[276] Gepäck, Reisegepäck (luggage, in Amerika baggage; bagage; bagaglio).
Inhalt: I. Handgepäck. II. Reisegepäck in engerem Sinne; a) Begriff b) Vertragsabschluß c) Pflichten des Aufgebers d) Haftpflicht für Verlust, Minderung oder Beschädigung des Gepäcks und für Versäumung der Lieferfrist.
Reisegepäck in weiterem Sinne sind alle Gegenstände, die ein Reisender für sich oder seine Begleiter mit sich führt. G. in diesem Sinne ist also sowohl das Handgepäck, das der Reisende im Personenwagen unter seiner eigenen Obhut unterbringt, als auch das G., das er der Eisenbahn zur Beförderung im Packwagen anvertraut.
I. Handgepäck (small luggage; colis à la main; bagaglio a mano).
Die Mitnahme von Handgepäck ist bei allen Bahnen nur in beschränktem Maße zulässig. Für den Umfang dieser Beschränkungen ist der zur Lagerung von G. in den Personenwagen vorhandene Platz sowie die Rücksichtnahme maßgebend, die jeder Reisende von seinen Mitreisenden zu fordern berechtigt ist Auch kann die Mitnahme bestimmter Gegenstände als Handgepäck durch Steuer-, Zoll- oder Polizeivorschriften untersagt oder beschränkt sein.
Das Handgepäck bleibt im Gewahrsam des Reisenden; er trägt daher auch die Gefahr des Verlusts oder der Beschädigung. Die Eisenbahn haftet ihm nur, wenn sie nachgewiesenermaßen ein Verschulden trifft (in der Schweiz auch, wenn der Verlust oder die Beschädigung durch ein Ereignis verursacht ist, das gleichzeitig einen Haftpflichtanspruch begründet; Art. 8 des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes vom 1. Juli 1875). Auf den deutschen Bahnen ist angeordnet, daß die Schaffner der D-Züge von Zeit[276] zu Zeit durch den Zug zu gehen und, namentlich während der Mahlzeiten im Speisewagen, auf das Handgepäck der Reisenden zu achten haben. Unterbleibt dies, so kann darin in Ermanglung einer gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtung kein Verschulden der Eisenbahn erblickt werden. In der Schweiz (Transportregl. § 21) kann die Haftung der Bahn für Handgepäck in ihrer Höhe keinesfalls die Haftung für aufgegebenes G. gleicher Art übersteigen.
Nach der deutschen EVO. (§ 28) dürfen die Reisenden der 3 oberen Klassen nur soviel Gepäck mit sich führen, als sie über und unter ihrem Sitz unterbringen können. In die 4. Klasse können Handwerkszeug, Tornister, Traglasten in Säcken, Körben oder Kiepen u. dgl. in solcher Menge mitgenommen werden, wie sie ein Fußgänger tragen kann. Fahrräder dürfen nach dem deutschen Personen- und Gepäcktarif überhaupt nicht, Schneeschuhe und Rodelschlitten nur insoweit als Handgepäck mitgenommen werden, als eine Belästigung der Reisenden und Beschmutzung der Wagensitze ausgeschlossen ist. Die Mitnahme gefährlicher Gegenstände (geladener Schußwaffen, explosionsgefährlicher, leichtentzündlicher, ätzender Stoffe) sowie übelriechender Dinge ist durch § 29 EVO. verboten; der Zuwiderhandelnde macht sich strafbar und haftet für den entstehenden Schaden. Jägern und Polizeibeamten ist die Mitnahme von Handmunition gestattet.
In Österreich und Ungarn enthält das BR. die gleichen Bestimmungen wie die deutsche EVO. Da auf den Bahnen dieser Länder keine Wagen IV. Klasse verkehren, können dort Traglasten u. dgl. in die III. Klasse mitgenommen werden. Die Bestimmung über die Schneeschuhe und Rodelschlitten ist auch im Lokaltarif der österreichischen Staatsbahnen enthalten.
In anderen Staaten sind für das Handgepäck gewisse Gewichts- oder Raummaße vorgeschrieben. Doch findet ebenso wie in Deutschland und Österreich-Ungarn eine Kontrolle des mitgeführten Handgepäcks im allgemeinen nicht statt. In der Schweiz beträgt die Grenze 10 kg, in Italien 20 kg, in Belgien 25 kg, in Italien ist außerdem ein Raummaß von höchstens 0∙5 m Länge, 0∙25 m Breite und 0∙30 m Höhe vorgeschrieben.
In England und in den Vereinigten Staaten von Amerika wird den Reisenden mit Bezug auf das Handgepäck ein großer Spielraum gelassen. Die dortigen Bahnen haben wegen des hohen Freigewichts, das sie auf eingeschriebenes G. gewähren, kein Interesse daran, die Mitführung von Handgepäck einzuschränken; andererseits ist aber auch der Anreiz für das Publikum, viel Handgepäck bei sich zu behalten, ein geringerer.
Besondere Einrichtungen für die Mitnahme von Gold, Wertsachen und Kostbarkeiten als gebührenpflichtigem Handgepäck bestehen auf französischen und englischen Bahnen. Der Reisende erhält ein ganzes Abteil I. oder II. Klasse oder, wenn die Sendung mehr als 700 kg beträgt, einen Gepäckwagen zur Verfügung gestellt. Als Gebühr hat er das 10fache der Fracht für den Packetverkehr, mindestens für 10 × 200 kg, zu bezahlen. Auch fällt ihm das Auf- und Abladen sowie die Verantwortung für die Sicherheit der Sachen gegen Verlust und Entwendung zur Last. Eine Fahrkarte hat er nur dann zu lösen, wenn er ein Abteil benutzt.
In der Schweiz kann nach § 21 des Transportreglements einem Reisenden ausnahmsweise gestattet werden, besonders wertvolle Gegenstände bei sich auf den anderen Sitzplätzen des Abteils mitzunehmen, wenn er den Fahrpreis für die in Anspruch genommenen Sitzplätze mitbezahlt; eine Haftung für dieses G. wird aber ebensowenig, wie für das sonstige Handgepäck bahnseitig übernommen.
II. Reisegepäck im engeren Sinn, aufgegebenes G. (luggage; bagage enrégistré; bagaglio registrato).
Die Bestimmungen über das Reisegepäck beruhen teils auf gesetzlicher, teils auf tarifarischer Grundlage. Daneben bestehen die bahnamtlichen Vorschriften über den Gepäckabfertigungsdienst.
a) Begriff. Der Reisende kann Gegenstände, deren er oder seine Begleiter zur Reise bedürfen, als Reisegepäck aufgeben. Das Reisegepäck muß durch seine Verpackung in Koffer, Reisekörbe, Reisetaschen, Hutschachteln, handliche Kisten u. dgl. als solches kenntlich sein. Gegenstände, die von der Beförderung als Frachtgut ausgeschlossen sind oder, wie z.B. leicht entzündliche und übelriechende Gegenstände, die nicht als Handgepäck in die Personenwagen mitgenommen werden dürfen, können auch nicht als Reisegepäck aufgegeben werden. Geschieht dies doch, so trifft den Aufgeber die volle Schadenshaftung, häufig auch ein empfindlicher Frachtzuschlag als Vertragsstrafe (§ 30 deutsche EVO., § 30 österr. u. ung. BR., § 28 Schweiz. TR., ferner Art. 34/35 des Entwurfes zum IÜ. über die Beförderung von Personen und Reisegepäck).
Außerdem können in einem bei den einzelnen Bahnen verschiedenen Umfange noch andere Gegenstände, auch Tiere (in Behältern) und Fahrzeuge, als Reisegepäck aufgegeben werden. In welchem Umfange dies zulässig ist, wird teils durch Verordnungen (Reglements) der Eisenbahnaufsichtsbehörde[277] festgesetzt, teils ganz oder teilweise der Bestimmung durch die Tarife überlassen.
Nach dem Entwurf des Int. Übereinkommens sind als Reisegepäck zugelassen: Fahr- und Rollstühle für mitreisende Kranke, Kinderwagen für mitreisende Kinder, Warenproben und Muster von Geschäftsreisenden, die nach ihrer Verpackungsart als solche zu erkennen sind, Musikinstrumente in Kasten, Futteralen und anderen Umschließungen, sowie Geräte von Schaukünstlern und Schaustellern, Meßwerkzeuge bis zu 4 m Länge und Handwerkszeug, ferner Fahrräder einschließlich einsitziger Motorzweiräder, Handschlitten, Schneeschuhe und Schlittschuhsegel, alles dies unter der Voraussetzung, daß die genannten Gegenstände zum persönlichen Gebrauch des Aufgebers dienen und nicht Sachen des kaufmännischen Verkehrs sind. Es darf hiernach angenommen werden, daß diese Gegenstände regelmäßig auch im inneren Verkehr der Vertragsstaaten als Reisegepäck zugelassen werden und daß, wo dies noch nicht der Fall ist, die Transportreglements und Binnentarife allmählich entsprechend ergänzt werden.
Nach dem deutschen Personen- und Gepäcktarif sind in Personenzügen ferner zugelassen: Markt- und Hausiererwaren, wenn sie Größe und Gewicht einer Traglast nicht überschreiten, sowie kleine Tiere einschließlich der Hunde jeder Größe in Käfigen, Kisten, Körben, Säcken u. dgl., ferner unter besonderen Beförderungsbedingungen auch Land- und Wasserfahrzeuge, die nicht im Packwagen untergebracht werden können, sondern die Gestellung besonderer Wagen nötig machen.
In Österreich und Ungarn gilt dasselbe für Markt- und Hausiererwaren und kleine Tiere; dagegen werden dort größere Fahrzeuge als G. nicht angenommen. In Ungarn ist es gestattet, größere kaufmännisch verpackte Kisten und Tonnen, sowie sonstige nicht zum Reisegebrauch dienende Gegenstände als Reisegepäck aufzugeben, sofern ihr Gewicht 50 kg und ihr größter Durchmesser 1 m nicht übersteigt und im Packwagen ausreichend Platz zu ihrer Unterbringung vorhanden ist; Gegenstände von mehr als 100 kg Gewicht werden dagegen in Ungarn überhaupt nicht als Reisegepäck angenommen. Ähnliche Bestimmungen bestehen in der Schweiz. Dort ist es zulässig, kaufmännisch verpackte Kisten und andere, nicht zum Reisebedarf zu rechnende Gegenstände bis zum Gewicht von 100 kg für das Stück als Reisegepäck aufzugeben; anderseits können Kolli von mehr als 100 kg, auch wenn sie nur Reisebedarf enthalten, zurückgewiesen werden.
In Belgien werden als G. zugelassen: Kleider, Toilettegegenstände u. dgl., die in Koffern, Reise- und Mantelsäcken, Hutkörben u. dgl. untergebracht sind, photographische Apparate, Musikinstrumente, Meßinstrumente von höchstens 4 m Länge, kaufmännisch verpackte Kisten, Mobiliar, Körbe oder Kisten mit Haustieren (höchstens 25 kg und 1/8 m2), Koffer von Handlungsreisenden und G. von herumziehenden Kaufleuten, wenn dieses 80 kg und 1/2 m2 nicht übersteigt, Handwagen für die Beförderung von G., Fahrräder, Kinder- und Krankenwagen.
In Frankreich können im allgemeinen alle Gegenstände als G. aufgegeben werden, die unter normalen Verhältnissen, ohne daß die Abwicklung des Personenverkehrs beeinträchtigt wird, in die Gepäckwagen verladen werden können (Erlaß des M. d. ö. A. vom 28. November 1901).
In Italien werden als G. angenommen: Gegenstände, die der Reisende zum eigenen Gebrauch oder zu demjenigen seiner Familie mit sich führt, ferner Muster, wenn der Wert deklariert ist, und ausnahmsweise unter bestimmten Vorsichtsmaßregeln Patronen in der Höchstzahl von 500 Stück.
In Rußland werden zur Beförderung als G. nur Gegenstände angenommen, die in Koffern, Körben, Hutschachteln u.s.w. verpackt sind; wenn ausreichender Platz vorhanden, ist es den Stationsvorstehern anheimgegeben, auch Gegenstände, die in Kisten, Fässern u. dgl. verpackt sind, als Reisegepäck zuzulassen (Art. 31 Russ. Eis.-Ges.).
Auch in anderen Ländern bestehen mehr oder minder eingehende Vorschriften darüber, was als Reisegepäck aufgegeben werden kann; im allgemeinen ist dabei die Umgrenzung da, wo Freigepäck gewährt wird, enger gezogen, als da, wo dies nicht der Fall ist. Insbesondere dürfen in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika nur solche Gegenstände, die zum Reisebedarf gehören, als G. aufgegeben werden.
Besondere Bestimmungen bestehen bei fast allen Bahnen über die Beförderung von Kostbarkeiten u.s.w. In dieser Beziehung stehen sich drei Systeme gegenüber:
a) ausdrückliche Ausschließung von der Beförderung als Reisegepäck;
b) Zulassung zur Beförderung ohne Übernahme einer Haftpflicht durch die Bahn;
c) keine Beförderungspflicht, aber Möglichkeit der Zulassung durch die Tarife unter gewissen Bedingungen.
In Deutschland werden Kostbarkeiten u.s.w. als Reisegepäck zugelassen, wenn der Inhalt der Gepäckstücke und ihr Wert, der den Höchstbetrag der Entschädigung bilden soll, auf dem Gepäckschein vermerkt sind; wird der Wert oder das Interesse an der Lieferung mit mehr als 500 M. angegeben, so wird die Gepäcksendung nicht angenommen. Für nichtdeklarierte Kostbarkeiten wird eine Entschädigung nicht geleistet. In Österreich-Ungarn werden Kostbarkeiten als G. gleichfalls zugelassen,[278] wenn Inhalt und Wert bei der Aufgabe angegeben werden; doch braucht die Bahn im Falle der Haftpflicht keinesfalls eine höhere Entschädigung als 12 K für das kg zu bezahlen. In Belgien werden Kostbarkeiten als Reisegepäck nur gegen Wertversicherung befördert. In anderen Ländern (z.B. Frankreich, Italien, Schweiz) besteht kein Beförderungsverbot; doch ist die Bahn im Falle des Verlustes oder der Beschädigung von der Haftung für Kostbarkeiten befreit. Im Entwurf eines internationalen Übereinkommens über die Beförderung von Personen und G. ist die oberste Grenze der Haftung für Kostbarkeiten im Falle ihrer Angabe im Gepäckschein ähnlich wie in Österreich auf 15 Fr. für das kg festgesetzt. Jedoch ist zugelassen, daß die Tarife besondere Beförderungsbedingungen für Kostbarkeiten festsetzen und dabei eine erhöhte Haftung der Bahn aussprechen.
b) Vertragsabschluß. Durch die ordnungsmäßige Aufgabe des G. wird ein Frachtvertrag abgeschlossen. Daß im Fall der Gewährung von Freigewicht unter Umständen keine Fracht zu zahlen ist, ändert hieran nichts. Ebensowenig wird die rechtliche Natur des Frachtvertrages dadurch berührt, daß das G. nicht mit Güter-, sondern Personenzügen befördert wird und daß der Aufgeber in der Regel im Besitz einer Fahrkarte für die Strecke sein muß, für die die Gepäckabfertigung verlangt wird.
In den Ländern des europäischen Festlandes wird dem Reisenden bei der Aufgabe des G. ein Gepäckschein (in der Schweiz Empfangschein genannt) übergeben; auch ist die Gepäckfracht bei der Aufgabe zu entrichten (vgl. S. 283).
Einen Gegensatz zu dieser Einrichtung bildet das Verfahren bei Aufgabe von G. in England und Amerika.
In England wird der Frachtvertrag dadurch abgeschlossen, daß das G. einem Gepäckträger übergeben und von diesem mit dem Namen der Bestimmungsstation beklebt wird, in den Vereinigten Staaten von Amerika dadurch, daß das Gepäckstück mit einer Marke (Scheck) versehen und dem Reisenden ebenfalls eine Marke mit der gleichen Nummer und Inschrift behändigt wird. (Näheres über das englische und amerikanische Verfahren siehe in der zusammenhängenden Darstellung unter »Gepäckabfertigung«.)
c) Pflichten des Aufgebers. Die Hauptpflicht des Aufgebers von Reisegepäck ist die Zahlung der Gepäckfracht (s. Gepäcktarife). Andere Pflichten sind die sichere und dauerhafte Verpackung des G., die Beachtung der polizeilichen, zoll- und steueramtlichen Vorschriften u.s.w.
d) Haftpflicht für Verlust, Minderung oder Beschädigung des G. und für Versäumung der Lieferfrist. Die Bahn hat auf Grund des Frachtvertrags das G. unversehrt und rechtzeitig nach der Bestimmungsstation zu befördern und dort an den Empfangsberechtigten (Inhaber des Gepäckscheins) herauszugeben. Tut sie dies nicht, so ist sie nach Maßgabe der Gesetze und Tarife ersatzpflichtig. In manchen Staaten (z.B. Frankreich, England) gilt in Ermangelung von Sonderbestimmungen das allgemeine Recht; in den meisten Ländern gelten aber für die Haftung der Eisenbahnen aus dem Gepäckfrachtvertrag besondere Bestimmungen. Auch der Entwurf des IÜ. über die Beförderung von Personen und Reisegepäck sieht solche Bestimmungen vor; diese sind großenteils wörtlich den untereinander übereinstimmenden Vorschriften der deutschen EVO. und des österreichischen und ungarischen BR. nachgebildet.
In Deutschland und Österreich-Ungarn haftet die Eisenbahn für Verlust, Minderung oder Beschädigung von Reisegepäck, soweit nicht Sonderbestimmungen getroffen sind, nach den Vorschriften über die Haftung für Güter (Abschnitt VIII der EVO. bzw. BR.). Demnach haftet die Eisenbahn im Schadensfalle, wenn es ihr nicht gelingt, einen der zugelassenen Exkulpationsbeweise (eigenes Verschulden des Aufgebers, höhere Gewalt, mangelhafte Verpackung, natürliche Beschaffenheit des G.) zu führen. Die Höhe des Schadenersatzes wird durch den gemeinen Handelswert und in dessen Ermangelung durch den gemeinen Wert bestimmt, den Gegenstände derselben Art und Beschaffenheit am Orte der Absendung im Augenblicke der Auflieferung hatten. Nur wenn der Bahn Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen, hat sie den vollen Schaden zu ersetzen. Für Verlust haftet sie nur, wenn das G. binnen 14 Tagen nach der Ankunft des Zuges, zu dem es aufgegeben war, auf der Bestimmungsstation abgefordert wird. Andererseits gilt ein Gepäckstück, das innerhalb 3 Tagen (nach dem Entwurf des IÜ. 8 Tagen) nach Ankunft des Zuges, zu dem es aufgegeben war, nicht aufgefunden worden ist, als verloren. Wird es später wieder gefunden, so ist der Reisende hiervon zu benachrichtigen und kann innerhalb 30 Tagen nach Empfang dieser Nachricht verlangen, daß ihm das G. gegen Rückzahlung des bereits bezogenen Schadenersatzes (gegebenenfalls unter Abzug einer Entschädigung für Lieferfristüberschreitung) kostenfrei ausgehändigt wird.[279]
Die Länge der Lieferfrist für G. hängt vom Fahrplan und den örtlichen Verhältnissen ab. Der Inhaber des Gepäckscheins ist berechtigt, auf der Bestimmungsstation die Auslieferung des G. an der Ausgabestelle zu verlangen, sobald nach Ankunft des Zuges, zu dem es aufgegeben war, die zur Bereitstellung und etwa zur zoll- oder steueramtlichen oder polizeilichen Abfertigung erforderliche Zeit abgelaufen ist. Wird die hiernach zu bemessende Lieferfrist überschritten, so ist zu unterscheiden, ob der Reisende das Interesse an der Lieferung angegeben hat oder nicht. Ersteres geschieht dadurch, daß auf Antrag des Reisenden im Gepäckschein der Betrag dieses Interesses vermerkt wird; der Antrag ist spätestens eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges zu stellen. Die Gebühr beträgt für unteilbare Einheiten von je 10 M. (10 K, IÜ. 10 Fr.) und 10 Tarifkilometer 0∙2 (0∙25 h, IÜ. 0∙25 cts.). Die Mindestgebühr beträgt 40 (40 h, IÜ. 50 cts).
Wird die Lieferfrist überschritten, so hat die Bahn den nachgewiesenen Schaden zu ersetzen, u.zw.:
a) wenn das Interesse an der Lieferung nicht angegeben ist, für je angefangene 24 Stunden der Fristüberschreitung höchstens aber für 3 (IÜ. 8) Tage bis zum Betrag von 20 (20 h, IÜ. 20 cts) für jedes kg des ausgebliebenen G;
b) wenn das Interesse an der Lieferung angegeben ist, bis zu dem im Gepäckschein angegebenen Betrage. Ist dieser niedriger als die Entschädigung unter a), so kann letztere beansprucht werden.
Ist ein Schaden durch die Lieferfristüberschreitung nicht entstanden oder nicht nachgewiesen, so hat die Bahn zu zahlen:
a) wenn das Interesse an der Lieferung nicht angegeben ist, für je angefangene 24 Stunden der Fristüberschreitung höchstens aber für 3 (IÜ. 8) Tage 10 (10 h, IÜ. 10 cts) für jedes kg des ausgebliebenen G.;
b) wenn das Interesse an der Lieferung angegeben ist, das Doppelte hiervon, also 20 (20 h, IÜ. 20 cts) für jedes kg des ausgebliebenen G., jedoch nicht mehr als den im Gepäckschein angegebenen Betrag. Ist dieser niedriger als die Entschädigung unter a), so kann letztere beansprucht werden.
In allen Fällen ist die Haftung der Eisenbahn für Lieferfristüberschreitungen ausgeschlossen, wenn die Überschreitung von einem Ereignis herrührt, das die Eisenbahn weder herbeigeführt hat noch abzuwenden vermochte.
Dadurch, daß die deutsch-österreichischen Bestimmungen in den Entwurf des IÜ. übergegangen sind, wird späterhin voraussichtlich bewirkt werden, daß die jetzt noch in mancher Beziehung voneinander abweichenden Bestimmungen der anderen Vertragsstaaten über die Haftung der Eisenbahnen in ihrem Binnenverkehr mehr und mehr den deutsch-österreichischen Bestimmungen und damit auch untereinander genähert werden. Am leichtesten dürfte das in Frankreich vor sich gehen, wo noch keine Bestimmungen darüber bestehen, wann ein Gepäckstück als verloren zu gelten hat, sowie wann eine Lieferfristüberschreitung vorliegt, und welche Entschädigung im Fall einer solchen zu gewähren ist. Alle diese Fragen sind dort der Rechtsprechung im einzelnen Fall auf Grund des Code civil und des Code de commerce (Art. 103 ff.) überlassen. Für den Schweizer Binnenverkehr sind im Transportreglement Bestimmungen enthalten, die sich in vielen Punkten den deutsch-österreichischen nähern. Als Besonderheit sei erwähnt, daß der Reisende, wenn ihm sein G. (jedoch nur das, was er als Reisebedarf mit sich führt) bei der Ankunft am Bestimmungsort nicht ausgehändigt werden kann, sofort die Zahlung einer Normalentschädigung von 15 Fr. für das kg zu verlangen berechtigt ist. Durch die Gewährung dieser Entschädigung wird dem Rechte auf eine höhere Entschädigung im Falle des Nachweises eines höheren Schadens nicht vorgegriffen. In Belgien besteht eine abweichende Art der Versicherung des Interesses an der Lieferung. Die Gebühr beträgt 1 Fr. für je 500 Fr. Interesseversicherung; die Versicherung entbindet den Aufgeber aber nicht von der Verpflichtung im Falle eines Schadens dessen Höhe nachzuweisen. Auch in Italien besteht die Möglichkeit einer solchen Versicherung. Die Gebühr beträgt 0∙17 cts für das km und je 500 Lire des angegebenen Wertes (Mindestgebühr 70 cts). In Rußland kann gegen Zahlung einer Zuschlagtaxe eine Wertversicherung des G. vereinbart werden. Ist keine solche Vereinbarung geschlossen, so wird im Falle des Verlustes oder der Beschädigung von G. nach Art. 97 des Eis.-Ges. folgende Normalentschädigung bezahlt:
a) dem Reisenden | I. Klasse | 3 Rubel für das Pud |
II. Klasse | 2 Rubel für das Pud | |
III. Klasse | 1 Rubel für das Pud |
Für Versäumung der Lieferfrist werden dagegen im innerrussischen Verkehr Entschädigungen nicht bezahlt.
Wegen England und Amerika siehe unter »Gepäckabfertigung«.[280]
Literatur: Hilscher, Das österr.-ungar. und internat. Eisenbahntransportrecht, Wien 1902. Gaitzsch, Reisegepäck und Expreßgut in »Das deutsche Eisenbahnwesen der Gegenwart«, Bd. I, S. 368 ff, Berlin 1911. J. Seitier, Droits et obligations du public et des compagnies en fait de transport des bagages, Paris 1911. Dr. R. Baumberger, Die Haftung für Reisegepäck nach schweizerischem Eisenbahntransportrecht, Bern 1913. Frahm, Das englische Eisenbahnwesen. Berlin 1911. Hoff und Schwabach, Nordamerikanische Eisenbahnen. Berlin 1906. Gasca, L'esercizio delle strade ferrate. Turin 1910.
Renaud.
Meyers-1905: Reisegepäck · Gepäck
Roell-1912: Reisegepäck
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