Dorische Säule

[272] Dorische Säule. Dorische Säulenordnung.

Ist von den fünf Ordnungen der Baukunst die zweyte1, und scheinet die Aelteste und auch die gewöhnlichste der drey griechischen Ordnungen zu seyn. Sie unterscheidet sich durch ein starkes und etwas strenges Ansehen, das keine Zierrathen leider, als die, deren Ursprung aus der ehemaligen Art, die Gebäude ganz von Holz aufzuführen, unmittelbar entstanden sind. Sie ist vornehmlich durch ihren Fries kennbar, dessen Dreyschlitze oder Triglyphen c, c, deutlich die Köpfe der in blos hölzernen Gebäuden, auf den Unterbalken a b liegenden Balken, und dessen Metopen d, d, den leeren [272] Raum von einem zum andern anzeigen. Die hier beygefügte Figur giebt einigen Begriff von der dorischen Ordnung, bey welcher die Säulen, wie hier, oft ohne Füsse gewesen sind.

Dorische Säule

Die Griechen sagten, wie Vitruvius berichtet, daß Dorus König in Achaja einen Tempel gebaut habe, der diese Bauart gehabt, die den Griechen so wol gefallen, daß sie hernach vielfältig nachgeahmt worden. Nach Pokoks Bericht aber findet man in Amara, einer sehr alten Aegyptischen Stadt, Säulen, die eine grosse Aehnlichkeit mit den dorischen haben. Ohne Zweifel ist diese Ordnung anfänglich blos zu Tempeln gebraucht worden, und man ließ, da alles noch von Holz war, den Raum zwischen den Balken offen. Vermuthlich sah man noch zu den Zeiten des Euripides ganz alte Tempel, wo das Gebälke so war; denn dieser Dichter läßt, wie Winkelmann2 sehr wol anmerkt, in seiner Iphigenia den Pylades dem Orestes den Vorschlag thun, sie wollen durch den offenen Raum zwischen den Triglyphen in den Tempel der Diana hereinsteigen. Ein ehemaliger guter Baumeister in Berlin hat den Einfall gehabt, dieses so gar in einem von Stein gemachten dorischen Gebälke nachzuahmen, wie daselbst an dem Ende des sogenannten Mühlendammes zu sehen ist.

Dieser offene Raum zwischen den Balken mag einen Priester auf den Einfall gebracht haben, die Schädel von den Opferthieren dahin zu setzen, und daher entstund vermuthlich ein nachher allgemeiner Gebrauch dieses zu thun. Als man hernach die Gebälke von Steinen machte, und die Metopen ausmauerte, war man so sehr gewohnt, Schädel von Opferthieren an diesen Stellen zu sehen, daß solche in den Metopen in Stein ausgehauen wurden. Man muß eine sehr übertriebene Liebe fürs Alterthum haben, um dieses noch itzt nachzuahmen. Gegenwärtig ist es unendlich schiklicher, die Metopen mit Sachen auszuzieren, die eine Beziehung auf die Bestimmung der Gebäude haben. Dieses ist mit guter Ueberlegung und viel Geschmak an dem Berlinischen Schloß und an dem Zeughause geschehen.

Es sind noch Ruinen von alten dorischen Gebäuden vorhanden, deren hohes Alterthum aus der rohen Form und den plumpen Verhältnissen der Säulen kann abgenommen werden. Diese sind conisch, die Höhe hat nicht einmal fünf Säulendiken.3 Man findet, daß die Alten die Verhältnisse der dorischen Säulen von Zeit zu Zeit geändert, und die Höhe derselben nach und nach von vier Säulendiken bis auf sieben heraufgetrieben haben, bey welchem letzten Verhältniß man noch itzt bleibet, da man dem Säulenstamm insgemein 14 Model, dem Fuß aber einen und dem Knauff auch einen, folglich der ganzen Säule 16 Model für die Höhe giebt.

Diese Ordnung ist wegen der Austheilung der Triglyphen die schweerste,4 und die Alten könnten sie nur zu dreyerley Säulenweiten, nämlich von 5, 10 und 15 Modeln, anbringen, oder sie mußten darin die Fehler leiden, daß nicht allemal mitten über einer Säule ein Dreyschliz zu liegen kam, wie in dem angezogenen Artikel gezeiget worden. Goldman hat dieser Schwierigkeit dadurch abgeholfen, daß er die Verhältnisse der Dreyschlize zu den Metopen für einige Säulenweiten abgeändert, und dadurch verschiedene Gebälke für gar alle brauchbaren Säulenweiten angegeben hat. Die Verhältnisse der Haupttheile dieser Ordnung sind an einem andern Ort angegeben worden.5

Obgleich diese Ordnung die willkührlichen Zierrathen verwirft, so ist sie doch in ihrem vollen Reichthum, wenn die Metopen mit schiklichen Verzierungen angefüllt, wenn die Unterbalken auf ihrer [273] untern Fläche in Felder abgetheilt werden; wenn der Kinn des Kranzes eben dergleichen Eintheilungen hat, vielleicht die, welche die größte Mannigfaltigkeit der Theile zeiget, und bey ihrem ernsthaften Wesen die meiste Pracht hat. Sie schiket sich zu allen prächtigen Gebäuden, und muß allemal, wo mehr Geschosse sind, an dem untersten angebracht werden. Die ernsthafte Pracht dieser Ordnung und ihre schöne Abwechslung gegen die darübergesetzte jonische, empfindet man lebhaft bey genauer Betrachtung der kleinern Portale in dem Hof des Berlinischen Schlosses, wo die Hauptwache ist: wie denn überhaupt alles, was an diesem Schlosse von dorischer Ordnung, sowol in Austheilung und Verhältniß, als in Verzierungen, zum Muster dieser Bauart kann genommen werden.

1S. Säulenordnung.
2Ueber die Baukunst der Alten S. 24.
3S. Winkelmann l. c.
4S. Dreyschliz.
5S. Ordnung.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 272-274.
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272 | 273 | 274
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