[801] Tunis, Hauptstadt der Regentschaft T. (s. oben), 45 km vom Mittelmeer, unter 36°50' nördl. Br. und 10°12' östl. L., zwischen dem seichten Salzsee El Bahira im O., durch den seit 1893 ein Kanal für große [801] Handelsschiffe nach Goletta (s. d.) am Mittelmeer führt, und dem im Sommer fast ganz trockenen Sebcha el Sadschumi, besteht aus der Altstadt (Medina), den Vorstädten Bab-Suika und Bab-Dschazira und dem am Hafen neuentstandenen französischen Viertel und hat 170,000 (nach neuern Angaben schätzungsweise 250,000) Einw., darunter 40,000 Europäer (12,490 Franzosen) und über 40,000 Juden. Die von Mauern (jetzt an der Hafenseite abgebrochen) mit zehn Toren umgebene Stadt hat meist enge, krumme und ungepflasterte Straßen, viele Moscheen, darunter die Dschama es Situna (des Ölbaums), 1223 aus den Ruinen Karthagos (150 Säulen) erbaut, mit den Gräbern der Landesherrscher und einer kostbaren Bibliothek, kath. Kathedrale und Kirche, Kapuzinerkloster, anglikanische Kirche, griechische Kapelle, Synagogen, einen Palast des Beis, eine Kasba (jetzt Kaserne), Stadthaus, Justizpalast, Hospital, Zollhaus, alle in alten Gebäuden untergebracht, eine neue Residenz des französischen Generalresidenten, Postgebäude, zwei Theater, zahlreiche öffentliche Bäder, Basare und Karawansereien und außerhalb der Stadt, 4 km nordwestlich von derselben, den von Türmen flankierten festen Bardo, jetzt Sitz der Regierung, mit Poly technischer Schule und Staatsgefängnis.
Die Stadt hat über 100 Elementarschulen mit etwa 2500 Schülern, das Carnot Lyzeum mit (1903) 660 Schülern, bei der genannten Moschee eine von 700 Studierenden besuchte berühmte mohammedanische Hochschule mit 100 Lehrern und seit 1899 eine École coloniale de T. Es erscheinen zwei französische Zeitungen und der offizielle »El Raid el Tunisis«. Die Industrie ist bedeutend in Seiden- und Wollweberei, Seidenschals, gold- und silberdurchwirkter Seide, seidenen Mänteln, Saffianleder, Matten, Juwelierarbeiten, roten Mützen, noch wichtiger aber der jetzt von Bona und Goletta sich losmachende Handel, dem nur der von Sfaks gleichkommt. T. ist Sitz eines deutschen Berufskonsuls, Ausgangspunkt von drei Bahnen, hat neue Kais und stetig wachsenden Verkehr. Nördlich von T. führen durch Olivenwaldungen und Villenanlagen die Reste eines großartigen karthagischen Aquädukts zu den Ruinen von Karthago, mit dem T. als Tunes gleichzeitig gegründet wurde, und in dessen Nähe das Landschloß des Beis, El Marsa, liegt. Etwa 60 km südlich von T. erhebt sich der Dschebel Zaghouan, aus dessen natürlichen Quellen T. (= Karthago) mit Trinkwasser versorgt wird. Die sinnlose Entwaldung durch die Eingebornen hat die Wiederaufforstung (es finden sich an den Hängen nur einteln Striche von Johannisbrotbäumen, wilden Oliven, Steineichen und Buschwald) zu einer Lebensfrage für T. gemacht, der die Regierung ernste Aufmerksamkeit zuwendet. Vgl. Kleist, T. und seine Umgebung (Leipz. 1888); Piesse, T. et ses environs (Par. 1896) und Literatur zum vorhergehenden Artikel.
Meyers-1905: Tunis [1]