister, Maruten, Windgötter, aber nicht die Winde der Windrose, sondern sieben Schöpfungswirbel, sieben verschiedene Sphären bewegend. Die Erklärer geben uns sieben Namen zum Besten, die sämmtlich durch verschiedene Präpositionen von dem Verbum wah, bewegen, gebildet sind (wofür wir, weil unser bewegen zu steif dazu ist, treiben setzen), nämlich einen Antreiber, Zutreiber, Beitreiber, Auftreiber, Austreiber, Umtreiber, Abtreiber. Ueber die Sphären der Thätigkeit eines jeden scheint nicht volle Uebereinstimmung zu herrschen. Der Scholiast wenigstens gibt dem Umtreiber eine andere als hier der Dichter, und neben der Lesart Umtreiber steht die Variante Zutreiber, dem zu Liebe das zweite Hemistich eine Umstellung erfahren hat. Nach dem Scholiasten bewegt der Umtreiber den Polarkeis (den Kreis der sieben Rischis oder Rikschas, Heilige oder Bären), der Dichter dagegen gibt dem Umtreiber oder Zutreiber (der nach dem Scholiasten bloß den Sonnenkreis beherrscht) den ganzen Sternenraum ober der Wolkenregion, wo auch die himmlische Ganga fließt.


50 Es gibt ursprünglich sieben Pradschap d.h. Schöpfungs- oder Zeugungsherren, Demiurgen, Mitschöpfer – untergeordnete Schöpfungsmomente, Weiterentfaltungen der ersten Brahma-Schöpfung. Diese sieben und viele andere ihnen beigethane leben als heilige Büßer, durch ihre Bußübungen die Schöpfung miterhaltend.


51 Kasjapa's Gattin.


52 Ambrosia und Nektar zugleich.


53 Nämlich das Zucken des rechten Armes, das beim Manne Glück bedeutet.


54 Wie der Brahmane so auch der Fürst zieht sich zuletzt, wenn er seinen Stammhalter eingesetzt hat, aus seinem Hause in die Einsiedelei zurück; dahin folgt ihm Frau und Kind außer jenem Stammhalter. Puru's Geschlecht ist ein weitverzweigtes; es könnte also wol irgend ein Verwandter des Königs hier mit seinem jungen Sohne wohnen. Nur der Ort, ein überirdischer, läßt diese Vermuthung nicht zu.


55 D.i. Stoßvogel, Falke.


56 Das Haar in einen Knoten aufgesteckt.


57 Die Insassin des vierten Mondhauses, die geliebteste der 27 Mondfrauen.


58 Ein für uns noch mehr als das Eingangsgebet ungenießbarer Götterprunk des Inhaltes: dieses Paar, Kasjapa und Aditi, jener Sohn des Maritschi, diese Tochter des Dakscha, welche beide, Maritschi und Dakscha, Söhne des Schöpfers Brahma. Aditi ist die Mutter der Aditjas, die als zwölf Gestalten des jährlichen Sonnenlaufes gedacht werden, auch Mutter Indra's, des Gottes der Dreiwelt, des Herrn der Opferspendempfänger d.i. Götter. Auch der überm selbstgewordnen Brahma seiende Mann-Geist, d.i. Wischnu, hat das Paar Kasjapa und Aditi zur Stätte seiner Geburt erwählt, nach der Mythe, wonach Wischnu Indra's nachgeborner Bruder heißt.


59 Vor dieser Rede des Königs ist eine fühlbare Lücke, die in der Bengali-Recension nicht zum besten, doch leidlich ausgefüllt ist.


60 »Hundertaltrig«, wörtlich ein Jugahundert. Juga sowol ein Weltalter als eine Zeit von 5 Jahren, letzteres für den König gibt 500 Jahre, für Indra 100 Weltalter; genug für beide, da die indischen Götter nicht absolut ewig sind. Doch ist die Phrase absichtlich so unbestimmt, daß sie auch bedeuten kann: vielmal 500 Jahre, vielmal 100 Weltalter.


61 »Bharata« heißt von ihm an dieses Königsgeschlecht, dessen Großthaten das Mahabharata d.i. Großbharatagedicht darstellt. Bharata angeblich Verfasser eines Codex der Schauspielkunst.


62 Göttin der Beredsamkeit, der schönen Künste und Wissenschaften.

Quelle:
Sakuntala. Schauspiel von Kalidasa. Leipzig 1876, S. 124-147.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon