6. Abweisung eines Sophisten

[175] Schun-Yü Kun11 sprach: »Wer Namen und Leistungen wichtig nimmt, der lebt für andere; wer Namen und Leistungen gleichgültig nimmt, der lebt nur für sich selbst. Ihr wart unter den höchsten Räten – in Tsi –, und ehe Ihr noch für Fürst oder Volk etwas geleistet habt, das Euch einen Namen macht, habt Ihr das Land verlassen. Ist das eigentlich die Art eines sittlichen Mannes?«

Mong Dsï sprach: »Einer lebte in niedriger Stellung, er wollte nicht seine Fähigkeit im Dienst untauglicher Menschen verbrauchen: das war Be I. Ein anderer ging fünfmal zu Tang, dem Befreier, und fünfmal zu Giä, dem Tyrannen: das war I-Yin. Ein anderer verschmähte nicht einen schmutzigen Fürsten, lehnte selbst ein niedriges Amt nicht ab: das war Hui von Liu-Hia. Von den dreien hatte jeder wieder eine andere Art, aber ihr Streben war Eines. Und was war dies eine? Es war die Sittlichkeit. So genügt es auch für den Edlen, sittlich zu sein; was braucht er es immer zu machen wie die andern?«[175]

Der andre sprach: »Zur Zeit des Fürsten Mu von Lu war der Meister Gung-I mit der Leitung des Staates betraut, die Meister Dsï Liu und Dsï Sï waren Beamte, und doch wurde der Gebietsverlust von Lu immer schlimmer. Daran sieht man ja, daß Eure Weisen dem Staat nichts nützen.«

Mong Dsï sprach: »Der Staat Yü wußte den Bai-Li Hi nicht zu verwenden und ging deshalb zugrunde, der Herzog Mu von Tsin verstand ihn zu verwenden und erreichte deshalb die Vorherrschaft. Weil jener Staat also einen Weisen nicht zu verwenden wußte, so ging er zugrunde; von bloßem Gebietsverlust konnte da schon gar nicht mehr die Rede sein.«

Jener fuhr fort: »Einst weilte der Sänger Wang Bau am Ki-Fluß, und bis zum heutigen Tag sind die Leute westlich vom Fluß gute Sänger. Der Musiker Miän Gü weilte in Gau Tang, daher sind die Leute im Westen von Tsi so gute Musikanten. Die Frauen von Hua Dschou und Ki Liang beweinten ihre Gatten auf so schöne Art, daß die Frauensitten im ganzen Land sich von da ab änderten. Was im Inneren vorhanden ist, verschafft sich sicher einen äußeren Ausdruck. Ich habe es noch nie gesehen, daß eine Arbeit nicht den entsprechenden Erfolg gehabt hätte. Darum sage ich: es gibt gar keine solchen Weisen. Gäbe es welche, so würde ich es sicher merken.«

Mong Dsï sprach: »Meister Kung war Justizminister in Lu. Der Fürst hörte nicht auf ihn. Kurz darauf war ein Opferfest, und das – ihm zustehende – Opferfleisch ward ihm nicht gesandt. Da ging er weg, ohne erst seine Festmütze abzunehmen. Unwissende meinten, es sei um des Fleisches willen gewesen. Die es besser wußten, dachten, es sei wegen der Verletzung der Form gewesen. Aber Meister Kung, der wollte aus einem geringfügigen Anlaß gehen. Er wollte nicht durch seinen Weggang den wahren Sachverhalt ans Licht bringen12. Was ein Edler tut, das können die Herdenmenschen natürlich nicht merken.«

Quelle:
Mong Dsï: Die Lehrgespräche des Meisters Meng K'o. Köln 1982, S. 175-176.
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