Leichte Züge

[84] Leichte Züge, auch Leichtzüge oder Tramwayzüge genannt, dienen dem Orts- und Vorortsverkehr kleinerer Verkehrsmittelpunkte, zuweilen werden sie auch auf Nebenbahnen angewendet, deren Güterverkehr so stark angewachsen ist, daß er vom Personenverkehr getrennt werden mußte. Ursprünglich wurden für derartige Verkehrszwecke von manchen Verwaltungen Triebfahrzeuge eingestellt. Diese bewährten sich jedoch wenig, da sie bei stärkerem Verkehr an Fest- und Markttagen sowie werktags am Morgen und Abend für Arbeiter- und Schülerbeförderung wegen geringer Leistung ihrer Antriebmaschinen die nötigen Beiwagen nicht mitnehmen konnten. Bei solchem ausnahmsweise stärkeren Verkehr ging auch der dem Triebwagen sonst eigentümliche Vorzug verloren, von einer Endstation ohne Umfahrungsgleis zurückkehren zu können. Überdies erwies es sich als ganz unmöglich, in besonders stark benutzten Zügen zwei Triebwagen zu kuppeln und überdies noch Beiwagen mitzugeben, da hierdurch ein unverhältnismäßig hoher Aufwand an Zugmannschaft entstanden wäre. Mit Ausnahme von Nordamerika, wo die Reisenden sich sträuben, in solchen Nebenbetrieben mit einem etwas geringeren Ausmaß an Bequemlichkeit vorlieb zu nehmen, wurde daher vielfach versuchsweise auf L. übergegangen. Man setzte sie aus leichten straßenbahnähnlichen Personenwagen, die mitunter schon als Beiwagen für Triebwagen beschafft worden waren, zusammen und spannte eigens beschaffte leichte Lokomotiven vor. Ein solcher Zug ergab auf den Sitz- bzw. Sitz- und Stehplatz gerechnet,[84] die Lokomotive einbegriffen, kein größeres Gesamtgewicht als ein Triebwagen mit Beiwagen, bei weitaus geringeren Instandhaltungskosten und Stehzeiten. Der Vorteil der Triebwagen, ohne Umfahrungsgleis die Fahrtrichtung zu wechseln, mußte hierbei aufgegeben werden, dagegen gewann man Zugeinheiten, die sowohl bei sehr schwachem Verkehr in großen Zugpausen als Zwischenzüge als auch bei stärkstem Verkehr auf Nebenlinien dienst- und ertragsfähig blieben, weil man zwei Leichtzuglokomotiven an einen Zug spannen konnte und es, wenn man die Kupplung der Züge nicht übermäßig schwach bemessen hatte, möglich war, ziemlich lange L. für Ausnahmsfälle zusammenzustellen, denen man über örtliche Steigungen sogar Vollbahnlokomotiven als Hilfe beigeben konnte. Allmählich erkannte man, u.zw. zuerst in Österreich, daß bei solchen Zügen nicht bloß die Ersparnis an Verbrauchstoffen nötig sei, um sie lebensfähig zu machen, sondern auch mit Lokomotiv- und Zugmannschaft äußerst gespart werden müsse. Die ersten Versuche, die hierfür nicht besonders eingerichteten, häufig mit Gepäckabteilen zusammengebauten Lokomotiven einmännig zu bedienen, schlugen fehl und führten in vielen Staaten zu behördlichen Verboten der einmännigen Bedienung. Später wurden dann Leichtlokomotiven eigens für einmännige Bedienung gebaut und die Züge mit Mittelgang bis auf die Lokomotive versehen, so daß der Zugbeamte, der für den Notdienst auf der Lokomotive eingeschult wurde, während der Fahrt auf die Lokomotive gelangen und sie wenigstens stillsetzen konnte. Derartige Leichtzüge bewährten sich überall dort, wo man die Schreibarbeit der Zugbeamten auf ein Mindestmaß verringerte und auch für Leichtzüge einen besonderen sehr einfachen, mit wenig Fahrscheingattungen oder gar nur mit einer Gattung bedienbaren Personen-, Hunde-Gepäck- und Kleinviehtarif einführte.


Die ersten Leichtzüge wurden im Jahre 1879 von Krauß & Co., München, auf der Strecke Berlin-Grünau eingeführt. Sie bestanden aus Lokomotiven, Bauart B, und stockhohen verhältnismäßig sehr leichten Wagen (11 t Eigengewicht bei 80 Sitz- und 20–30 Stehplätzen). Bald folgten ganz gleiche L. derselben Bauanstalt für die Strecken Pöchlarn(Oberösterreich)-Gaming und Linz a. d. D. – Bad Hall. Im selben Jahre baute Elbel (österr. Nordwestbahn) seine erste Leichtlokomotive, Bauart A1, und L. A. Gölsdorf, Wien, seine erste Leichtlokomotive, Bauart B1, in Verbindung mit Gepäckabteilen, v. Borries, Hannover, und die schwedischen Staatsbahnen folgten 1880 mit A1-Bauarten, die Maschinenfabrik Hohenzollern, Düsseldorf, mit einer Blindachs-B-Lokomotive, später auch die London-Südwestbahn mit C-Lokomotiven. Allen diesen Leichtlokomotiven, mit Ausnahme der Kraußschen, blieb ein wirklicher Erfolg versagt, weil für sie weder passende Personenwagen gebaut worden waren, noch die unbedingt nötigen bereits erwähnten Verwaltungsmaßnahmen getroffen wurden. Im Jahre 1885 begann Belpaire (belgische Staatsbahnen) den Bau von Leichtlokomotiven, die wie obige mit dem Gepäck- und Postabteil zusammengebaut waren und für L. auf den im belgischen Eisenbahnnetze häufigen Gleisdreiecken bestimmt waren. Der Erfolg blieb aus, da gerade für diesen Dienst, der fortwährendes Ändern der Fahrtrichtung erfordert, das Gepäckabteil hinderlich erschien, das bei Rückwärtsfahrt den freien Ausblick hemmte. Überdies hatten diese Bauarten fehlerhaft hergestellte Kessel. Ebenfalls zu geringem Erfolg brachte es eine Bauart Leichtlokomotiven mit Postraum der adriatischen (später italienischen Staats-) Bahnen, die auf längeren Verbindungsstrecken derzeit noch im Betriebe steht. Die französische Nordbahn stellte in den Neunzigerjahren L. in Betrieb, die aus alten Schnellzuglokomotiven, Bauart 2A (Crampton), oder leichteren Güterzug- oder Personenzuglokomotiven, Bauart C bzw. 1B, umgestaltet in Tenderlokomotiven, und alten Personenwagen bestanden. Die Erfolge dieser L. waren gut, wozu aber viel beitrug, daß die Fahrzeuge nur mit dem Altstoffwert in der Rechnung erschienen. In England, wo seit den Neunzigerjahren Triebwagen in Dienst gestellt sind, die im wesentlichen aus einer Kleinlokomotive bestehen, auf der der Wagenkasten einerseits gelenkig aufruht, ging man bei der großen Zentralbann, der Nordostbahn und der Dublin-Südostbahn einen Schritt weiter, indem man das Triebgestell des Selbstfahrers vom Wagen vollständig trennte, wodurch L. im eigentlichen Sinne entstanden. Die Mittelland- und Taff Vale-Bahnen begannen (andere folgten) später solche L. derart zusammenzustellen, daß vor und hinter die Leichtlokomotive je ein großer Wagen gestellt wurde. Hierdurch entstanden L., die wie Triebwagen ohne Drehscheibe und ohne Umfahrungsgleis die Fahrtrichtung wechseln konnten. Seit 1912 werden in England keine solchen L. mehr erzeugt, sondern je zwei alte große Personenwagen und je eine alte Tenderlokomotive wie obige L. zusammengesetzt, wobei gute Ergebnisse errechnet werden, weil wieder wie bei der französischen Nordbahn nur Altstoffwerte in Rechnung gezogen sind, aber auch weil solche L. bei Andrang, ohne Vorspannlokomotiven beizugeben, den Fassungsraum um 400–600% erhöhen können. In anderer Weise entwickelten sich L. vom Jahre 1902 an in Österreich und Bayern. Hier legte man das Hauptgewicht auf Mannschaftsersparnis und baute zuerst auf den österr. Staatsbannen 4 Lokomotiven mit selbsttätiger Erdölfeuerung (Bauart Dr.-Ing. K. Gölsdorf), welchen 4 Lokomotiven (österr. Staatsbahnen und Zillertalbahn) mit halbselbsttätiger Kohlenfeuerung (Bauart Zeh und v. Littrow) folgten. Im Jahre 1903 stellten dann die bayerischen Staatsbahnen verbesserte derartige Kohlenfeuerungen zuerst auf einer Blindachslokomotive, Bauart B, Reihe P I/T 2/2, her, der verschiedene stärkere Lokomotiven folgten. Für stärkere Lokalverkehre verließ die bayerische Verwaltung sodann wieder die einmännige Bedienung. Über die ältesten Ausführungen von L. siehe: S. A. Sekon, Evolution of the steam locomotive, und C. Guillery, Handbuch über Triebwagen für Eisenbahnen.

v. Littrow.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 84-85.
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