Eisenbahnzeit

[149] Eisenbahnzeit (railway time; heure de chemin de fer; tempo delle strade ferrate), die im inneren und äußeren Eisenbahndienst zur Anwendung kommende Zeitrechnung, nach der die Dienstfahrpläne (s.d.) und die öffentlichen Fahrpläne aufgestellt werden, nach der die Abfahrt und Ankunft der Züge erfolgt und nach der die Bahnuhren gestellt werden. – Infolge der Drehung der Erde in der Richtung von Westen nach Osten wandert der Höhenpunkt der Sonne in 24 Stunden über 360 Längengrade oder in der Stunde über 15 Grade hinweg. Der Unterschied in der Mittagszeit beträgt daher für zwei Orte, die um 15 Längengrade voneinander entfernt sind, 60 Minuten oder für einen Längengrad 4 Minuten. Für das Deutsche Reich, das sich über annähernd 17 Längengrade von Osten nach Westen ausdehnt, ergeben sich hiernach Unterschiede in den Ortszeiten von 67 Minuten, wenn diese, wie es bis zum Jahre 1893 der Fall war, nach der mittleren Sonnenhöhe bestimmt werden. Ein Schnellzug legt auf einer in der Richtung von Osten nach Westen verlaufenden Bahn den Weg von einem Längengrad bis zum anderen in etwa 1 Stunde zurück. Es muß also bereits nach einstündiger Fahrt seiner Fahrzeit in der einen Richtung ein Zeitunterschied von etwa 4 Minuten hinzugezählt, in der anderen Richtung in Abzug gebracht werden, wenn aus der Fahrzeit die Ankunft in mittlerer Sonnenzeit ermittelt werden soll. Aus diesen Zahlen geht ohneweiteres hervor, daß ein Eisenbahnfahrplan auf Grund von nach der Sonne ermittelten Ortszeiten nicht aufgestellt werden kann. Wohl kann die Ankunft und Abfahrt der Züge nach diesen Ortszeiten bekanntgegeben werden, aber die Berechnung der Fahrzeiten und die zeitliche Festsetzung der sich hieraus ergebenden Kreuzungen und Anschlüsse der Züge können nur auf Grund einer Einheitszeit erfolgen, die für alle im Fahrplan enthaltenen Orte einen übereinstimmenden Gang der Uhren vorsieht. Solange daher die Ortszeit für das bürgerliche Leben sich nach der Sonnenzeit richtete, waren die Eisenbahnverwaltungen gezwungen, zwei Zeitrechnungen nebeneinander zu führen. Im inneren Dienst richtete man sich nach der Ortszeit der Hauptstation des Bezirkes oder der Hauptstadt des Landes und gab den Dienstfahrplan nach dieser Zeitrechnung für das ganze Bahngebiet heraus, während die Ankunft- und Abfahrzeiten der Züge in den Aushangfahrplänen und Kursbüchern nach den durch die mittlere Sonnenzeit bestimmten[149] Ortszeiten der verschiedenen Stationen bekanntgegeben wurden. Die für die Reisenden sichtbaren Uhren zeigten die Ortszeit, während die Uhren in den Diensträumen neben der Ortszeit auch die dem Dienstfahrplan zu Grunde liegende Einheitszeit angaben. Wenn auch im Laufe der Zeit größere Bahnbezirke eine gemeinsame Einheitszeit für den inneren Dienst angenommen und die Bahnen einzelner Staaten mit geringer Längenausdehnung die Einheitszeit der Bahnen in die öffentlichen Fahrpläne übernommen hatten, so blieben doch zahlreiche verschiedene Zeitrechnungen nebeneinander bestehen. Hieraus entstand fortdauernd eine Quelle von Fehlern, Mißverständnissen und Unbequemlichkeiten, besonders auf den Obergangsstationen zwischen Gebieten mit verschiedener Zeitrechnung, die dringend der Abhilfe bedurften. Die norddeutschen und die Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen bedienten sich bis zum Jahre 1891 der Berliner Zeit für den inneren Dienst. Die bayerischen Bahnen rechneten nach Münchener, die württembergischen nach Stuttgarter, die pfälzischen nach Ludwigshafener, die hessischen nach Frankfurter Zeit. In England und Schottland galt seit 1847 die durch den Längengrad von Greenwich bestimmte Zeit. In Österreich-Ungarn waren die Prager und die Budapester Zeit, die um 19 Minuten voneinander abweichen, im Gebrauch. In Italien bestanden drei verschiedene Einheitszeiten, Rom für das Festland (1866 aus den 5 Zeitrechnungen von Turin, Florenz, Verona und Neapel zusammengelegt), Palermo für Sizilien und Cagliari für Sardinien. In Frankreich galt die Pariser, in Belgien die Brüsseler, in Holland die Amsterdamer, in Dänemark die Kopenhagener, in Norwegen die Christianiaer, in Schweden eine von der Stockholmer um 12 Minuten abweichende Zeit und in Rußland die Petersburger und die Moskauer Zeit. In der Schweiz war die Zeit von Bern, in Spanien die Zeit von Madrid und in Portugal die Zeit von Lissabon für den Eisenbahndienst maßgebend.

An Anregungen zur Änderung dieses Zustandes hat es nicht gefehlt. Schon im Jahre 1850 befaßte sich die Akademie der Wissenschaften in Wien mit der Frage der Einführung einer Einheitszeit im österreichischen Eisenbahnwesen. Im Jahre 1852 stellte der badische Professor Erb beim VDEV. den Antrag, die Eisenbahnuhren im gesamten Vereinsgebiet nach einheitlicher Zeit zu stellen. Aber erst im Jahre 1883 hatte ein von Amerika ausgehender Vorschlag Erfolg, der die Regelung der Zeitrechnung für den gesamten Weltverkehr durch Einführung einheitlicher Zonenzeiten bezweckte. Diese Zeitrechnung hat im Laufe des folgenden Jahrzehntes über die ganze Erde Verbreitung gefunden. – In Amerika hatten bis dahin etwa 75 verschiedene E. bestanden, als die Railway Time Convention auf Anregung ihres Sekretärs W. F. Allens (s. American Railway Association) am 18. November 1883 beschloß, das nordamerikanische Eisenbahngebiet in Zeitzonen mit je einer Stunde Zeitunterschied einzuteilen. Man dachte sich hierbei die ganze Erdoberfläche in 24 Abschnitte geteilt, die hinsichtlich der Zeitbestimmung nur um ganze Stunden abweichen, während die Minuten und Sekunden im selben Augenblick auf der ganzen Erde dieselben sind. Innerhalb jeder Stundenzone gilt die Zeit des durch ihre Mitte verlaufenden Längengrades für die ganze Zone. Die Zonengrenzen folgen jedoch aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht genau dem theoretischen Längengrad, sondern sie passen sich soweit tunlich der Landesgrenze oder dem Verwaltungsbezirk an. Jede der 24 Zonen hat eine Ausdehnung von 15 Längengraden. Mit Rücksicht auf die Bedeutung, die der Meridian von Greenwich für die Zeitrechnung in England und für die Seeschiffahrt bereits besaß, sollte die Zonenzeit von diesem Meridian ihren Ausgangspunkt nehmen. Für die in Nordamerika hiernach in Frage kommenden Zonen bilden der 60., 75., 90., 105. und 120. Längengrad westlich von Greenwich die Mittellinien, mit einem Zeitunterschied von 5, 7, 8 und 9 Stunden gegen den Längengrad von Greenwich. Die Einheitszeiten wurden im Jahre 1884 eingeführt. Sie erhielten die Bezeichnungen Intercolonial Time, Eastern Time, Central Time, Mountain Time und Pacific Time. – Im Jahre 1888 wurde die Zonenzeit in Japan eingeführt und der 135. Längengrad östlich von Greenwich – 9 Stunden der Zeit von Greenwich voraus – der japanischen Zeitrechnung zu gründe gelegt. – Europa zerfällt nach der Zonenteilung in drei Zeitabschnitte, ebenfalls von je einer Stunde. Der erste, die westeuropäische Zone, umfaßt England, Frankreich, Belgien, Holland, Spanien und Portugal, der zweite, die mitteleuropäische Zone, Deutschland, Österreich-Ungarn, Dänemark, Norwegen, Schweden, Italien, Bosnien, Serbien und die Schweiz, und der dritte, die osteuropäische Zone, das europäische Rußland und die Staaten der Balkanhalbinsel. Die Mittellinie der ersten Zone bildet der Längengrad von Greenwich, die der zweiten der Längengrad von Stargard, 15 Grad östlicher Länge von[150] Greenwich und die der dritten ungefähr der Längengrad von Petersburg, 30 Grad östlicher Länge von Greenwich. Diese Zonenteilung schloß sich den bestehenden Zeitrechnungen verhältnismäßig gut an. Für England war eine Änderung überhaupt nicht nötig und für Norddeutschland ergab sich für den Längengrad von Stargard an Stelle des Längengrades von Berlin nur ein Zeitunterschied von 61/2 Minuten. Auf Antrag der ungarischen Staatseisenbahnverwaltung beschloß der VDEV. am 30. Juli 1890, die Zonenzeit für den inneren Dienst der Eisenbahnverwaltungen einzuführen. – Dies geschah in Österreich-Ungarn am 1. November 1890 unter gleichzeitiger Aufnahme der Zonenzeit in die öffentlichen Fahrpläne und in gleicher Weise am 1. April 1892 in Bayern, Württemberg, Baden und Elsaß-Lothringen. – Am 1. April 1893 wurde durch Gesetz vom 12. März 1893 die Mitteleuropäische Zeit – MEZ. – für das Deutsche Reich als gesetzliche Zeit eingeführt und damit die Zeitrechnung im gesamten deutschen Verkehrsleben, im Eisenbahn-, Post- und Telegraphendienst, mit der bürgerlichen Zeit in Übereinstimmung gebracht. Der Entscheidung war ein lebhafter Meinungsaustausch vorausgegangen, in dessen Verlauf Generalfeldmarschall Graf Moltke Veranlassung nahm, in der Reichstagssitzung vom 16. März 1891 als Abgeordneter mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit für diesen Verkehrsfortschritt einzutreten.

Allerdings waren mit der Einführung der Zonenzeit als Ortszeit auch Übelstände verbunden. Der große Unterschied zwischen Sonnenzeit und Zonenzeit nahe der Zonengrenzen übt auf die Festsetzung der Arbeitszeiten insofern einen ungünstigen Einfluß aus, als er die Ausnutzung des Tageslichtes während eines Teils des Jahres beeinträchtigt. Hierzu kommt, daß die mittlere Sonnenzeit gegenüber der wirklichen Sonnenzeit eines Ortes bereits Verschiebungen bis 16 Minuten erleidet, so daß der Nachmittag am 11. Februar 1/2 Stunde länger und am 2. November 1/2 Stunde kürzer ist als der Vormittag. Diese Umstände bewirken zusammen, daß an den kurzen Tagen bis zu 3/4 Stunden länger bei künstlicher Beleuchtung gearbeitet werden muß, als wenn die Arbeitszeit nach der Sonne bestimmt würde. Die holländische Regierung, die gleichzeitig mit den Nachbarländern die Zonenzeit im Eisenbahndienst und im bürgerlichen Leben eingeführt hatte, sah sich hauptsächlich aus dem vorstehend angeführten Grunde veranlaßt, vom 1. Mai 1909 ab an Stelle der westeuropäischen Zeit die Amsterdamer Sonnenzeit – 20 Minuten der WEZ. voraus, 40 Minuten der MEZ. nach – als gesetzliche Zeit wieder einzuführen.

Dem Vorstehenden entsprechend, kommen in den Eisenbahnfahrplänen gegenwärtig folgende Zeiten in Anwendung:

a) Mitteleuropäische Zeit (MEZ.) nach dem 15. Längengrade östlich von Greenwich: in Deutschland, Luxemburg, Österreich-Ungarn, Dänemark, Schweden, Norwegen, in der Schweiz, Italien, Bosnien, Serbien, westliche Türkei (Saloniker Netz).

b) Westeuropäische Zeit (WEZ.) nach dem Längengrade von Greenwich, 1 Stunde nach gegen MEZ.: in Großbritannien, Frankreich, Belgien, Spanien und Portugal.

c) Osteuropäische Zeit (OEZ.) nach dem 30. Längengrade östlich von Greenwich, 1 Stunde vor gegen MEZ.: in Bulgarien, Rumänien, in der östlichen Türkei (Konstantinopeler Netz) und in Ägypten.

d) Einheitliche Landeszeiten nach den Längengraden der Hauptstädte: in den Niederlanden, Griechenland und Rußland. Gegen die Mitteleuropäische Zeit gehen die Eisenbahnuhren


im westlichen Europa nach

Std. Min.
Niederlande (Amsterdamer Zeit) 40
FrankreichWEZ. 1
BelgienWEZ. 1
SpanienWEZ. 1
PortugalWEZ. 1
England u. SchottlandWEZ. 1
Irland 1 25

in außereuropäischen Orten


Rio de Janeiro3 53
Halifax(Intercolonial Time)5
Boston(Eastern Time)6
New York(Eastern Time)6
Chicago(Central Time)7
New Orleans(Central Time)7
Salt Lake City(Mountain Time)8
San Francisco(Pacific Time)9
Honolulu11 32
Apia (Samoa-Inseln)12 27

im östlichen Europa vor

Std. Min.
Griechenland 35
Bulgarien OEZ. 1
Rumänien OEZ. 1
Östl. Türkei OEZ. 1
Rußland 1

in außereuropäischen Orten


Bombay3 51
Calcutta4 53
Hongkong7
Albany(wie ganz Westaustralien)7
Schanghai(wie die ganze chines. Küste)7
Yokohama(wie ganz Japan)8
Adelaide(wie ganz Südaustralien)8
Melbourne(wie ganz Victoria)9
Sydney(wie ganz Neusüdwales)9
Brisbane(wie ganz Queensland)9

[151] In den belgischen, französischen, italienischen, spanischen und portugiesischen Fahrplänen werden die Stunden von Mitternacht bis Mittag mit 0 bis 12, die Nachmittagsstunden – statt 1 bis 12 – mit 13 bis 24 bezeichnet.

In den Ländern, die die durchlaufende Bezeichnung der Tagesstunden von 1 bis 24 nicht zur Einführung gebracht haben, ist die Bezeichnungsweise der Nachtstunden von 600 abends bis 559 früh durch Unterstreichung der Minutenziffern in den Fahrplänen vorwiegend üblich. Obwohl dies im allgemeinen ausgereicht hat, um Irrtümern vorzubeugen, so ist doch die Zahl der Länder, die die 24-Stundenteilung eingeführt haben, von Jahr zu Jahr größer geworden. Im Jahre 1865 wurde sie in Britisch-Indien, 1866 in Canada, 1893 in Italien, 1897 in Belgien, 1900 in Spanien, 1912 in Frankreich eingeführt, und im Januar 1913 beschloß auch der Schweizer Bundesrat sie bei den Verkehrsanstalten einzuführen, vorausgesetzt, daß Deutschland und Österreich-Ungarn sie ebenfalls einführen. In diesem Falle würde die neue Zählung in den genannten 3 Staaten am 1. Oktober 1913 oder am 1. Mai 1914 beginnen. Wenn Länder mit regem Verkehrsleben dem Vorgehen sich bisher nicht angeschlossen haben, so ist das in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sich im bürgerlichen Leben wenig Neigung zeigt, die 24-Stundenrechnung anzuwenden. So ist die letztere auch in den Ländern, die sie im Verkehrsleben eingeführt haben, in das sonstige Leben nur in geringem Maße eingedrungen. Es bestehen dort also zwei Zeitrechnungen nebeneinander. Das aber sollte nach den hisherigen Bestrebungen gerade vermieden werden. Im übrigen ist die 24-Stundenrechnung auch mit einigen Unbequemlichkeiten verbunden. Sie hat die Anwendung mehrsilbiger Stundenbezeichnungen zur Folge und es würde für die Bezeichnung der Zeit von 12 bis 1 Uhr nachts die Einführung einer Nullstunde nötig sein.

Neuerdings ist von England der Vorschlag ausgegangen, den bereits oben erwähnten Übelstand der ungünstigen Ausnutzung des Sonnenlichtes bei Festsetzung der Arbeitszeiten im bürgerlichen Leben dadurch zu mildern, daß die sämtlichen Uhren des Landes, etwa anschließend an den Fahrplanwechsel der Eisenbahnen, zweimal im Jahre, das eine Mal um ein gewisses Zeitmaß vor-, das andere Mal um das gleiche Zeitmaß zurückgestellt werden. Mit Rücksicht auf die Abhängigkeit, die im Fahrplan zwischen den Zügen des Nahverkehrs und den Zügen des die Landesgrenzen überschreitenden Fernverkehrs besteht, würde der Vorschlag für die Eisenbahnverwaltungen nur annehmbar sein, wenn die Maßnahme gleichzeitig in allen am großen Durchgangsverkehr beteiligten Ländern zur Durchführung gelangen würde.

Literatur: Schram, Zur Frage der Eisenbahnzeit. Wien 1888. – E., Hesse-Wartegg Die Einheitszeit nach Stundenzonen. Leipzig 1892. – Streckert, Die Stundenzonenzeit. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. 4. Bd. Jena 1892.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 149-152.
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