9. Selbstbeschränkung[10] 1

Etwas festhalten wollen und dabei es überfüllen:

das lohnt der Mühe nicht.

Etwas handhaben wollen und dabei es immer scharf halten:

das läßt sich nicht lange bewahren.

Mit Gold und Edelsteinen gefüllten Saal

kann niemand beschützen.

Reich und vornehm und dazu hochmütig sein:

das zieht von selbst das Unglück herbei.

Ist das Werk vollbracht, dann sich zurückziehen:

das ist des Himmels SINN.


Erklärung

1 Zeile 1: Bild einer Schale mit Wasser, die man nicht überfüllen darf, ohne daß es überläuft.

Das nächste Bild bezieht sich auf eine Messerschneide. Der Sinn ist der des Sprichworts: Allzu scharf macht schartig. In der letzten Zeile setzen manche Texte: Ist das Werk vollbracht »und folgt der Ruhm«, ein Zusatz, der mit der sonstigen Anschauung unseres Werkes nicht stimmt und auch den Rhythmus unterbricht. Es ist wohl eine Korruption aus No. 47, wo es heißt: »Die Werke werden vollbracht, und die Arbeit wird getan« (wörtlich »folgt«), die hierher übertragen ist.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 10-11.