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Viele Jahre hat man von dem Segen der monarchischen Regierung, von ihrer Kraft und Geschlossenheit gesprochen. In keinem parlamentarisch regierten Lande der Welt erleben wir aber das Unerhörte, daß eine Agitation zugelassen wird über Fragen der militärischen Führung in einem Augenblick, wo der erste deutsche Soldat an der Spitze unserer Streitkräfte zu Wasser und zu Lande steht. Ist es nicht ein Frevel, in einer lärmenden Agitation den Feind darauf aufmerksam zu machen, daß er sich gegen eine verschärfte U-Bootgefahr verproviantieren soll?
In der Reichstagskommission ist die Agitation zusammengebrochen, nachdem die Admiralität die einschlägigen Zahlen in Gegenwart von 200 Abgeordneten bekanntgegeben hat. Bald darauf wußten es Tausende, und wenige Wochen hernach konnte es der Feind wissen. Ein solcher Vorgang ist unerhört. Den Parteiführern war bereits vorher in vertraulicher Sitzung dasselbe gesagt worden. Trotzdem wurde darauf bestanden, daß dieser Vorgang stattfindet. Wie soll es auf unsere Leute an der Front wirken, wenn in Denkschriften, in der Presse, durch Briefe und auf alle mögliche sonstige Art ihnen vorgeredet wird, daß es ein Mittel gäbe, dem Krieg in wenigen Monaten ein Ende zu machen? Wie denkt man, daß unsere Leute auf die Dauer diese psychischen Strapazen aushalten? Es erscheint unbegreiflich,[563] wie die Berliner Zensur diese Agitation gegen den Reichskanzler zulassen kann. Das wäre in einem parlamentarisch regierten Lande nicht möglich.
Es waren nicht Leute mit starker Seele und kräftigen Nerven, die hinter den Demagogen des U-Bootkrieges herliefen, sondern hysterische schwache Seelen, die die Kriegsbürde nicht mehr tragen wollten. Wenn das weiter geduldet wird, kann die Folge nur eine hysterische Demoralisation sein. Der Krieg muß aber noch durchgehalten werden, vielleicht noch jahrelang. Die wirklichen Gründe der U-Boot-Agitation liegen ja zum Teil auf dem Gebiet der inneren Politik.[564]
Münchener Neueste Nachrichten vom 28. Oktober 1916.
Die in dem Aufsatz über »Deutschland unter den europäischen Weltmächten« (siehe oben im Text Seite 157) hinter dem ersten Absatz aus Zensurgründen fehlenden Ausführungen gegen die Demagogie in Fragen der militärischen Führung und in der U-Boot-Agitation können auszugsweise ergänzt werden an Hand des nachstehenden Berichts über den Münchener Vortrag, der auch dem genannten Aufsatz zugrunde liegt. Das Vortragskonzept in Form einer Disposition ist erhalten; ein Abdruck findet sich bei WOLFGANG MOMMSEN, Max Weber und die deutsche Politik (1959), Seite 422f. (D.H.)