Mittelasiatische Bahnen

[296] Mittelasiatische Bahnen (Transkaspi-Bahn) (Sredne-Asiatskaja-sheljesnaja doroga) (vgl. Karte der russischen Eisenbahnen).

Geschichte. Am 28. August 1879 erlitten die Russen im Kampf mit den Teke-Turkmenen eine schwere Niederlage, nach der wegen Mangel an Verkehrswegen ein Nachschub frischer Truppen nicht möglich war. Dies war der Anlaß, daß der General Skobelew, der nunmehr den Befehl übernahm, die Bedingung stellte, daß sogleich vom Kaspischen Meer aus eine Eisenbahn ins Land geführt werde, um den Nachschub von Truppen, Munition und Verpflegung sicherzustellen. Am 9. Juni 1880 erfolgte der kaiserliche Befehl, die Bahn mit dem Ausgangspunkt Michailowsk am Kaspischen Meer sogleich in Angriff zu nehmen. Am 4. September 1880 war die erste Teilstrecke, 117 Werst (= 124∙8 km) bis Achtscha-Kuima, betriebsfähig hergestellt. Ein Jahr später war, nachdem im Januar 1881 die Macht der Teke-Turkmenen bei Geok Tepe gebrochen war, Kisil-Arwat, 217 Werst (= 232 km), erreicht. Der weitere Ausbau nahm zunächst einen ruhigeren Verlauf. 1885 beginnt der zweite Bauabschnitt. Es drohte ein Krieg mit England. Der Weiterbau wurde daher rüstig gefördert. Im November 1885 wurde Aschabad, im Februar 1886 Kaachka, im Juli Merw, im November Tschardshui am Amu-Darja, 1070 Werst (= 1142 km), erreicht. Während hier im Innern Transkaspiens der Bau vom Militärfiskus mit allen Kräften gefördert wurde, erwies sich die Verlegung des als Ausgangspunkt der Bahn am Kaspischen Meer gewählten Hafens von Michailowsk als unabweisbar notwendig. Der Hafen war so flach, daß die größeren Dampfschiffe nicht anlegen konnten. Schnell entschlossen wurde, als angeblich allen Anforderungen voll entsprechend, der Hafen von Usun-Ada gewählt. Dieser Hafen liegt auf der gleichnamigen Insel und diese ist wiederum mit dem Festland durch eine 2 Werst lange Sandbank verbunden. Im Dezember 1886 konnte der neue Hafen und Ausgangspunkt der Transkaspi-Bahn, der den Verkehrsbedürfnissen anscheinend durchaus entsprach, dem Verkehr übergeben werden. Schon im Juli 1887 wurde mit dem Weiterbau vorgegangen. Der Amu-Darja wurde mit einer hölzernen Brücke überschritten. Inzwischen ging der Weiterbau auf dem rechten Ufer des Flusses fort, so daß am 22. Februar 1888 Kagan, 1182 Werst (= 1261 km), und das 12 Werst (= 12∙7 km) seitlich gelegene Buchara, auf einer Stichbahn, erreicht waren. Endlich wurde am 15. Mai 1888 Samarkand, 1416 Werst (= 1511 km), und damit der zunächst in Aussicht genommene Endpunkt der Transkaspi-Bahn erreicht.

Bau und Betrieb steht noch unter der Leitung des Kriegsministeriums, was seine Erklärung in der Entstehungsgeschichte der Transkaspi-Bahn hatte. Für den Weiterbau nach Kokand und Taschkent kamen nicht mehr in erster Reihe militärische Erwägungen in Betracht, vielmehr galt er der wirtschaftlichen Erschließung des reichen Landes. Gleichwohl ist auch der Weiterbau auf Befehl des Zaren vom 5. Juni 1895 dem Kriegsministerium übertragen. Die neuen Linien von Samarkand über Tschernjäjewo, Chodshent, Kokand nach Andishan 496 Werst (= 529 km), und anderseits von Samarkand über Tschernjäjewo bis Taschkent 143 Werst (= 152 km), die die Hauptstrecken der Trahskaspi-Bahn bilden, wurden am 1. März 1898 dem Betrieb übergeben. Am 13. Januar 1899 erfolgte dann der Befehl des Zaren, daß die in Transkaspien bisher erbauten Bahnen unter dem Namen[296] »Mittelasiatische Eisenbahnen« zusammengefaßt und dem Ministerium der Verkehrsanstalten unterstellt würden.

Inzwischen war es notwendig geworden, den Ausgangspunkt der Bahn am Kaspischen Meer abermals zu verlegen. Der Häfen von Usun-Ada hatte nur eine durchschnittliche Tiefe von 10 Fuß. Es wurde daher Usun-Ada aufgegeben und der Hafen von Krasnowodsk, der eine Wassertiefe von durchschnittlich 25 Fuß hat, gewählt. 1896 war der Häfen, mit allen Einrichtungen für den Schiffsverkehr ausgerüstet, mit der Hauptbahn verbunden.

Nachdem durch einen Handstreich (1884) Kuschk an der afghanischen Grenze erobert worden war, wurde, zu dessen Sicherung, im März 1897 an den Bau der Verbindungslinie Merw-Kuschk gegangen und am 4./16. Dezember 1899 konnte der erste Zug die Strecke durchfahren. Die Zwingbahn ist 294 Werst (= 314 km) lang. Rußland hatte damit nicht nur den Stützpunkt Kuschk sehr erheblich gestärkt, sondern ist auch dem wichtigen Herat auf etwa 100 Werst (= 106∙7 km) nahegerückt.

Sogleich beim Bau der Strecke Merw-Samarkand ist die Hauptstadt Buchara durch eine Stichbahn von 12 Werst (= 12∙7 km) mit dieser bei der Station Kagan verbunden worden.

Endlich ist von der Station Gortschakowo zur Ortschaft Nowo-Margelan (die Eisenbahnstation hat den Namen Skobelewo erhalten) eine Stichbahn von 8 Werst (= 8∙5 km) erbaut Worden, um den wirtschaftlich nicht unbedeutenden Punkt in den Verkehr einzubeziehen.

Rußlands Hauptziel, das in erster Reihe erreicht werden sollte, war, seinen politischen und militärischen Einfluß in Transkaspien und in den angrenzenden Gebietsteilen Zentralasiens zu stärken. Zum großen Teil ist das durch den Bau der Bahn erreicht worden. Aber nur zum Teil, denn das Erreichen des Gebiets, namentlich mit größeren Truppenkörpern, ist durch das Kaspische Meer nicht nur sehr erschwert, sondern zuzeiten fast ausgeschlossen. Diese Erkenntnis führte dazu, auf dem linken Ufer der Wolga, abzweigend von der Station Kinel, Linie Ssysran-Tscheljäbinsk, über Orenburg-Kasalinsk eine Verbindung mit Taschkent herzustellen, die es nunmehr Rußland ermöglicht, jederzeit seine mittelasiatischen Besitzungen zu erreichen. Auch in wirtschaftlicher Beziehung ist diese Eisenbahnverbindung von sehr großer Bedeutung, denn sie ermöglicht es, die großen Mengen Baumwolle, die dort geerntet werden, billiger und schneller auf den russischen Markt zu schaffen. Dies erhöht die wirtschaftliche Bedeutung der M.

Dem gleichen Zweck dient auch die erste Privateisenbahn in Asien Von Kokand, Station der Samarkand-Kokand.-Andishan-Bahn, zunächst bis Namangan1. Es ist der erste Versuch,, das Land zu erschließen und mit Benützung der mittelasiatischen und der Orenburg-Taschkenter Bahn die Ernten des fruchtbaren Landes in den Welthandel zu bringen. Neben diesem ersten Versuch der Privatunternehmung sind mehrere weitere Unternehmungen in der Bildung begriffen, so daß die mittelasiatische Bahn den Anstoß zur Erschließung der fruchtbaren Gebiete Mittelasiens gegeben hat.

Finanzierung. Die Baukosten für einzelne Bauabschnitte können nicht angegeben werden, Weil die Bahn bis zum Jahre 1899 für Rechnung des Kriegsministeriums und aus dessen Mitteln erbaut und verwaltet worden ist. 1900 berichtet das Ministerium der Verkehrsanstalten, daß die übernommenen 2071 Werst (= 2210 km) einen Gesamtwert von 105∙9 Mill. Rubel oder für 1 Werst 51.380 Rubel darstellen. Dazu sind in der Zeit bis einschließlich 1910 für den Neubau Von 306 Werst (= 326 km), sowie für Ergänzung der vorhandenen Anlagen und des rollenden Materials 52∙6 Mill. Rubel hinzugekommen, so daß die gegenwärtig unter dem Namen: Mittelasiatische Bahnen zusammengefaßten Schienenwege zu Ende 1910 2377 Werst (= 2536 km) umfaßten und einen Wert von 158∙5 Mill. Rubel oder 66.695 Rubel für eine Werst buchmäßig hatten.

Die Seit 1900 erforderlichen 52∙6 Mill. Rubel sind aus Mitteln, die von der Volksvertretung bewilligt worden sind, gedeckt worden. Sie werden mit 4∙5%, die Schuld von 105∙9 Mill. Rubel mit 3∙52% verzinst.

Bau und Ausrüstung. Der Bau der beiden ersten Teilstrecken (bis Kisil-Arvat Und von hier bis zum Amu-Darja) hat sich annähernd unter gleichen Verhältnissen abgespielt. Beide Strecken sind unter wesentlicher militärischer Mitwirkung ausgeführt worden. Es stellten sich hier 3 schwere Behinderungen dem Bau entgegen, nämlich: das Fehlen von Wasser, der Wüstensand und die Menschenleere. Die letztere brachte es mit sich, daß Soldaten und Arbeiter aus dem europäischen Rußland herangezogen werden mußten. Zur Bekämpfung der Wassernot mußte Süßwasser in großen Bottichen den Baustellen und den Stationen zugeführt werden. Erst in den Teilen des Bahngebiets, die den Bergen näher waren, konnte mit Vorteil die von den Bewohnern des Landes geübte Methode, das Wasser in unterirdischen, meist in den Fels gesprengten, verdeckten Galerien aufzufangen[297] und in die Nähe der bewohnten Stellen zu leiten, Anwendung finden. Von Rohrleitungen soll verhältnismäßig selten Gebrauch gemacht worden sein, wegen der schwierigen Beförderung aus Rußland und der Beschädigung der Röhren. Das größte Hindernis bildeten aber auf den beiden ersten Baustrecken die Sandwüsten, die nur durch die Teke- und Merw-Oase unterbrochen werden. Der Sand hat hier eine Mächtigkeit bis 10 Faden (= 21∙33 m) und mehr, während der Grundwasserspiegel sehr schwankt und sich bis 13 Faden (= 27∙73 m) senkt. Es ist aber verhältnismäßig schnell geglückt, den Sand wenigstens soweit zu binden, daß er nicht mehr den Verkehr auf der Bahn in Gefahr brachte. Es geschah dies durch Anpflanzen von dort vorkommenden Pflanzen wie: Distel, Tamarinde, Saksaul (Amodendron hyloxylon). Außerdem wurde Lehm in großen Mengen verwendet, so daß der Erbauer der Transkaspi-Bahn – General Annenkow – die Behauptung aufstellte, daß der Sand seine Schrecken verloren habe, wenn die Eingeborenen das Wachstum der Anpflanzungen nicht gewaltsam störten. Auf dieser ersten Strecke wurden die Schienen etwa 6 Werst täglich vorgestreckt, weil hier keine erheblichen Kunstbauten notwendig waren. Die Brücke über den Amu-Darja war der erste große Kunstbau. Sie wurde zuerst aus Holz erbaut. 1893 brannte sie nieder und wurde dann aus Stein und Eisen (24 Wasserpfeiler, die Anlage ist 1600 m lang) wieder neu erbaut. Hier, wie überhaupt in Mittelasien, ist die russische Normalspurweite: 0∙714 Faden (= 1∙523 m) angewendet. Krümmungen und Steigungen sind besonders günstig vorgesehen.

Sobald der Amu-Darja erreicht ist, beginnt das Kulturland und damit ein anderes Hemmnis für den schnellen Fortschritt des Baues, die vielen Brücken und Durchlässe, die durch die Berieselungsanlagen notwendig wurden. Auf der Strecke Samarkand-Kokand-Andishan, 496 Werst (= 529 km) lang, waren z.B. 1802 derartige Bauten erforderlich. Die Baukosten betrugen 47.096 Rubel für eine Werst. Auf der Strecke Kokand-Taschkent ist über den Syr-Darja eine feste Brücke von 160 Faden (= 341 m) erbaut.

Für alle Bauten bestand noch das fernere Erschwernis, daß alles Baumaterial mit Ausnahme von Steinen, Ziegeln, Alabaster, Sand und Holz (Pappelholz) aus dem europäischen Rußland herangeschafft werden mußte.

Der Bahnkörper ist auf den Dämmen 5∙01 m und in den Einschnitten 4∙69 m breit. Auf 1 Werst sind 1400 Stück Holzschwellen verlegt. Das Gewicht des laufenden Fuß Stahlschiene nebst Befestigungsgegenständen wird mit 24 Pfund (russisch) angegeben. Von den gesamten, Ende 1910 im Betrieb befindlichen 2377 Werst (= 2536 km) liegen 877 Werst (= 935 km) oder 37% in der Horizontalen, 1164 Werst (= 1242 km) oder 48% in Steigungen bis 0∙005, 333 Werst (= 355 km) oder 15% in Steigungen bis 0∙010; der kleinste Krümmungshalbmesser beträgt 200 Faden (= 427 m). Es befinden sich an der Bahn 116 Stationen; Wärterhäuser nur in der Nähe der Städte, während an der Strecke (namentlich auf der ersten Teilstrecke bis Samarkand) auf etwa je 12 Werst (= 13 km) eine Arbeiterkaserne, die von 6–8 Mann besetzt ist, die bewaffnet sind, entfällt. Diese Anordnung war notwendig, weil weite Strecken, 200 und mehr Werst, zusammenhängendes Wüstengelände bilden, nicht bewohnt sind, und auch, wie der Erbauer der Bahn angibt, nie bewohnt werden können. Einzelne Wärter wären der Gefahr ausgesetzt gewesen, von den Turkmenen überfallen und getötet zu werden.

Im Personenverkehr wurden befördert:


Mittelasiatische Bahnen

Im Güterverkehr sind befördert:


Mittelasiatische Bahnen

[298] Literatur: Dr. O. Heyfelder, Transkaspien und seine Eisenbahnen, Hannover 1888. – F. Thiess, Rußlands Eisenbahnen in Mittelasien. Arch. f. Ebw., 1913. H. 6; Ztschr. d. VDEV.; Das Eisenbahnwesen (Sheljesno-doroshnaja djelo). Organ der VII. Abt. der kaiserlich russischen technischen Gesellschaft, St. Petersburg; Unsere Eisenbahnpolitik (Nascha sheljesno doroshnaja politika), St. Petersburg 1902. Ausgabe der Kanzlei des Ministerkomitees; Statistisches Sammelwerk des Ministeriums der Verkehrsanstalten, St. Petersburg; (Statistitscheski sbornik ministerstwa putei ssoobschtschenija.); Journal des Ministeriums der Verkehrsanstalten (Shurnal ministerstwa putei ssoobschtschenija).

Mertens.

1

Namangan-Andishan befindet sich bereits im Bau.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 7. Berlin, Wien 1915, S. 296-299.
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