[324] Deutsch-Südwestafrika (vgl. Karte Seite 325), mit 835.100 km2, also einer Flächengröße gleich der 11/2fachen Deutschlands, aber einer Bevölkerung von nur knapp 70.000 Farbigen und noch nicht ganz 13.000 Weißen, ist ein Gebiet, das bei seiner ungemein weiten Ausdehnung ganz besonders der Eisenbahnen zu seiner wirtschaftlichen Erschließung bedarf.
Das Schutzgebiet zerfällt in zwei lose zusammenhängende Teile von ungleichen Produktionsbedingungen: das nördliche Damaraland und das südliche Namaland; ersteres ist auf den Landeplatz mit der offenen, oft stürmischen und gefährlichen Reede von Swakopmund, letzteres auf den von der Natur vorzüglich geschützten Hafen von Lüderitzbucht angewiesen; beide Gebiete stoßen etwa auf dem Wendekreis des Steinbocks zusammen. Mit dem Beginn der deutschen Herrschaft hat sich die Besiedlung, von Damaraland ausgehend, in nordsüdlicher Richtung im Tale des Fischflusses entlang auf das nördliche Namaland hin erstreckt, während das südliche Namaland im wesentlichen von der benachbarten englischen Kapkolonie aus besiedelt wurde.
a) Die Staatsbahn Swakopmund-Windhuk.
Als im Jahre 1897 durch den Ausbruch der Rinderpest der Ochsenwagenverkehr unterbrochen wurde, entschloß sich die Regierung zur Herstellung einer Schmalspurbahn von[324] Swakopmund entlang des Baiweges nach Windhuk. Damals bot sich Gelegenheit, durch Verwendung der Eisenbahnbrigade, die mit der feldbahnmäßigen Ausführung der 60 cm-Spurbahn vertraut war und das Oberbaumaterial vorrätig hatte, das Ziel schnell zu erreichen. So griff man zur Feldspur und entnahm das Baumaterial den Beständen der heimischen Heeresverwaltung. Ein Kommando der Eisenbahnbrigade begann die Arbeiten im September 1897. Wenn sich auch die Leistungsfähigkeit der Bahn, infolge der starken Steigungen, scharfen Krümmungen, des schwachen Oberbaus, des geringen zulässigen Raddruckes und der schwachen Zugeinheiten, in engen Grenzen hielt, so hat sie doch während des Hereroaufstandes wertvolle Dienste geleistet.
Die Bahn steigt von der Küste bis Karibib (194 km) auf 1165, bis Okahandja (311 km) auf 1321 und bis Windhuk (382 km) auf 1637 m Meereshöhe. Die Oberwindung des der Küste vorgelagerten Gürtels der Namib und die Wasserarmut des zu durchschneidenden Geländes erschwerten den Bau außerordentlich. Die Durchquerung des Khangebiets mit dem tief eingerissenen Flußbett forderte die Anwendung besonders starker Steigungen. So zog sich die Vollendung der ganzen 382 km langen Bahn bis zum Juni 1902 hin. Die Mittel wurden aus den Etats des Schutzgebiets bestritten, die Baukosten haben schließlich 15,315.700 M., das sind 40.094 M. f. d. km betragen.
Diese Verhältnisse waren dafür bestimmend, daß die Otavibahn, die im Jahre 1902 ihre bei Tsumeb gelegenen Kupfergruben mit dem Hafen Swakopmund verbinden mußte, auf jede Mitbenutzung der Staatsbahn verzichtete und sich eine eigene Bahn, zwar in gleicher Spurweite, aber mit wesentlich schwererem Oberbau herstellte. So entstand hier das sonderbare Bild, daß von Swakopmund bis Karibib auf 190 km Länge zwei Bahnen in wechselndem Abstände nebeneinander herliefen, die eine wenig leistungsfähig, die andere als reines Privatunternehmen nur von bedingtem Wert! Dieser Zustand konnte nicht auf die Dauer bestehen bleiben, Abhilfe wurde durch die Bahnvorlage von 1910 herbeigeführt, d.h. durch Verstaatlichung der Otavibahn, Außerbetriebsetzung der unteren Staatsbahn strecke Swakopmund-Karibib für den durchgehenden Verkehr und Umbau der oberen Strecke Karibib-Windhuk in Kapspur. Auch die obere Staatsbahnstrecke, Karibib-Windhuk, 188 km lang, krankte an ähnlichen Mißständen. Die Gelegenheit des Neubaues der Nordsüdbahn von Windhuk nach Keetmanshoop, zu dem sich die Mittel aus den Diamantfunden boten, wurde benutzt, um die Strecke Karibib-Windhuk in der Linienführung zu verbessern und auf Kapspur umzubauen. Die ganze Bahn Swakopmund-Windhuk wird schließlich einmal diese Spur erhalten müssen, um den Bahnen der benachbarten südafrikanischen Schutzgebiete, Rhodesia und der südafrikanischen Union, gleichwertig zu sein. Die Kosten des Umbaus Karibib-Windhuk waren auf 11 Mill. M., das sind rund 58.500 M. f. d. km, veranschlagt;[325] der Umbau war im August 1911 beendet. Der Durchgangsverkehr auf der alten Strecke Swakopmund-Jakalswater-Karibib wurde am 1. April 1910 geschlossen; seitdem dient sie nur noch dem Ortsverkehr.
b) Die Otavibahn nebst Zweigbahn Otavi-Grootfontein.
Die Otavi-Eisenbahn war ursprünglich ein industrielles Unternehmen der Otavi-Minen- und Eisenbahngesellschaft. Die Genehmigung zu ihrer Herstellung ist in der Damaralandkonzession vom 12. September 1892 enthalten. Die Spurweite beträgt 0∙60 m. Infolge des Hereroaufstandes und sonstiger Schwierigkeiten wurde der Bau verzögert. Am 18. Mai 1905 konnte die 177 km lange Strecke Swakopmund-Onguati, mit der 14 km langen Anschlußbahn nach Karibib an die Staatsbahn, dem Verkehr übergeben werden. Am 12. November 1906 erfolgte die Eröffnung der ganzen Bahn bis Tsumeb, 567 km. Die gesamte Bahn, stand im Jahre 1909 zu Buch mit rund 18,163.000 M., das sind rund 31.300 M. f. d. km.
Im Anschluß an die Otavibahn wurde von der South West Afrika Company auf Grund der gleichen Damaralandkonzession im Jahre 1907 eine 91∙3 km lange Flügelbahn von Otavi in nordöstlicher Richtung in den fruchtbaren Farmbezirk von Grootfontein hergestellt; sie wurde am 13. März 1908 dem Betrieb übergeben; ihre Kosten haben sich auf rund 2,331.000 M., das sind rund 25.600 M. f. d. km, belaufen. Hiermit war ein zusammenhängendes Netz von im ganzen 671 km Bahnen geschaffen, eine für die Schmalspur von 0∙60 m außergewöhnliche Linienausdehnung. Trotz ihrer geringen Spurweite hat die Otavibahn übrigens eine hervorragende Leistungsfähigkeit erwiesen.
Wie oben bemerkt, ist die Bahn nunmehr verstaatlicht worden. Die Mittel hierfür in Höhe von 25 Mill. M. wurden durch die Kolonialbahnvorlage von 1910 bereitgestellt. Der Betrieb wurde an die bisherige Besitzerin, zunächst auf 10 Jahre, fest verpachtet.
c) Die Südbahn: Lüderitzbucht-Keetmanshoop nebst Zweigbahn Seeheim-Kalkfontein.
Diese Bahn wurde infolge des Hottentottenaufstandes in der zweiten Hälfte des Jahres 1904 ins Leben gerufen.
Eingehende Vorarbeiten führten im Dezember 1905 zu der Einbringung einer Bahnvorlage für den Bau der 140 km langen Strecke Lüderitzbucht-Aus (Lüderitzbahn) in Kapspur 1∙067/km . Der Bau wurde trotz der Schwierigkeiten und Gefahren des Aufstandes so rasch gefördert, daß man den Betrieb auf der Strecke Lüderitzbucht-Aus am 1. November 1906 eröffnen konnte. Die Linienführung war schwierig, denn von der Küste aus mußten auf etwa 140 km zunächst rund 1500 m Seehöhe erstiegen werden; man bedurfte dazu insbesondere einer 38 km langen, fast ununterbrochenen Steigung von 25∙0% von Garub bis Aus von 767 auf 1495 m Seehöhe. Der Weiterbau von Aus über Feldschuhhorn nach Keetmanshoop, weitere 226 km, war in erster Linie aus militärischen Gründen dringend geboten. Die Mittel wurden durch Reichsgesetz vom 16. März 1907 bewilligt.
Die Fortführung des Bahnbaus nach Keetmanshoop wurde so beschleunigt, daß die Bauspitze Keetmanshoop am 21. Juni 1908 erreichte. Der Ausbau der Linie war nach Jahresfrist vollendet. Die Bausummen für die Abschnitte Lüderitzbucht-Aus, Aus-Feldschuhhorn und Feldschuhorn-Keetmanshoop zusammen 366 km betrugen 9∙5, 12∙9 und 8∙2, zusammen 30∙6 Mill. M.; etwa 3 Mill. M. wurden erspart, so daß sich die Kosten f. d. km auf rund 75.400 M. stellen.
Die weitere Entwicklung der südlichen Gebiete machte die Herstellung einer Zweigbahn von Seeheim, in Richtung auf Warmbad, nach Kalkfontein, 180 km, notwendig. Das Bahngebiet eignet sich besonders zur Wollschaf- und Angoraziegenzucht, sowie auch zur Pferdezucht. Die Mittel in Höhe von 14,390.000 M. rund 80.000 M. f. d. km -wurden in der Bahnvorlage vom Jahre 1908 angefordert.
Die Bahn zweigt aus der Stammstrecke der Südbahn auf dem linken Ufer des Fischflusses von Station Seeheim (auf 700 m Meereshöhe) ab, wendet sich zunächst südlich, dann südöstlich gegen Holoog (+ 790 m), ersteigt von hier mit einer größten Steigung von 1 : 40 auf 41 km Länge die Wasserscheide und zugleich ihre größte Höhe von 1297∙5 m über dem Meere, und fällt dann stetig bis 160 km zur Station Kanus, die sie auf 966 m Seehöhe erreicht. Der Endpunkt Kalkfontein, der wichtige wasserreiche Knotenpunkt der Wege nach Keetmanshoop, Dawignab, Ukamas und Warmbad, liegt auf 990 m Seehöhe. Die Bahn wurde am 6. Juli 1909 dem Betrieb übergeben.
Seit dem 1. Oktober 1909 ist der Betrieb der gesamten Südbahn nebst der Landungsanlage in Lüderitzbucht an die Erbauerin der Bahn, zunächst auf 21/2 Jahre, fest verpachtet.
Gegenstand besonderer Sorge für die Betriebsleitung bleibt die 7 km lange Dünenstrecke, [326] km 19 bis 26 ab Lüderitzbucht, für deren Freihaltung jährlich erhebliche Aufwendungen erforderlich sind. Früher hatte man sogar daran gedacht, diese ganze Strecke unter Aufwendung enormer Kosten in einem langen Tunnelbau zu unterfahren.
d) Die Nordsüdbahn Windhuk-Keetmanshoop.
Um die Lücke zwischen den strategischen Bahnen des Landes zu schließen, war der 550 km lange Landweg Windhuk-Keetmanshoop durch eine leistungsfähige Bahn zu ersetzen, die zugleich dem Zwecke dient, den Norden mit dem Süden in engere Verbindung zu bringen. Sie ist wirtschaftlich eine Hauptverkehrsader des Landes, deren Lage sich zwingend aus den geographischen Verhältnissen ergibt.
Die Bahn folgt von Keetmanshoop aus nördlich der großen Landfurche, die der Lauf des Fischflusses kennzeichnet, und durchschneidet den Landstreifen zwischen der westlich gelegenen Namib und der Ostgrenze des Schutzgebietes ungefähr in der Mitte. Die Bahn berührt Mariental, läßt aber Gibeon und Rehoboth westlich liegen. Weiter nördlich durchquert die Bahn die Auasberge mit einer größten Steigung von 29% von Windhuk aus in offenem Einschnitt und erreicht auf 1923 m Meereshöhe die Wasserscheide und den höchsten Punkt.
Die Länge beträgt 506∙5 km, die Baukosten sind auf 40 Mill. M., das sind rund 79.000 M. f. d. km veranschlagt. Spurweite und Oberbau entsprechen der Südbahn. Die Mittel werden teils aus der für D. zum ersten Male aufzunehmenden Schutzgebietsanleihe, teils aus den Erträgnissen der Diamantfunde bestritten und wurden in der Bahnvorlage von 1910 bewilligt. Die Bauausführung wurde gleichzeitig von Norden und Süden her in Angriff genommen und die Bahn im März 1912 in ganzer Ausdehnung dem Betrieb übergeben.
Die Betriebslänge (in km) der vollendeten Bahnen setzt sich nunmehr zusammen wie folgt:
davon | ||
0∙60 m Spur | ||
Swakopmund-Windhuk | 382 | 194 |
Otavibahn | 671 | 671 |
Südbahn | 545 | |
Nordsüdbahn | 507 | |
2105 | 865 |
Tarife: Während auf den Strecken der Otavibahn ein besonderer Tarif gilt, sind für die übrigen Staatsbahnen einheitliche Tarife (vom 1. April und September 1910) eingeführt. Im Personenverkehr werden erhoben: für gewöhnliche Züge in der. I., II. und III. Klasse: 10, 6, 4 Pf. f. d. P./km; für Schnellzüge 12 und 8 Pf. in der I. und II. Klasse. Die Otavibahn erhebt 12, 7, 4 Pf. In Schnellzügen sind Farbige nur ausnahmsweise zugelassen. Der Gepäcktarif beträgt 60 Pf. f. d. tkm. Landeserzeugnisse werden als Expreßgut zum Satze von 40 Pf./tkm, die übrigen Güter zum Satze von 60 Pf./tkm befördert. Für Stückgut bestehen 2, auf der Otavibahn 3 Klassen, mit den Sätzen: 40 und 25 sowie 40, 30, 20 Pf./tkm. Für Wagenladungen 4 Klassen mit den Sätzen 30, 15, 12, 7 Pf./tkm; die Otavibahn erhebt hierbei für die 2. Klasse 20 statt 15 Pf. Im April 1912 wurde ein Ausnahmetarif von 12 (statt 25) Pf/tkm für eine Reihe von Landeserzeugnissen bei Versendung nach den Stationen der kapspurigen Bahnen sowie ein ermäßigter Viehtarif eingeführt.
Literatur: Arch. f. Ebw. 1908, S. 854 ff.; 1910, S. 649 ff.; 1912, S. 390 ff. und S. 1247 ff. Die Eisenbahnen in den Deutschen Schutzgebieten (Kap. 39) in Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart. Berlin 1911.
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