11.
An Franziska Nietzsche und Elisabeth Nietzsche

[945] [Bonn, 24. und 25. Oktober 1864]

Montag früh


Liebe Mamma und Lisbeth, indem ich mich zuerst nach allen Seiten hin höflichst verneige, stelle ich mich Euch als ein Mitglied der deutschen Burschenschaft Franconia vor.

Nun, ich sehe schon, wie Ihr auf höchst merkwürdige Weise den Kopf schüttelt und einen Ausruf der Verwunderung von Euch gebt. Es ist auch wirklich vielerlei Wunderbares mit diesem Schritt verbunden, und so kann ich es Euch nicht übelnehmen. Z. B. traten fast zu gleicher Zeit sieben Pförtner der Franconia bei und zwar außer zweien sämtliche Pförtner, die sich in Bonn zusammenfanden, darunter viele, die schon im vierten Semester stehn. Ich nenne Euch einige, die Ihr kennen werdet: Deussen, Stöckert, Haushalter, Töpelmann, Stedefeld, Schleußner, Michael und ich selbst.

Natürlich habe ich mir den Schritt reiflichst überlegt und ihn in Anbetracht meiner Natur fast für not wendig erachtet. Wir sind alle zum größten Teile Philologen, zugleich alle Musikliebhaber. Es herrscht im allgemeinen ein sehr interessanter Ton in der Franconia, die alten Leute haben mir prächtig gefallen.

Vorher habe ich noch die Marchia genau kennengelernt und einige derselben mir zum nähern Umgang gewählt. Auch die Germanen habe ich besichtigt, so daß ich zu einer Vergleichung wohl berechtigt war, die aber zugunsten der Franconia ausfiel.

Ich habe bis jetzt von allen Seiten sehr viel Angenehmes und Liebes erfahren. Neulich habe ich Musikdirektor Brambach eine Visite gemacht und mich in den städtischen Gesangverein aufnehmen lassen. Mit den Märkern habe ich eine Partie nach Rolandseck gemacht; die Gegend ist prachtvoll, und wir haben einige sehr schöne Tage gehabt. Gestern fuhren die Frankonen nach Plittersdorf, dort war Kirmes, und es wurde tüchtig getanzt, bei einem Bauer Most getrunken; abends ging ich mit einem Frankonen, den ich besonders gern habe, meinem Leibburschen, den Rhein entlang nach Bonn zurück; auf den Bergen waren Weinlesefeuer. Ihr glaubt nicht, wie schön alles ist.

Neulich habe ich zufällig zu meiner größten Freude den lieben Baron von Frankenstein getroffen und ihn auf ein paar Stunden im[945] Hotel Kley besucht. Er ist ganz derselbe liebenswürdige Mensch wie ehemals und erkundigte sich lebhaft nach Euch und den Naumburger Verhältnissen. Er wird mich in diesen Tagen besuchen. Auch Hachtmann hat mich gesprochen. Dem Dr. Wachsmuth mache ich heute Visite.

Heute gehe ich auf den Gottesacker um Schumanns, Schlegels und Arndts Gräber zu sehen. Nachmittags fahre ich mit meinen Wirtsleuten in ein benachbartes Dorf zu einer Kirmes. Es sind sehr feine und angenehme Leute, mit deren Sorge um mich ich in jeder Weise zufrieden sein kann. Ich wohne ganz allerliebst, esse recht gut, werde reinlich und pünktlich bedient und bin gern abends ein Stündchen mit ihnen zusammen. –

Jetzt eben war ich auf dem wunderschönen Friedhof und habe Robert Schumann einen Kranz dediziert. Meine Wirtin und ihre Nichte Fräulein Marie (denn Marie heißt am Rhein alles) haben mich begleitet.

Nun, liebe Lisbeth, Dir noch die spezielle Nachricht, daß unsre Farben weiß-rot-gold sind, daß unsre Mützen weiß sind mit einem rot-goldnen Rande. Dann will ich Dir einige alte Bonner Frankonen als alte Bekannte vorstellen: Max Rötger (Trüffelwurst), und Treitzschke, der sich als Redner beim Leipziger Turnfest ausgezeichnet, Fritz Spielhagen, an dessen »In der zwölften Stunde«, das in Bonn spielt, Du lebhaft denken wirst. Überhaupt ist die Frankonia höchst renomiert.

Die Kollegien haben noch nicht angefangen. Neulich habe ich von Prediger Kletschke ein Buch »Die Sündlosigkeit Jesu« von Ullmann als Geschenk erhalten mit einem außerordentlich liebenswürdigen Brief, worin er sich als »Ihnen von Herzen verbundener Freund« unterzeichnet. Ich habe mich sehr über das interessante Buch gefreut. Ich vermute, daß er Euch besucht haben wird.

Die Kaffeemaschine liefert mir jetzt morgendlich einen sehr guten Kaffee und ich bin der mir stets so lieben Geberin von Herzen dankbar.

Ich erwarte sehnlichst jetzt die Kiste und vor allem Briefe von Euch, aus denen ich den Effekt entnehmen kann, den mein Einspringen machen wird. Grüßt mir die Tante Rosalie und wer sich für mich interressiert auf das freundlichste.

Lebt recht recht wohl!

Fritz
[946]

Liebe Lisbeth, sollte Fr. Anna Redtel noch in Kösen sein, so geruhe, sie von mir zu grüßen und sage ihr, daß ich, so oft ich in Hotel Kley im Angesicht des herrlichen Siebengebirges Kaffee tränke – sie grüßen ließe. –

Dienstag Abend. Ich habe die Kiste bekommen und bin sehr froh darob, besonders über die schöne Wäsche und die schönen Notenbücher. Gestern haben wir einen sehr fidelen Nachmittag verlebt: ich habe fabelhaft getanzt.

Ich esse mit Deussen immer auf meiner Stube zusammen; wir können sehr zufrieden sein. Ich sehe wohl und munter aus und bin immer recht mäßig. Ich bin auf Theologie und Philosophie immatrikuliert. Dr. Wachsmuth ist als Professor nach Marburg berufen. – Ich habe eine hübsche Petroleumlampe. –

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 945-947.
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Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
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