[361] Entgleisung (derailment; déraillement; fuorviamento) von Eisenbahnfahrzeugen, das Verlassen des durch die Fahrschienen gebildeten Weges. Weit mehr als bei anderen Verkehrswegen sind bei den Eisenbahnen Weg und Fahrzeug voneinander abhängig. Die Landstraße läßt dem Fuhrwerk, das Wasser dem Schiff Bewegungsfreiheit[361] innerhalb gewisser Grenzen. Den Rädern der Eisenbahnfahrzeuge ist dagegen der Weg genau vorgeschrieben. Verlassen die Räder die Lauffläche der Schienen, entgleisen sie, so hört die ordnungsmäßige Bewegung des Fahrzeuges auf. Damit ist der Anlaß zu einem Unfall gegeben, dessen Folgen in erster Linie von der Geschwindigkeit abhängen, mit der die Fortbewegung des Fahrzeuges im Augenblick der E. stattfand. Um E. zu verhüten, werden die Räder (s.d.) mit Spurkränzen versehen, deren Höhe nach § 69 der TV. des VDEV. mindestens 25 mm betragen soll und die eine sichere Führung des Fahrzeuges im Gleise gewährleisten. E. können daher nur eintreten infolge von Mängeln und Fehlern am Gleise oder an den Fahrzeugen oder wenn innerhalb der Fahrbahn, wie bei Zusammenstößen, sich ein Hindernis der Fahrt entgegenstellt oder endlich, wenn die Fahrgeschwindigkeit die für die Anordnung des Oberbaues zulässige Grenze überschreitet. Hiernach pflegt man in der Unfallstatistik die Ursachen der E. wie folgt zu unterscheiden:
1. Unterbrechung des Gleises und sonstige Bahnhindernisse;
2. ungenaue und falsche Stellung der Weichen und sonstiger beweglicher Einrichtungen;
3. unrichtige Handhabung des Fahrdienstes;
4. Mängel am Oberbau;
5. Achsbrüche;
6. Radreifenbrüche;
7. sonstige Mängel an Fahrzeugen;
8. sonstige Ursachen.
Den Gefahren von E. entgegenzuwirken, ist eine stete Sorge der Eisenbahnverwaltungen (s. Betriebssicherheit). Das Gleis soll so fest gefügt sein, daß weder die Last der Räder, noch die bei der Fahrt auftretenden Stöße in senkrechter oder wagrechter Richtung seine Lage über bestimmte enge Grenzen hinaus zu verändern vermögen. Die Fahrzeuge müssen so gebaut sein, daß die Last sich möglichst gleichmäßig auf die Räder verteilt, damit nicht durch die während der Fahrt auftretenden Schwankungen und Stöße die völlige Entlastung eines Rades herbeigeführt werden kann. Aus demselben Grunde muß auch bei der Beladung der Wagen auf eine gleichmäßige Verteilung der Ladung geachtet werden. Besondere Sorgfalt zur Abwendung der Gefahr von E. ist anzuwenden bei der Anordnung des Gleises in den Weichen und Krümmungen, namentlich aber an den Übergangsstellen zwischen Krümmungen und gerader Strecke, den Übergangsbögen. Durch Verschlußeinrichtungen an den beweglichen Teilen der Weichen, den Weichenzungen (s. Stellwerke), durch besondere Leit- oder Zwangschienen, durch Überhöhung des äußeren Schienenstranges und durch Anpassung der Fahrgeschwindigkeiten an die Krümmungsverhältnisse der Strecke sucht man auch hier volle Betriebssicherheit zu erzielen. Da E. bei der Fahrt über Brücken oder bei der Durchfahrt unter Brücken hindurch besonders schwere Folgen haben können, so wird wohl an solchen Stellen durch Einbau von Leitschienen eine erhöhte Sicherheit gegen E. geschaffen. Infolge der beim Befahren von Krümmungen auftretenden Fliehkräfte haben die Räder der Fahrzeuge das Bestreben, auf den äußeren Schienenstrang aufzulaufen und ihn zu überklettern. Es bedarf einer ständigen Überwachung des Gleises und der Fahrzeuge, damit einer Überschreitung der Abnutzung der Schienenköpfe und vor allem der Abnutzung der Spurkränze über die erlaubten Grenzen hinaus rechtzeitig vorgebeugt wird.[362]
Um entgleiste Fahrzeuge wieder in das Gleis zu bringen, müssen die einzelnen Achsen mittels Winden lotrecht über die Schienen gehoben und dann auf diese niedergelassen werden. Stehen die entgleisten Fahrzeuge weiter vom Gleis ab, so müssen zunächst künstliche Unterlagen durch einen Aufbau von Schwellen u. dgl. geschaffen werden, auf die die einzelnen Fahrzeuge gehoben und dann seitlich über die Schienen geschoben werden. Auch kommen unter geeigneten Umständen besondere Vorrichtungen zur Anwendung (s. Ein- und Entgleisungsvorrichtungen).
Die Anzahl der E. ist im allgemeinen geringer als die Zahl der Unfälle, die auf andere Ursachen zurückzuführen sind. Man kann annehmen, daß sie nur den vierten bis zehnten Teil der insgesamt vorkommenden Unfälle beträgt. Aus der vorstehenden bildlichen Darstellung (Abb. 281) ist das Verhältnis zwischen den E. und der Gesamtzahl der Unfälle für einige Bahngebiete näher ersichtlich.
Die Zahl der E. betrug im Jahre 1910 bei den:
im ganzen | auf 1 Million | |
Zugs/km | ||
Belgischen Staatsbahnen | 85 | 1∙12 |
Franz. Hauptbahnen | 73 | 0∙42 |
Italien. Staatsbahnen | 281 | 2∙45 |
Niederländ. Eisenbahnen | 41 | 0∙91 |
Schweizer Eisenbahnen | 68 | 1∙52 |
Breusing.
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