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[1043] Ursprung und Bedeutung. – Warum kommt mir dieser Gedanke immer wieder und leuchtet mir in immer bunteren Farben? – daß ehemals die Forscher, wenn sie auf dem Wege zum Ursprung der Dinge waren, immer etwas von dem zu finden meinten, was von unschätzbarer Bedeutung für alles Handeln und Urteilen sei, ja, daß man stets voraussetzte, von der Einsicht in den Ursprung der Dinge müsse des Menschen Heil abhängen: daß wir jetzt hingegen, je weiter wir dem Ursprunge nachgehen, um so weniger mit unseren Interessen beteiligt sind; ja, daß alle unsere Wertschätzungen und »Interessiertheiten«, die wir in die Dinge gelegt haben, anfangen ihren Sinn zu verlieren, je mehr wir mit unserer Erkenntnis zurück und an die Dinge selbst heran gelangen. Mit der Einsicht in den Ursprung nimmt die Bedeutungslosigkeit des Ursprungs zu: während das Nächste, das Um-uns und In-uns allmählich Farben und Schönheiten und Rätsel und Reichtümer von Bedeutung aufzuzeigen beginnt, von denen sich die ältere Menschheit nichts träumen ließ. Ehemals gingen die Denker gleich eingefangenen Tieren ingrimmig herum, immer nach den Stäben ihres Käfigs spähend und gegen diese anspringend, um sie zu zerbrechen: und selig schien der, welcher durch eine Lücke etwas von dem Draußen, von dem Jenseits und der Ferne zu sehen glaubte.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1043-1044.
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Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
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