Entstehung der Seuchen

[243] Jetzt nun will ich zum Schluß von der Krankheit Ursachen reden

Und dir erklären, woher so plötzlich die Krankheitskeime

Kommen, die Tod und Vernichtung dem Tier- und Menschengeschlechte

Bringen. Zuerst, wie ich oben gelehrt, gibt's viele Atome,

Die uns zu gelten haben als lebenerhaltende Keime;

Aber es schwirren auch viele umher, die Tod und Erkrankung

Schaffen. Sobald nun diese der Zufall rottet zusammen

Und sie den Himmel verpesten, entsteht ein krankhafter Lufthauch.

All dies Krankheitsheer und alle diese Verpestung

Stammt entweder von außen, wie Wolken und Nebel von oben

Über den Himmel hin ziehn, teils steigt sie auch grad aus der Erde

Auf, wenn der Boden durchnäßt von unaufhörlichem Regen,

Dann von der Sonne durchglüht zum Fäulnisherd sich entwickelt.

Siehst du nicht auch, wie auf Fremde, von Haus und Heimat Verschlagne,

Die hier zu uns kommen, die Ungewohnheit des Klimas

Wie auch des Wassers wirkt, die so große Verschiedenheit zeigen?

Was für ein Unterschied muß zwischen Britanniens Klima

Und dem ägyptischen sein, wo die Achse der Welt sich so tief neigt,[243]

Welch ein Abstand ferner vom Pontusreich bis nach Gades

Und zu dem Menschengeschlecht mit den schwarzverbrannten Gesichtern!

Vier verschiedene Teile der Welt sind so voneinander

Nach den vier Hauptwinden und Himmelsstrichen geschieden.

Ebenso weit sind die Menschen getrennt durch Farbe und Aussehn,

Wie auch die Krankheitsarten die Völker nach Rassen befallen.

Elefantiasis gibts allein in Mittelägypten,

Nahe den Wassern des Nils, und nirgends sonst auf der Erde.

Ferner gibt's Fußleiden in Attika, Schwäche der Augen

Herrscht in Achaja vor. So sind an anderen Orten

Andre Organe bedroht; das macht die verschiedene Luft aus,

Wenn sich daher zufällig ein uns abträglicher Luftstrom

Weiter bewegt und die feindliche Luft Verbreitung gewinnet,

Schleicht sie wie Wolken und Nebel allmählich weiter und bringt so

Überall, wo sie erscheint, gewaltsame Ändrung und Wirrnis.

Dann kommt's vor, wenn sie endlich in unser Klima gelangt ist,

Daß sie es ähnlich gestaltet und uns abträglich verpestet.

Plötzlich senkt sich nun diese uns neue, verheerende Pestluft

Nieder aufs Wasser hin oder sie nistet sich ein in die Feldfrucht

Oder in andere Nahrung der Menschen und Futter der Tiere,

Oder der Krankheitsstoff harrt schwebend in luftiger Höhe;

Und so müssen wir, wenn wir von dort die giftige Pestluft

Atmen, zugleich mit dem Odem die Krankheitskeime verschlucken.

In ganz ähnlicher Weise befällt auch die Rinder die Pest oft,

Oder die Seuche verheert die blökenden Träger der Wolle.

Und es verschlägt auch nichts, ob wir die gefährliche Gegend

Selber betreten und wie ein Gewand das Klima vertauschen,

Oder ob uns die Natur von selbst das verdorbene Klima

Herbringt oder ein Etwas, an das wir bisher nicht gewöhnt sind,

Das uns Unheil schafft durch die Neuheit seiner Erscheinung.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 243-244.
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