Deichselgestelle

[268] Deichselgestelle (ponytruck radial bogie, Bisseltruck; train articulé, Bissel truck; carello a timone), allgemeine Bezeichnung für die verschiedenen, aus dem Bisselgestell (s.d.) entstandenen Bauarten ein- oder zweiachsiger Radgestelle, die bestimmt sind, einen Teil des Lokomotivgewichtes zu tragen und das Befahren der Krümmungen zu erleichtern. Der Rahmen, in dem die Räderpaare des D. gelagert sind, ist derart ausgebildet, daß er an einem Ende, (an der der Fahrtrichtung entgegengesetzten Seite), ein Gelenk trägt, durch das er mit dem Hauptrahmen verbunden ist. Die Übertragung der auf dem D. ruhenden Last erfolgt durch im Hauptrahmen gelagerte Tragfedern, deren Stützen vermittels untergelegter Gleitstöckel in Gleitpfannen der Achslager des D. gleiten, oder durch Tragfedern im D. selbst, die durch ein System von Ausgleichhebeln ihren Stützpunkt im Hauptrahmen finden.

Ein einachsiges amerikanisches D. letztgenannter Art der Abfederung ist in Abb. 239 dargestellt.

Die Gelenkpunkte der Ausgleichhebel – der die vorderen Federgestänge der ersten Kuppelachse verbindende Querhebel und der die Last der in der Deichsel gelagerten Laufachse aufnehmende, in der Längsachse der Lokomotive angeordnete Haupthebel – sind in Schneiden gelagert. Das zylindrische Stück, das die Querfedern des D. verbindet, und in dem das vordere Ende des Haupthebels durch eine Schraube universalgelenkig eingehängt ist, findet in vertikaler Richtung eine Führung in einem im Hauptrahmen gelagerten (nicht gezeichnet) Hohlzylinder. Die Möglichkeit einer seitlichen Verschiebung der Laufachse (Verdrehung der Deichsel) ist dadurch gegeben, daß die Federn des D. an den Enden an Pendeln – im vorliegenden Falle Dreibolzenpendel – aufgehängt sind; diese Pendel geben auch die nötige Rückstellkraft.

Älter als die einachsigen D.; aber weniger oft als diese angewendet, sind die zweiachsigen D. (s. Bisselgestelle).

Die erste Ausführung eines zweiachsigen D. als führendes Radgestelle erfolgte im Jahre 1857 an von Haswell in Wien gebauten Personenzuglokomotiven der südlichen österreichischen Staatsbahn. An diesen Lokomotiven erfolgte die Übertragung der Last durch ein in der Maschinenmitte gelagertes, auf Druck beanspruchtes Pendelpaar; diese Ausführung der Pendellagerung ist somit der Vorläufer der von Alba. F. Smith in Amerika 1862 patentierten Wiegenpendel (s. Drehgestelle). Zweck dieser Pendel ist, die bei Anwendung von Federn, Gleitplatten und Keilflächen auftretenden, zu Abnutzung[268] führenden Reibungswiderstände zu vermindern.

Eine Abart dieses Haswellschen zweiachsigen Pendelgestelles ist das ab 1877 durch viele Jahre hindurch in Österreich bei Schnellzuglokomotiven oft angewendete zweiachsige Kampersche D. und das einachsige D. von Busse (dänische Staatsbahnen, Abb. 240 a u. b).

Im Grundgedanken gleich mit dem von Haswell im Jahre 1852 vorgeschlagenen zweiachsigen D. (s. Bisselgestelle) sind die das Wesen der Engerth-Lokomotiven ausmachenden D., die, den Feuerkasten umgreifend, einen Teil des Kesselgewichtes und einen Teil des Gewichtes der Vorräte tragen (s. Engerth-Lokomotiven).

Eine Umkehrung der Radfolge der Engerth-Lokomotiven zeigen die Mallet-Rimrott-Lokomotiven (s. artikulierte Lokomotiven), bei denen das unter dem Langkessel gelagerte D. die Niederdruckzylinder trägt.

Aus den D. entstanden sind auch die Drehgestelle von Helmholtz und Zara (s. Drehgestelle).

Ein Mittelding zwischen D. und Drehgestellen bilden die ab 1860 an spanischen und luxemburgischen Lokomotiven von Vaessen in Belgien eingeführten Pendel-Deichselgestelle, bei denen ein Drehgestell (Mittelzapfen zwischen den Räderpaaren) durch eine den Mittelzapfen umfassende Deichsel mit dem Hauptrahmen gelenkartig verbunden ist. Bei diesem D. (Abb. 241) liegt der Deichseldrehpunkt in bezug auf die normale Fahrtrichtung vor dem ersten Räderpaare, so daß diese Deichsel das Drehgestell in gewissem Sinne zieht. Derartige Gestelle werden gezogene Gestelle genannt. Eine wirkliche Bedeutung kommt dieser einst hoch angeschlagenen Einrichtung nicht zu.

D. führen, da sie ihrer Bauart nach der seitlichen Verschiebung wenig Widerstand (Verdrehung) entgegenstellen (s. Drehgestelle), bei hohen Geschwindigkeiten und nicht gut angeordneten Gegengewichten in den gekuppelten Rädern zu unruhigem Lauf der Lokomotive (Schlingern), wenn sie als führende Gestelle verwendet werden.[269]

Dieser Eigentümlichkeit der D. trägt folgende Bestimmung in den T. V. § 88, Abs. 3 Rechnung:


Ein- oder zweiachsige D. und nach der Bahnkrümmung einstellbare führende Laufachsen sind für Lokomotiven geeignet, die für Fahrgeschwindigkeiten bis 80 km in der Stunde bestimmt sind.


Literatur: Heusinger, Handbuch für spezielle Eisenbahntechnik. II. und III. Bd. – Rühlmann, Allgemeine Maschinenlehre. III. Bd. – Eisenbahntechnik der Gegenwart. I. Bd., 2. Aufl. – Maurice Demoulin, Traité Pratique de la Machine Locomotive. III. Bd. Beschreibung eines neuen Systems für Lokomotiven und Eisenbahnwagen. Wien 1857. – Locomotives and Locomotive Building, Origin and Growth of the Rogers Locomotive and Machine Works. New York 1886.

Gölsdorf.

Abb. 239.
Abb. 239.
Abb. 240 a.
Abb. 240 a.
Abb. 240 b.
Abb. 240 b.
Abb. 241.
Abb. 241.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 3. Berlin, Wien 1912, S. 268-270.
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268 | 269 | 270
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