[113] 14. Der Automat

Der König Mu vom Hause Dschou machte einst einen Jagdausflug nach Westen und kam über das Kunlungebirge, doch hatte er noch nicht den Yän-Berg (wo die Sonne untergeht) erreicht, als er wieder umkehrte. Noch ehe er im Reiche der Mitte angekommen war, wurde ihm unterwegs ein Mechaniker dargebracht mit Namen Ning Schï. Der König Mu ließ ihn vor sich kommen, fragte ihn und sprach: »Was hast du für Fertigkeiten?« Ning Schï sprach: »Ich werde versuchen, alles zu tun, was mir befohlen wird. Doch habe ich schon ein Werk fertig, das du, o König, erst besehen wollest.« Der König Mu sprach: »Komm morgen damit, so will ich es mit dir besehen.«

Am anderen Tage meldete sich Ning Schï beim König. Der König ließ ihn vor sich kommen und sprach: »Was ist das für ein Mensch, der da mit dir kommt?« Er erwiderte: »Den habe ich gemacht, er kann singen.« Der König sah mit Erstaunen, wie er mit Hofschritten gehen, sich verneigen und aufrichten konnte wie ein richtiger Mensch. Der Mechaniker faßte ihn am Kinn, da sang er richtig im Tone. Er schüttelte ihm die Hand, da schlug er auch den Takt dazu. Tausenderlei verschiedene Kunststücke konnte er machen, wie man es haben wollte. Der König hielt ihn für einen wirklichen Menschen. Alle seine Weiber und Sklavinnen sahen mit ihm zu.

Als nun die Kunststücke zu Ende waren, da blinzelte der Sänger den Sklavinnen in der Umgebung des Königs zu. Da ward der König sehr zornig und wollte den Ning Schï auf der Stelle töten lassen. Ning Schï erschrak sehr und schnitt den Sänger eilends auseinander, um dem König zu zeigen,[113] daß er ganz zusammengesetzt sei aus Leder, Holz, Leim, Lack, aus weißen, schwarzen, roten und blauen Teilen.

Der König untersuchte ihn, da sah er, daß im Innern Leber, Galle, Herz, Glieder, Gelenke, Haare, Zähne alles künstlich gemacht war mit vollendeter Geschicklichkeit. Zusammengesetzt sah er wieder aus wie vorher. Er nahm zur Probe das Herz heraus, da konnte der Mund nicht mehr reden; er nahm die Leber heraus, da konnten die Augen nicht mehr sehen; er nahm die Nieren heraus, da konnten die Füße nicht mehr gehen.

Da erst begann der König Mu sich zu freuen und sprach aufatmend: »Wie? Kann denn die Kunst der Menschen die Werke des Schöpfers erreichen?« Er berief den zweiten Wagen, lud ihn (den Automaten) auf und nahm ihn mit sich heim.

Ban Schu mit seiner Wolkenleiter, Mo Di mit seinem Drachenflieger hielten sich für äußerst geschickt. Ihre Schüler Dung Men Gia und Kin Gu Li hörten von der Kunst des Ning Schï und sagten es ihren beiden Meistern. Da wagten die beiden Meister ihr ganzes Leben lang nicht mehr über Kunst zu reden, sondern nahmen stets Zirkel und Richtmaß zur Hand.

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 113-114.
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