Lötschbergtunnel

[122] Lötschbergtunnel. Im Zuge der Berner Alpenbahn (Bern-Thun-Spiez-Lötschberg-Brig) zwischen den Stationen Kandersteg (Nord) und Goppenstein (Süd) gelegen, ist 2gleisig, 14.536 m und samt beiderseitiger Verlängerung[122] um 70 m zusammen 14.605 m lang. Die Höhen-, Neigungs- und Richtungsverhältnisse sind aus Abb. 172 a und b zu ersehen.

Der Tunnel sollte anfänglich in gerader Richtung mit 13.735 m Länge (genaue Messung 13.744 m) ausgeführt werden.

Bei Eintritt des durchschnittlich 6∙0 m2 großen und später bis auf 10 m2 erweiterten Richtstollens in die Auffüllung des Gasterntales 2675 m vom Nordmunde (Kandersteg) und 173 m unter Talsohle (s. Abb. 173) ereignete sich am 24. Juli 1908 ein Wasser- und Sandeinbruch. Hierbei wurde der Stollen auf etwa 1500 m Länge und in so kurzer Zeit mit Sand und Kies vollgefüllt, daß 25 Arbeiter nicht mehr Zeit fanden, sich zu retten, und den Tod fanden. Aus diesem Einbruch und einigen im Gasterntale ausgeführten Probebohrungen ergab sich, daß die Fortsetzung des Tunnelbaues in gerader Richtung unter dem Gasterntale auf etwa 350 m Länge jedenfalls auf beträchtliche Schwierigkeiten stoßen werde und die gewöhnlichen Bauweisen von Gebirgstunneln nicht mehr ausreichen dürften, daher außergewöhnliche Verfahren wie Schildvortrieb mit Preßluft, Gefrier- oder Versteinerungsverfahren zur Anwendung kommen müßten. Da die Möglichkeit vorlag, daß die Wasserdruckhöhe über dem Tunnel wenn auch nicht das volle Maß von 173 m erreichen, so doch die für Preßluftvorgang noch zulässige Grenze von etwa 30 m (3 Atm. Überdruck) überschreiten dürfte und deshalb das sehr kostspielige und langwierige Gefrier- oder Versteinerungsverfahren mindestens teilweise zur Anwendung kommen müßte, worüber wohl im Schachtbaue aber nur in unzureichendem Maße im Tunnelbaue Erfahrungen vorlagen, so entschloß man sich, die vorgesehene gerade Linie zu verlassen und den Tunnel in der aus Abb. 172 a u. b ersichtlichen Weise so zu führen, daß er nicht mehr die Sand- und Kiesauffüllung des Gasterntales, sondern festes Gebirge zu durchfahren hat. Infolgedessen mußte der Tunnel um 801 m verlängert und ein Teil des auf der Nordseite bereits hergestellten Richtstollens mit 1340 m Länge aufgegeben werden. Diese Abänderungen von dem ursprünglichen Entwürfe bedingten Zeitverluste, daher Verlängerung der vorgesehenen Bauzeit.

In der Richtung von Nord nach Süd hatte der Tunnel zu durchfahren: auf 4 km sedimentäre Ablagerungen der Berriaskreide und des Jura auf 6∙6 km Gastern-Granit und auf den Rest der Länge kristallinische Schiefer. Der Wasserabfluß wurde am Nordmunde im April 1911[123] mit 226 Sek/l, im Juli 1911 mit 566 Sek/l, am Südmunde im April 1911 mit 116 Sek/l, im Juli 1911 mit 140 Sek/l ermittelt. Die größte Gesteinstemperatur im Richtstollen im Abstände von 5800 m vom Südmunde betrug 35° C, die größte Tunnelüberlagerung 1560 m, etwa 6300 m vom Südmunde entfernt.

Die Arbeiten im Sohlstollen wurden Ende Oktober 1906 mit Handarbeit begonnen und von Ende März 1907 ab mit Preßluftstoßbohrmaschinen (Bauarten R. Meyer und Ingersoll) fortgesetzt; es waren 3–5 Maschinen gleichzeitig tätig und hierbei durchschnittlich folgende größte Tagesfortschritte erzielt:

Im Hochgebirgskalk der Nordseite 10∙7 m, im kristallinischen Schiefer der Südseite 5 m, im Gastern-Granit 6∙4 m und 9 m.

Der Durchschlag des Sohlstollens erfolgte am 31. März 1911, 7353 m vom Nordmunde entfernt, wobei die Abweichungen betrugen: in der Richtung 26 cm, in der Höhe 10 cm, und in der Länge 41 cm.

Die Stollenbauzeit betrug 53 Monate, wovon 7 Monate für die Arbeiten auf der Nordseite infolge Stillstandes der Arbeiten bis zur Entscheidung über die Linienverlegung verloren gingen.

In dieser Zeit wurden 14.536 m mehr 1340 m, die infolge der Linienverlegung aufgegeben werden mußten, also im ganzen 15.876 m Richtstollen hergestellt.

Die dem Richtstollen folgenden Firststollen oder Firstschlitz sowie Vollausbruch wurden von Hand und mittels Druckluftbohrhämmer (Flottmann, Meyer, Ingersoll) ausgebrochen. Wo Zimmerung nötig war, kam die Längsträgerzimmerung mit Mittelschwelle zur Anwendung. Die Lichtfläche des Tunnels hat 40∙73 m2. Der Gesamtausbruch bewegt sich von 52∙6–68 m2. Die Mauerung wurde mit den Widerlagern begonnen und mit dem Firstgewölbe geschlossen.

Die leichteste Ausmauerung mit 0∙4 m Gewölbestärke kam auf 13.409 m Länge, die stärkste mit 0∙8 m Gewölbestärke nur auf 23 m Länge, Sohlgewölbe auf 426 m Länge zur Ausführung.

Die Mauerungsarbeiten wurden Ende April, der gesamte Unterbau Ende September 1912 vollendet, so daß die eigentliche Tunnelbauzeit fast 6 Jahre betrug. Die Förderung erfolgte auf Gleisen mit 0∙75 m Spurweite im Tunnel mit Preßluftlokomotiven, wovon 10 Stück vorhanden waren, und außerhalb mit Dampflokomotiven.

Auf dem Installationsplatze der Nordseite (Kandersteg) wurden 2 Niederdruck- und 2 Hochdruckkompressoren, 2 Zentrifugalventilatoren und die erforderlichen Werkzeugmaschinen durch den vom Kraftwerk Spiez bezogenen Strom (Wechselstrom 15.000 Volt) betrieben. Der Kraftbedarf ist für den Höchstfall mit 2500 PS/Std. angegeben.

Auf der Südseite (Goppenstein) wurden ähnliche Maschinen wie auf der Nordseite durch den vom oberen Lonzawerk gelieferten Strom (Wechselstrom 15.000 Volt) betrieben; der größte Kraftbedarf betrug auch hier 2 00 PS/Std.

Die Bauarbeiten des mit 13.735 m Länge vorgesehenen geraden Tunnels, der ursprünglich eingleisig beabsichtigt war, dann aber zweigleisig ausgeführt wurde, sind einschließlich der Installationen der »Entreprise générale des travaux du chemin de fer des Alpes bernoises« zu dem Pauschalbetrage von 50 Mill. Fr. übertragen worden.

Ob und welche Entschädigung der Unternehmung für die durch die Linienverlegung und Verlängerung des Tunnels um 801 m erwachsenen Mehrkosten zugebilligt werden wird, steht noch nicht fest.

Der Eisenbahnbetrieb wurde am 28. Juni 1913 eröffnet und erfolgte wie auf den Zufahrtsrampen (s. Berner Alpenbahn) elektrisch; die Fahrt auf der 17 km langen Strecke Kandersteg (Nord)-Goppenstein(Süd) dauert 18–51 Min. und kostet in der I. Kl. 3∙40 Fr., in der II. Kl. 2∙40 Fr. und in der III. Kl. 1∙70 Fr. Die Preise sind also doppelt so hoch wie die des Normaltarifes der Schweizerischen Bundesbahnen, wodurch den Mehrkosten dieser Strecke infolge des kostspieligen Tunnelbaues entsprechend Rechnung getragen wird.

Literatur: Quartalberichte über den Stand der Arbeiten der Berner Alpenbahn Nr. 1 bis 25. Herausgegeben von der Berner Alpenbahngesellschaft. 1907–1913. – Dr. A. Zollinger, Die Berner Alpenbahn. Schwz. Bauztg. 1910. – Dautin, Berner Alpenbahn und der Lötschbergtunnel. Gén. civ. 1911. – F. Baeschlin, Die Absteckung des Lötschbergtunnels. Schwz. Bauztg. 1911. – A. Mauguin, Les voies d'Accès au Simplon. Rev. gén. d. chem. 1911. – Imhof. Der Durchschlag des Lötschbergtunnels. Ztschr. d. Österr. Ing.-V. 1911.

Dolezalek.

Abb. 172 a und b. Höhen-, Neigungs- und Richtungsverhältnisse zum Lötschbergtunnel.
Abb. 172 a und b. Höhen-, Neigungs- und Richtungsverhältnisse zum Lötschbergtunnel.
Abb. 173.
Abb. 173.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 122-124.
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