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[841] Was der Rausch alles vermag, der »Liebe« heißt und der noch etwas anderes ist als Liebe! – Doch darüber hat jedermann seine Wissenschaft. Die Muskelkraft eines Mädchens wächst, sobald nur ein Mann in seine Nähe kommt; es gibt Instrumente, dies zu messen. Bei einer noch näheren Beziehung der Geschlechter, wie sie z. B. der Tanz und andre gesellschaftliche Gepflogenheiten mit sich bringen, nimmt diese Kraft dergestalt zu, um zu wirklichen Kraftstücken zu befähigen: man traut endlich seinen Augen nicht – und seiner Uhr! Hier ist allerdings einzurechnen, daß der Tanz an sich schon, gleich jeder sehr geschwinden Bewegung, eine Art Rausch für das gesamte Gefäß-, Nerven- und Muskel-System mit sich bringt. Man hat in diesem Falle mit den kombinierten Wirkungen eines doppelten Rausches zu rechnen. – Und wie weise es mitunter ist, einen kleinen Stich zu haben! ... Es gibt Realitäten, die man nie sich eingestehen darf; dafür ist man Weib, dafür hat man alle weiblichen pudeurs... Diese jungen Geschöpfe, die dort tanzen, sind ersichtlich jenseits aller Realität: sie tanzen nur mit lauter handgreiflichen Idealen; sie sehen sogar, was mehr ist, noch Ideale um sich sitzen: die Mütter! ... Gelegenheit, Faust zu zitieren... Sie sehen unvergleichlich besser aus, wenn sie dergestalt ihren kleinen Stich haben, diese hübschen Kreaturen – o wie gut sie das auch wissen! sie werden sogar liebenswürdig, weil sie das wissen! – Zuletzt inspiriert sie auch noch ihr Putz; ihr Putz ist ihr dritter kleiner Rausch: sie glauben an ihren Schneider, wie sie an ihren Gott glauben – und wer widerriete ihnen diesen Glauben! Dieser Glaube macht selig! Und die Selbstbewunderung ist gesund! – Selbstbewunderung schützt vor Erkältung. Hat sich je ein hübsches Weib erkältet, das sich gut bekleidet wußte? Nun und nimmermehr! Ich setze selbst den Fall, daß es kaum bekleidet war.

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Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 841-842.
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