Tunis

[380] Tunis. Seit 1881 steht der Bei von T., dessen Gebiet 99.600 km2 mit (1911) etwa 1∙78 Mill. Einwohnern umfaßt, unter französischer Oberhoheit; als eingeborenem Herrscher stehen ihm jedoch Eisenbahnhoheitsrechte zu, wodurch sich ein wesentlicher Unterschied für das Eisenbahnwesen zwischen T. und Algier (s.d.) ergibt.

Für die Entwicklung des Bahnnetzes, die etwa 20 Jahre später als in Algier beginnt, war es von Vorteil, daß Bau und Betrieb von Anfang an im wesentlichen in einer Hand, bei der Bône-Guelma-Gesellschaft lagen; daher wurde die Mannigfaltigkeit von Spurweiten, an der die algerischen Bahnen leiden, vermieden. Neben der europäischen Vollspur, die nur anfangs für die wichtigsten Hauptbahnen angewendet wurde, gelangte die 1 m-Spur einheitlich zur Durchführung.

Die erste Eisenbahn war die 30 km lange vollspurige Bahn der tunesischen Eisenbahn-Gesellschaft von T. nach den nordöstlich gelegenen Hafenplätzen von La Goulette und La Marsa, 1872 vollendet; sie gelangte 1880 mit Auflösung der Gesellschaft an die italienische Dampfergesellschaft Rubattino und im Jahre 1898 in den Besitz der Bône-Guelma-Gesellschaft; diese hatte als Rechtsnachfolgerin der Baugesellschaft Batignolles 1877 mit dem Bei von T. einen Vertrag über den Bau einer Hauptbahn von T. in westlicher Richtung nach der Grenze von Algier abgeschlossen. Diese Bahn wurde als die sog. Medjerdalinie, 196 km, über Djedeida und Suk-el-Arba nach Suk-Ahras nebst der östlichen Strecke T.-Hamman-el-Lif, 16 km, bis 1888 in Vollspur vollendet. Von Djedeida nach Norden abzweigend wurde die Flügelbahn nach dem Hafen Biserta, 73 km, gleichfalls in Vollspur, 1894 erbaut.

Bei dem Bau der übrigen Bahnen handelte es sich im wesentlichen um die Verbindung von T. mit den wichtigsten Häfen Susa und Sfax der Ostküste und um die Erschließung des Innern von diesen Häfen aus vorwiegend in südwestlicher Richtung, um die reichen Erz- und Phosphatgebiete des Landes an die Verschiffungsplätze anzuschließen.

Für die Bahn von Sfax nach Gafsa erhielt die Phosphat- und Eisenbahn-Gesellschaft von Gafsa 1896 eine Konzession auf 60 Jahre mit 30.000 ha Domänenland mit der Auflage, die Bahn auf eigene Rechnung zu bauen und zu betreiben. Die Bahn wurde 1900 eröffnet und später über Metlaui nach der Oase Tozeur verlängert (1. März 1913 vollendet); das Unternehmen ist heute eines der bedeutendsten von T.

Durch die Eisenbahngesetze vom 30. April 1902 und 10. Januar 1907 erhielt die tunesische Regierung die Ermächtigung zur Aufnahme von Anleihen von 40 und 75 Mill. Fr. zum Ausbau und zur Ergänzung des Bahnnetzes. Dementsprechend wurden folgende Linien hergestellt: von Pont du Fahs nach Kalaat-as-Senam mit nordwestlicher Abzweigung nach den Salzlagern von El-Kef; von Kairuan nach Sbeitla; von Biserta nach Nefzas; von Susa nach Sfax; von Nebeur über Beja nach Mateur, außerdem eine Anzahl kürzerer Zweig- und Stichbahnen. Eine dritte Schutzgebietsanleihe in Höhe von 90∙5 Mill. Fr., laut Gesetz vom 28. März 1912, dient zur Verstärkung des Oberbaues, zur Erweiterung von Bahnhöfen, Verbesserung des Betriebs u. dgl., Deckung von Kostenüberschreitungen bei den früheren Bahnlinien und (mit dem Betrag von 34,950.000 Fr.) zu neuen Bahnbauten, u.zw. den Strecken Metlaui-Tozeur, 55 km, Graïba-Gabès (entlang der südlichen Ostküste), 80 km, T.-Tebursuk, 145 km, und T.-Hamman-Lif (elektrische Bahn).[380]

Die französische Regierung gewährte der Gesellschaft Bône-Guelma ähnlich wie den algerischen Bahnen eine Zinsbürgschaft von jährlich bis zu 4 Mill. Fr., so daß der französische Staat bis 1902 rd. 60 Mill. Fr. Zuschuß leisten mußte. Mit dem 1. Januar 1903 übernahm die tunesische Regentschaft diese Zinsbürgschaft und der französische Staat zahlt nunmehr feste Zuschüsse, bis 1906 jährlich 2 Mill. Fr., von da ab abnehmende Beträge. Seitdem untersteht das Eisenbahnwesen von T. nur noch der einheimischen Regierung, die dadurch freie Hand für den Ausbau ihres Bahnnetzes gewonnen hat; zu ihrer Unterstützung in Eisenbahnangelegenheiten ist ein Eisenbahnrat eingesetzt.

Die Erträge des tunesischen Bahnnetzes der Bône-Guelma-Gesellschaft sind befriedigend.

Am 31. Dezember 1912 waren im Betrieb 410∙87 km vollspurige und 1339∙11 km 1 m-spurige, zusammen 1749∙98 km Eisenbahnen und 32∙49 km städtische Straßenbahnen. Die Betriebsergebnisse für das Jahr 1912 zeigt die nachstehende Zusammenstellung:


Tunis

Die alten Linien von T. nach La Goulette und Marsa wurden 1905 von der Gesellschaft Bône-Guelma an die Straßenbahngesellschaft von T. verkauft und 1908 für elektrischen Betrieb eingerichtet.

Literatur: Rapport au Présid. de la Républ. sur la Situation de la Tunisie en 1912; Schander, Eisenbahnpolitik Frankreichs in Nordafrika. Jena 1913; Régence de Tunis. Tableaux Statistiques 1912. – Baltzer, Die Kolonialbahnen mit besonderer Berücksichtigung Afrikas. Berlin-Leipzig 1916.

Baltzer.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 380-381.
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