2. Kapitel
Über den Gebrauch des Militärs / Dang Bing

[82] Die Heiligen Könige des Altertums benützten ihre Krieger zu gerechten Zwecken, nicht aber schafften sie den Kriegerstand ab. Die Ursprünge des Kriegerstandes sind tief im Wesen des Menschen begründet. Es gibt Krieger, solange es Menschen gibt. Das Wesen des Kriegerstandes ist, daß er Furcht einflößt. Das Wesen der Furcht beruht auf der Kraft. Daß die Menschen Furcht erregende Kraft besitzen, beruht auf ihrer Natur. Diese Natur haben sie vom Himmel bekommen, sie ist nicht etwas künstlich Gemachtes. Das Kriegshandwerk läßt sich nicht abschaffen und die Rüstungen lassen sich nicht einstellen.

Die Ursprünge des Krieges liegen weit zurück. Schon Huang Di5 und Yän Di bekämpften einander mit Wasser und Feuer. Schon Gung Gung hat versucht, Schwierigkeiten zu bereiten. Die fünf Herrscher schon haben miteinander gestritten und abwechselnd Sieg und Niederlage gefunden und die Sieger haben die Menschen beherrscht. Tschï Yu6 heißt es, habe die Waffen erfunden, aber nicht Tschï Yu hat die Waffen erfunden, sondern er hat nur die Waffen verbessert. Noch ehe es Tschï Yu gab, bekämpften die Menschen schon einander mit ausgerissenen Baumstämmen. Der Sieger wurde Häuptling. Da die Macht eines Häuptlings nicht ausreichte um Ordnung zu schaffen, wurden Fürsten eingesetzt. Da auch die Fürsten noch nicht ausreichten, um Ordnung zu schaffen, wurde der Himmelssohn eingesetzt. Die Einsetzung des Himmelssohns beruht auf den Häuptlingen. Die Einsetzung der Häuptlinge beruht auf dem Kampf.

Die Anfänge des Kampfes liegen weit zurück. Er läßt sich nicht verbieten, noch verhindern. Darum benutzten die weisen Könige des Altertums ihre Krieger zu gerechten Zwecken, nicht aber schafften sie den Kriegerstand ab. Wenn es in der Familie nicht Zorn noch Rute gibt, so zeigt sich sofort, daß die Kinder unartig[82] sind. Wenn es im Staat nicht Strafe noch Buße gibt, so zeigt sich sofort, daß die Bürger einander bedrücken und übervorteilen. Wenn es im Weltreich nicht Krieg noch Strafzüge gibt, so zeigt sich sofort, daß die Lehensfürsten einander bedrängen. Darum darf man in der Familie Zorn und Rute nicht abschaffen, im Staate Strafen und Bußen nicht abschaffen und im Weltreich Kriege und Strafzüge nicht abschaffen. Es kommt nur darauf an, ob ihre Anwendung zweckdienlich oder verwerflich ist. Darum benutzten die Heiligen Könige des Altertums ihre Krieger zu gerechten Zwecken, nicht aber schafften sie den Kriegerstand ab.

Es kommt vor, daß Leute am Essen ersticken. Wollte man aber deswegen das Essen auf Erden verbieten, so wäre das töricht. Es kommt vor, daß Leute, die Schiff fahren, verunglücken. Wollte man aber deswegen die Schiffe auf Erden verbieten, so wäre das töricht. So kommt es auch vor, daß Fürsten durch den Gebrauch von Soldaten ihr Reich verlieren. Wollte man aber deswegen den Kriegerstand auf Erden abschaffen, so wäre das töricht. Das Militär kann man nicht abschaffen. Es gleicht den Kräften des Wassers und des Feuers. Wer sie geschickt zu nutzen versteht, dem bringen sie Glück. Wer sie nicht zu benützen versteht, dem bringen sie Unglück. Es verhält sich wie mit dem Gebrauch einer Arznei. Eine gute Arznei rettet dem Menschen das Leben; eine schlechte Arznei tötet den Menschen. So ist das Militär, wenn es zu gerechten Zwecken verwendet wird, ebenfalls eine Arznei für die Welt.

Außerdem lassen sich die Ursprünge des Krieges weit zurückverfolgen. Keinen Augenblick ist der Mensch von kriegerischen Gedanken frei. Vornehme und Geringe, Alte und Junge, Weise und Toren stimmen darin überein. Der Unterschied besteht nur in den höheren oder geringeren Graden. Was im Herzen sich regt, ganz im Verborgenen, ist der Krieg; was aus zornigen Mienen spricht, ist der Krieg; was aus Zwang und Abwehr spricht, ist der Krieg; was aus drohenden Worten spricht, ist der Krieg; was aus Zuneigung und Abneigung spricht, ist der Krieg; was aus dem Kampf der Heere spricht, ist der Krieg. Alle diese acht Dinge sind Krieg, sind Kampf zwischen Schwachen und Starken. Die Leute,[83] die heutzutage so laut von der Abschaffung des Militärs reden, benützen ihr ganzes Leben lang, das Militär zu bekriegen, ohne sich ihres Selbstwiderspruchs bewußt zu werden. Darum, wenn sie noch so starke Worte brauchen, wenn sie noch so einleuchtende Gründe vorzubringen wissen und noch so gelehrte Professoren sind, verschaffen sie sich dennoch kein Gehör. Darum benützten die Heiligen Könige des Altertums ihre Krieger zu gerechten Zwecken, nicht aber schafften sie den Kriegerstand ab. Darum, über einen wirklich gerechten Krieg, der die Bedrücker vernichtet und die unterdrückten Völker befreit, freuen sich die Menschen wie ein guter Sohn sich freut, der seinen lieben Vater sieht, wie ein Hungriger sich freut, der köstliche Speisen sieht. Die Menschen fallen dem Sieger jubelnd zu wie der Pfeil, der von starker Armbrust geschossen, ein tiefes Tal durchfliegt; wie das Wasser, das lange aufgestaut, seine Dämme und Deiche zerreißt. Da vermag dann nicht einmal ein mittelmäßiger Herrscher sein Volk noch in der Hand zu behalten, wieviel weniger ein grausamer Tyrann.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 82-84.
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