[1234] Verzierungen. (Schöne Künste)
Sind einzele kleine Theile, die nicht zur wesentlichen Beschaffenheit eines Werks der Kunst gehören, sondern blos zur Vermehrung der Annehmlichkeit ihm beygefügt, und gleichsam angehängt sind. In der Baukunst sind die Statuen, Vasen, Laub- und anderes Schnizwerk, womit wesentliche Theile des Gebäudes geschmükt werden, Verzierungen. In der Beredsamkeit und Dichtkunst werden alle Nebenbegriffe, eingeschaltete Gedanken, Episoden die dem Wesentlichen mehr Annehmlichkeit geben; in der Musik die verschiedenen Manieren und Veränderungen,1 die blos eine mehrere Annehmlichkeit zur Absicht haben, zu den Verzierungen gerechnet. Sie können überall, wo sie angebracht sind, weggenommen werden, ohne das Werk mangelhaft zu machen, oder seine Art zu verändern.
Die Verzierungen haben ihren Ursprung in dem allen Menschen angebohrnen Geschmak für das Schöne. Es ist kaum ein Volk auf der Erde so roh, daß es für Verzierungen ganz unempfindlich wäre. Der noch halbwilde Mensch findet Geschmak an Geschmeide, womit er seine halb oder ganz nakende Glieder verziehret, und der in der höchsten Einfalt der Natur lebende Hirt zieret seinen Stab, oder seinen Becher mit Schnizwerk. Dieser Geschmak zeiget, daß in der menschlichen Natur etwas höheres und edleres sey, als in der thierischen, die keine Empfindungen kennt, als die aus körperlichen Bedürfnissen entstehen. Völlige Unempfindlichkeit für alle Verzierung würde thierische Rohigkeit verrathen; auf der andern Seite hingegen, zeiget ein unmäßiger Geschmak an Verzierungen etwas kleines und kindisches. Wie die Vernunft bey kleinen Geistern in Spizfündigkeit ausartet, so artet der Geschmak am Schönen bey kindischen Gemüthern in Ziererey aus.
So gewiß es ist, daß ein mäßiger und von gesundem Geschmak begleiteter Gebrauch der Verzierungen, den Werken der schönen Künste Annehmlichkeit und Reizung giebt; so gewiß ist es auch auf der andern Seite, daß überhäufte und ohne Geschmak angebrachte Verzierungen daß beste Werk verächtlich machen. Wenig und mit gutem Geschmak gewählter Schmuk, kann auch der schönsten Person noch Annehmlichkeit beylegen; aber wo alles [1234] von Geschmeid und Schmuk strozet, da wird die natürliche Schönheit verdunkelt.
Ein fürtreflicher Kunstrichter scheinet die Verzierungen in den Werken der Beredsamkeit für Dinge zu halten, die man mehr dem gemeinen Liebhaber als dem Kenner zu gefallen, anbringt2. Wahre Kenner sehen überall auf das Wesentliche der Dinge, und finden das größte Wolgefallen an Vollkommenheit; wer aber nicht Gefühl genug hat durch die wesentliche Vollkommenheit der Dinge gerührt zu werden, ergözet sich an angehängten Zierrathen. So viel scheinet gewiß zu seyn, daß die größten Künstler in jeder Art auch die größte Sparsamkeit in Verzierungen zeigen. An den griechischen Gebäuden, die aus der guten Zeit der Kunst übrig geblieben sind, findet man nur wenig Verzierungen; äußerst verschwendet sind sie aber an den so genannten gothischen Gebäuden der mittlern Zeiten, die man durch Schönheit und Pracht unterscheiden wollte.
Es ist kaum ein Theil der Kunst der mehr Geschmak und Beurtheilung erfodert, als dieser. Der Künstler thut wol, der es sich zur Maxime macht, in Ansehung der Verzierungen lieber zu wenig, als zu viel zu thun, da der gänzliche Mangel der Verzierungen kein Werk mangelhaft macht, die Ueberhäufung derselben aber, es gewiß verstellt.
Es giebt Werke der Kunst, die kaum irgend eine Art der Verzierung zulassen. Wo starke, oder tiefe Rührung des Herzens gesucht wird, folglich in pathetischen und zärtlichen Gegenständen, scheinen sie gar nicht statt zu haben. Man kann überhaupt dieses zur Grundregel der Verzierungen sezen, daß ein Werk um so viel weniger Zierrat verträgt, je mehr wesentliche ästhetische Kraft es besizt. Man findet in den Philippischen Reden des Demosthenes, und in den Catilinarischen und Philippischen des Cicero nichts von Schmuk, den der römische Redner sonst, wo er weniger ernsthaft war, vielleicht nur zu viel liebte. In blos unterhaltenden Werken, und überall, wo der Inhalt, oder die Materie an sich weniger wichtig, weniger ernsthaft ist, können die Verzierungen zu Vermehrung der Annehmlichkeit viel beytragen.
Der Künstler, dem es ein wahrer Ernst ist zu unterrichten, oder zu rühren, denkt nicht an Verzierungen, die dazu nichts beytragen können; aber der, der belustigen will, muß, wenn sein Stoff dazu nicht hinreichend ist, seine Zuflucht zu Verzierungen nehmen. Die griechischen Fabeln, die dem Aesopus zugeschrieben werden, und die lateinischen des Phädrus, sind fast durchaus ohne alle Verzierung; weil es den Verfassern im Ernst um Unterricht zu thun war: hingegen siehet man aus den häufigen Verzierungen in den Fabeln des La Fontaine, daß er mehr gesucht hat zu belustigen, als zu unterrichten.
Der Künstler hat aber nicht blos zu beurtheilen, wo sich Verzierungen schiken, sondern auch wie sie beschaffen seyn sollen. Quintilian hat in wenig Worten gesagt, was sich hierüber sagen läßt. Ornatus virilis, fortis, sanctus sit: nec effeminatam levitatem, nec fuco eminentem colorem amet; sanguine et viribus niteat. Die Verzierungen sollen männlich, kräftig und keusch seyn; sie sollen nicht weibischen Leichtsinn verrathen, auch nicht bloßen Schimmer geben, sondern wahre ästhetische Kraft und Bedeutung haben.
Die meisten in der reinen griechischen Baukunst gebräuchlichen Verzierungen, können als Beyspiehle zur Erläuterung dieser Foderungen angeführt werden. Man begreift beynahe bey allen, wie sie entstanden, oder warum sie da sind, wie wir größtentheils in den Artikeln darüber angemerkt haben:3 und meist überall dienen sie das Ansehen der Festigkeit zu vermehren. Also sind sie nicht leichtsinniger Weise, oder aus bloßem Eigensinn angebracht; fast überall sind sie einfach und von faßlicher Form, also nicht ausschweiffend oder üppig; haben eine Bedeutung, in dem sie entweder zum Tragen, oder Unterstüzen dienen, wie die Kragsteine, oder zum festern Verbinden, wie die Schlußsteine und die durchlaufenden Bänder und Gesimse, oder sonst schikliche Nebenbegriffe erweken, wie die Trophäen, Festonen und dergleichen. Nirgend sind sie bloßer Schimmer, der ohne bestimmten Zwek, blos das Aug an sich lokt: nirgend verbergen sie die natürliche Form und einfache Gestalt der wesentlichen Theile, an denen sie angebracht sind.
Hingegen siehet man in den spätheren Gebäuden der Alten, die unter den Nachfolgern der ersten Kayser aufgeführt worden, Verzierungen, die nichts [1235] von den erfoderlichen guten Eigenschaften an sich haben. Theile die stark und fest seyn sollen, bekommen durch ausgeschniztes Laubwerk das Ausehen, als ob sie schwach und zerbrechlich wären. Man sieht Laub-und Schnizwerk, dessen Grund man nicht einsehen kann; ausgehauene Bilder an Schlußsteinen, die ein bloßes Ohngefähr, oder eine völlig ausschweiffende, abentheuerliche Phantasie dahin sezen konnte. Was seiner Natur nach gerad oder glatt seyn sollte, ist zur vermeinten Zierde zerbrochen und verkröpft, oder durch Schnizarbeit kraus gemacht.
Man kann kaum sorgfältig genug seyn zu verhüten, daß die Verzierungen nicht am unrechten Ort angebracht, nicht zu überhäuft seyen, nicht gegen die Art und gegen den Charakter des Werks, oder der Theile, denen sie zur Zierde dienen sollen, streiten. Was nicht einen wesentlichen Theil hebt, oder unterstüzt, oder angenehmer macht, was blos angehängt ist, scheinet verwerflich.
Aber es wäre vergeblich eine Materie, wobey es mehr auf gründlichen und feinen Geschmak, als auf entwikeltes Denken ankommt, umständlicher zu behandeln.
Verzierungen, (Decorationen) nennt man auch, die Veranstaltungen, wodurch auf der Schaubühne der Ort der Handlung durch Mahlerey vorgestellt wird: aber uneigentlich; denn diese Verzierungen sind nicht Nebensachen zur Verschönerung, sondern wesentlich zum Schauspiehl gehörige Sachen. Von den Veranstaltungen der Schaubühne, wodurch die Vorstellung des Orts der Handlung in jedem Falle kann bewürkt werden; und von der Wahl der Scene, haben wir bereits gesprochen4. Ueber das Besondere in der Kunst des Schauspiehlmahlers bin ich nicht im Stand hier etwas befriedigendes zu sagen. In Ansehung des Geschmaks ist das Wichtigste, was man dem Mahler der Schaubühne zu sagen hat, dieses; daß er den Zwek seiner Arbeit bedenken, und nichts vorstellen soll, als was nothwendig ist, die Wahrheit der Vorstellung zu unterstüzen. Er muß schlechterdings blos darauf bedacht seyn, daß das Aug des Zuschauers die Scene für den wahren Ort der Handlung halte, und sich sorgfältig hüten, daß das Auge keine Gelegenheit finde, durch etwas unnatürliches, oder unschikliches, oder gegen das Uebliche streitende, oder allzusehr hervorstechende, sich von der Handlung selbst abzuwenden, um die Decoration zu tadeln, oder zu bewundern. Er hat das Seinige zum Schauspiehl am besten gethan, wenn der Zuschauer gar nicht an seine Arbeit denkt, sondern nur auf die handelnden Personen sieht, und glaubt, daß er sich würklich an dem Ort der Scene befinde.
Buchempfehlung
Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.
64 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro