Weber

[292] Weber, Max Maria v., hervorragender Eisenbahntechniker und Schriftsteller, wurde zu Dresden am 25. April 1822 als der einzige Sohn des großen Tondichters Karl Maria v W. geboren. Er verlor den Vater schon im Alter von 4 Jahren und fiel nun die Erziehung der Mutter, einer ebenso gemütvollen als hochbegabten Frau anheim; dieser stand des Vaters treuer Freund, der gelehrte Afrikareisende Heinrich Lichtenstein, als Ratgeber zur Seite.

Nachdem W. eine gründliche klassische Bildung erhalten hatte, besuchte er das damals erst begründete Polytechnikum seiner Vaterstadt Dresden. Darauf finden wir ihn in der Maschinenbauanstalt von A. Borsig in Berlin zunächst als Eleve, dann als Konstrukteur.

Nebenbei pflegte er unter Lichtensteins, Doves, Magnus' und Mitscherlichs Leitung seine wissenschaftliche Ausbildung, hörte naturwissenschaftliche und nationalökonomische Vorlesungen an der Universität und lag emsig Sprachstudien ob, die später die Anknüpfung nützlichster Beziehungen in fast allen Teilen der zivilisierten Welt kräftig förderten.

Von nun an begann er erst seine praktische Tätigkeit im Eisenbahnwesen, indem er zunächst 1 Jahr lang Lokomotivführer war, dann als Bau- und Maschineningenieur auf verschiedenen neu entstehenden deutschen Bahnen beschäftigt wurde. In England, wo er sich längere Zeit aufhielt, führte ihn der bekannte Name seines Vaters schnell mit den größten und berühmtesten Ingenieuren, Mechanikern und Erfindern zusammen, die ihm gern mit jeder fachlichen Auskunft zur Seite standen, so daß er, insbesondere unter der persönlichen Leitung Isambart Brunels, die erworbenen Kenntnisse an den großartigsten Mustern der Eisenbahntechnik mehren konnte.

Später besuchte er über Veranlassung der französischen Regierung Nordafrika und beschrieb diese Reise in »Ausflug nach dem französischen Ostafrika« und »Algerien und die Auswanderung dahin«.

Nach Deutschland zurückgekehrt, übernahm er zunächst die Leitung des Maschinenwesens, dann auch den ganzen Betrieb der »Erzgebirgischen Eisenbahn«. Im Jahre 1850 trat W. in den sächsischen Staatsdienst, u. zw. zunächst als Leiter der neu errichteten Staatstelegraphie des Königreichs Sachsen und 2 Jahre später als technisches Mitglied der Staatseisenbahndirektion[292] mit dem Titel eines Finanzrats. In dieser Stellung entfaltete W. eine rastlose Tätigkeit, deren weitverbreiteter Ruf sogar fremde Regierungen veranlaßte, ihm junge Fachmänner zur Ausbildung zuzusenden und in wichtigen Fragen sein Gutachten zu hören.

Infolge der Neuorganisation der sächsischen Staatsbahnen schied W. im Jahre 1868 aus dem sächsischen Staatsdienst und folgte einem Ruf des Grafen Beust nach Wien, wo er als technischer Referent mit dem Titel und Rang eines Hofrats in das österreichische Handelsministerium eintrat, um bei der Umgestaltung des österreichischen Eisenbahnwesens mitzuwirken. Der anscheinend große Wirkungskreis hatte ihn angezogen; aber infolge des Rücktritts Beusts, der Krise des Jahres 1873 und anderer widriger Verhältnisse war er behindert, erfolgreich zu wirken. Seine einzige größere Reform war die Einführung einer einheitlichen Signalisierungsvorschrift für Österreich. Im Jahre 1875, nach Ablauf seines auf 5 Jahre mit der österreichischen Regierung abgeschlossenen Vertrags, fand er sich veranlaßt, seine Stellung aufzugeben und sich ins Privatleben zurückzuziehen. Kurz vorher hatte er als Mitglied eines technischen Schiedsgerichts die Bahnen der europäischen und asiatischen Türkei bereist. Schon vorher hatte er, als es sich darum handelte, ob in Schweden und Norwegen das Schmalspursystem eingeführt werden sollte, eine Reise nach den nordischen Ländern unternommen.

Im Jahre 1878, nachdem er inzwischen durch mehrere Jahre in Wien ausschließlich wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten gelebt hatte, wurde er durch Achenbach in das preußische Handelsministerium berufen, wo er neben seiner Stellung als Ministerialreferent die Leitung eines großen ministeriellen Eisenbahnorgans übernehmen sollte. Er gelangte aber auch hier, hauptsächlich infolge Rücktritts Achenbachs und Ernennung Maybachs zum Minister, nie zu einer entsprechenden Tätigkeit; er wurde dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten zugeteilt und in außerordentlicher Mission zum Studium des Kanalwesens nach England, Amerika u.s.w. entsendet.

Der Schwerpunkt seines Wirkens liegt jedenfalls in seiner literarischen Tätigkeit. Als Eisenbahnschriftsteller hat er sich einen Weltruf erworben. Anfangs bearbeitete er hauptsächlich rein technische Gegenstände und schrieb u.a.: »Technik des Eisenbahnbetriebs« (Leipzig 1854), »Schule des Eisenbahnwesens« (1. Aufl. 1861, 4. Aufl. 1885), »Telegraphen- und Signalwesen der Eisenbahnen« (Weimar 1867).

Von epochemachender Bedeutung sind W. Versuche über die Stabilität des Gefüges der Eisenbahngleise, die er in der gleichnamigen Schrift (Dresden 1869) veröffentlichte.

Ein besonderes Verdienst erwarb sich W. um die unteren Organe des Eisenbahnbetriebs, auf deren anstrengende und gefahrvolle Dienstleistungen er in den beiden Schriften: »Die Abnutzung des physischen Organismus der Eisenbahnbeamten« (1860) und »Die Gefährdung des Personals beim Maschinen- und Fahrdienst der Eisenbahnen« (1867) auf das nachdrücklichste hinwies; ein Mahnruf, der tatsächlich von Erfolg begleitet war.

Später machte er auf die Bedeutung der Sekundärbahnen aufmerksam und veröffentlichte mehrere einschlägige Arbeiten, so: »Die Praxis des Baues und Betriebs der Sekundärbahnen mit normaler und schmaler Spur«, 2. Aufl., Weimar 1873; »Die Sekundäreisenbahnen mit normaler Spurweite und langsamer Fahrbewegung«, Weimar 1874.

Sehr fruchtbar war die literarische Tätigkeit W. insbesondere in den Jahren 1875 bis 1877, wo er es unternahm, allgemeine Eisenbahnfragen populär zu erörtern. Hierher gehören die »Populären Erörterungen von Eisenbahnzeitfragen«, 7 Hefte (Wien 1876/77), u. zw.:


»I. Normalspur und Schmalspur, II. Wert und Kauf der Eisenbahnen, III. Die Praxis der Sicherung des Eisenbahnbetriebs, IV. Privat-, Staats- und Reichsbahnen, V. Der Eisenbahnbetrieb durch lange Tunnels, VI. Die Stellung der deutschen Techniker im staatlichen und sozialen Leben, VII. Welches Eisenbahnsystem entspricht am besten den Verhältnissen Österreichs?«


In derselben Zeit schrieb W.: »Nationalität und Eisenbahnpolitik«, Wien 1875; »Die Individualisierung und Entwickelbarkeit der Eisenbahnen«, Leipzig 1875; ferner »Bemerkungen zum vorläufigen Entwurf eines (deutschen) Reichseisenbahngesetzes«, Leipzig 1875.

Außerdem sind von W. Arbeiten zu nennen: »Die Wasserstraßen Nordeuropas«, Leipzig 1881; die Übersetzung des englischen Werkes Simons: »Die Haftpflicht der Eisenbahnen«; dann des schwedischen Werkes Styffes: »Die Elastizität und die Festigkeitsverhältnisse von Eisen und Stahl

Neben den vorerwähnten rein fachlichen Schriften veröffentlichte W. auch eine Reihe von Erzählungen aus dem Eisenbahnleben und hat damit einen neuen Zweig in der erzählenden Schriftstellerei geschaffen. Hierher gehören: »Aus der Welt der Arbeit«, Berlin 1868; »Schauen und Schaffen, Skizzen«, 2. Aufl., Stuttgart 1879; »Eiserne Weihnacht«; »Dampf und Schnee«; »Um eines Knopfes Dicke«; »Im Hause Robert Stephensons« u.s.w.

Besondere Erwähnung verdient auch die von ihm verfaßte vortreffliche Biographie seines Vaters Karl Maria v.W.[293]

W. hatte, als ihn in Berlin am 18. April 1881 infolge eines Herzschlages der Tod überraschte, noch große Arbeiten auszuführen in der Absicht; so vor allem eine seit Jahren vorbereitete Geschichte des Verkehrswesens, in der er von der ältesten Zeit bis zur Gegenwart den Zusammenhang des Wegbaues mit der Kulturgeschichte darlegen wollte; ferner eine Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, zu der er bereits die umfassendsten Vorarbeiten getroffen hatte.

Nach seinem Tod gab M. Jähns heraus: »Vom rollenden Flügelrad«, Skizzen und Bilder (mit Biographie), Berlin 1882.

W. war Doktor der Philosophie, Ehren- und korrespondierendes Mitglied der hervorragendsten Fachgesellschaften Europas und Amerikas.


Vgl. Berghaus, Max Maria v. Weber, Berlin 1881; Ztg. d. VDEV. 1881, S. 429.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 292-294.
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