1. Die Hilfsmittel der Kultur

[112] Mong Dsï sprach: »Selbst eines Li Lou1 scharfe Augen und eines Gung Schu2 Geschicklichkeit können ohne Zirkel und Richtmaß keine Kreise und Quadrate fertigbringen. Selbst eines Meister Kuang3 Gehör kann ohne Stimmpfeifen nicht die Höhe der Töne bestimmen. Selbst eines Yau und eines Schun Art kann ohne mildes Regiment die Welt nicht in Ordnung bringen. Wenn nun auch einer ein gutes Herz hat und einen guten Ruf, aber das Volk genießt nicht Segen von ihm, so kann er nicht als Vorbild für die Nachwelt dienen, darum, weil er nicht im Pfad der alten Könige wandelt. So heißt es: Gute Meinung allein genügt noch nicht zum Herrschen, aber gute Gesetze allein können sich auch nicht selber durchsetzen. Im Buch der Lieder4 heißt es:


›Ohne Hast, ohne Rast

Nach alter Sitte Brauch‹.


Daß einer, der der alten Könige Gesetze hochhielt, dennoch Fehler gemacht hätte, das ist noch nie geschehen. Während die berufenen Heiligen einerseits ihrer Augen Kraft aufs äußerste anstrengten, kamen sie ihr andrerseits zu Hilfe mit Zirkel und Richtmaß, Lot und Schnur, um ihre Werke rechteckig, rund, eben und senkrecht zu machen, und die Wirkung war unübertrefflich. Während sie ihres Gehöres Schärfe aufs äußerste anstrengten, kamen sie ihr zu Hilfe mit den Stimmpfeifen, um die Höhe der Töne festzusetzen, und die Wirkung war unübertrefflich. Während sie ihres Herzens Gedanken aufs äußerste anstrengten, gaben sie ihnen Ausdruck in einem barmherzigen Regiment, und ihre Güte schirmte die ganze Welt.

Darum heißt es:

›Wer hoch hinauf will, muß die Berge zum Ausgangspunkt nehmen,

wer tief hinunter will, muß die Täler zum Ausgangspunkt nehmen.‹

Wer aber regieren will und nicht den Pfad der alten Könige zum Ausgangspunkt nimmt, kann man den weise nennen?

Darum gebührt allein dem Gütigen eine hohe Stelle. Wer, selbst ungütig, an hoher Stelle weilt, der verbreitet seine Schlechtigkeit[112] unter der Menge. Wenn der Fürst keine Ordnung in sich hat, um Maß und Richtung zu geben, so haben die Diener kein Gesetz, um sich daran zu halten. Die Höflinge werden unzuverlässig in der Ordnung, die Handwerker werden unzuverlässig im Maß, die Herren verletzen die Pflicht, die Gemeinen verletzen das Strafrecht, und der Bestand des Reichs hängt dann vom Zufall ab.

Darum heißt es:


Wenn Mauern und Wälle nicht fest sind,

Wehr und Waffen nicht zahlreich:

Das ist kein Unglück für ein Land.

Wenn Felder und Äcker sich nicht ausdehnen,

Güter und Reichtum sich nicht mehren,

Das ist kein Schade für ein Land.

Doch wenn der Fürst keinen Anstand übt,

Die Untern keine Bildung haben

Und räuberisches Volk aufkommt:

Dann steht das Ende jeden Tag bevor.


Im Buch der Lieder5 heißt es:


›Ist jetzt der Himmel so erregt,

So zeigt euch nicht so unbewegt.‹


›Unbewegt‹ ist so viel wie nachlässig: wenn man im Dienst des Herrschers die Pflicht mißachtet, in allem Tun und Lassen die Regeln der Sitte mißachtet, in Wort und Rede den Pfad der alten Könige verurteilt: das ist nachlässig.

Darum heißt es:

Seinem Herrscher Schweres zumuten, heißt ihn ehren,

Seine guten Neigungen fördern und seine verkehrten hindern, heißt ihn achten.

Zu sagen: Unser Herr ist unfähig dazu, heißt zum Räuber an ihm werden.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 112-113.
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