[192] Reklamationsdienst (service des réclamations; ufficio dei reclamo), die gesamte Tätigkeit, die die Feststellung und Ordnung von Anständen aus der Güter-, Gepäck- und Personenbeförderung erfordert; derartige Anstände betreffen:
1. Abgänge und Überschüsse, Gewichtsmängel, Beschädigungen bei Güter- und Reisegepäck sowie die Überschreitung der Lieferfristen, Ablieferungshindernisse, das Fehlen von bahnamtlichen Begleitpapieren, von Zoll- oder polizeilichen Begleitpapieren u. dgl.);
2. Fehlen, Verschleppung oder Beschädigung von Lademitteln, Wageneinrichtungsgegenständen u. dgl.;
3. im Bahnbereich verlorene bzw. gefundene Gegenstände.
4. Außerdem umfaßt der R. die Behandlung der Ansprüche und Ansuchen wegen irrtümlicher Berechnung der Fracht- oder Fahrgelder sowie der Rückvergütung der letzteren aus Anlaß einer andern Unregelmäßigkeit (Verschleppung, Ausfallen einer Fahrt infolge von Betriebsstörungen, Krankheit u. dgl.);
5. wegen unrichtiger oder ungerechtfertigter Anrechnung von Nebengebühren (Lagergeld, Wagenstandgeld, Deckenmiete u. dgl.);
6. wegen Erstattung von Frachtzuschlägen bei Außerachtlassung der Sicherheitsvorschriften, dann zu niedriger Gewichtsangabe, Überlastung u.s.w.
Der R. wird in der Regel von einem besonderen Bureau der Zentralstelle (Mittelstelle) der Eisenbahnverwaltung geleitet. Diese Abteilung führt bei den österreichischen und ungarischen Eisenbahnen, bei den badischen und württembergischen Staatsbahnen, bei einigen preußischen Eisenbahndirektionen, bei den rumänischen Staatsbahnen, bei einzelnen französischen und russischen Bahnen u.s.w. den Titel »Reklamationsbureau« und gehört gewöhnlich zur Betriebs- (Verkehrs-) Abteilung oder zur kommerziellen Abteilung (letzteres bei der österreichischen Südbahn, bei den ungarischen Staatsbahnen, bei den französischen Bahnen). Bei Staatsbahnverwaltungen, bei denen für den äußeren Dienst Betriebsdirektionen, Betriebsleitungen, Oberbahnämter, Betriebsämter u. dgl. eingerichtet sind, pflegt ein Teil[192] des R. diesen Stellen zur selbständigen Erledigung übertragen zu werden. Ebenso sind bei einer Reihe von Eisenbahnen die Stationen befugt, Reklamationen bis zu einem gewissen Höchstbetrag zu erledigen.
Die mit der Leitung des R. betraute Dienststelle erhält von eigenen und fremden Stationen Mitteilungen über Abgänge, Überschüsse, Beschädigungen, Ablieferungshindernisse und andere Anstände; sie leitet alles Erforderliche zur Ordnung der Anstände ein, führt die nötigen Erhebungen, besorgt den Schriftwechsel und veranlaßt erforderlichenfalls den Verkauf oder die Vernichtung von überzähligen oder unanbringlichen Gepäckstücken und Gütern.
Dieselbe Dienststelle nimmt die schriftlichen oder mündlichen Reklamationsanmeldungen von Parteien entgegen, bescheidet letztere auf Grund der gepflogenen Erhebungen selbständig oder auf Grund vorausgegangenen Einvernehmens mit den beteiligten fremden Bahnverwaltungen über die Zuerkennung und Verteilung von gezahlten Entschädigungen; sie führt endlich Vormerke über Fundgegenstände, nimmt Verlustanzeigen entgegen, forscht auf Grund derselben nach und folgt den Verlustträgern die gefunderen Gegenstände aus.
Die Reklamationen wegen Rückerstattung von Fahrgeldern, Gepäck- und Güterfrachtsowie von Nebengebühren sind häufig nicht Sache der Reklamationsbureaus, sondern werden von anderen Bureaus (Verkehrsbureaus) behandelt.
Bei den preußischen Staatsbahnen gehört zur Zuständigkeit der Verkehrsämter die Entscheidung über Anträge, die gerichtet sind:
1. auf Rückerstattung von Fahrgeld und Gepäckfracht, die aus dem Verkehr mit deutschen Bahnen herrührt;
2. auf Entschädigungen aus dem Frachtvertrag über die Beförderung von Gepäck, Gütern, lebenden Tieren und Leichen, insbesondere wegen Verlustes und Beschädigung, oder wegen Verzögerung der Beförderung;
3. auf Erstattung von Nebengebühren und Konventionalstrafen aus dem Frachtgeschäft, in sämtlichen Fällen jedoch nur,
a) soweit die zu zahlenden Beträge lediglich auf preußische Staatseisenbahnen oder auf solche Eisenbahnen entfallen, die dem »Übereinkommen betreffend die Behandlung der Reklamationen aus dem Personen-, Gepäck- und Güterverkehr« beigetreten sind, und
b) soweit der reklamierte Gesamtbetrag die Summe von 300 M. nicht überschreitet.
Ist der Antrag auf Zahlung eines höheren Betrags als 300 M. gerichtet und auch nicht vergleichsweise durch Zahlung eines Betrags von höchstens 300 M. zu erledigen, so hat der Vorstand des Verkehrsamts die Untersuchung bis zur Spruchreife zu führen, sofern an der Erstattung nicht andere als dem »Übereinkommen betreffend die Behandlung der Reklamationen u.s.w.« angehörende Eisenbahnen beteiligt sind.
Wenn an der Erstattung ganz oder teilweise andere als die vorbezeichneten Eisenbahnen beteiligt sind oder wenn die Anträge gegen die Frachtberechnung aus der Beförderung von Gütern und lebenden Tieren gerichtet sind, so sind die Eingaben an die zuständige Eisenbahndirektion abzugeben.
Bei den bayerischen Staatsbahnen obliegt dem Reklamationsamt der Staatseisenbahnverwaltung in München die Erledigung von Entschädigungsansprüchen aus dem Frachtvertrag, der Ansprüche auf Erstattung von Nebengebühren, soweit die Erledigung dieser Ansprüche nicht den Stationen I. Klasse und den Güterstationen übertragen ist, ferner die Entscheidung über die Anträge auf Erstattung der Frachtzuschläge, die wegen Außerachtlassung der in der Anlage B zur Eisenbahnverkehrsordnung vorgesehenen Sicherheitsvorschriften, dann wegen zu niedriger Gewichtsangabe und wegen Überlastung erhoben worden sind, endlich die Erledigung von Beschwerden, die gegen Entscheidungen der Stationen I. Klasse und der Güterstationen in Reklamationsangelegenheiten erhoben werden.
Bei den sächsischen Staatsbahnen werden Reklamationen im Personen- und Gepäckverkehr ausschließlich von der Generaldirektion der sächsischen Staatseisenbahnen erledigt. Im Güterverkehr ist daneben das Verkehrsbureau innerhalb gewisser Grenzen zur selbständigen Erledigung ermächtigt. Diese Ermächtigung beschränkt sich bei Frachterstattungen auf Beträge bis 30 M., bei Entschädigungen auf solche bis 100 M.
Bei den württembergischen Staatsbahnen erledigt Reklamationen das Reklamationsbureau der Generaldirektion.
Bei den badischen Staatseisenbahnen sind zur Erledigung zugewiesen:
1. dem Verkehrsbureau der Generaldirektion die Erstattungs- und Entschädigungsansprüche aus dem Personen-, Gepäck-, Expreßgut-, Leichen-, Tier- und Güterverkehr sowie Ansprüche auf Erstattung von Frachtzuschlägen und Gebühren (Nebengebühren), soweit nicht nach Ziffer 2 und 3 die Bezirks- und Ortsstellen zuständig sind;
2. den Betriebsinspektionen und der Maschinen- und Dampfschiffahrtsinspektion in Konstanz (Bezirksstellen) Anträge, die gerichtet sind
a) auf Rückerstattung von Fahrgeld, Fahrpreiszuschlägen und Gepäckfracht;[193]
b) auf Entschädigung aus dem Frachtvertrag über die Beförderung von Reisegepäck, Expreßgut, Leichen, Tieren und Gütern, insbesondere wegen Verlustes, Minderung, Beschädigung, oder Überschreitung der Lieferfrist;
c) auf Erstattung von Nebengebühren aus dem Frachtgeschäft,
in allen Fällen jedoch nur so weit, als der zu zahlende Betrag auch wenn er aus verschiedenen Beförderungsverträgen herrührt die Gesamtsumme von 200 M. nicht überschreitet, in den Fällen a und c ferner nur, wenn der Betrag lediglich auf die badischen Staatsbahnen entfällt;
3. den Stationsämtern I und Güterämtern sowie dem Dampfschiffahrtsamt in Konstanz (Ortsstellen) die gleichen Geschäfte wie unter 2 bis zu einer Gesamtsumme von 50 M., sofern der Betrag lediglich auf die badischen Staatsbahnen entfällt.
Bei den österreichischen Staatsbahnen sind die Eisenbahnbetriebsdirektionen zur Erledigung sämtlicher aus dem Personen-, Gepäck- und Güterverkehr hervorgehenden Reklamationen und Entschädigungsansprüche ermächtigt, soweit die Austragung derselben nicht den Stationen übertragen ist. Letztere sind berechtigt, außergerichtliche Entschädigungsansprüche wegen Verlustes, Minderung oder Beschädigung von Reisegepäck und Gütern hinsichtlich des Lokalverkehrs der österreichischen Staatsbahnen bis zum Betrag von 50 K (Bahnbetriebsämter) bzw. von 10 K (Bahnstationsämter) zu erledigen.
Bei den österreichischen und ungarischen Privatbahnen erfolgt die Erledigung der Reklamationen in der Regel durch die Direktion.
Bei den ungarischen Staatsbahnen sind die Betriebsleitungen berechtigt, Reklamationen bis zum Betrag von 200 K zu entscheiden. Entschädigungen für Verlust und Beschädigung von 200400 K unterliegen der Entscheidung des Direktoriums, über 400 K jener des Ministeriums.
Bei der Betriebsgesellschaft der niederländischen Staatsbahnen fällt der R. in den Wirkungskreis einer Abteilung des kommerziellen Dienstes; Frachtrückvergütungen, soweit es sich um Rechnungsfehler oder unrichtige Anwendung der Tarife handelt, erfolgen durch die Zentralkontrolle der niederländischen Eisenbahnen. Entschädigungen, die innerhalb der Grenzen der reglementarischen Bestimmungen bleiben, werden seitens des Vorstands der betreffenden Bureaus namens des Vorstands der Abteilung bewilligt; zur Gewährung höherer Entschädigungen ist nur der Verkehrs- (Betriebs-) Chef oder der Generaldirektor zuständig.
Bei den schweizerischen Bundesbahnen ist zur Entscheidung von Fahrgeld- und Frachtreklamationen sowie von Entschädigungsansprüchen wegen Verlust, Minderung oder Beschädigung von Frachtgütern im ausländischen Verkehr die Generaldirektion, zur Entscheidung über solche Ansprüche aus dem schweizerischen Verkehr die Kreisdirektion, soweit diese Erledigung nicht Bahnhofvorständen oder anderen Dienststellen zugewiesen ist, zuständig.
Bei den französischen Staatsbahnen entscheiden größere Stationen Reklamationen bis zu 100 Fr., die anderen bis zu 20 Fr. Reklamationsfälle bis zu 200 Fr. werden von den Inspecteurs principaux, bis 500 Fr. vom Betriebschef, höhere vom Direktor entschieden. Ähnlich ist die Einteilung bei anderen französischen Bahnen.
Bei den russischen Eisenbahnen obliegt die Austragung der Reklamationen wegen Mehrfrachten, Verschleppungen und Lieferfristüberschreitungen der Abteilung für den Einnahmendienst, die Erledigung aller übrigen Reklamationen jener für den kommerziellen Dienst oder einem besonderen Reklamationsbureau.
In Deutschland, Österreich und Ungarn, den Niederlanden, Frankreich u.s.w. bestehen zwischen den Eisenbahnen besondere Übereinkommen über die Erledigung von Reklamationen und Verteilung der Entschädigung im direkten Verkehr.
In Deutschland gelten auch für den inneren Verkehr der Eisenbahnen die Bestimmungen, die im VDEV. durch das Übereinkommen zur VO. (BR.) für den zwischenstaatlichen Verkehr der Vereinsbahnen festgestellt sind.
Im österreichisch-ungarischen Verkehr werden Entschädigungsansprüche von der Versand- oder Empfangsbahn bis zur Höhe von 1000 K selbständig, darüber hinaus im Einvernehmen mit den übrigen Verwaltungen geregelt.
Entschädigungen aller Art bis einschließlich 10 K werden im allgemeinen von der regelnden Verwaltung getragen.
Entschädigungen für Überschreitung der Lieferfrist über 10 bis 100 K, dann andere Entschädigungen über 10 bis 500 K werden nach Verhältnis der Kilometerzahl, Entschädigungen für Überschreitung der Lieferfrist über 100 K nach Verhältnis der Versäumnis getragen.
Bei den niederländischen Bahnen werden nach dem Übereinkommen vom 15. August 1877 Entschädigungen aus dem inländischen Güterverkehr infolge von Verlusten, Beschädigungen oder anderen Unregelmäßigkeiten von den beteiligten Bahnen gemeinschaftlich nach Verhältnis der durchfahrenen Kilometer getragen.[194] Beträge bis zu 1 fl. 80 kr. werden von der regelnden Verwaltung allein übernommen. Entschädigungen von 1 fl. 80 kr. bis zu 360 fl. werden von der regelnden Verwaltung selbständig erledigt. Bei höheren Beträgen müssen die anderen an der Beförderung beteiligten Verwaltungen zustimmen.
Für Frachtrückvergütungen, soweit es sich nicht um Rechnungsfehler oder unrichtige Anwendung der Tarife handelt, ist immer die Zustimmung der beteiligten Verwaltungen nötig.
Der R. der französischen Bahnen ist durch besondere Vereinbarung der großen Gesellschaften, einschließlich der Ceinture, geregelt (Règles à suivre pour la transmission des marchandises et le règlement des réclamations).
In Großbritannien (s. Reitzenstein, Über einige Verwaltungseinrichtungen auf den Eisenbahnen Englands, Berlin 1876) ist das eigentliche Reklamationswesen, d.h. die Untersuchung und Entscheidung der Entschädigungsansprüche aus dem Frachtverkehr, nicht zentralisiert. Die Schiedsrichterkomitees des Clearing House behandeln nur das Verhältnis unter den Eisenbahnen selbst, während die Untersuchung der Sache und Erledigung dem Reklamanten gegenüber auch im Durchgangsverkehr seitens der einzelnen Verwaltungen erfolgt, u.zw. nur seitens der Endbahnen. Was die Beitragspflicht der einzelnen Bahnverwaltungen anbelangt, so ist zunächst jene Bahn haftbar, in deren Gewahrsam sich das Gut befand, als der Verlust oder die Beschädigung vorkam; in allen Fällen, in welchen die Frage der Verbindlichkeit zweifelhaft ist, wird der Ersatz von der Strecke zwischen der Lade- oder Umladestation bis zur Entdeckungsstation getragen; mangels anderer Vereinbarung oder Entscheidung des Schiedsrichterkomitees im einzelnen Fall nach Verhältnis der Streckenfracht.
Die Empfangsbahn kann über Reklamationen bis zu 40 M. allein entscheiden. Bei Beträgen über 40 M. ist stets das Einverständnis beider Endbahnen notwendig. Meinungsverschiedenheiten werden durch Schiedsrichterkomitees entschieden.
Streitigkeiten über die Beitragspflicht unter den einzelnen Eisenbahnen kommen selten vor und die Zahl der in die Schiedsrichterkomitees gelangenden Fälle ist sehr gering.
Für den internationalen Verkehr der den einheitlichen Zusatzbestimmungen beigetretenen Verwaltungen ist die Verteilung der Entschädigungen durch ein besonderes Übereinkommen geregelt.
Demnach erfolgt die Entscheidung über Entschädigungsansprüche selbständig durch die Versand- oder Empfangsverwaltung, je nachdem der Anspruch bei dieser oder jener erhoben ist. Die regelnde Verwaltung verteilt Entschädigungsbeträge von mehr als 10 M. (12 K, 6 fl. niederländischer Währung, Fr. 12∙50) nach Befriedigung des Fordernden auf die beteiligte Verwaltung nach Verhältnis der Kilometerzahl. Überschüsse von nicht mehr als 1 M. (K 1∙20 u.s.w.) werden nicht erstattet, sondern von der regelnden Verwaltung auf eigene Rechnung übernommen.
Ganz gleichartige Bestimmungen gelten auch im VDEV. mit der Maßgabe, daß bei Entschädigungsansprüchen im Betrag von mehr als 1000 M. das Einvernehmen mit den anderen beteiligten Verwaltungen zu pflegen ist.
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