B) »Socialistische Bausteine«

»Rhein[ische] Jahrb[ücher]« p. 155 seqq.

[458] In diesem Aufsatze wird der Leser zunächst durch einen belletristisch-poetischen Prolog auf die schwereren Wahrheiten des wahren Sozialismus vorbereitet. Der Prolog beginnt damit, als »Endzweck alles Strebens, aller Bewegungen, der schweren und unermüdeten Anstrengungen vergangener Jahrtausende«... »das Glück« zu konstatieren. Wir erhalten in einigen kurzen Zügen sozusagen eine Geschichte des Strebens nach Glück:

»Als das Gebäude der alten Welt in Trümmer zerfiel, flüchtete sich das menschliche Herz mit seinen Wünschen hinüber in das Jenseits; dorthin übertrug es sein Glück.« p. 156.

Daher alles Pech der Irdischen Welt. In der neuesten Zeit hat der Mensch dem Jenseits den Abschied gegeben, und unser wahrer Sozialist fragt nun:

»Vermag er die Erde wiederum als das Land seines Glücks zu begrüßen? Hat er in ihr wieder seine ursprüngliche Heimat erkannt ? Warum trennt er dann noch länger Leben und Glück, warum hebt er die letzte Scheidewand nicht auf, welche das irdische Leben selbst noch immer in zwei feindliche Hälften spaltet?« (ibidem.)

»Land meiner seligsten Gefühle!« etc.

Er erläßt nun eine Einladung zu einem Spaziergange an »den Menschen«, eine Einladung, die »der Mensch« mit Vergnügen akzeptiert. »Der Mensch« tritt in die »freie Natur« und entwickelt unter Anderm folgende Herzensergießungen eines wahren Sozialisten:

[458] ».!. bunte Blumen... hohe und stolze Eichen... ihr Wachsen und Blühen, ihr Leben ist ihre Befriedigung, ihr Glück... eine unermeßliche Schar von kleinen Tieren auf den Wiesen... Waldvogel... mutige Schar junger Rosse... ich sehe« (spricht »der Mensch«), »daß diese Tiere kein anderes Glück kennen noch begehren als dasjenige, welches für sie in der Äußerung und im Genusse ihres Lebens liegt. Wenn die Nacht herabsinkt, begegnet dem Blick meines Auges eine unzählbare Schar von Welten, welche nach ewigen Gesetzen im unendlichen Raum kreisend sich Umschwingen. In diesen Schwingungen sehe ich eine Einheit von Leben; Bewegung und Glück.« p. 157.

»Der Mensch« konnte noch eine Masse andrer Dinge in der Natur sehen, z.B. die größte Konkurrenz unter Pflanzen und Tieren, wie z.B. im Pflanzenreich, in seinem »Walde von hohen und stolzen Eichen« diese hohen und stolzen Kapitalisten dem kleinen Gebüsch die Lebensmittel verkümmern und dies ebenfalls ausrufen könnte: terra, aqua, aere et igni interdicti sumus; er konnte die Schmarotzerpflanzen, die Ideologen der Vegetation, sehen, ferner einen offenen Krieg zwischen den »Waldvögeln« und der »unermeßlichen Schar kleiner Tiere«, zwischen dem Grase seiner »Wiesen« und der »mutigen Schar junger Rosse«. Er konnte in der »unzählbaren Schar von Welten« eine ganze himmlische Feudalmonarchie mit Hintersassen und Inliegern sehen, von welchen letzteren einige, z.B. der Mond, eine sehr kümmerliche Existenz fristen, aere et aqua interdicti; ein Lehnswesen, in dem sogar die heimatlosen Vagabunden, die Kometen, eine ständische Gliederung erhalten haben, und in dem z.B. die zerschlagenen Asteroiden von zeitweiligen unangenehmen Auftritten zeugen, während die Meteorsteine, diese gefallnen Engel, sich verschämt durch »den unendlichen Raum« schleichen, bis sie irgendwo ein bescheidnes Unterkommen finden. Weiter hinaus würde er dann auf die reaktionären Fixsterne kommen.

»Alle diese Wesen finden in der Übung und Äußerung aller ihrer Lebensfähigkeiten, mit denen sie von der Natur begabt sind, zugleich ihr Glück, die Befriedigung und den Genuß ihres Lebens.«

D.h., in der gegenseitigen Einwirkung der Naturkörper aufeinander, in der Äußerung ihrer Kräfte findet »der Mensch«, daß diese Naturkörper darin ihr Glück usw. finden.

»Der Mensch« erhält nunmehr von unsrem wahren Sozialisten einen Verweis wegen seiner Zwietracht:

»Ist der Mensch nicht gleichfalls hervorgegangen aus der Urwelt, ein Geschöpf der Natur wie alle andern? Ist er nicht aus demselben Stoffen gebildet, mit denselben allge-[459] meinen Kräften und Eigenschaften begabt, welche alle Dinge beleben? Warum sucht er sein Glück auf der Erde noch immer in einem Irdischen Jenseits?« p. 158.

»Dieselben allgemeinen Kräfte und Eigenschaften«, die der Mensch mit »allen Dingen« gemein hat, sind Kohäsion, Undurchdringlichkeit, Volumen, Schwere usw., die man auf der ersten Seite jedes Lehrbuchs der Physik ausführlich verzeichnet findet. Wie hieraus ein Grund gezogen werden kann, warum der Mensch nicht »sein Glück in einem irdischen Jenseits suchen« sollte, ist schlechterdings nicht abzusehen. Aber, ermahnt er den Menschen:

»Sehet die Lilien auf dem Felde.«

Ja, sehet die Lilien auf dem Felde, wie sie von den Ziegen verspeist, von »dem Menschen« ins Knopfloch verpflanzt werden, wie sie unter den unkeuschen Liebkosungen der Viehmagd und des Eselstreibers zusammenknicken!

»Sehet die Lilien auf dem Felde, sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht, und euer himmlischer Vater ernähret sie doch.«

Gehet hin und tut desgleichen!

Nachdem wir so die Einheit »des Menschen« mit »allen Dingen« erfahren haben, erfahren wir nun seinen Unterschied von »allen Dingen«.

»Aber der Mensch erkennt sich, besitzt das Bewußtsein seiner selbst. Während in den andern Wesen die Triebe und Kräfte der Natur einzeln und unbewußt zur Erscheinung kommen, vereinigen sie sich im Menschen und gelangen in ihm zum Bewußtsein... seine Natur ist der Spiegel der ganzen Natur, welche sich in ihm ernennt. Wohlan! Erkennt sich die Natur in mir, so erkenne ich in der Natur mich selbst, in ihrem Leben mein eignes Leben [...] So leben auch wir aus, was die Natur in uns hineingelegt hat.« p. 158.

Dieser ganze Prolog ist ein Muster naiver philosophischer Mystifikation. Der wahre Sozialist geht von dem Gedanken aus, daß der Zwiespalt von Leben und Glück aufhören müsse. Um für diesen Satz einen Beweis zu finden, nimmt er die Natur zu Hülfe und unterstellt, daß in ihr dieser Zwiespalt nicht existiere, und hieraus schließt er, daß, da der Mensch ebenfalls ein Naturkörper sei und die allgemeinen Eigenschaften des Körpers besitze, für ihn dieser Zwiespalt ebenfalls nicht existieren dürfe. Mit viel größerem Rechte konnte Hobbes sein bellum omnium contra omnes aus der Natur beweisen und Hegel, auf dessen Konstruktion unser wahrer Sozialist fußt, in der Natur den Zwiespalt, die liederliche Periode der absoluten Idee erblicken und das Tier sogar die konkrete Angst Gottes nennen. Nachdem unser[460] wahrer Sozialist die Natur so mystifiziert hat, mystifiziert er das menschliche Bewußtsein, indem er es zum »Spiegel« der so mystifizierten Natur macht. Natürlich, sobald die Äußerung des Bewußtseins den Gedankenausdruck eines frommen Wunsches über menschliche Verhältnisse der Natur untergeschoben, versteht es sich von selbst, daß das Bewußtsein nur der Spiegel ist, in dem die Natur sich selbst beschaut. Wie oben aus der Qualität des Menschen als bloßer Naturkörper, so hier aus seiner Qualität als bloßer passiver Spiegel, in dem die Natur zum Bewußtsein kommt, wird bewiesen, daß »der Mensch« den in der Natur als nicht existierend unterstellten Zwiespalt ebenfalls in seiner Sphäre aufzuheben habe. Doch sehen wir uns den letzten Satz, in dem sich der ganze Unsinn zusammenfaßt, näher an.

Der Mensch besitzt Selbstbewußtsein, erstes Faktum, was ausgesagt wird. Die Triebe und Kräfte der einzelnen Naturwesen werden verwandelt in die Triebe und Kräfte »der Natur«, die dann natürlich in diesen einzelnen Wesen vereinzelt »zur Erscheinung kommen«. Diese Mystifikation war nötig, um nachher die Vereinigung dieser Triebe und Kräfte »der Natur« im menschlichen Selbstbewußtsein hervorzubringen. Hiermit wird dann auch ganz selbstredend das Selbstbewußtsein des Menschen verwandelt in das Selbstbewußtsein der Natur in ihm. Diese Mystifikation wird dadurch scheinbar wieder aufgelöst, daß der Mensch an der Natur Revanche nimmt und dafür, daß die Natur in ihm ihr Selbstbewußtsein findet, er nun in ihr das seinige sucht – eine Prozedur, wobei er natürlich nichts in ihr findet, als was er durch die oben beschriebne Mystifikation in sie hineingelegt hat.

Er ist jetzt glücklich wieder dabei angekommen, wovon er im Anfange ausging, und dies Herumdrehen auf dem Absatz nennt man neuerdings in Deutschland... Entwicklung.

Nach diesem Prologe kommt die eigentliche Entwicklung des wahren Sozialismus.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1958, Band 3, S. 458-461.
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