29. Vom Nichthandeln[30] 1

Die Welt erobern wollen durch Handeln:

Ich habe erlebt, daß das mißlingt.

Die Welt ist ein geistiges Ding,

das man nicht behandeln darf.

Wer handelt, verdirbt sie.

Wer festhält, verliert sie.

Denn: die Geschöpfe gehen voran oder folgen,

sie seufzen oder schnauben,

sie sind stark oder schwach,

sie siegen oder unterliegen.

Also auch der Berufene:

Er meidet das Heftige.

Er meidet das Üppige.

Er meidet das Großartige.


Erklärung

1 Die »Welt«, wörtlich »das unter dem Himmel«, soviel wie der römische orbis terrarum, ebenfalls auch gleich »Reich«. »Geistiges Ding« (schen ki), ein alter Ausdruck, wörtlich »geistiges bzw. göttliches Gerät«. Der Ausdruck stammt wohl ursprünglich von den sagenhaften 9 Opfergefäßen, die, von dem großen Yü verfertigt, als Symbol der Herrschaft über die damaligen 9 Provinzen sich von Generation zu Generation vererbten. Hier in übertragenem Sinn von dem Reich gebraucht mit der Bedeutung, daß es ein geistiger Organismus sei, dem nicht mit mechanischem Machen beizukommen ist.

Auch hier wieder Reimsprüche, deren Inhalt merkwürdig mit dem Kophtischen Lied, No. II, von Goethe übereinstimmt, wenn auch die gezogene Nutzanwendung hier und dort diametral entgegengesetzt ist.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 30-31.