[320] 1. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ergibt sich durch Auffindung des Zusammenhanges gewisser Reaktionen oder Reaktionsgruppen A und B an einem Objekt, an einem relativ stabilen Komplex von sinnlichen Elementen. Finden wir z.B., daß eine durch Blattform, Blattstellung, Blütenstand u.s.w. (Reaktion A) systematisch bestimmte Pflanzenspezies auch gewisse Reizbewegungen, geotropische, heliotropische Erscheinungen (Reaktion B) zeigt, so liegt hierin eine naturwissenschaftliche Erkenntnis. Die Fixierung einer solchen Erkenntnis in mitteilbarer Form durch eine, mißverständliche Deutungen ausschließende Beschreibung, ist trotz der Entwicklung einer vereinfachenden klassifikatorischen Terminologie eine umständliche Sache. Dieselbe Umständlichkeit wiederholt sich bei der Beschreibung des Verhaltens einer nahestehenden Pflanzenspezies, welche wieder viele besonders zu merkende Einzelheiten enthält. Noch schwieriger wird es, wegen dieser Einzelheiten in einer zusammenfassenden Beschreibung eine umfassendere Gruppe von Erkenntnissen zu fixieren. Für eine Gruppe von Tieren, welche ausgebildete Junge gebären und dieselben durch Säugen ernähren, gelingt es noch, die höhere Blutwärme, die Lungenatmung, den doppelten Blutkreislauf u.s.w. als gemeinsame physiologische und anatomische Reaktionen nachzuweisen. Vergegenwärtigt man sich aber die großen anatomischen, physiologischen Differenzen, welche die Beuteltiere, oder gar die Monotremen, eierlegenden Tiere, Schnabeltier, Ameisenigel, gegen die »Säugetiere« darbieten, welchen sie doch in manchen Beziehungen wieder sehr nahe stehen, so erkennt man die Schwierigkeit, eine umfassendere Gruppe von zoologischen Erkenntnissen in einer zusammenfassenden Beschreibung mitzuteilen.[320] Das Ziel, aus den Eigenschaften der Zellen, der Keimesanlagen, mit Rücksicht auf die bestimmenden Umstände der Umgebung, die Entwicklung und den Lebenslauf abzuleiten, kann uns bei dieser Sachlage nur als ein sehr fernliegendes Ideal vorschweben.
2. Wenden wir uns nun dem Gebiet der Physik zu, so erblicken wir ein anderes Bild, welches zu dem vorigen in auffallendem Gegensatze zu stehen scheint. Wenn zwei Gewichte an den beiden Enden einer über eine Rolle gezogenen Schnur hängen, so brauchen wir jedes der beiden Gewichte nur durch eine Anzahl kleinerer gleicher Gewichte zu ersetzen, um sagen zu können, daß das aus einer größeren Zahl bestehende Gewicht das andere nach sich ziehen wird. Befinden sich die Gewichte an ungleichen Armen eines Hebels, so teilen wir auch die Arme in kleinere gleiche Teile, zählen die Teile eines Gewichtes und die Teile des zugehörigen Armes und bilden das Produkt aus beiden Zahlen; ebenso verfahren wir auf der anderen Seite. Auf der Seite des größeren Produktes findet sich das Übergewicht. Die Beschreibung der einzelnen Tatsache ergibt sich also hier leicht auf Grund der Abzahlung der gleichen Teile, in welche sich die Merkmale derselben zerlegen lassen. Dann sind aber alle Fälle eines Gebietes, z.B. alle Hebelfälle, die sich nur durch die Zahl der gleichen Teile der maßgebenden Merkmale unterscheiden, so ähnlich, daß eine zusammenfassende Beschreibung durch Angabe der maßgebenden Ableitungs– oder Rechnungsregel aus der Abzahlung nicht schwer fällt. Diese Zusammenfassung gelingt aus diesem Grunde sogar für ein recht umfassendes Gebiet von Tatsachen, z.B. für alle Maschinen mit Hilfe des Arbeitsbegriffes. In ähnlicher Weise kann die Fallbewegung und die Lichtbrechung in einfachster Weise durch Abzahlung tabellarisch beschrieben, und es kann durch einen glücklichen Blick die solche Tabellen ersetzende kompendiöse Ableitungsregel aufgefunden werden. Die Teilung der Raum-, Zeit- und Intensitätsgrößen kann behufs Zahlung (Messung) derselben in beliebig kleine gleiche Teile erfolgen. Dadurch sind wir in den Stand gesetzt, wo wir mit Meßbarem zu tun haben, beliebige Tatsachen aus beliebig kleinen (»unendlich kleinen«) Elementen aufgebaut zu denken, und deren Verlauf auf das Verhalten dieser unendlich kleinen Elemente in den unendlich kleinen Zeitelementen[321] zurückzuführen. Hierfür lassen sich allgemeine Ableitungsregeln (Rechnungsregeln) in Form von Differentialgleichungen aufstellen. Wenige solche Gleichungen genügen, um alle denkbaren mechanischen, thermischen, elektromagnetischen u.s.w. Tatsachen im Prinzip darzustellen. Die Anwendung dieser Gleichungen kann allerdings in besonderen Fällen noch große Schwierigkeiten bereiten. Die analoge Stufe erscheint in den oben erwähnten Gebieten noch unerreichbar. Gebiete, welche, wie z.B. die Chemie, vorläufig nur einer teilweisen quantitativen Behandlung zugänglich sind, stehen vermittelnd zwischen den beiden extremen Fällen.
3. Zeigt sich eine qualitative Reaktion a b c an eine andere k l m gebunden, so kann diese Beziehung nur einfach gemerkt und sprachlich fixiert werden. Dasselbe gilt von einem andern Paar verbundener, qualitativer Reaktionen d e f... und n o p... Sollten die beiden Tatsachen einander auch nahe stehen, so werden dieselben im allgemeinen sich schwer in einen Ausdruck zusammenfassen lassen. Je mehr qualitative Unterschiede aber sich auf bloß quantitative reduzieren, desto leichter wird dies gelingen. Man denke etwa an die Tatsachen der qualitativen chemischen Analyse einerseits und an jene der Phasenlehre der physikalischen Chemie anderseits. Macht man sich diese Verhältnisse klar, so sieht man, daß die quantitative Untersuchung nur ein besonderer einfacherer Fall der qualitativen ist. Die Physik hat nur deshalb eine höhere Stufe der Entwicklung erreicht, als z.B. die Physiologie, weil sie mit einfacheren und leichteren Aufgaben sich zu befassen hat, und weil diese einzelnen Aufgaben untereinander viel homogener sind, und deren Lösungen leichter auf einen zusammenfassenden Ausdruck gebracht werden können. Die Beschreibung durch Zahlung ist nämlich die denkbar einfachste, und kann vermöge des bereitliegenden Zahlensystems ohne neue Erfindung zu beliebig feiner und genauer Unterscheidung getrieben werden. Das Zahlensystem ist eine Nomenklatur von unerschöpflicher Feinheit und Ausdehnung, und wird trotzdem an Übersichtlichkeit durch keine andere Nomenklatur übertroffen.440 Überdies kann durch Anwendung der Zähloperationen selbst jede Zahl aus jeder anderen abgeleitet werden,[322] wodurch gerade die Zahlen zur Darstellung von Abhängigkeiten sich vorzüglich eignen. Die Einzel-Abhängigkeiten unterscheiden sich nun voneinander wieder nur durch Zählbares, und dessen Beachtung führt auf demselben Wege zu allgemeineren zusammenfassenden Abhängigkeits-Regeln. Diese augenscheinlichen Vorteile, welche in der Verwendung des Quantitativen liegen, müssen das Bestreben erzeugen, die Verknüpfung des Qualitativem mit Quantitativem überall aufzusuchen, wo dies gelingen mag, um allmählich alle qualitativen auf quantitative Untersuchungen zu reduzieren. So werden die Farbenqualitäten durch die Brechungsexponenten und Wellenlängen, die Tonqualitäten durch die Schwingungszahlen u.s.w. zu quantitativen Merkmalen.
4. Die quantitative Untersuchung hat noch einen besonderen Vorzug vor der qualitativen, wenn es sich um Ermittelung der sinnlich gegebenen Elemente in ihrer Abhängigkeit voneinander, also nur um Abhängigkeiten außerhalb der Grenze U, um Physik im weitesten Sinne handelt. Dann muß, um diese Abhängigkeiten rein zu erhalten, der Einfluß des Beobachters, der innerhalb U liegenden Elemente, möglichst ausgeschlossen werden. Das geschieht nun, indem alles Messen sich nur auf Vergleichung des qualitativ Gleichen, auf die Konstatierung von gleich oder ungleich bezieht, wodurch die Qualität der Empfindung als solche, welche vom beobachtenden Subjekt mit abhängt, aus dem Spiel kommt. Die introspektive Psychologie vermag das Qualitative zunächst nicht auszuschalten. Maßbegriffe haben daher für dieses Gebiet noch kaum eine Bedeutung. Durch Anknüpfung der Psychologie an die Physiologie und mittelbar an die Physik kann sich dies Verhältnis in Zukunft andern.
5. Versuchen wir nun den Ursprung der Zahlvorstellung und des Zahlbegriffes aus dem unmittelbaren oder mittelbaren biologischen Bedürfnis psychologisch aufzuklären. Kinder, welche noch keinen Begriff vom Zählen haben, etwa im Alter von 2 bis 3 Jahren, merken es sofort, wenn man in einem unbewachten Moment aus einer kleinen Gruppe von gleichen Münzstücken oder Spielsachen etwas wegnimmt oder etwas hinzutut. Gewiß ist auch schon das Tier durch sein biologisches Bedürfnis getrieben, kleine Gruppen von gleichen Früchten, z.B. in Bezug auf ihren Gehalt zu unterscheiden, und die gehaltreichere Gruppe[323] der anderen vorzuziehen. In dem Bedürfnis der feineren Ausbildung dieser Fähigkeit der Unterscheidung liegt der Ursprung des Zahlbegriffes. Je mehr Glieder man in eine Gruppe zusammenfassen kann, ohne doch die Übersicht und die Unterscheidung der Glieder voneinander zu verlieren, desto höher werden wir die genannte Fähigkeit schätzen. Unsern Kindern gelingt es zunächst, 2, 3, 4 Glieder in eine Gruppe zusammenzufassen, ohne die Unterscheidung dieser Glieder zu verlieren. Hierbei kann die räumliche oder zeitliche Nähe der Glieder die Gruppenbildung begünstigen, die Verschiedenheit der Glieder aber, nach örtlicher oder zeitlicher Stellung, die Unterscheidung bedingen. So entstehen die ersten Zahlvorstellungen, je nach dem Einfluß der Umgebung mit oder ohne Namen. Diese Vorstellungen entwickeln sich durch den Gesichts-, Tast- oder auch durch den Gehörssinn, in letzterem Falle durch Beachtung des Rhythmus.441 Beschäftigung mit der Zahlvorstellung bei Wechsel der Objekte führt unter Beihilfe des Zahlennamens zur Auffassung der gleichen, von der Art des Objektes unabhängigen Reaktionstätigkeit, zum Zahlbegriff.442 Um klarere Zahlvorstellungen von gehaltreicheren Gruppen zu gewinnen, werden dieselben in übersichtlich angeordnete, schon geläufige Teile geteilt. Diese Bildungsgeschichte finden wir in den Zahlzeichen der Assyrer, Ägypter, Mexikaner, Römer und anderer Völker verkörpert.443 Auch unsere Spielkarten und Dominosteine zeugen für diese Geschichte. Mit Recht führen wir in den Elementarschulen unsere Kinder auf denselben Wegen, welche alle primitiven Völker von selbst einschlagen, indem wir die Objektgruppen selbst in übersichtlicher Weise geordnet und geteilt abbilden.444[324] Weit reicht jedoch dieses Mittel, die Übersicht über den Gliedergehalt einer Gruppe zu bewahren, nicht.
6. Außer diesem Mittel der übersichtlichen Anordnung der Glieder einer Gruppe liegt noch ein anderes Mittel nahe. Man ordnet jedes Glied der Gruppe, welche man zu übersehen wünscht, je einem Glied einer uns sehr geläufigen Gruppe von Objekten zu. Primitive Völker wählen als zweite Gruppe die Finger der Hände und zuweilen auch die Zehen der Füße.445 Wir selbst haben als Kinder uns dieses primitiven Mittels bedient, um unsere Zahlvorstellungen durch die Anschauung dieser uns sehr geläufigen Objekte zu stärken. Wenn nun die Finger während der Zuordnung benannt und, wenn auch ohne besondere Absicht, aus bloßer Gewohnheit immer in derselben Ordnung verwendet werden, so entstehen aus jenen Fingernamen durch häufigen Gebrauch, sowie durch Vergessen ihrer ursprünglichen Bedeutung, die Zahlwörter.446 Der letzte Name bestimmt wegen der festen Ordnung den ganzen Gliedergehalt, die Anzahl der Glieder der zugeordneten, gezählten Gruppe.447 Dies ist der von der Kulturgeschichte nachgewiesene Ursprung der Zahlwörter. Das Bedürfnis und der Anlaß zu dieser Entwicklung ergab sich oft genug, wenn es galt, die Zahl der Feinde oder der Freunde festzustellen, die Kriegs- oder die Jagdbeute zu teilen u.s.w.
7. Das Mittel der Zuordnung kann durch einen kleinen naheliegenden Kunstgriff zu einem unbegrenzt anwendbaren gemacht[325] werden, indem man Gruppen von je 10 Gliedern wieder als Glieder einer höheren Gruppe zählt, mit letzteren höheren Gruppen auf dieselbe Weise verfährt u.s.f. Und, sowie man jede Gruppe als Glied einer höheren Gruppe auffassen kann, läßt sich jedes Glied als eine Gruppe von 10 kleineren gleichen Gliedern ansehen, was bei der Zahlung (Messung) des unbegrenzt Teilbaren, z.B. der Länge, besonders nahe liegt, aber auch sonst überall fingiert werden kann. So wird also das Zahlensystem sowohl zur Zahlung des beliebig Großen, wie des beliebig Kleinen anwendbar.448
8. Sowohl die Gruppe A als auch die Gruppe B sollen aus lauter gleichen Gliedern bestehen. Ordnen wir jedem Gliede der Gruppe A je ein Glied der Gruppe B zu, und werden hierdurch beide Gruppen eben erschöpft, so sagen wir, beide Gruppen haben gleichen Gehalt, oder kürzer, beide Gruppen sind gleich. Wird hierbei B erschöpft, während A noch nicht erschöpft ist, so ist der Gehalt von A größer als jener von B. Zahlen nennen wir jene Begriffe, durch welche wir Gruppen von gleichen Gliedern in Bezug auf ihren Gehalt bestimmen und voneinander unterscheiden. Wo Zahlbegriffe an die Stelle von Zahlvorstellungen treten, kommt es nicht mehr auf die unmittelbare Anschaulichkeit an, sondern nur auf die potentielle Anschaulichkeit. Der Zahlbegriff setzt uns in den Stand, uns den Gehalt einer Gruppe, überall wo es wichtig ist, und wir den Aufwand nicht scheuen, wenigstens mittelbar zu veranschaulichen. Auf den gelehrten Streit, ob die Kardinal- oder die Ordnungszahlen psychologisch oder logisch als die primären zu betrachten seien, wollen wir hier nicht eingehen. Es ist auch gar nicht möglich, von diesen Systemen, die man nachträglich aufstellen kann, eines als ausschließlich maßgebend für die kulturelle Entwicklung zu betrachten. Zahlennamen für kleinere Zahlen können zweifellos entstehen, ohne ein Ordnungsprinzip. Wo aber die Zahl über das direkt Anschauliche hinausgeht, ist ein Ordnungsprinzip zur Bildung des Begriffes Zahl oder Anzahl unerläßlich, wenn dasselbe auch nicht ausdrücklich ausgesprochen[326] ist. Wenn wir gleiche, oder für uns als gleich geltende Objekte zählen, so heften wir mit dem Zahlennamen den sonst kaum unterscheidbaren Objekten Unterschiedszeichen an, über welche wir aber sehr bald wieder die Übersicht verlieren würden, wenn dieselben nicht zugleich einem einfachen, sehr geläufigen System angehörige Ordnungszeichen wären. Erst das Ordnungsprinzip, vermöge dessen jede Zahl die Vorstellung aller vorausgehenden Zahlen potentiell in sich enthält und zugleich ihre Stellung zwischen zwei bestimmten Gliedern des Systems deutlich zu erkennen gibt, bedingt die große Überlegenheit der Zahl gegenüber den einfachen Namen. Jedes alphabetische Register, die Seitenzahlen eines Buches, jedes nach Nummern geordnete Inventar u.s.w. machen uns den Wert der Ordnung für die rasche Orientierung deutlich fühlbar.
9. Man bezeichnet die Zahlen oft als »freie Schöpfungen des menschlichen Geistes«. Die Bewunderung des menschlichen Geistes, welche sich hierin ausspricht, ist sehr natürlich gegenüber dem fertigen, imposanten Bau der Arithmetik. Das Verständnis dieser Schöpfungen wird aber weit mehr gefördert, wenn man den instinktiven Anfängen derselben nachgeht und die Umstände betrachtet, welche das Bedürfnis nach diesen Schöpfungen erzeugten. Vielleicht kommt man dann zur Einsicht, daß die ersten hierher gehörigen Bildungen unbewußte und biologisch durch materielle Umstände erzwungene waren, deren Wert erst erkannt werden konnte, als sie schon vorhanden waren, und sich vielfach als nützlich bewährt hatten. Nur der an solchen einfacheren Bildungen geschulte Intellekt konnte sich allmählich zu freieren, bewußten, dem jeweiligen Bedürfnis rasch entsprechenden Erfindungen erheben.
10. Verkehr und Handel, Kauf und Verkauf fordern die Entwicklung der Arithmetik. Die primitive Kultur bedient sich zur Unterstützung ihrer Rechnungen einfacher Vorrichtungen oder Rechenmaschinen, wie z.B. des römischen Rechenbrettes (Abacus), oder der chinesischen Rechenmaschine, welch letztere durch russische Vermittlung bekannt geworden, sich in unseren Elementarschulen eingebürgert hat. Alle diese Vorrichtungen symbolisieren die zu zählenden Objekte durch bewegliche Körperchen, Knöpfe, Kugeln oder andere Marken, mit welchen[327] statt der schwerfälligeren Objekte hantiert wird. Die Gruppen der Zehner, Hunderter u.s.w. sind durch besondere Marken vertreten, welchen eigene Abteilungen der Rechenmaschine zugewiesen sind.449 Fassen wir den Begriff Maschine (Hilfsvorrichtung) etwas freier und weiter, so erkennen wir in unsern arabischen (indischen) Ziffern und deren dekadischer Schreibweise, wobei eine zufällig nicht vertretene Gruppenklasse durch die Null,450 bezeichnet wird, ebenfalls eine Rechenmaschine, die in jedem Augenblick durch Papier und Schreibstift hergestellt werden kann. Hierbei ist unsere Aufmerksamkeit noch weiter entlastet, indem uns durch die Ziffern die Zahlung der Glieder jeder Gruppenklasse erspart wird.
11. Im Verkehr treten nun verschiedene Aufgaben auf. Es ergibt sich z.B. das Bedürfnis, zwei oder mehrere Gruppen von gleichen Gliedern in eine Gruppe zusammenzufassen und die Zahl der Glieder derselben anzugeben, also die Aufgabe der Addition. Die primitive Lösung wird darin bestanden haben, daß man alle Glieder der Gruppe, die sich durch Vereinigung ergab, durchzählte, ohne Rücksicht darauf, ob die einzelnen Gruppen schon gezählt waren oder nicht. Mit kleinen Zahlen üben unsere Kinder dieses Verfahren in der Tat noch und erwerben sich so Zählerfahrungen, welche sie bei Addition größerer dekadisch geschriebener Zahlen verwerten, indem sie die Einer besonders, ebenso die Zehner u.s.w. zusammenzählen und die sich hierbei ergebenden Einheiten der höheren Gruppenklasse in diese übertragen. Schon dieses einfache Beispiel zeigt, daß das Rechnen darin besteht, das direkte Zählen zu ersparen, indem man dasselbe unter Benützung von Zählerfahrungen in möglichst einfacher Weise durch schon vorher ausgeführte Zähloperationen ersetzt. Das Rechnen ist ein indirektes oder mittelbares Zählen. Denken wir uns, es wären 4 oder 5 mehrzifferige Zahlen zu addieren und es werde die Aufgabe einmal durch direktes Durchzählen, ein anderes Mal[328] aber nach der üblichen Rechnungsweise durchgeführt, so erkennt man die ungeheuere Ersparnis an Zeit und Arbeit, welche in letzterem Verfahren liegt. Ebenso leicht bietet sich im praktischen Leben der Anlaß zu den Aufgaben der Subtraktion, der Multiplikation, der Division u.s.w. Und wieder ließe sich zeigen, daß es sich hier immer um ein vereinfachtes, abgekürztes Zählen unter Verwendung bereits erworbener Zählerfahrungen handelt, womit wir uns hier nicht weiter aufhalten wollen.451
12. Die materielle Umgebung ist also durchaus nicht so unschuldig an der Entwicklung der arithmetischen Begriffe, als man zuweilen annimmt. Würde die physische Erfahrung nicht lehren, daß eine Vielheit äquivalenter, unveränderlicher, beständiger Dinge existiert, würde das biologische Bedürfnis nicht dazu drängen, dieselben in Gruppen zusammenzufassen, so hätte das Zählen gar keinen Zweck und Sinn. Wozu sollten wir zählen, wenn unsere Umgebung gänzlich unbeständig, wie im Traum in jedem Augenblick anders wäre? Wäre das direkte Zählen zur Bestimmung größerer Zahlen wegen des Zeit- und Arbeitsaufwandes nicht praktisch unmöglich, so hätten sich die Erfindungen des Rechnens, des mittelbaren Zählens nicht aufgedrängt. Durch das direkte Zählen konstatieren wir nur sinnlich tatsächlich Gegebenes. Da das Rechnen nur ein indirektes Zählen ist, so können wir durch dasselbe nichts wesentlich Neues über die sinnliche Welt erfahren, nichts, was das direkte Zählen nicht auch ergeben könnte. Wie sollte also die Mathematik der Natur a priori Gesetze vorschreiben, da sie sich doch darauf beschränken muß, unter Benützung der Erfahrungen über die eigene Ordnungstätigkeit des Rechnenden, die Übereinstimmung des Rechnungsergebnisses mit den Ausgangsdaten nachzuweisen? Die Geläufigkeit im Durchschauen der verschiedenen Formen der eigenen Ordnungstätigkeit kann darum[329] noch immer von dem höchsten Wert sein, und dieselbe Tatsache von den verschiedensten Gesichtspunkten beleuchten.
13. Die einfachen Anfänge der Arithmetik haben sich im Dienst des praktischen Lebens entwickelt. Weitere Fortschritte ergeben sich dadurch, daß die Arithmetik zu einem besonderen Lebensberuf wird. Wer oft und oft ähnliche Rechnungen auszuführen, und darin sich eine besondere Übersicht und Geläufigkeit erworben hat, dem liegen Vereinfachungen und Abkürzungen des Verfahrens besonders nahe. So entsteht die Algebra, deren allgemeine Symbole keine besonderen Zahlen bezeichnen, welche vielmehr auf die Form der Operationen die Aufmerksamkeit richtet. Dieselbe erledigt alle in der Form übereinstimmenden Operationen ein für allemal, und es bleibt nur ein Rest von Arbeit der Rechnung mit besonderen Zahlen vorbehalten. Auch die Sätze der Algebra, wie überhaupt die Sätze der Mathematik, drücken immer nur Äquivalenzen von Ordnungstätigkeiten aus. Dies gilt z.B. für die beiden Seiten der Gleichung, welche das Binomialtheorem ausdrückt. Wenn wir neben eine quadratische Gleichung die Formel für die Wurzel derselben hinschreiben, haben wir ebenso die Äquivalenz zweier Operationen festgelegt, wie durch Zusammenstellung einer Differentialgleichung mit dem Integrale derselben. Nebenbei bemerken wir, daß die mathematische Zeichensprache wieder eine Art Maschine zur Entlastung des Kopfes vorstellt, an welcher wir symbolisch die Operationen oft und mit Leichtigkeit ausführen, welche uns sonst ermüden würden. Zugleich ist die mathematische Schrift das schönste und vollkommenste Beispiel einer gelungenen Pasigraphie, allerdings für ein beschränktes Gebiet.
14. Die Betrachtung von Gruppen gleichwertiger Objekte führt unmittelbar nur zu dem Begriff der ganzen Zahlen. Sind die Objekte Individuen, nicht in gleichwertige Teile zerlegbar, so finden überhaupt nur ganze Zahlen bei Zahlung derselben sinngemäße Anwendung. Die Division als analytisches Gegenbild der synthetischen Multiplikation führt aber in besonderen Fällen zur Teilung der einzelnen gezählten Objekte (Einheiten) zu gebrochenen Zahlen, welche natürlich nur für wirklich teilbare Einheiten einen Sinn haben. Anwendungen der Arithmetik[330] auf Geometrie, z.B. schon der Versuch die Diagonale und Seite des Quadrates in denselben Einheiten auszudrücken, auch rein arithmetische Operationen, das Radizieren als analytisches Gegenbild des synthetischen Potenzierens, leiten zur Fiktion der durch keine endliche Zähloperation vollständig bestimmbaren Irrationalzahlen. Auch die einfachsten Operationen, die Addition und die Subtraktion, liefern Anregung zu neuen Begriffsbildungen. Die Operation 7 + 8 ist immer ausführbar, ebenso 8-5. Dagegen schließt die Forderung 5-8 eine Unmöglichkeit ein, wenn es sich um durchaus gleiche Zählobjekte handelt, die gar keinen Gegensatz darbieten. Die letztgenannte Operation wird aber sofort möglich und erhält einen verständlichen Sinn, sobald die fraglichen Einheiten im Gegensatz von Vermögen und Schulden, von Schritten nach vorwärts und Schritten nach rückwärts u.s.w. stehen. So gelangt man zum Begriff des Gegensatzes positiver und negativer Zahlen, zu deren Bezeichnung man das Additions- und Subtraktionszeichen beibehält, bei welchen Operationen eben das Bedürfnis nach Fixierung dieses Gegensatzes sich zuerst geoffenbart hat. Streng genommen wären zur Bezeichnung des Gegensatzes besondere Zeichen nötig. Die Zeichenregel für die Multiplikation bezeichneter Zahlen ergibt sich durch die Bemerkung, daß das Produkt (a – b) (c – d) stimmen muß mit demjenigen, das man erhält, wenn man für die Faktoren die einfachen Werte m und n einsetzt. Bei Zahlen ohne Gegensatz hat eine solche Multiplikationsregel gar keinen Sinn. Sowohl eine positive, wie eine negative Zahl liefert nach der erwähnten Zeichenregel ein positives Quadrat. Die führt aber dazu, daß die Quadratwurzel aus einer negativen Zahl zunächst als unmöglich, als imaginär erscheinen muß. In der Tat hat dieselbe ebenso wie die negative Zahl lange als unmöglich gegolten. Und so lange man keinen andern Gegensatz als den der positiven und negativen Zahlen kennt, bleibt es auch dabei. Wallis452 ist nun zuerst durch geometrische Anwendungen der Algebra auf den Gedanken geleitet worden √– 1 als die mittlere geometrische Proportionale zwischen – 1 und + 1 aufzufassen (+1 : i = i : – 1,[331] woraus i = √-1). Diese Auffassung tritt nun mehr oder weniger klar noch einigemal auf, bis Argand453 sie mit voller Allgemeinheit und Deutlichkeit darlegt. Indem er die Proportionalität nicht nur auf die Größe, sondern auch auf die Richtung bezieht, gibt er dem Ausdruck a + b√-1 die Bedeutung eines Vektors in der Ebene. Wir gelangen von dem Anfangspunkt zu dem Endpunkt dieses Vektors, indem wir nach einer Richtung um das Stück a, dann nach der hierzu senkrechten Richtung um das Stück b fortschreiten. Die Punkte der Ebene können also durch Komplexe dargestellt werden.
15. Die Praxis der Arithmetik führt also in manchen Fällen zu (analytischen) Operationen, welche auf den ersten Blick unmöglich, oder deren Ergebnisse keinen Sinn zu haben scheinen. Bei genauerer Betrachtung zeigt es sich aber, daß bei geringer Modifikation und Erweiterung der bisher geltenden arithmetischen Begriffe die Unmöglichkeit verschwindet, und daß das Ergebnis eine ganz klare Interpretation zuläßt, wenngleich auf einem erweiterten Anwendungsgebiet der Arithmetik. Waren die Mathematiker so gegen ihre Absicht zur Modifikation ihrer Begriffe gedrängt, und hatten sie den Wert und die Vorteile solcher Vorgänge kennen gelernt, so lag es jetzt schon näher, dem Bedürfnis durch freie Erfindung rascher zu entsprechen, oder sogar vorauszueilen. Glänzende Beispiele dafür sind die Erfindungen Graßmanns, Hamiltons u.a. in Bezug auf die Vektorenrechnung, in welchen die Zahlbegriffe den Bedürfnissen der Geometrie, Kinematik, Mechanik, Physik u.s.w. unmittelbar angepaßt werden.
16. Ein moderner Versuch, außer dem unbegrenzt Wachsenden und Abnehmenden auch noch das aktuell Unendliche in schärfere Begriffe zu fassen, soll noch erwähnt werden. Galilei macht[332] im ersten Tag seiner Dialoge (1638) auf die Paradoxie aufmerksam, daß die unendliche Menge der ganzen Zahlen weitaus größer zu sein scheint als die Menge der Quadratzahlen, während doch zu jeder Zahl eine Quadratzahl gehört, die Menge beider demnach gleich sein müßte. Er kommt zu dem Schlusse, daß die Kategorien des Gleichen, Größeren, Kleineren auf das Unendliche nicht anwendbar seien. Diese Betrachtungen, deren Spuren sich bis in die antike Zeit zurückverfolgen lassen, leiten zu den Untersuchungen G. Cantors über die Mengenlehre. Man versteht durch das Galileische Beispiel, wie man etwa zu folgenden Definitionen gelangen kann: Zwei Mengen sind von gleicher Mächtigkeit, wenn man jedes Element der einen eindeutig und reziprok einem Element der andern zuordnen kann. Zwei solche Mengen heißen äquivalent. Eine Menge ist unendlich, wenn sie einem Teil ihrer selbst äquivalent ist.454 Die Cantorschen Untersuchungen lehren, daß auch im Gebiete des aktuell Unendlichen noch durch zweckmäßige Konstruktion ordnender Begriffe die Übersicht aufrecht erhalten werden kann.
17. In Bezug auf die logisch-mathematische Darstellung der Zahlenlehre möchte ich auf das klar und ansprechend geschriebene Buch von L. Couturat455 verweisen. Der Standpunkt, von dem aus hier der Gegenstand behandelt wurde, entspricht der psychologischen und kulturhistorischen Betrachtung, die jedenfalls eine notwendige Ergänzung der zuvor erwähnten logischen bildet. Eingehende entwicklungsgeschichtliche Studien möchten hier so heilsam ernüchternd wirken, wie Felix Kleins456 bekannte Vorlesungen.
18. Wo schon von vornherein diskrete, für unser aktuelles Interesse gleichwertige Objekte vorliegen, sind die Anwendungen[333] der Zahlenlehre verhältnismäßig einfach. Viele Objekte der Forschung, wie räumliche und zeitliche Ausdehnung, Intensität der Kräfte u.s.w. bieten nicht unmittelbar Gruppen von direkt zählbaren äquivalenten Gliedern dar. Zwar kann man dieselben in vielfacher Weise in gleichwertige, zählbare Glieder, diese wieder in solche Glieder teilen u.s.w., allein sowohl die Teilungsgrenzen dieser Glieder müssen künstlich wahrnehmbar und unterscheidbar gemacht werden, als auch die Teilung, bei welcher man stehen bleiben will, also die Größe der letzten Teilungsglieder ist willkürlich und konventionell. Hat man aber ein solches Kontinuum in dieser Weise präpariert, so kann ein Stück desselben, welches in irgend einer Untersuchung für den Erfolg in Betracht kommt, durch Abzahlung seiner Teile, d.h. durch Messung mit beliebiger Genauigkeit bestimmt werden. Das künstlich ausgebildete Zahlenkontinuum ist ein Mittel, die Verhältnisse der natürlichen Continua mit beliebig weitreichender Genauigkeit zu verfolgen. Aber bei irgend einer Grenze muß man wegen der Unvollkommenheit selbst der künstlich unterstützten Sinne dennoch stehen bleiben. Denn die Deckung eines Maßstabes mit dem zu messenden Objekt, oder die Koinzidenz der Enden läßt sich nicht mit unbegrenzter Genauigkeit feststellen. Unter dieser Ungenauigkeit leidet dann auch die Zahl, welche als Ergebnis der Messung das Verhältnis zwischen dem zu messenden Objekt und dem Maßstab angibt. Derselbe Mangel haftet übrigens auch den praktischen Anwendungen der Arithmetik auf diskrete zählbare Objekte an, indem die ideale Voraussetzung der vollkommenen Gleichwertigkeit der letzteren in Wirklichkeit nie erfüllt ist.
19. Handelt es sich darum, kontinuierlich veränderliche physikalische Umstände, physikalische Größen, auf ein Maß zurückzuführen, so hat man zunächst ein Vergleichsobjekt, eine Maßeinheit zu wählen, und festzustellen, wie die Gleichheit eines andern Objektes mit diesem zu bestimmen ist. Als gleich in einer bestimmten Beziehung sehen wir Objekte an, die sich unter unveränderten Umständen mit unverändertem Erfolg vertreten können. Zwei Gewichte sind gleich, wenn sie nacheinander in dieselbe Wagschale derselben Wage gelegt denselben Ausschlag bedingen; zwei elektrische Ströme sind gleich, wenn[334] sie nacheinander durch das unveränderte Galvanometer geführt dieselbe Nadelablenkung bestimmen; ähnliches gilt von Magnetpolen, Wärmegraden, Wärmemengen u.s.w. Legt man nun n der Maßeinheit gleiche Gewichte auf dieselbe Wagschale, führt man n Stromeinheiten durch denselben Galvanometerdraht (oder auch durch dicht nebeneinandergelegte Drähte) u.s.w., so ist der Erfolg (bei der vollkommenen Vertauschbarkeit der Einheiten) nur durch die Maßzahl n bestimmt.457
20. Hat man die maßgebenden Umstände in einer Reihe von gleichartigen physikalischen Fällen durch Maßzahlen bestimmt, so gelingt es oft, deren Abhängigkeit voneinander durch eine einfache Ableitungsregel mit einer für die Darstellung der Tatsachen ausreichenden Genauigkeit darzustellen. Als Beispiele zur Erläuterung kann das Lichtbrechungsgesetz, das Mariotte-Gay-Lussacsche Gasgesetz, das Biot-Savartsche Gesetz dienen. Solche einmal bekannte Gesetze können oft eine indirekte Messung erleichtern, wo eine direkte schwer oder unmöglich ist. Es ist z.B. schwierig, die Intensität einer Lichtquelle kontinuierlich abzuändern, dagegen leicht, die Gleichheit zweier Lichtquellen durch die gleiche Helligkeit der Beleuchtung zweier aneinander grenzender gleicher Flächen in gleicher Entfernung von jenen Lichtquellen bei senkrechter Bestrahlung durch das Auge zu beurteilen. Wenn nun nachgewiesen wird, daß eine Fläche bei senkrechter Bestrahlung durch ein Licht in derselben Helligkeit erscheint wie eine gleiche Fläche bei Bestrahlung durch 4, 9, 16... dicht zusammengerückte, dem ersteren gleiche Lichter in 2, 3, 4... facher Entfernung, so läßt sich die Messung jedes Lichtintensitätsverhältnisses auf die Ermittelung des Entfernungsverhältnisses bei gleicher Helligkeit zurückführen, obgleich das Auge darauf beschränkt ist, Gleichheit und Ungleichheit der Helligkeit zu beurteilen.
21. Bei der Zusammensetzung einer physikalischen Größe aus gleichartigen Teilen hat man immer darauf zu achten, ob diese Zusammenfügung einer wirklichen Addition entspricht. Während man z.B. ein intensiveres Licht unbedenklich aus[335] gleichartigen unabhängigen (inkohärenten) Lichtern zusammensetzen und die Intensität der Summe der Teile gleichsetzen kann, geht dies bekanntlich bei Lichtern derselben kleinen Lichtquelle unter gewissen Umständen nicht mehr an. So ist auch die Tonstärke mehrerer gleichgestimmter Stimmgabeln im allgemeinen nicht die Summe der einzelnen Tonstärken, sondern nur dann, wenn auch die Phasen übereinstimmen. In Bezug auf andere zu beobachtende Vorsichten vergleiche man »Prinzipien der Wärmelehre« S. 39-57.[336]
440 | Vgl. auch Natorp, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Leipzig 1910. |
441 | Sowohl Sehende und Hörende, als auch Blinde und Taubstumme lernen zählen. Der Taubstumme Massieu sagt selbst: »Ich kannte die Zahlen, bevor ich unterrichtet wurde, meine Finger lehrten mich dieselben.« (Tylor, Einleit. i. d. Studium d. Anthropologie. S. 372. Vgl. auch Tylor, Anfänge d. Kultur, I, S. 241 u. f.) |
442 | Zahlbegriffe werden erst durch Ausführung der Zähloperation in verschiedenen Fällen erworben. Vgl. S. 131, Fußnote 1. |
443 | Man betrachte die Tafel I bei M. Cantor, Mathem. Beiträge zum Kulturleben der Völker. 1863. |
444 | G. Schneider, Die Zahl im grundlegenden Rechenunterricht. Berlin 1900. |
445 | Näheres bei Tylor, E. i. d. St. d. Anthropologie. S. 372 u. f. Die Tamanacas am Orinoko sagen »ganze Hand« für fünf, »beide Hände« für zehn, »ganzer Mensch« für zwanzig. Die Spuren dieser primitiven Zählweise haben sich noch bei hochzivilisierten Völkern erhalten, z.B. »quatre vingt« für 80. |
446 | Tylor, Anfänge der Kultur, I, S. 248 u. f. – Tylor, Anthropologie. S. 373. |
447 | A. Lanner, Die wissenschaftlichen Grundlagen des ersten Rechenunterrichts. Wien und Leipzig, 1905. Die Schrift enthält sehr gute psychologische Bemerkungen über das Zählenlernen der Kinder, die ersten Zahlbegriffe u.s.w. Der Begriff Einheit kann erst als Spezialisierung der Abstraktion aus dem allgemeinen Zahlbegriff hervorgehen. Die Aufgabe 1 x 2 oder gar 1 x 1 kann erst aus dem Verständnis der Aufgaben 2 x 2 oder 3 x 2 begriffen werden, ebenso a1 nach a2, an u.s.w. Eine ähnliche Bemerkung bei Ribot, L'évolution des idées générales. Paris 1897. S. 160. |
448 | Unser dekadisches System, welchem analog ja beliebige andere ausgedacht werden können, verdankt seinen natürlichen Ursprung den zehn Fingern der Hände. |
449 | Die mechanischen Rechenmaschinen von Pascal, Leibniz, Babbage, Thomas u. a., welche durch Kurbeldrehungen und Zahnradübertragungen arithmetische Operationen ausführen, sowie die modernen Integraphen, stellen eine natürliche Weiterentwicklung der primitiven Rechenmaschinen vor. |
450 | Die wichtige Erfindung der Null wird den Indern zugeschrieben. |
451 | Meine Darstellung dieser Fragen von 1882 (Populäre Vorlesungen, 3. Aufl., S. 224) trifft sehr nahe zusammen mit den von Helmholtz und Kronecker in der Festschrift für Zeller (1887) mitgeteilten Ansichten. Andere Punkte habe ich zu beleuchten versucht in »Wärmelehre«, 2. Aufl., S. 65 u. f. Vgl. auch die schöne ausführliche Behandlung bei M. Fack, »Zählen und Rechnen« (Zeitschr. f. Philos. u. Pädagogik von Flügel u. Rein, Jahrg. 2, S. 196 u. f.). – Ferner: Czuber, Zum Zahl- und Größenbegriff (Zeitschr. f. d. Realschulwesen, Jahrg. 29, S. 257). |
452 | Wallis, Algebra. 1673. Kap. 66-69. |
453 | R. Argand, Essai sur la manière de représenter les quantités imaginaires. Paris 1806. Die Argandsche Auffassung wird durch folgendes Beispiel klar. Es sei der Vektor r von irgend einem Anfangspunkt aus gezogen, der Vektor nr von demselben Anfangspunkt gegen den ersteren unter dem Winkel φ, und n2r ebenso in derselben Ebene gegen den zweiten abermals um denselben Winkel φ in gleichem Sinne gedreht. Dann gilt ihm der zweite Vektor als mittlere Proportionale zwischen dem ersten und dritten. – Die Argandsche Schrift ist ein Muster der Darstellung eines neuen Gedankens. |
454 | G. Cantor, Grundlagen einer allgemeinen Mannigfaltigkeitslehre. Leipzig 1883. Vgl. auch das in der folgenden Note zitierte Buch von Couturat. S. 617 u. f. – Vgl. endlich: A. Schoenflies, Die Entwicklung der Lehre von den Punktmannigfaltigkeiten. Jahrb. d. Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Bd. 8, Heft 2. 1900. |
455 | Couturat, De l'infini mathématique. Paris 1896. – Eine kurze schöne Übersicht der Entwicklung des Zahlbegriffs s. bei O. Stolz, Größen und Zahlen. Leipzig 1891. |
456 | F. Klein, Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie. Eine Revision der Prinzipien. Leipzig 1902. |
457 | Vgl. Helmholtz, Zählen und Messen. (Philos. Aufsätze. E. Zeller gewidmet. 1887. S. 15 u. f.) |
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