28. Rückkehr zur Einfalt[29] 1

Wer seine männliche Kraft erkennt

und dennoch in weiblicher Schwachheit weilt,

der ist das Strombett der Welt.

Ist er das Strombett der Welt,

so verläßt ihn nicht das ewige LEBEN,

und er kann wieder umkehren und werden wie ein Kindlein.


Wer sein Licht erkennt

und dennoch im Dunkel weilt,

der ist das Vorbild der Welt.

Ist er das Vorbild der Welt,

so fehlt ihm nicht das ewige LEBEN,

und er kann wieder umkehren zum Ungewordenen.


Wer seine Ehre erkennt

und dennoch in Schande weilt,

der ist das Tal der Welt.

Ist er das Tal der Welt,

so hat er Genüge des ewigen LEBENS,

und er kann wieder umkehren zur Einfalt.


[Ist die Einfalt zerstreut, so gibt es »brauchbare« Menschen.

Übt der Berufene sie aus, so wird er der Herr der Beamten.

Darum: Großartige Gestaltung bedarf nicht des Beschneidens.]


Erklärung

1 Der Abschnitt besteht aus drei symmetrisch gegliederten Strophen, die in sich abgeschlossen sind. Die Erwähnung der Einfalt am Schluß hat dann noch die Hinzufügung einiger Aphorismen über die Einfalt veranlaßt, die hier aus dem Zusammenhang herausfallen. Möglicherweise haben wir (Tai Gi) liegende Zustand des Ineinanderseins der Gegensätze; vgl. Bemerkung daselbst.

Der Anfang lautet wörtlich: »Wer seine Mannheit erkennt und seine Weibheit bewahrt«.

Das »Ungewordene« in Strophe 2 (Wu Gi) ist eben der vor dem Uranfang (Tai Gi) liegende Zustand des Ineinanderseins der Gegensätze; vgl. Bemerkung zu No. 1.

Zu dem »Tal der Welt« vgl. Bemerkung zu No. 6.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 29-30.