Interkommunikationssignale

[273] Interkommunikationssignale (passenger communication signals; signaux d'intercommunication; segnali d'intercommunicazione), Signale, die den Zweck haben, sowohl den Reisenden, als auch den Zugbegleitern die Möglichkeit zu bieten, im Falle dringender Gefahr während der Fahrt unmittelbar oder mittelbar das Anhalten des Zuges zu veranlassen.

Dies kann erreicht werden:

1. Durch Betätigung einer innerhalb oder außerhalb der Wagen befindlichen Vorrichtung, die die Dampfpfeife zum Ertönen bringt, wodurch dem Lokomotivführer das Haltesignal gegeben wird; hieher gehören mechanische und pneumatische Signale.

2. Durch Betätigung einer im Wageninnern befindlichen Vorrichtung, die es ermöglicht, dem im ersten Wagen hinter der Lokomotive befindlichen Schaffner durch einen dort angebrachten Alarmapparat ein akustisches Hilfssignal zu geben, worauf dieser mittels der von der Dampfpfeife in diesen Wagen geführten kurzen Zugleine dem Lokomotivführer das Haltesignal gibt; hieher gehören mechanische und sämtliche elektrische I.

3. Durch die Betätigung einer auf die (durchgehenden) Bremsen des Zuges unmittelbar einwirkenden Vorrichtung seitens der Reisenden oder Zugbegleiter.

Sämtliche I. lassen sich hiernach in mittelbar und in unmittelbar wirkende einteilen.

Die mittelbaren I. gestatten den Reisenden oder den Schaffnern, dem Lokomotivführer bloß ein Haltesignal zu geben, wogegen durch die unmittelbaren I. der Zug (unabhängig vom Lokomotivführer) vom Reisenden selbst zum Stillstand gebracht wird.

Die Einrichtung von I. wurde schon sehr frühzeitig angeregt. Zuerst angeblich 1839, als auf der London-Birmingham-Bahn ein mit Reisenden besetzter Wagen eine weite Strecke geschleift wurde, ohne daß es möglich gewesen wäre, den Lokomotivführer von dem Unfall zu benachrichtigen. Von da an wurden I. der verschiedensten Systeme (mechanische, pneumatische, elektrische) in großer Zahl vorgeschlagen. Die meisten erwiesen sich jedoch als nicht zweckentsprechend. Im Laufe der der Zeit haben die elektrischen I. mit Rücksicht auf die Vervollkommnung, die sie erfahren haben, größere Verbreitung gefunden.

Im Zusammenhang mit den in neuester Zeit fast durchwegs zur Anwendung gelangten selbsttätigen, durchgehenden Bremsen gewinnen die unmittelbar wirkenden I. immer größere Bedeutung, so daß fast alle übrigen Signalsysteme bald nur noch ein geschichtliches Interesse haben werden.


I. Mittelbar wirkende Signale.


A. Mechanische Signalsysteme.


Diese I. erfüllen den beabsichtigten Zweck in nur unzulänglicher Weise; sie sind entweder in der Bauart umständlich, sind Witterungs- und sonstigen schädlichen Einflüssen zu sehr ausgesetzt und daher nur schwer in dienstfähigem Zustand zu erhalten, oder sie sind von einfacher Bauart und lassen sich unter ungünstigen Verhältnissen schwer oder gar nicht betätigen.

Das älteste und einfachste dieser I., die Zugleine, hat sich bis heute wegen ihrer[273] einfachen Handhabung, leichten Instandhaltung und geringen Kosten erhalten.


Die Leine, die mit der Signalpfeife an der Lokomotive verbunden ist, geht bei den Personen befördernden Zügen entweder außen über die Dächer oder seitlich oberhalb der Fenster bis zum letzten Wagen.

Im erstehen Falle kann nur das Zugbegleitungspersonal, im letzteren aber auch jeder Reisende die Leine anziehen und somit ein Zeichen geben.

Die Zugleine wird auch bei Güterzügen angewendet, wobei sie entweder über den ganzen Zug oder nur bis zum ersten besetzten Bremsposten hinter der Lokomotive führt.


B. Elektrische Signalsysteme.


Bei diesen I. werden mittels Kontaktvorrichtungen elektrische Signalapparate (Klingelwerke) betätigt.

Es kommen entweder zwei isolierte Leitungen oder nur eine isolierte – und eine Erdleitung zur Verwendung. Einige von diesen I. sind nicht selbsttätig, die Mehrzahl ist jedoch selbsttätig; sie treten z.B. bei Zugtrennungen ohneweiters in Wirksamkeit.


a) Nichtselbsttätige Signale.


Bei dem auf der österreichischen Südbahn seinerzeit verwendeten I. (System Kohn) besitzt jeder Wagen im Inneren zwei getrennte Hauptleitungen aus gut isolierten, nebeneinander liegenden Kupferdrähten.

An jeder Stirnwand sind diese beiden Leitungen unterhalb des Dachgesimses aus dem Wagen geführt und ist an jedem Ende zur Verbindung der Wagenleitungen miteinander, ein Kupplungsteil derart angebracht, daß bei gegenüber stehenden Wagen immer zwei ungleiche Kupplungsteile (ähnlich wie rechter und linker Buffer) einander gegenüberliegen.

Als Stromquelle diente eine Batterie von sechs hintereinander geschalteten Leclanché-Elementen und als Signalvorrichtungen ein Klingelwerk (Selbstunterbrecher) mit einer Hemmvorrichtung zur Vermeidung des Anschlagens des Glockenhammers an die Glocke bei Schwankungen und Stößen des fahrenden Zuges.

Zur Betätigung des Signals dienen in den Wagenabteilungen angebrachte Drucktaster, die, einmal niedergedrückt, in dieser Lage verherren und so ein anhaltendes Ertönen der Klingelwerke verursachen.

Zur Vermeidung von Mißbrauch sind diese Taster derart eingerichtet, daß der geschlossene Kontakt nur durch den Schaffner gelöst werden kann.


b) Selbsttätige Signale (System Rayl).


Bei diesem seinerzeit bei den österreichischen Eisenbahnen verwendeten System wird zur Verbindung der Wagenleitungen nicht eine besondere Kupplungsvorrichtung, wie bei den anderen Systemen angewendet, sondern es wird die schon vorhandene Kupplung der Schlauchmuffen für die Luftsaugebremse mitbenutzt, um eine metallische Leitung von Wagen zu Wagen herzustellen.


II. Unmittelbar wirkende Signale.


Bei durchgehenden, selbsttätigen Bremsen (s.d.) können Einrichtungen angebracht werden, die den Reisenden, bezw. den Zugbegleitern die Möglichkeit bieten, die durchgehende Bremse des Zuges unmittelbar in Wirksamkeit zu setzen. Der Lokomotivführer in einem solchen Fall durch die Vergrößerung des Zugwiderstandes und bei gewissen Bremssystemen (z.B. bei selbsttätigen Luftsauge- oder Luftdruckbremsen) auch durch die auf der Lokomotive angebrachten Zeigeapparate (Luftdruckmesser, Signalpfeifen) aufmerksam gemacht wird, daß irgend ein den Zug betreffendes Ereignis sein Anhalten nötig macht.

Solche Einrichtungen wurden auch tatsächlich bei verschiedenen durchgehenden Bremsen ausgeführt und sind gegenwärtig fast allgemein verbreitet.


A. Luftdruckbremsen-Notsignale.


Westinghouse-Notsignal. Auf jedem Wagen ist ein Notbremsventil angebracht, das mit der Hauptbremsleitung durch ein Zweigrohr verbunden ist. Durch das Herunterziehen eines der in den Wagenabteilen befindlichen Handgriffe wird das Notbremsventil geöffnet. Die in der Hauptleitung entstehende Druckverminderung bewirkt das Ansprechen eines auf der Lokomotive befindlichen Ventils und dadurch auch das Ertönen der dort angebrachten Signalpfeife. Wird das Pfeifen nicht beachtet, so kommt der Zug allmählich zum Stillstand. Der Lokomotivführer ist imstande, durch das Einströmenlassen von Luft aus dem Hauptbehälter in die Bremsleitung das Anhalten des Zuges um einige Minuten zu verzögern, wenn er die Stelle, wo das Signal gegeben wurde, für das Anhalten ungeeignet erachtet. Der Handgriff, an dem gezogen wurde, kann vom Wageninnern aus nicht wieder zurückgestellt werden und bezeichnet so die Abteilung, von der aus das Signal gegeben wurde, während der betreffende Wagen durch eine vorstehende Scheibe kenntlich gemacht wird.

Die beim Herunterziehen der Notbremsgriffe aus dem Notbremsventil ausströmende Luft wird oft zum Ertönen der Signalpfeife bei Wagen verwendet.

Selbstverständlich ist die Einrichtung getroffen, daß die Signalpfeifen nicht ertönen, wenn der Zug durch den Lokomotivführer gebremst wird.

Die vorbeschriebene Signaleinrichtung ist bei den Bahnen, die die Westinghouse-Luftdruckbremse benützen, mit geringen Abweichungen fast allgemein eingeführt.

Die Hebel, Handgriffe u.s.w. in den Wagenabteilungen sind in entsprechender Weise[274] gegen mutwillige Umstellung (z.B. durch Plombenschnüre) versichert. (Anordnung der Notbremseinrichtung siehe Artikel Bremsen, Band II, Tafel II, Abb. 5.).

Auf andere mit Luftdruckbremsen verbundene I. wird hier nicht weiter eingegangen, da ihre Wirkungsweise keine besonderen Abweichungen zeigt.


B. Luftsaugbremsen-Notsignale.


Bei diesen I. befinden sich in den Wagenabteilen Handgriffe oder Hebel, mittels welcher an dem Wagen angebrachte Ventile oder Hähne geöffnet werden können. Geschieht dies, so tritt von außen Luft in die Bremsleitung und das Anziehen der Bremse erfolgt (s. Art. Bremsen, Band II, Tafel III, Abb. 2).

Außerdem sind noch verschiedene Einrichtungen ausgeführt, durch die entweder der Wagen bezeichnet wird, von dem aus das Signal gegeben wurde, oder die den Lokomotivführer in unzweifelhafter Weise auf das Geben des Signals aufmerksam machen.


Was den letzteren Zweck betrifft, so besteht z.B. bei einigen Bahnen die Einrichtung, daß durch das Ziehen an dem Handgriff Signalscheiben aufgedreht werden, die an der Stirnseite des Wagens angebracht sind.

Rücksichtlich des letzteren Zweckes wurde z.B. bei der Grjasi-Zarizyn-Eisenbahn die Einrichtung getroffen, daß der durch das Geben des Notsignals veranlaßte Luftzutritt in die Bremsleitung die Bewegung des Diaphragmas eines kleinen auf der Lokomotive befindlichen Vakuumzylinders bewirkt. Durch das Diaphragma wird ein Hebelwerk in Bewegung gesetzt, das die Signalpfeife der Lokomotive zum Ertönen bringt.


III. Vorschriften über Interkommunikationssignale.


In betreff der Notsignale, bzw. der Notbremsen sind in den TV. über den Bau und die Betriebseinrichtungen der Haupt- und Nebenbahnen vom Jahre 1908, § 132, die nachfolgenden Bestimmungen enthalten:


1. Personen-, Post- und Gepäckwagen mit durchgehender selbsttätiger Bremse sind mit Einrichtungen zu versehen, die den Gebrauch dieser Bremse oder der Notsignale vom Wageninnern aus ermöglichen.

2. Die Griffe oder Taster für den Gebrauch der durchgehenden Bremsen und der Notsignale sind in den Wagen an gut sichtbaren und Leicht zugänglichen Stellen anzubringen.

3. Es wird empfohlen, in allen Wagenabteilungen, Aborte und Waschräume ausgenommen, und bei Wagen mit geschlossenen Seitengängen auch in allen Abteilungen der Seitengänge einen Griff oder Taster anzubringen. Für einen durch Zwischenwände nicht abgeteilten Raum genügt ohne Rücksicht auf seine Größe ein Griff oder Taster.

4. Dicht bei jedem Griff oder Taster ist in auffälliger Weise die Anschrift »Notbremse« oder »Notsignal«, außerdem an leicht sichtbarer Stelle in jeder Wagenabteilung eine kurze Gebrauchsanweisung anzubringen.

5. Werden Personen-, Post- oder Gepäckwagen mit mehreren durchgehenden selbsttätigen Bremsen verschiedener Bauart neu ausgerüstet, so sind die Züge für die Notbremsen und Notsignale so anzuordnen, daß mit denselben Griffen oder Tastern jede Notbremse oder jedes Notsignal ausgelöst werden kann:


Die Bedingungen für den ausnahmsweise (d.h. nicht im regelmäßigen Kurs) stattfindenden Übergang einzelner Wagen in Schnell-, Eil- und Personenzüge von einer Bahn zur anderen im internationalen Verkehr (Lübecker Bedingungen, gültig vom 1. August 1907 an) enthalten die Vorschriften für die entsprechende Ausrüstung der Kurswagen.

Literatur: Zetzsch, Handbuch der elektrischen Telegraphie, IV. Bd., 4. Abteilung, Berlin 1881; Compte rendu du congrès international des chemins de fer, Quest. VI, Brüssel 1886; Ausstellungsbericht der französischen Westbahn. Paris 1889, S. 30. – Kohlfürst, Die Fortentwicklung der elektrischen Eisenbahneinrichtungen, Wien 1891. – Humbert, Traité complet des chemins de fer, Tom. II. Paris 1891. – Vicaire, Cours de chemins de fer, Paris 1903. – Organ, 1884 S. 32, 1886 S. 38, 1887 S. 24, 36, 125, 170, 1889 S. 172, 1890 S. 35; Revue générale des chemins de fer, 1881, II, S. 223, 527, 1886, I, S. 304, II, S. 102, 1889, II, S. 298, 389, 1891. S. 179.

Rybák.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 6. Berlin, Wien 1914, S. 273-275.
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