Entrüstung

[325] Entrüstung. (Schöne Künste)

Der höchste Grad des Unwillens gegen das, was uns Böse scheint. Eine Leidenschaft, die sich die Künstler sehr wol können zu Nutze machen. Wir sind gar sehr geneigt durch diese Leidenschaft, wenn wir sie an andern sehen, und wenn sie uns dabey die Gerechtigkeit ihres Unwillens erkennen lassen, uns ebenfalls zum Unwillen gegen das Böse hinreissen zu lassen. Wer kann sich enthalten, beym Lesen des vierten Epodos des Horaz gegen den Menas aufgebracht zu werden, zumal da, wo die Entrüstung des Dichters am höchsten steigt, der sich über einen aus dem niedrigsten Staub zu hohen Ehren erhobenen Böswicht also ausläßt.


Sectus flagellis Hic triumviralibus,

Præconis ad fastidium,

Arat Falerni mille fundi jugera,

Et appiam mannis terit;

Sedilibusque magnus in primis eques,

Othone contempto sedet.


Daß auch in den zeichnenden Künsten diese Leidenschaft richtig auszudrüken sey, beweißt Raphaels Carton von der Geschichte des Ananias, wo der Apostel Petrus in würklicher Entrüstung erscheint.

Der Künstler, der gegen eine in hohem Grade schädliche Sache Abscheu erweken will, kann dieses am gewissesten durch einen guten Ausdruk der Entrüstung erhalten. Aber der Ausdruk der Rede muß dabey äusserst lebhaft, stark und schnell seyn, sonst wird der Eindruk geschwächt. Die Strafpredigt, die Noah den Giganten hält, als sie durch Menschenopfer die Satane gewinnen wollen, ist nicht durchaus in dem Ton der Entrüstung:1 die Worte: Dieser Greuel noch fehlte, und diese:


Eine verruchtere That war übrig, die durft er begehen;

Mit den Söhnen der Hölle sich gegen den Höchsten verbinden.


sind in dem wahren Ton der Entrüstung; aber übrigens ist die Rede zu lang und zu umständlich.

1S. Noachide V Ges S. 131 f.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 325.
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