Dekengemählde

[237] Dekengemählde.

Gemählde, die auf den Deken der Zimmer, oder ganzer Gebäude angebracht sind: sie werden auch mit dem französischen Namen Platfonds, genennt, weil die waagerechten Deken in dieser Sprache platsfonds genennt werden. Schon die Alten haben bisweilen Gemählde auf den Deken angebracht, die aber, wie aus einigen Fragmenten zu schliessen ist, aus blossen Zierrathen bestanden haben, und also von ganz andrer Art, als die neuern gewesen sind; denn die Dekengemählde der Neuern stellen insgemein eine Handlung vor. Der Mahler hebt durch seine Arbeit die Deke des Baumeisters wieder weg, läßt uns an deren Stelle den Himmel, oder die Luft sehen, und in derselben eine Handlung von allegorischen oder mythologischen Personen. Dadurch bekommen diese Gemählde, wenn sie nur sonst die Vollkommenheit ihrer Art haben, über andre Gemählde den Vortheil, daß sie einigermaassen aufhören Gemählde zu seyn, in dem man den wahren Ort der Scene zu sehen glaubt.

Diese Gattung scheinet mehr Ueberlegung, Erfindung und Kunst zu erfodern, als immer eine andre Gattung der Mahlerey. Um nicht unnatürlich zu seyn, kann sie keine Vorstellung wählen, als die sich zu dem Ort der Scene, der die offene Luft oder der Himmel ist, schiket. Da es also keine menschliche Handlung seyn kann, so bleibet dem Mahler die ganze Mythologie und die Allegorie offen. Nicht blos die heidnische Mythologie, die sich selten in unsre Gebäude schiket, und besonders in Kirchen höchst abgeschmakt wäre, sondern auch die christliche, die an Engeln und Heiligen einen reichern und erhabenern Stof hat, als an den Göttern des Olympus. Die Allegorie in ihrem ganzen Umfang ist dazu schiklich, vorzüglich aber die, welche Würkungen der Natur vorstellt, weil Luft und Himmel die Hauptscenen der Elemente sind. Jahres- und Tageszeiten, jede grosse Naturbegebenheit, als Aeusserungen allegorischer Wesen vorgestellt, finden da ihren Platz. Aber jeder Liebhaber nehme sich in Acht, solche Arbeiten einem gemeinen Künstler aufzutragen; denn dazu wird jedes Talent des Mahlers in einem hohen Grad erfodert.

Der größte Zeichner wird in dieser Gattung nichts erträgliches machen, wenn er nicht ein sehr grosser Meister der Perspektiv ist; zumahl da die gemeinen Regeln der Perspektiv hierzu nicht ganz hinlänglich sind. Die gewölbten Deken erleichtern die perspektivische Zeichnung sehr, und sind dabey zu solchen Gemählden vorzüglich bequem. Wenn man den Augenpunkt mitten im Gewölbe nimmt, so kann die ganze Deke mit einer einzigen Vorstellung angefüllt werden: in jedem andern Fall aber muß die Deke in verschiedene Felder eingetheilt, und jedem seine eigene, für einen besondern Standort gezeichnete Vorstellung gegeben werden. Fürnehmlich ist dieses bey sehr grossen flachen Deken [237] nothwendig. Denn wer auf einer Deke, die achzig oder wol hundert Fuß lang, dabey nur etwa zwanzig bis 24 Fuß hoch ist, nur ein einziges Gemähld anbringen wollte, müßte nothwendig die von dem Augenpunkt entferntesten Gegenstände so sehr verzogen vorstellen, daß sie ausser dem Gesichtspunkt höchst unförmlich erscheinen würden. Dieses wird allemal geschehen, wenn auf dem Gemählde Gegenstände vorkommen, die weiter von dem Augenpunkt abliegen, als die Höhe des Zimmers beträgt. Also ist wegen der Anordnung und Zeichnung der Dekengemählden sehr viel mehr zu überlegen, als bey irgend einer andern Gattung. Eben dieses gilt auch von den Farben, die in den Dekengemählden nach einer eigenen Art müssen behandelt werden. Es wäre wol der Mühe werth, daß die Regeln der Kunst, blos in Absicht auf die Dekengemählde, in einem besondern Werk vorgetragen würden. Denn wenn irgend ein Theil der Kunst mit Genauigkeit will studirt seyn, so ist es dieser, der überhaupt seinen eigenen Mann erfodert.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 237-238.
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