[62] Brennerbahn, 125∙24 km lange Gebirgsbahn im Eigentum und Betrieb der österreichischen Südbahn, geht von Innsbruck, dem Endpunkt der ehemaligen Nordtiroler Bahn (Kufstein-Innsbruck) aus und führt durch das Silltal, unter Überwindung eines Höhenunterschieds von beiläufig 788 m, zum Brennerpaß (Seehöhe von 1370∙4 m) der offen überschient wird; von da senkt sie sich in das Eisacktal und schließt in Bozen (Seehöhe 266∙2 m) an den Anfangspunkt der durch das Etschtal nach Verona führenden sogenannten Südtiroler Bahn an. In Franzensfeste mündet die durch das Pustertal nach Villach und Marburg führende, die B. mit der Hauptlinie der Südbahn, Wien-Triest, verbindende Zweiglinie (Pustertalbahn und Unterkärntner Linie) ein.
Der Bau dieser, von Etzel entworfenen und unter Thommens und Pressels Leitung vollendeten Eisenbahn bildete infolge der Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, die Schule für die Erbauer späterer Gebirgsbahnen. Die Vorarbeiten wurden im Jahre 1861 begonnen; sie nahmen fast drei Jahre (bis Ende 1863) in Anspruch. Die Bauarbeiten wurden 1864 begonnen und so betrieben, daß trotz einer zur Zeit des österreichisch-italienischen Feldzugs im Jahre 1866 in der günstigsten Jahreszeit eingetretenen Unterbrechung der Arbeiten von nahezu vier Monaten, die Eröffnung am 24. August 1867 stattfinden konnte. Diese Unterbrechung wurde dadurch veranlaßt, daß der Tiroler Landsturm erklärte, nicht früher ins Feld zu ziehen, ehe nicht die gesamten beim Bau beschäftigten italienischen Arbeiter, beiläufig 4000 an der Zahl, das Land verlassen hätten.
Im nördlichen Teil liegt die Bahn meist hoch über dem Sillfluß an der Berglehne, während die südliche Teilstrecke dem Talboden folgt und vielfach am Ufer des Eisackflusses, auf mächtigen Stützmauern, hinzieht. Beide Flüsse haben den Charakter von Wildbächen und unterwühlen stetig die hohen Lehnen ihrer schluchtartigen Täler. Auf diesen Umstand mußte bei Führung der Bahn Rücksicht genommen werden, nachdem durch die Herstellung von Anschnitten und Tunneln sowie von mächtigen Mauerwerksmassen die Lehnen in ihrer natürlichen Gleichgewichtslage gestört und bedeutend belastet werden mußten. An einzelnen Stellen waren Lawinenstürze zu gewärtigen. Im südlichen Teil der Strecke mußte mit gefährlichen Wildbächen gerechnet werden, die bei Hochgewittern die durch Abwitterung der Lehnen ihrer schluchtartigen Gebiete angesammelten Schuttmassen mit sich führen und verheerend wirken.
Unterbau und Oberbau der B. sind zweigleisig hergestellt. Die B. besitzt 322 Bogen von zusammen 59∙8 km Länge, gleich 47∙7% der Bahnlänge; hiervon haben 91 Bogen von zusammen 16∙4 km Länge, gleich 13∙1% der Bahnlänge, den kleinsten Halbmesser von 285 m, und nur 65∙4 km Strecke oder 52∙3% der Gesamtlänge liegen in der Geraden. Die Gesamtlänge der wagrechten Strecke beträgt 10∙5 km (oder 8∙4%), während 114∙7 km (oder 91∙6%) auf geneigte Strecken entfallen; hiervon sind in der Größtsteigung von 25‰ 27∙9 km (22∙3%) und in jener von 22∙5‰ 25∙1 km (20%) ausgeführt (s. Abb. 79).
Die gesamte, nördlich der Brennerwasserscheide gelegene Strecke ist mit Ausnahme der 4∙6 km langen Strecke Matrei-Steinach, des St. Jodok-Tunnels sowie der kurzen Übergangssteigungen und der in einer Steigung von 2∙5‰ angelegten Stationen in der Größtsteigung[62] von 25‰ entwickelt, u. zw. liegt die Bahn in der Strecke Innsbruck-Patsch auf 7700 m, zwischen Patsch und Matrei auf 8242 m und zwischen Steinach und Brenner auf 11.929 m in der Größtsteigung. Vom Brennerpaß südlich bis Brixen ist als Größtsteigung 22∙5‰ eingehalten, sie kommt zwischen Franzensfeste und Brixen in einer Länge von 6626 m ununterbrochen in Anwendung. Von Brixen bis Bozen ist die Bahn mit der Größtsteigung von 15‰ entwickelt (s. Abb. 79).
An Bahntunneln sind im ganzen 22 mit einer Gesamtlänge von 5227 m (4∙2% der Bahnlänge) vorhanden und wurden an der B. die ersten Kehrtunnel, die später beim Bau von Gebirgsbahnen (z.B. Gotthardbahn) vielfache Nachahmung fanden, ausgeführt.
Der erste größere Tunnel ist kurz hinter Innsbruck durch den Berg Isel in einer Länge von 661∙7 m getrieben, durch den die Bahn in das Silltal führt. Die Bahn ist dann zumeist an der rechten östlichen Tallehne angelegt, während die Poststraße an dem gegenüberliegenden Talgehänge geführt ist. Unter den folgenden Tunneln sind hervorzuheben der Mühltaler Tunnel, der längste der Bahn, mit 872 m Länge, unter dem der Mühltalbach ebenfalls in einem Tunnel quer durchgeführt ist. Solche Bachtunnel zur Vermeidung kostspieliger und schwierig herzustellender Überbrückungen wurden an der B. fünf ausgeführt. Der Mühltaltunnel ist nur sehr seicht in die zu Rutschungen geneigte Berglehne gelegt und erfuhr, ebenso wie der 118 m lange Schürfestunnel, kurz nach der Vollendung derartige Verdrückungen, daß umfassende Umbauten und erhebliche Verstärkungen des talseitigen Widerlagers erforderlich wurden. Diese Arbeiten wurden trotz der Schwierigkeiten, die die Aufrechthaltung des Betriebs verursachte, mit Erfolg durchgeführt. Zwischen Patsch und Matrei wurde auch der Sillfluß mittels eines Tunnels von 102 m Länge unter der Bahn durchgeführt. Dessen Sohle war mit einem etwa 0∙9 m starken Granitpflaster versehen, mußte jedoch schon nach Jahresfrist erneuert werden, da es durch das in einem Gefälle von 9% durchfließende, geschiebeführende Gebirgswasser abgeschliffen war. Die schwierige Aufgabe der Auswechslung wurde in sinnreicher Weise gelöst.
Bei Stafflach wird die B. mittels einer Schleife gegen Osten in das Schmirnertal geführt, wendet sich dann in dem 468 m langen St. Jodoker Kehrtunnel in das Valsertal, kehrt auf der südlichen Lehne des Schmirnertals durch den 283 m langen Stafflachertunnel in das Silltal zurück und bleibt in diesem bis zum Sillursprung auf der Höhe des Brennerpasses. Von hier aus fällt die Bahn in das Eisacktal und gelangt über Schelleberg zur Station Gossensaß; diese Station liegt um etwa 176 m tiefer als Schelleberg an ein und derselben Lehne. Die Schleife ist dadurch bemerkenswert, daß die Bahn an der gleichen Tallehne hin- und zurückgeführt ist, was durch die Anlage des halbkreisförmigen, 761 m langen Ost-Kehrtunnels ermöglicht wurde. Die Bahn erreicht hierauf ohne erhebliche Schwierigkeiten Sterzing und überschreitet in gerader Linie das Sterzinger Moos. In der Nähe des letzteren, am Sprechenstein, wurde während des Baus eine der ersten Riesenminen mit einer Ladung von 1500 kg Pulver ausgeführt.
Die Bahn kreuzt dann mehrere Murgänge, die zum Teil mittels stark geneigter Aquädukte über die im Einschnitt liegende Bahn hinweggeführt sind.
Von Franzensfeste, woselbst die Pustertalbahn einmündet, senkt sich die Bahn in die Sohle des Eisacktals. Hier waren bedeutende Felsarbeiten nötig. Daselbst erweitert sich das Tal und begegnet die Bahn in der Strecke Vahrn-Brixen-Klausen keinen wesentlichen Schwierigkeiten. Weiter ist die Bahn in dem sich nun wieder verengenden Tal fast durchwegs hart an dem durch zahlreiche Zuflüsse (insbesondere die Rienz bei Brixen) ansehnlich angewachsenen und reißenden Eisackfluß geführt. Bedeutende Felsanschnitte, große Steindämme und Maueranlagen zeichnen die nun folgende Strecke aus. Bei Führung der Linie in dem unterhalb Waidbruck sich schluchtartig verengenden Tal suchte man den zahlreichen und gefährlichen Murgängen dadurch auszuweichen, daß die Bahn nach Tunlichkeit am entgegengesetzten Eisackufer angelegt wurde. Trotzdem verursachten die Murgänge in der Folge mittelbar viele Schäden, indem durch die bei Hochgewitter plötzlich zu Tal gehenden Schuttmassen der Fluß gestaut oder doch mindestens gegen den Bahnkörper gedrängt wurde. Um ähnlichen Ereignissen auszuweichen, wurde in der weiteren Strecke zwischen Atzwang und Blumau eine Regulierung des Eisackflusses und des in diesen mündenden Stegerbachs, des gefährlichsten der ganzen Strecke, ausgeführt. Die Schwierigkeit der Erhaltung der in den Fluß eingebauten Strecken des Bahnkörpers veranlaßte die Anwendung bedeutender Kettensteinwürfe sowie die Erbauung von Wehren, um an den gefährdeten Stellen das Gefälle zu vermindern und die Flußsohle zu heben. In der Sill haben sich diese Wehren gut bewährt,[63] wohingegen die in den Eisackfluß eingebauten Wehren nicht erhalten werden konnten.
Überbrückungen wurden nach Tunlichkeit vermieden und finden sich daher auch im Zug der ganzen B. nur acht Brücken, in der nördlichen Teilstrecke überhaupt gar keine solchen mit über 20 m Spannweite vor. Die bedeutendste Brücke ist jene über den Eisackfluß zwischen Brixen und Klausen mit zwei Öffnungen zu 25∙3 m und einer Öffnung von 30∙3 m Spannweite, dann folgt die Rötelebrücke zwischen Waidbruck und Atzwang mit einer Öffnung von 56∙9 m, die Eisackbrücke zwischen Atzwang und Blumau mit zwei Öffnungen zu 25∙3 m, die Kardauner-Brücke mit einer Öffnung von 34∙8 m, die Sterzinger Moos-Brücke mit drei Öffnungen von zusammen 50∙6 m, ferner eine Eisackbrücke mit 31∙6 m und die Brücke über den Finsterbach und den Rentscherbach mit je 25∙3 m Spannweite.
Die Gesamtkosten der B. betrugen rund 72 Mill. K oder 480.000 K f. d. km.
Der Betrieb der B. erfolgte anfänglich mit 3/3-gekuppelten Lokomotiven im Personen- und Schnellzugs- und mit 4/4-gekuppelten Lokomotiven im Güterzugsdienste. Diese Lokomotiven waren nach der damals weitverbreiteten Bauart Hall ausgeführt. Später wurden leistungsfähigere 4/4-gekuppelte Güterzugslokomotiven mit Innenrahmen eingeführt.
Die Verkehrssteigerung und die wenig günstigen Reibungsverhältnisse der Brennerstrecke machten die Einführung leistungsfähigerer Lokomotivbauarten notwendig.
Gegenwärtig stehen dort für den Personen- und Schnellzugsdienst 4/5-gekuppelte zweizylindrige Verbundlokomotiven in Verwendung, die bei 56∙6 t Reibungs- und 68∙1 t Dienstgewicht auf der Steigung von 25∙0‰ Züge von 210 bis 220 t Dienstgewicht befördern können.
Die Zugsgeschwindigkeit der Personen- und Schnellzüge beträgt auf der Steigung von 25∙0‰ 2637 km/Std.
Die im Jahre 1908 eingeführten 5/6-gekuppelten vierzylindrigen Verbundlokomotiven vermögen auf der Steigung von 25‰ die Personen- und Schnellzüge mit einem Dienstgewicht von 250260 t zu befördern. Diese Lokomotiven besitzen 67∙2 t Reibungs- und 77∙0 t Dienstgewicht.
Neuester Zeit werden am Brenner für den Güterzugsdienst 5/5-gekuppelte zweizylindrige Verbundlokomotiven bis zu 67∙6 t Reibungsgewicht für Züge bis zu 280 t Dienstgewicht verwendet. Die Geschwindigkeit der Güterzüge beträgt auf der Steigung von 25‰ 12[64] bis 25 km/Std. und die größte Zuglast bei Inverwendung des Nachschiebedienstes 510 t.
Literatur: C. v. Etzel, Österreichische Eisenbahnen. Entworfen und ausgeführt in den Jahren 18571867. Instruktionen über die Bauausführung der Brennerbahn. Innsbruck 18641865. Bucher & Pollak, Skizzen von Hilfsvorrichtungen beim Bau der Brennerbahn. Wien 1867. Rziha, Reiseerinnerungen. Ztg. d. VDEV. 1867. Wilhelm Flattich, Der Eisenbahnhochbau in seiner Durchführung auf den Linien der Südbahn. Wien 1875. Kramer, Der Maschinendienst auf der Brennerbahn. Wien 1878. Doppler, Rekonstruktion des Mühltaler Tunnels. Ztschr. d. Österr. Ing.-V. 1878.
Pichler.
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