8. Das Wesen der Beweglichkeit[9] 1

Höchste Güte ist wie das Wasser.

Des Wassers Güte ist es, allen Wesen zu nützen ohne Streit.

Es weilt an Orten, die alle Menschen verachten.

Drum steht es nahe dem SINN.

Beim Wohnen zeigt sich die Güte an dem Platze.

Beim Denken zeigt sich die Güte in der Tiefe.

Beim Schenken zeigt sich die Güte in der Liebe.

Beim Reden zeigt sich die Güte in der Wahrheit.

Beim Walten zeigt sich die Güte in der Ordnung.

Beim Wirken zeigt sich die Güte im Können.

Beim Bewegen zeigt sich die Güte in der rechten Zeit.

Wer sich nicht selbst behauptet,

bleibt eben dadurch frei von Tadel.


Erklärung

1 Das Wasser wird als Bild des SINNES, dessen Macht darin besteht, daß er unten weilt (an Orten, die alle Menschen verachten), im ganzen Werke häufig gebraucht.

Es ist charakteristisch, wie auch im Buch des Wandels das Zeichen »Wasser« als »Gewöhnung an die Tiefe« gedeutet wird.

Zu Zeile 5 vgl. Kungfutse, Gespräche Buch IV, 1 (pag. 30). Diese, sowie die folgenden Zeilen sind vermutlich Zitat aus einer vorhandenen Spruchsammlung. Erst die letzte Zeile gehört wieder in den unmittelbaren Zusammenhang.

Die vorletzte Zeile bezieht sich möglicherweise auf die Verwendung der Untertanen zu öffentlichen Arbeiten mit Rücksicht auf die geeignete Zeit, ein Grundsatz, der im chinesischen Altertum sich durchgängig findet. Vgl. Kungfutse, Gespräche Buch I, 5 (pag. 2).

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 9-10.