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[1345] Turin, Weihnachten [1888]
Lieber Freund, wir müssen die Sache mit Fritzsch schnell machen, denn in zwei Monaten bin ich der erste Name auf der Erde. –
Ich wage noch zu erzählen, daß es in Paraguay so schlimm als möglich steht. Die hinübergelockten Deutschen sind in Empörung, verlangen ihr Geld zurück – man hat keins. Es sind schon Brutalitäten vorgekommen; ich fürchte das Äußerste. – Dies hindert meine Schwester nicht, mir zum 15. Oktober mit äußerstem Hohn zu schreiben, ich wolle wohl auch anfangen, »berühmt« zu werden. Das sei freilich eine süße Sache! Und was für Gesindel ich mir nur ausgesucht hätte, Juden, die an allen Töpfen geleckt hätten, wie Georg Brandes ... Dabei nennt sie mich »Herzensfritz«? ... Dies dauert nun sieben Jahre!
Meine Mutter hat keine Ahnung bisher davon – das ist mein Meisterstück. Sie schickte mir zu Weihnachten ein Spiel: Fritz und Lieschen ...
Was hier in Turin merkwürdig ist, das ist eine vollkommene Faszination, die ich ausübe, obwohl ich der anspruchsloseste Mensch bin und nichts verlange. Aber wenn ich in ein großes Geschäft komme, so verändert sich jedes Gesicht; die Frauen auf der Straße blicken mich an, – meine alte Hökerin legt für mich das Süßeste von Trauben zurück und hat den Preis ermäßigt! ... Er ist an sich lächerlich ... Ich esse in einer der ersten Trattorien, mit zwei ungeheuren Etagen von Sälen und Zimmern. Ich zahle für jede Mahlzeit 1 fr. 25 mit Trinkgeld – und ich bekomme das Ausgesuchteste in der ausgesuchtesten Zubereitung1 –, ich habe nie einen Begriff davon gehabt, weder was Fleisch, noch was Gemüse, noch was alle diese eigentl. ital. Speisen sein können ... Heute z.B. die delikatesten ossobuchi, Gott weiß, wie man deutsch sagt, das Fleisch an den Knochen, wo das herrliche Mark ist. Dazu broccoli auf eine unglaubliche Weise zubereitet, zuerst die allerzartesten Makkaroni. – Meine Kellner glänzen von Feinheit und Entgegenkommen: das Beste ist, ich mache niemanden dümmer ... Da in meinem Leben noch alles möglich ist, so notiere ich mir alle diese Individuen, die in dieser unentdeckten Zeit mich entdeckt haben. Ich verschwöre es nicht, daß mich bereits mein zukünftiger Koch bedient. –[1345]
Noch niemand hat mich für einen Deutschen gehalten ...
Ich lese das Journal des Débats, man hat es mir instinktiv beim ersten Betreten des ersten Cafés gebracht. –
Es gibt auch keine Zufälle mehr: wenn ich an jemand denke, tritt ein Brief von ihm höflich zur Tür herein ...
Naumann ist in einem prachtvollen Feuereifer. Ich habe den Argwohn, daß er die Festtage hat drucken lassen. Es sind fünf Bogen in zwei Wochen mir zugeschickt worden. Den Schluß von Ecce homo macht ein Dithyrambus von einer ganz grenzenlosen Erfindung, – ich darf nicht daran denken, ohne zu schluchzen.
Unter uns, ich komme dieses Frühjahr nach Basel, – ich habe es nötig! Zum Teufel, wenn man nie ein Wort im Vertrauen sagen kann ...
Dein Freund N.
Dr. Fuchs führt eben das Duett Köselitz' in einem Danziger Konzert auf, er wünscht fürs dortige Theater den Löwen von Venedig! In Anbetracht aber, daß Joachim seine Teilnahme fortsetzt, so ist das Werk sehr wahrscheinlich vom Grafen Hochberg alsbald in Beschlag genommen ... K. ist fortgelaufen für die Weihnachtszeit zu seinen Eltern, um sich nicht beschenken zu lassen ... Die von Krauses machen in der Weihnachtszeit (wie sonst) einen fürstlichen Aufwand: sie senden z.B. in jede Familie ihrer Dörfer eine Weihnachtskiste. K. hat Krause zu seinem Venediger Freunde, dem berühmten Passin geführt, um ihm einige Tausende zu verdienen zu geben. – P. lebt jetzt in Berlin.
1 | Moral: ich habe auch noch nie einen verdorbenen Magen gehabt. |
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