Verstärkung der eisernen Brücken

[151] Verstärkung der eisernen Brücken. Das Anwachsen der rollenden Lasten der Eisenbahnen hat in der Mehrzahl der vor Einführung der jetzt geltenden Belastungsannahmen (preußische Staatsbahnen 1903, Österreich 1904) gebauten eisernen Eisenbahnbrücken Spannungen hervorgerufen, die die zulässigen Beanspruchungen mitunter weit überschreiten. Man hat zwar für diese älteren Brücken Spannungsüberschreitungen bis zu 20% (Preußen und Österreich) und 30% (badische Staatsbahnen, Gotthardbahn) zugelassen, ist aber doch vielfach genötigt gewesen, diese Brückentragwerke entweder gänzlich zu erneuern oder sie ausreichend zu verstärken. Die Notwendigkeit solcher Verstärkungen kann sich in Hinkunft bei weiterer, nicht außer dem Bereich der Möglichkeit gelegener Zunahme der Lokomotiv- und Wagen-Achslasten auch für unsere jetzigen Neubauten herausstellen, wenn auch zugegeben werden muß, daß die derzeitigen Belastungsannahmen voraussichtlich auf längere Zeit genügen dürften1.

Für die Entscheidung, ob eine zu schwach befundene Brücke nur verstärkt oder gänzlich erneuert werden soll, kommt in erster Linie die Kostenfrage in Betracht, doch darf nicht übersehen werden, daß auch eine gut ausgeführte Verstärkung eine alte Brücke niemals gleichwertig mit einem Neubau machen wird. Die Verstärkungsarbeiten verursachen auch oft größere Schwierigkeiten für die Aufrechthaltung des Betriebs als die allenfalls nur in einer Betriebspause durchzuführende Einstellung eines neuen Tragwerks. Ihre Kosten sind f.d. Gewichteinheit mindestens doppelt so hoch zu veranschlagen als jene einer neuen Konstruktion. Man hat daraus die Regel abgeleitet, daß die Verstärkung einer Brücke nur dann einem Neubau vorzuziehen ist, wenn das Gewicht der Verstärkungsteile 1/3 des Gewichts eines neuen Überbaues nicht überschreitet.

Die Verstärkung der vorhandenen eisernen Brücken infolge Zunahme des Lokomotivgewichts und der Zugsgeschwindigkeit bildete einen Fragepunkt des internationalen Eisenbahnkongresses zu Bern 1910 und liegen darüber wertvolle Berichte von Regierungs- und Baurat J. Labes über die Brücken auf den deutschen Eisenbahnen und der Gotthardbahn und von A. Zahariade über die rumänischen Bahnbrücken vor. Die Verstärkung einer Brückenkonstruktion kann erfolgen:

1. durch unmittelbare Vergrößerung der Querschnitte der zu schwachen Tragglieder; 2. durch Änderung des Trägersystems; 3. durch Vermehrung der Anzahl der Tragwerksglieder oder Träger.[151]

Hierbei können die Verstärkungsteile dazu bestimmt sein, entweder a) sich nur an der Aufnahme der Verkehrslast zu beteiligen oder b) auch die Spannungen durch die ständige Last (Eigengewicht) mit aufzunehmen.

Im Fall a genügen zur Vornahme der Arbeiten Hängegerüste und fliegende Rüstungen, die von dem bestehenden Überbau getragen werden, und es ist nur darauf zu achten, daß der Anschluß der Verstärkungsteile bei unbelasteter Brücke während der Betriebspausen erfolgt. Im Fall b ist eine Entlastung der Tragkonstruktion von ihrem Eigengewicht während der Aufbringung der Verstärkung erforderlich. Dazu dient ein Unterfangungsgerüst und ein Anheben des Tragwerks durch Keile oder mittels Gewichtshebel. Die Keilentlastung, die keine genaue Bemessung zuläßt, ist aber nur bei kleineren Brücken oder dort anwendbar, wo während der ganzen Arbeiten kein Zugsverkehr über die Brücke geht, da sonst Gerüstsenkungen zu erwarten sind, die ein stetes Nachstellen der Keile erfordern würden ohne Gewähr dafür, daß das genaue, richtige Maß der Hebung erzielt wird. Viel vorteilhafter erscheint die zuerst von Dr.-Ing. A. Schneider bei einer Brücke der österreichischen Nordbahn angewendete, später auch bei den preußischen Staatsbahnen zur Ausführung gebrachte Hebelentlastung, die sich in ihrer Größe genau bemessen und nach Bedarf verändern läßt. Abb. 58 gibt eine schematische Darstellung dieser Anordnung. Die an dem zu entlastenden Knotenpunkt der Brückenträger stehenden Gerüstpfähle stützen einen ungleicharmigen Hebel, der, an seinem freien Ende mittels Altschienen belastet, gegen den Träger eine bestimmte Hebekraft äußert, die dem auf diesen Knotenpunkt entfallenden Eigengewicht des Brückenüberbaues gleich gemacht werden kann. Zwischenlagen und Keile bei k, die bei angehobenem Hebelende B eingesetzt werden, dienen dazu, den Hebel auch nach allfälligen Gerüstsenkungen immer wieder in wagrechte Lage bringen zu können. Entsprechend dem Gewicht der aufgebrachten Verstärkung ist die Hebelbelastung von Zeit zu Zeit zu vergrößern. Die Hebel können mit ihrem längeren Arm auch unter das Tragwerk gelegt oder, wenn der Raum beengt ist, anstatt quer zu den Trägern nach deren Längsrichtung angeordnet werden. Diese Hebelentlastung hat sich in der Anwendung gut bewährt. Der Betrieb kann dabei mit langsamer Fahrt über die Brücke aufrecht erhalten werden; dem Schlaffwerden der vom Eigengewicht entlasteten flachen Zugstäbe der Ausfachung unter der Verkehrslast läßt sich durch Anheben des Hebelendes vor Auffahrt des Zuges begegnen.

Um das für die Entlastung notwendige Gerüst zu ersparen, hat man auch die Aufhängung; der Brücke mittels Kabel, denen eine der Eigengewichtslast entsprechende Spannung zu geben ist, in Vorschlag gebracht; doch liegen über Ausführungen dieser Art keine Mitteilungen vor.

Die Verstärkung zu schwacher Querschnitte erfolgt durch Aufnieten von Flach- oder Formeisen, deren Anordnung sich nach der Querschnittsform der zu verstärkenden Teile richtet Es ist dazu meist erforderlich, vorhandene Nietreihen auszuschlagen, wobei aber der für die Aufnahme der Kräfte notwendige Querschnitt intaktbleiben muß. Verstärkungskopfplatten für Blechträger oder -gurte werden deshalb am besten der Länge nach geteilt und streifenweiseangenietet (Abb. 59). Sonst müßte man vor der Anlage der Verstärkungsplatten die Nieten erst gegen versenkte Nieten auswechseln, diese dann sukzessive ausbohren und durch die definitiven Nieten ersetzen.

Bei gegliederten Trägern kann sich je nach deren Bauart und nach den Querschnittsformen der Stäbe die Verstärkung ziemlich mannigfaltig gestalten. Die zu schwache Ausfachung verstärkt man entweder durch Querschnittsvergrößerung der einzelnen Wandstäbe, wobei natürlich auch auf die verstärkte Ausbildung der Knotenpunktsanschlüsse[152] Bedacht genommen werden muß, oder durch Einziehen neuer Ausfachungsstäbe, wie z.B. Einbau von Druckstreben in einfache Ständerfachwerke und dadurch deren Umwandlung in ein doppelt gekreuztes System u.s.w.

Beispiele von Verstärkungen durch Änderung des Trägersystems geben die Abb. 60 und 61. Diese Verstärkungsart ist bei Brücken der Gotthardbahn, der preußischen Staatsbahnen, der rumänischen Bahnen u.a. mit 30–77 m Stützweite zur Anwendung gekommen. Sie besteht in der Anbringung entweder eines Entlastungsbogens oberhalb der Träger oder eines unter ihnen gelegenen Hängegurts. Dabei kann wieder die Verstärkung so aufgebracht werden, daß sie vom Eigengewicht der Brücke nichts aufnimmt und nur die Verkehrslast mit tragen hilft, oder es werden in sie auch die Kräfte von der ständigen Belastung gebracht. Im letzteren Fall braucht es dazu keines Entlastungsgerüstes, da durch geeignete Montierung des Bogens oder Hängegurts in denselben Spannungen gebracht werden können, deren Größe aus der Hebung des Trägers zu bemessen ist. Es müssen hierzu entweder die den Bogen mit dem Träger verbindenden Vertikalen zum Anspannen eingerichtet sein oder es muß der Bogen nachstellbare Auflager erhalten.

Eine Verstärkung durch Vermehrung der Zahl der Hauptträger ist sowohl bei Balkenwie bei Bogenbrücken mit oben liegender Fahrbahn zur Ausführung gekommen. In dieser Art wurden eingleisige Brücken durch Einbau eines dritten mittleren Trägers verstärkt (Abb. 62). Um eine bestimmte Lastübertragung zu erzielen, empfiehlt es sich, die Querträger über dem mittleren Hauptträger zu durchschneiden. Bei der zweigleisigen Horchheimer Rheinbrücke bei Koblenz wurde die durch den Anbau von Fußgängerstegen bedingte Verstärkung dadurch erzielt, daß neben den bestehenden beiden Hauptträgern an der Außenseite je ein neuer Bogenträger aufgestellt wurde. Um hier eine bestimmte Lastverteilung zu erreichen, wurden die Querträger gelenkig auf kleine Unterquerträger gelagert, die wieder gelenkig mit je einem alten und einem neuen Hauptträger verbunden sind. Während des Umbaues wurde der Betrieb auf ein Gleis beschränkt.

Literatur: A. Schneider, Über Brückenverstärkungen während des Betriebs. Ztschr. d. Österr. Ing.-V. 1892.– J. Labes u.A. Zahariade, Verstärkung der eisernen Brücken. Bericht Nr. 2 u. 5 zum Int. Eis.-Kongr.-Verb. Bern 1910. – Fried. Bleich, Über die Verstärkung eiserner Brücken. Eisenbau 1911. – E. Bähr, Beitrag zur Verstärkung eiserner Brücken. Eisenbau 1912.

Melan.

Abb. 58.
Abb. 58.
Abb. 59.
Abb. 59.
Abb. 60. Reußbrücke bei Inschi (Gotthardbahn).
Abb. 60. Reußbrücke bei Inschi (Gotthardbahn).
Abb. 61. Gotthardreußbrücke.
Abb. 61. Gotthardreußbrücke.
Abb. 62.
Abb. 62.
1

Auf den deutschen Eisenbahnen verkehren derzeit als schwerste Fahrzeuge Wagen mit 120 t Gewicht (Kruppsche Kanonenwagen), die, zu zweien hintereinander gestellt, bei Brücken von 16–18 m Spannweite um rd. 7% größere Momente hervorrufen als der preußische Verordnungslastenzug. Für die schweren Fahrbetriebsmittel, die auf manchen amerikanischen Eisenbahnen verkehren, wären unsere heutigen Brücken schon nicht mehr ausreichend stark.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 151-153.
Lizenz:
Faksimiles:
151 | 152 | 153
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon