[100] Ausdruk. (Schöne Künste)
Man braucht dieses Wort in der Kunstsprache, wenn man von Vorstellungen spricht, die vermittelst äußerlicher Zeichen in dem Gemüthe erregt [100] werden, und giebt diesen Namen bald dem Zeichen, als der Ursache der Vorstellung, bald seiner Würkung. Die Wörter und Redensarten der Sprache erweken gewisse Vorstellungen, deswegen schreibt man ihnen einen Ausdruk zu: aber sie selbst werden auch Ausdrüke, das ist, Mittel zum Ausdruk genennt. Dieser Artikel ist der Betrachtung der Mittel, die die schönen Künste haben, Vorstellungen zu erweken, gewiedmet.
Diese Mittel sind in den redenden Künsten die Wörter und die Sätze der Rede; in der Musik die Töne und die daraus zusammen gesetzte Tonsätze; in den zeichnenden Künsten Gesichtszüge, Gebehrden, selbst die Gesichtsfarbe; im Tanz Stellung, Gebehrden und Bewegung.
Der Zwek aller schönen Künste ist die Erwekung gewisser Vorstellungen und Empfindungen; daher die ganze Arbeit des Künstlers in glüklicher Erfindung dieser Vorstellungen, und im guten Ausdruk derselben besteht. Also ist die Kunst des Ausdruks die Hälfte dessen, was ein Künstler besitzen muß. Es würde ihm nichts helfen, die fürtrefflichsten Vorstellungen erfunden zu haben, wenn er sie nicht ausdrüken könnte.
Da die Mittel zum Ausdruke so sehr verschieden sind, so verdienet jede Gattung besonders betrachtet zu werden. Der beste Unterricht über den Ausdruk redender Künste, kann dem Mahler zu nichts dienen; wir wollen deswegen die verschiedenen Gattungen des Ausdruks besonders vornehmen.
Ausdruk in der Sprache. Der Redner oder Dichter, der in seiner Kunst vollkommen seyn will, muß auch den Ausdruk völlig in seiner Gewalt haben; er muß im Stande seyn, den Begriff, die Vorstellung, die er erweken will, vermittelst seiner Wörter und Redensarten in dem Maaße, wie es seine Absicht erfodert, zu erreichen. Eine sehr schweere Sache, besonders in den Sprachen, die noch nicht ganz ausgebildet, die noch nicht zu dem Reichthum gestiegen sind, der für jedes Bedürffnis hinreichend ist!
Der Ausdruk ist vollkommen, wenn die Wörter und Redensarten gerade das bedeuten, was sie bedeuten sollen, zugleich aber dem Charakter der Vorstellung, wozu die Begriffe, als Theile gehören, gemäß ist. Wenn so wol einzele Wörter, als ganze Sätze der Rede diese doppelte Eigenschaft haben, so ist der Ausdruk so, wie er seyn soll.
In jedem Ausdruk ist also zuerst auf die Bedeutung, und hernach auf den Charakter zu sehen; beydes aber muß so wol bey einzeln Wörtern, als bey ganzen Sätzen in Betrachtung gezogen werden. Schon in der gemeinen Rede muß der Ausdruk in Absicht auf die Bedeutung richtig, bestimmt, klar, und von verhältnißmäßiger Kürze seyn; in der kunstmäßigen Rede müssen sich diese Eigenschaften in einem höhern Grad finden. So gar der bloße Ton der Wörter muß diese Eigenschaften schon an sich haben. Dieses alles verdienet näher entwikelt zu werden.
Wörter, als bloße Töne betrachtet, müssen nichts unbestimmtes, nichts undeutliches, nichts allzugedrängtes noch schleppendes haben. Der Geist empfindet nur in dem Maaße, in welchem die Sinnen gerührt werden. Was für das Auge undeutlich gezeichnet ist, erwekt in dem Geiste keine deutliche Vorstellung; also vernehmen wir auch die durch das Gehör kommenden Begriffe richtiger, klarer und bestimmter, wenn die Töne, die sie erweken, diese Eigenschaften haben, als wenn sie ihnen fehlen. Eine zweydeutige Sylbe, über deren Elemente oder Buchstaben man ungewiß ist, wird nicht gut gefaßt, und so auch ganze Wörter nicht, die aus solchen Sylben bestehen; so geht es auch mit schweeren Wörtern, die man kaum aussprechen kann; deswegen gehört die Beobachtung des Wolklanges zum vollkommenen Ausdruk.1
Wenn der Ausdruk richtig, bestimmt und klar ist, so erwekt er nicht nur gerade die Begriffe, die er erweken soll; sondern es geschieht, wenn diese Eigenschaften in einem gewissen Grad vorhanden sind, mit ästhetischer Kraft, weil alles vollkommene einen Reiz bey sich führet. Ohne Absicht auf die Wichtigkeit der Dinge, die man uns sagt, empfinden wir Vergnügen, wenn wir jedes Ding mit seinem Namen nennen hören. Selbst in dem Fall, da wir einen Gegenstand sehen und eine richtige Vorstellung davon haben, ist es uns angenehm, wenn selbiger gut beschrieben wird. Um so viel mehr reizt es die Vorstellungskraft, wenn ein Redner das, was unbestimmt, verworren und zum Theil dunkel in unsern Vorstellungen liegt, durch einen guten Ausdruk entwikelt. Wer kann folgende in den wichtigsten und bestimmtesten Ausdrüken verfaßte Beschreibung von der Eitelkeit des menschlichen Lebens, ohne Vergnügen lesen?
[101] Hier reißt ein schwach Geschlecht, mit immer vollem Herzen,
Von eingebildter Ruh und allzu wahrem Schmerzen;
Wo nagende Begierd und falsche Hoffnung wallt,
Zur ernsten Ewigkeit. Im kurzen Aufenthalt
Des nimmer ruhigen und ungefühlten Lebens
Schnapt ihr betrogner Geist nach ächtem Gut vergebens2
Diese Vollkommenheit des Ausdruks ist vielleicht der wichtigste Theil der Kunst des Redners und des Dichters. Wer sie besitzt, ist sicher, daß er allemal sagen kann, was er sagen will.
Die Rede ist die größte Erfindung des menschlichen Verstandes, gegen die alle andre für nichts zu rechnen sind. Selbst die Vernunft, die Empfindungen und die Sitten, wodurch der Mensch sich aus der Classe irdischer Wesen zu einem höhern Rang herauf schwingt, hangen davon ab. Wer die Sprache vollkommener macht, der hebt den Menschen einen Grad höher. Schon dadurch allein verdienen die Beredsamkeit und Dichtkunst die höchste Achtung.
Es sind zwey Mittel zum vollkommenen Ausdruk zu gelangen; die Kenntniß aller Wörter der Sprache und eine philosophische Kenntnis ihrer Bedeutung. Beyde müssen mit einander verbunden werden. Es hilft nichts, daß man bestimmt denke, wenn man die Wörter nicht findet, jeden Begriff auszudrüken; noch weniger hilft es alle Wörter zu wissen, wenn man ihrer Bedeutung nicht gewiß ist. Das Studium der Sprache in dieser doppelten Absicht, ist von der größten Nothwendigkeit. Wer sich immer richtig ausdrüken will, der muß durch den Umgang oder durch das Lesen einen Reichthum an Wörtern und Redensarten3 gesammelt, und alle mit Scharfsinnigkeit beurtheilt haben. Dadurch haben sich alle große Redner und Dichter hervor gethan.
Die Richtigkeit, die erste nothwendige Eigenschaft des Ausdruks, betrift nicht blos Wörter, sondern die Sätze und die Wendungen derselben. Nur ein Wort unrecht gestellt, nur eine nicht genau überlegte Anwendung eines Vorworts, kann dem ganzen Satz etwas unrichtiges geben. Wenn die Karschin sagt.
–– –– am Tage,
Den ein erschaffender Gott,
Nach der vollendeten Schöpfung,
Hochheilig machte der Ruh!
So giebt das Wörtchen ein anstatt des Artikels, dem ganzen Satz etwas unbestimmtes, das der größten Richtigkeit des Ausdruks entgegen ist. Es kommt hiebey ofte auf fast unmerkliche Kleinigkeiten an. Auch dem scharfsinnigsten entschlüpft etwas unrichtiges, wie mit Beyspielen aus den besten neuern Dichtern zu beweisen wäre. Daß wir dieses an alten weniger bemerken, kommt vermuthlich daher, daß wir ihre Sprachen nicht genug verstehen, um von kleinen Unrichtigkeiten des Ausdruks zu urtheilen. Nur eine genaue Ausarbeitung kann uns von dieser Seite her sicher stellen.
Die den erwähnten guten Eigenschaften des Ausdruks entgegen stehende Mängel machen, daß der Redner bisweilen seinen Zwek verfehlt und etwas anders sagt, als er hat sagen wollen. Sollte auch der Leser durch mehr Scharfsinn, als der Verfasser gehabt hat, ihn des unrichtigen Ausdruks ungeachtet verstehen, so wird er doch unangenehm. Wir können bey folgender Stelle:
–– –– kaum spielt die Ranunkel
Auf der Rabatte mit solchen hellen abwechselnden Farben,
Als der durchsichtige Ton, von Meisterhänden beseelet.
endlich merken, was der Dichter mit dem ganz unrichtigen Ausdruke beseelet, hat sagen wollen. Dessen ungeachtet ist er uns zuwider. Wenn ein andrer Dichter sagt:
Den, der Neptun und der Aeol gebändigt,
–– –– –– ––
Verhüllt das Grab.
so merken wir, daß er sagen will, sein Name sey nicht bis auf uns gekommen; aber wir fühlen, daß der Ausdruk dieses nicht sagt; deswegen ist er uns anstößig.
Die Klarheit ist eine andre nothwendige, nach Quintilian die vornehmste,4 Eigenschaft des Ausdruks. Redner und Dichter müssen den Geist der Zuhörer in einer beständigen Aufmerksamkeit erhalten. Dazu ist die Klarheit des Ausdruks allezeit nothwendig.5 Wo sie fehlt, da gehen nicht blos die Vorstellungen verlohren, die in Nebel eingehüllt sind; auch die, welche gleich darauf folgen, werden wegen Mangel der Aufmerksamkeit schwächer. Die Rede wird klar, wenn jedes Wort einen genau bekannten Sinn hat, und wenn die Wörter so gesetzt sind, daß die Verbindung der Begriffe leicht zu fassen ist. Beydes setzt die größte Klarheit in den Gedanken des Redners voraus. Es ist deswegen eine wichtige Regel, daß man nichts eher auszudrüken suche, bis man es mit der größten Klarheit [102] selbst gefaßt habe. Die Gedanken, die wir andern mittheilen wollen, müssen, wie ein schönes Gemählde, deutlich in unsrer Vorstellung liegen. So hat Homer ohne Zweifel jeden Gegenstand, den er beschreibt, in dem hellesten Lichte vor seinen Augen gehabt. Nur der, welcher hell denkt, kann sich deutlich ausdrüken. Dieses lernt man nicht durch Regeln: von der Natur haben gewisse Geister die unschätzbare Eigenschaft, sich nicht eher zu beruhigen, bis sie alles, was ihnen vorkömmt, deutlich erkennt haben. Wenn man solche Schriftsteller liest, die die Gabe der Deutlichkeit in einem hohen Grade haben, wenn man sieht, wie sie so viel Gedanken, die wir auch schon gehabt, aber nicht so deutlich gefaßt hatten, mit dem hellesten Lichte darstellen, so kömmt man auf den Gedanken, daß solche Genie sich von andern blos dadurch unterscheiden, daß sie jeder Sache so lange nachdenken, sich bey jedem Gegenstande so lange verweilen, bis sie alles auf das genaueste gefaßt haben Diese Gabe des genauen Nachforschens, in Absicht auf allgemeine Begriffe, macht vornehmlich das philosophische Genie aus; in Absicht auf sinnliche Gegenstände aber, das Genie des Künstlers. In der Rede müssen zur Deutlichkeit des Ausdruks beyde zusammen kommen.
Ein gutes Mittel, das zum deutlichen Ausdruk nöthige Talent zu stärken, ist das fleißige Lesen der Schriftsteller, die es selbst in einem hohen Grad besessen haben. Für den Ausdruk sinnlicher Gegenstände, Homer und Virgil, Sophokles und Euripides; für den Ausdruk sittlicher und philosophischer Gegenstände, Aristophanes, Plautus, Horaz, Cicero, Quintilian, und unter den neuern, Voltaire und Rousseau aus Genf.
Dem, der hell denkt, wird es selten am hellen Ausdruk fehlen. Doch ist hierüber noch verschiedenes zu erinnern. Quintilian faßt die Eigenschaften des deutlichen Ausdruks in diese wenige Worte zusammen: eigentliche Wörter, gute Ordnung, einen nicht allzu lange aufgeschobenen Schluß des Satzes, nichts mangelndes und nichts überflüßiges.6 Die eigentlichen Wörter sind doch nicht allemal ohne Ausnahme zum hellen Ausdruk nothwendig. Denn ofte wird ein Begriff durch ein uneigentliches Wort deutlicher gezeichnet, und heller gemahlt, als durch das eigentliche; wie wenn Haller sagt:
Da ein verwöhnter Sinn auf alles Wermuth streut.
Der eigentliche Ausdruk dienet fürnehmlich in ganz einfachen Vorstellungen zur Deutlichkeit; aber wo die Begriffe sehr zusammen gesetzt, und die Vorstellung etwas weitläuftig ist, da dienet ein metaphorischer und mahlerischer Ausdruk ungemein zur Deutlichkeit. Er überhebt uns der umständlichen Entwiklung, die wegen ihrer Länge der Deutlichkeit schadet. Denn viel auf einmal kann nur vermittelst eines Bildes klar gefaßt werden. Es ist eine Regel, die kaum eine Ausnahme leidet, daß Begriffe und Gedanken, die aus viel einzeln Vorstellungen zusammen gesetzt sind, nur durch glükliche Bilder klar ausgedrükt werden. Welcher eigentliche Ausdruk könnte das, was Cicero nundinationem iuris ac fortunarum nennt,7 eben so deutlich ausdrüken?
Das wichtigste in Quintilians Regel ist wol dieses: daß so wol der Mangel als der Ueberfluß im Ausdruk zu vermeiden sey. Nebenbegriffe, die in der Sache nichts bezeichnen, oder die jedem aufmerksamen Zuhörer ohne dem beyfallen, besonders ausdrüken, ist Ueberfluß; nothwendige Begriffe weg lassen, ist Mangel.
Wörter, die neu, oder wenig bekannt, oder aus andern Sprachen geborget sind, können der Deutlichkeit des Ausdruks schaden; wiewol sie es nicht allezeit thun. Wenn die Karschin sagt:
Kein Menschenarm erhält das Glüke bändig,
so ist der Ausdruk ganz neu, aber nicht undeutlich.
Da es nicht wol möglich ist, auch vielleicht unnütze wäre, gar alle Arten der Fälle anzuführen, in welchen die Deutlichkeit Schaden leidet, so wollen wir hierüber nicht weitläuftiger seyn. Auf alle Fragen, die hierüber könnten gemacht werden, kann die einzige allgemeine Antwort dienen: hell denken.
Die letzte nothwendige Eigenschaft des Ausdruks ist die Reinigkeit, oder die grammatische Richtigkeit desselben. Was außer dem Gebrauch ist, kann wegen seiner Neuigkeit gute Würkung thun; aber was gerade gegen den Gebrauch ist, hat allemal etwas anstößiges, weil es dem widerspricht, was wir [103] schon für ausgemacht halten. Deswegen muß der Ausdruk allemal rein seyn.
Dieses sind also die nothwendigen Eigenschaften, die jeder Ausdruk allemal haben muß. Richtig, bestimmt, klar und rein muß er immer seyn, sonst hat er etwas widriges. Allein deswegen ist er nicht in allen Absichten vollkommen. Die griechischen Grammatiker zählen uns eine Menge Fehler vor, die den Ausdruk verstellen können. Die vornehmsten sind folgende: Das κακοφατον, der häßliche Klang, der widrige Nebenbegriffe erweken kann. Quintilian giebt den Ausdruk, ductare exercitum, zum Beyspiel hievon an; so wäre im Deutschen der Ausdruk, Strik, anstatt Ketten oder Banden, wenn man nicht mit Fleiß widrige Begriffe erweken will. Die ᾽Αιχρολογια, wenn der Ausdruk ungeziemende oder zu üppige Begriffe mit sich führet. Ταπεινοσις, der niedrige Ausdruk, der der Würde und Größe einer Sache schadet; wie dieses: Saxea est verruca in summo montis vertice; eine steinerne Warze anstatt eines felsigten Hügels. So ist auch der Ausdruk:
Sieh! an seiner Ordnung goldnen Seilen
Muß der Frühling neu herunter eilen.
an statt goldenen Ketten. Von dieser Art könnte man eine beträchtliche Sammlung aus deutschen Dichtern machen. Auch das Gegentheil ist fehlerhaft, da kleine oder gemeine Dinge mit hohen Worten ausgedrükt werden. Nur im lächerlichen thut dieses gute Würkung. Μειωσις ist der mangelhafte Ausdruk, in dem zu dem völligen Sinn etwas fehlet; dieses fällt ins Pöbelhafte. Ταυτολογια, wenn dieselbe Sache mit mehrern, den Sinn nicht verstärkenden Ausdrüken, gesagt wird. Einen solchen Ausdruk legt Homer, vielleicht aus Ueberlegung, dem Pandarus in den Mund; ἑνδεκα διφροι, καλοι, προτοπαγεις, νεοτεοχεες.8 Ὁμοιολογια, der einfärbige Ausdruk, der wegen seines immer gleichen Ganges verdrießlich wird. Dieses scheinet aber mehr ein Fehler der ganzen Schreibart, als einzeler Ausdrüke zu seyn. Μακρολογια, der weitschweifende Ausdruk, wie dieser vom Livius: Legati non impetrata pace retro domum unde venerant, abierunt. Kann nicht auch folgendes des Virgils hieher gerechnet werden?
Quem si fata virum servant, si vescitur aura
Aetherea, nec adhuc crudelibus occupat umbris.
Πλεονασμος der unnütze Ueberfluß müßiger Beywörter, wie: dies hab ich mit meinen beyden Augen gesehen. Περιεργια, was unnützer Weise mühsam ist, wie dieses:
Er, dem des ersten Menschen zweyten Sohnes,
Des Abels, fromme Muse ward.
Κακοζηλον, der gezierte Ausdruk.
Man würde zu weitläuftig seyn, wenn man alle Fehler des Ausdruks bestimmen und mit Beyspielen erläutern wollte. Das angeführte ist blos in der Absicht hieher gesezt worden, daß junge Redner und Dichter sehen sollen, auf wie so gar mancherley Weise man im Ausdruk fehlen könne; wie nothwendig es sey, die äußerste Sorgfalt auf diesen Theil der Kunst zu wenden. Uns Deutschen ist dieses um so viel nöthiger, da wir in diesem Stük ungemein weit hinter unsern Zeitgenossen in Frankreich, Italien und England, zurüke sind. Sorgfältig haben sich insonderheit junge deutsche Dichter und Redner vor dem übertriebenen Ausdruk in Acht zu nehmen, da auch einige sonst gute Schriftsteller sich dieses so angewöhnt haben, daß ihnen nichts allerliebst, nichts unvergleichlich, nichts erstaunlich genug ist.
Es ist schon viel, wenn man die Fehler des Ausdruks vermeidet; aber genug ist es für die redenden Künste nicht: man muß ihm auch ästhetische Eigenschaften zu geben wissen und solche, die sich zur Materie und zu den besondern Umständen schiken. Diese Eigenschaften sind überhaupt von dreyerley Art. Sie greiffen den Verstand, oder die Einbildungskraft, oder das Herz an.9
Der Verstand wird gerührt durch das, was in einem vorzüglichen Grad wahr, angemeßen, hell, neu, naiv, fein, ist. Jede dieser Eigenschaften giebt dem Ausdruk ästhetische Kraft. Besondere Beyspiele davon sind in den unter angezogenen Benennungen stehenden Artikeln anzutreffen.
Die Einbildungskraft ergötzet sich an dem Ausdruk, der mahlerisch, witzig, in allerhand starke oder liebliche Bilder eingekleidet ist; wovon Beyspiele unter diesen Wörtern zu suchen sind. Eine besondere hieher gehörige Gattung angenehmer Ausdrüke sind die, welche durch fast unmerkliche Nebenbegriffe angenehm werden. Quintilian sagt: er fühle, daß in dem Ausdruk:
–– Caesa jungebant foedera porca.10
[104] das Wort porca eine Annehmlichkeit habe, die das porco nicht hätte. Der Grund liegt ohne Zweifel darin, daß das weibliche Geschlecht der Wörter bisweilen auch etwas sanfteres in der Einbildungskraft erwekt, als das männliche. Daher wird gewiß in allen Fällen, wo die Wörter Reh, Hirsch, Hindin der Bedeutung nach gleichgültig wären, das lezte angenehmer seyn, als die andern. Dieses hat auch ein Scholiast über folgende Stelle des Horaz angemerkt:
Nunc et in umbrosis fauno decet immolare lucis
Seu poscat agna seu malit haedo.11
Wo er über das Wort Agna sagt: Nescio quomodo quaedam elocutiones per foemininum genus gratiores fiunt.
Hieher gehört auch, daß die Griechen, so wie auch die Deutschen, bisweilen in dem unbestimmten Geschlecht weiblicher Namen, eine Annehmlichkeit finden. Dem Deutschen ist der Ausdruk; das schöne Kind, das liebe Mädchen, angenehmer als diese: die schöne Person, die liebe Tochter; und den Griechen scheinen solche weibliche Namen, wie Leontium, Musarion u. d. gl. angenehmer, als die von weiblicher Endigung.
Das Herz findet den Ausdruk angenehm, der etwas leidenschaftliches hat, der zärtlich, pathetisch, sanft, heftig, und jeder Leidenschaft angemessen ist.
In Ansehung des Charakters ist der Ausdruk entweder niedrig, gemein, oder edel, oder groß oder erhaben, ernsthaft oder comisch, und so kann auch der Ton ganzer Redensarten seyn. Von diesen verschiedenen Charakteren, die der Ausdruk bey einerley Bedeutung annehmen kann, ist in so viel besondern Artikeln umständlich genug gesprochen worden.
Der Ausdruk, der schon durch den bloßen Klang einen besondern Charakter annimmt, wird von einigen Kunstrichtern, der lebendige Ausdruk genennt, und ist auch besonders betrachtet worden.
Ausdruk in zeichnenden Künsten. Man sagt von dem Zeichner, er sey im Ausdruk stark, wenn seine Figuren Leben, Gedanken und Empfindung zu haben scheinen. Durch den Ausdruk der Zeichnung wird der unsichtbare Geist sichtbar. Diese erhabene Kunst ist eine Erfindung der Natur. Nur dem unendlichen Genie war es möglich, der Materie Empfindung zu geben. Dadurch wird die Mahlerey zu der wunderbaresten Kunst, weil sie blos durch Farben jede Empfindung der Seele rege machen kann: bloße Scharten werden durch die Zauberey des Ausdruks in denkende und empfindende Wesen verwandelt. Ohne diese Kunst ist ein gemahltes und geschnitztes Bild eine öde Form, die keinem denkenden Wesen gefallen kann; durch sie wird es zu einem handelnden Wesen, mit dem wir unser Herz theilen.
Die größte Bestrebung des zeichnenden Künstlers muß auf diesen Theil gerichtet seyn, ohne welchen alles übrige nichts ist. Callistratus nennte die Bildhauerey die Kunst Sitten auszudrüken,12 und zeigte dadurch an, daß der Ausdruk der eigentliche Zwek dieser Kunst sey. Nach den würklichen Scenen des menschlichen Lebens und deren vollkommenen Vorstellung auf der Schaubühne, würkt nichts so sehr auf den Geist, als Gemählde von vollkommenem Ausdruk. Sie erweken in dem Geist Bestrebungen nach Vollkommenheit, und flößen dem Herzen Empfindungen ein. Wie ein Jüngling durch die Kraft der Schönheit zu einer Liebe gereizt wird, die seine ganze Seele einnimmt, so wird durch die Kraft des Ausdruks jeder empfindende Mensch mit Bewunderung des Großen, mit Liebe zum Guten, mit Abscheu für das Böse, erfüllt. Themistokles konnte bey dem Andenken an die Siegeszeichen des Miltiades nicht schlafen, so sehr wurd dadurch seine Seele mit edler Ruhmbegierd entflammt; wie viel mehr muß nicht ein edles Herz empfinden, wenn nicht blos ein Zeichen der Größe einer Seele, sondern diese Seele selbst, vors Gesichte gestellt wird. Kann die Tugend, die blos als ein Schattenbild in unsrer Einbildungskraft schwebet, die stärkste Bewunderung erweken, was muß nicht denn geschehen, wenn sie in sichtbarer Gestalt, und in hellem Lichte vor uns steht? Wenn wir in den würklichen Scenen des Lebens das Glük haben, Menschen in dem Augenblik zu sehen, da ihre Seele mit großen Empfindungen erfüllt ist, so gehen diese Scenen schnell vor dem Gesichte vorbey; aber der Künstler hält diese kostbaren Augenblike für uns fest. Unser Aug kann so lang darauf verweilen, bis es gesättiget ist, wenn hier eine Sätigung statt hat; wir genießen den Gegenstand so lange, bis er seine völlige Würkung auf uns gethan hat.
Aber durch welchen Weg, durch welche Stufen gelanget der Künstler zu diesem höchsten Gipfel [105] der Kunst, die ihn zum Meister aller Herzen macht? Dahin führet kein Weg, den jeder betreten kann; denn gemeinen Augen ist er nicht sichtbar. Wem nicht die Natur eine Seele gegeben hat, die jede Gattung des Guten tief fühlt, und die sein Auge schärft jedes zu sehen, der würde sich umsonst bestreben, in diesem Theile der Kunst groß zu werden. Die Sinnen bringen nichts in die Seele; sie erweken nur das, was schon schlafend darin gelegen hat. Umsonst sieht ein Aug, das von einer unempfindlichen Seele regiert wird, die reizendste Schönheit; es entdeket nichts darin. Die Natur allein bildet den großen Künstler; aber Uebung und Fleiß machen ihn vollkommen.
Die ersten Schritte zu dieser Vollkommenheit thut die Beobachtung, ohne welche alles, was in unsrer Seele eingewikelt liegt, auf immer ohne Würkung bleiben würde. Das gute, dessen Keim in uns liegt, fängt an sich zu entwikeln, so bald wir es an andern entwikelt sehen. Die Beobachtung der Tugend ist der fruchtbare Sonnenschein, der den Saamen unsrer eignen Tugend aufkeimen macht. Der Künstler muß sich bemühen, die menschliche Natur überall, wo sie sich am besten entwikelt hat, zu beobachten. Man darf sich nicht wundern, warum die griechischen Künstler so groß im Ausdruk gewesen sind, da es offenbar ist, daß bey keinem Volk alle natürliche Anlagen der Seele sich so frey und so völlig, als bey diesem, entwikelt haben. Wenn unter den Grönländern ein grösserer Phidias oder Raphael gebohren würde, so würde er gewiß keine einzige feine Empfindung auszudrüken lernen. Eine genaue Bekanntschaft mit Menschen, bey denen jede große Anlage ausgebildet ist, macht den ersten Schritt zu der Vollkommenheit aus, von der hier die Rede ist. Was der Künstler nicht im Leben sehen kann, muß er aus der Geschichte erfahren, und durch die Gemählde der Dichter. Dadurch muß sein Geist gebildet und seine Phantasie erhizt werden. So ward Phidias nach seinem eigenen Geständniß durch den Homer tüchtig gemacht, seinen Jupiter zu bilden. Der allein, welcher seine Seele durch diese Mittel zur Empfindung gebildet hat, kann sich schmeicheln, zu einiger Vollkommenheit des Ausdruks zu gelangen. Indem er selbst voll Empfindung ist, wird seine Phantasie ihm die Bilder, an denen das, was er fühlt, sichtbar ist, vors Gesichte stellen. Alsdenn darf er nur nachzeichnen. Durch Suchen, durch Ueberlegen und durch Abmeßen findet man den Ausdruk nicht; nur die vom Herzen erwärmte Einbildungskraft sieht ihn.
Hiezu muß noch ein erhöhter Geschmak kommen, der unter viel gleichbedeutenden Dingen dasjenige wählt, was den Personen und Umständen gemäß ist. Ein König zürnt anders, als ein gemeiner Mensch, und der Schmerz eines männlichen starken Gemüthes äußert sich ganz anders, als wenn er eine schwache weibliche Seele durchdringt. Nicht nur das muß der Künstler fühlen, sondern auch noch das, was dem Ausdruk etwas anstößiges oder widriges geben würde. Denn so wie der Tonsetzer auch in den Dissonanzen auf Ordnung und Regelmäßigkeit sehen muß, so ist in dem Ausdruk des Zeichners alles zufällig widrige zu vermeiden. Ein Gesichte muß, um einen widrigen Affekt auszudrüken, nicht häßlich werden. Das Schöne der Formen ist in zeichnenden Künsten, so wie die richtige Harmonie in der Musik, von jedem Ausdruk unzertrennlich. Das schönste Gesicht kann sich eben so gut nach allen Leidenschaften verändern, als ein weniger schönes; darum muß dieses jenem niemals vorgezogen werden.
Der feineste Geschmak wird dazu erfodert, daß man in dem Ausdruk das Wesentliche von dem Zufälligen unterscheide. Ein Mensch von wenig Empfindung merkt die Leidenschaften der Freude, des Zornes oder des Schmerzens nicht eher, bis selbige sich durch Geschrey oder Schimpfen äußern, da Personen von feinerm Geschmak, ohne diese zufälligen Aeußerungen fühlen, was sie zu fühlen haben.13
Außer diesen innern Fähigkeiten zum guten Ausdruk müssen auch noch andre vorhanden seyn. Es ist nicht genug, daß der Künstler durch die Phantasie sehe, was er zu zeichnen hat; er muß das, was er sieht, auch andern sichtbar machen können. Dazu macht ihn nur ein vollkommenes Augenmaaß und eine vollkommene Fertigkeit der Hand geschikt. Also können nur große Zeichner in jedem Ausdruk glüklich seyn. Das Aug muß die kleinesten Veränderungen der Formen entdeken, und die Hand muß sie ausdrüken können.
Also müssen beyde unaufhörlich geübt werden. Dem Anfänger der Kunst kann es helfen, wenn er sich das zu Nutze macht, was gute Meister über das [106] besondere, wodurch die Leidenschaften sich auf den Gesichtern und in der Haltung des Körpers unterscheiden, ausführlich angemerkt haben. Wenn er Le Brüns nach allen Leidenschaften charakterisirte Köpfe fleißig betrachtet und zeichnet, so wird sein Augenmaaß dabey gewinnen. Er wird lernen, worauf er bey jedem Affekte vorzüglich zu sehen habe; welche Leidenschaft sich vornehmlich im Auge, welche in dem Munde sich äußert Er muß sich die Bemerkungen der Meister über den Einfluß derselben auf die Stellung und Bewegung der Gliedmaaßen bekannt machen. Die Glieder unsers Körpers besitzen eine Art der Sprache. Alle Gliedmaaßen helfen dem Redner sprechen; von den Händen kann man bey nahe sagen, daß sie selbst sprechen. Können wir nicht, sagt ein Kunstrichter, mit den Händen fodern, versprechen, rufen, verabscheuen, fürchten, fragen, leugnen oder weigern, Freude und Traurigkeit, Zweifel, Bekenntniß, Neue, Maaß und Ziel, Ueberfluß, Zeit und Zahl andeuten.14 Auch einzele Muskeln des Rumpfs, besonders die an der Brust und an dem Unterleibe sind, haben ihren eigenen Ausdruk.
Alles dieses genau zu beobachten, muß des Künstlers unabläßliches Studium seyn. Er muß zu dem Ende keine Gelegenheit vorbey lassen, bey den Auftritten des Lebens zu seyn, wo sich die Leidenschaften der Menschen am meisten äußern; Auftritte, wo ein ganzes Volk sich versammelt; wo er Freude,. Furcht, Schreken, Andacht, in tausend Gesichtern und Stellungen sehen kann.
Mit dieser Beobachtung der Natur verbinde er das Studium der Antiken, wo der Ausdruk am vollkommensten erreicht, und auch in den schlechtesten Stüken nicht ganz versäumt ist. In den Werken der Neuern müssen des Michel Angelo, und fürnehmlich Raphaels, beste Werke ihm täglich vor Augen schweben. Diese Werke sind durch die tiefsinnigsten Beobachtungen großer Geister zu der Vollkommenheit gestiegen, die wir an ihnen bewundern; sie studiren, erleichtert den Weg zu eben dieser Vollkommenheit. Auch Deutschland kann auf einen Mann stolz seyn, der im guten Ausdruke als ein Anführer kann gebraucht werden. Dieser ist Schlüter, dessen Verdienste so wenig bekannt sind, und dessen Werke nur Berlin besitzt.15
Ausdruk in der Schauspielkunst. Das Studium des vollkommenen Ausdruks hat so wol der Schauspieler als der Tänzer mit dem zeichnenden und bildenden Künstler gemein. Gewissermaaßen ist es jenen noch nothwendiger, weil ihre ganze Kunst darin besteht. Ein Tänzer ohne Ausdruk ist ein bloßer Luftspringer; und ein Schauspieler, dem er fehlt, ist gar nichts. Er verdirbt alles Gute, was der Dichter ihm in den Mund legt, und beleidiget, an statt zu ergötzen oder zu reizen. Was also vorher über das Studium des Ausdruks und über die Betrachtung der Natur und der Kunst gesagt worden, wollen wir diesen mit dem vorzüglichsten Nachdruk gesagt haben. Er muß jede Empfindung in sich zu fühlen im Stande seyn; kein bedeutender Blik, kein kräftiger Zug des Gesichts, keine Gebehrde, nicht die geringste Bewegung der Gliedmaaßen, die er an andern wahrnehmen kann, muß ihm unbemerkt vorüber gehen. Alles, was er zum Behuf des Ausdruks in der Natur und Kunst entdeken kann, muß er seiner Einbildungskraft tief einprägen, und durch unermüdete Uebung nachzuahmen trachten.
Das vorzüglichste Mittel zu einem vollkommenen Ausdruk scheint dieses zu seyn, daß der Schauspieler sich selbst so stark, als möglich ist, in die Empfindung der Personen setze, welche er vorstellt. Der jüngere Riccoboni aber widerspricht diesem, und nennt es einen glänzenden Irrthum. Ich habe, sagt er, allezeit als was gewisses angenommen, daß man, wenn man das Unglük hat, das was man ausdrukt, würklich zu empfinden, außer Stand gesetzt wird, zu spielen.16 Ganz anders dachte jener alte Schauspieler, der in der Elektra des Sophokles die Asche seines Sohnes in der Urne hatte, um den Schmerz dieser Prinzeßin, da man ihr die Gebeine des Orestes bringt, desto vollkommener auszudrüken. Der angeführte französische Schauspieler muß dafür halten, daß man durch deutlich bestimmte Regeln alles nachmachen könne. Es [107] scheinet aber, daß ein Mensch, der in eine gewisse Leidenschaft gesetzt ist, sie durch viel kleine, niemals deutlich zu merkende Kennzeichen äußere, die, zusammen genommen, den wahren Ausdruk der Natur ausmachen. Altes geht mechanisch ohne unser Bewußtseyn zu. Da uns nun alle die Kräfte, wodurch jede Muskel des Leibes gezogen wird, wenn wir gewisse Leidenschaften fühlen, unbekannt sind, so kann der Vorsatz zu ihrer Würkung nichts beytragen. Es giebt keine Theorie, nach welcher wir unserm Gesichte die Traurigkeit einprägen können. Sind wir aber würklich traurig, so setzt sich alles von selbst in die gehörige Gestalt.
Wir scheuen uns also nicht, gegen das Ansehen eines Meisters in der Kunst den Schauspielern zu empfehlen, daß sie sich unaufhörlich befleißen sollen, sich in alle Arten der Empfindungen zu setzen. Finden sie ihre Seele nicht weich genug, mit dem Weinenden zu weinen, mit dem Zornigen aufgebracht zu seyn, so thun sie wol, wenn sie solche Rolen, für die sie das nöthige Gefühl nicht haben, niemals auf sich nehmen. Ein Mensch, der vorzüglich zu sanften, zärtlichen und gefälligen Neigungen aufgelegt ist, muß sich nicht unterstehen, die Role eines Wüterichs zu spielen.
Der Schauspieler, dem die Natur eine Fähigkeit, alles zu empfinden, verliehen hat, kann dieselbe durch fleißige Uebung erweitern. Er muß die Werke der besten Dichter ohne Unterlaß lesen, und jeder merkwürdigen Scene so lange nachhängen, bis seine Einbildungskraft dieselbe ihm auf das lebhafteste vormahlt. Denn dadurch wird er selbst in die Leidenschaft versetzt werden. Dabey bleibet ihm immer noch so viel Nachdenken übrig, daß er auf den guten Ausdruk denken kann.
Ungeachtet aber in der Natur gleiche Ursachen auch gleiche Würkungen haben, so sind diese doch in Absicht auf die Aeußerungen der Leidenschaften, bey verschiedenen Menschen verschieden. Eine große Seele äußert jede Empfindung größer und edler, als eine kleine. Zwey Menschen von verschiedenen Charakteren, in gleichem Grad traurig oder freudig, legen ihr Gefühl ungleich an den Tag. Es ist demnach nicht genug, daß der Schauspieler sich in die Empfindung setze, die er ausdrüken soll: er muß sie in dem besondern Licht, in der bestimmten Zeichnung des Charakters ausdrüken, den er angenommen hat. Der Held trauert und freuet sich anders, wie der gemeine Mensch. So wol durch einen übertriebenen als durch den falschen Ausdruk wird das Gegentheil dessen, was der Dichter gesucht hat, erhalten. Wenn der Dichter edeln Stolz schildert, der Schauspieler aber einen hochtrabenden Menschen vorstellt, so verändert sich die Hochachtung in Verachtung. Wenn der Dichter einen stillen tiefsitzenden Schmerz haben will, der Schauspieler aber heult, so wird das Weinen in Lachen verwandelt. Auch der falsche Nachdruk verderbt alles.
Es gehört so sehr viel dazu, im Ausdruk vollkommen zu seyn, daß man sich über die kleine Anzahl vollkommener Schauspieler gar nicht wundern därf. Natur und Fleiß müssen sich zu seiner Bildung vereinigen. Von jener hat er einen feinen durchdringenden Verstand, jeden Charakter sich auf das bestimmteste vorzustellen, eine lebhafte Einbildungskraft, die ihm alles mit lebendigen Farben vor das Gesicht stellt, ein fühlendes Herz, das jede Empfindung in sich hervor bringen kann. Aber ohne Fleiß und Studium sind diese Gaben nicht hinreichend, ihn vollkommen zu machen. Er muß den Charakter seiner Role auf das vollkommenste ergründen, bis er die kleinsten Schattirungen desselben erkennt; die Handlung, in welcher dieser Charakter sich äußert, muß ihm in ihren kleinesten Umständen ganz vor Augen liegen; die besondere Veranlassung zu dem Spiel der Leidenschaften muß er auf das genaueste erwägen, und alles so lange überlegen, bis er sich selbst vergißt, und sich gleichsam in die Person verwandelt, die er vorstellt.
Man hat die Frage aufgeworfen, ob es nöthig sey, den Ausdruk desto vollkommener zu erreichen, die Natur etwas zu übertreiben. Der ältere Riccoboni pflegte zu sagen, wenn man rühren wolle, so müsse man zwey Finger breit über das natürliche gehen.17 Allein die Gefahr, durch das übertriebene frostig zu werden, muß den Schauspieler sehr behutsam machen. Der jüngere Riccoboni hat sehr wol angemerkt, daß die Natur ohne alle Uebertreibung vollkommen stark genug ist. Leute, welche sich allen Eindrüken der Leidenschaften ohne Verstellung überlassen, dergleichen man unter dem gemeinen Volke genug antrifft, zeigen uns hinlängliche Stärke des Ausdruks. Kann der Schauspieler dieselbe erreichen, und mit dem edlen Wesen, das Personen von erhabnerm Stande an sich zu haben [108] pflegen, verbinden, so braucht er nichts zu übertreiben.
Was wir vorher von der Nothwendigkeit, sich selbst in die Empfindungen, die man auszudrüken hat, zu versetzen, gesagt haben, gilt hauptsächlich für denjenigen Theil des Ausdruks, der in der Stellung des ganzen Körpers und in der Bewegung der Gliedmaaßen liegt. Es ist unmöglich, darüber Regeln zu geben. Die Natur hat die Triebfedern, die sie dabey braucht, uns verborgen. So wie ein Mensch, der unversehens fällt, aus einer sich selbst unbewußten Furcht, Schaden zu nehmen, durch den Instinkt die Stellung annimmt, die ihn am sichersten bewahret; eine Stellung, welche er durch keine Ueberlegung erfinden würde; eben so würkt sie in allen Leidenschaften auf die verschiedene Nerven des Körpers. Der Schauspieler, der sich in ein richtiges Gefühl zu setzen weiß, wird sich auch bey jedem Ausdruk richtig und natürlich gebehrden.
Von dem Ausdruk, in so fern er von der Stimme und der Sprache abhängt, haben wir anderswo gesprochen. (S. ⇒ Vortrag.)
Unter allen Künstlern hat der Tänzer das schweerste Studium, zum vollkommenen Ausdruk zu gelangen. Er kann sich nicht an die Natur halten; denn die Bewegungen, die er machen muß, findet er darin nicht. Er muß sie nach den Anzeigungen, die er in der Natur findet, nachahmen, und in einer ganz andern Art wieder darstellen. Alle seine Schritte und Bewegungen sind künstlich, sie kommen in der Natur niemals vor, und dennoch müssen sie den Charakter der Natur an sich haben. Man muß aus jeder Bewegung des Tänzers erkennen, was für eine Empfindung ihn treibt. Seine Schritte find die Worte, welche uns sagen, was in seinem Herzen vorgeht.
Es ist den großen Schwierigkeiten, die diese Sache hat, zuzuschreiben, daß man so wenig vollkommenes in dieser Kunst zu sehen bekömmt. Die Tänzer sind mehr gewohnt, künstliche Bewegungen, schweere Sprünge und kaum nachzumachende Gebehrdungen des Körpers auszudenken, als den wahren Ausdruk der Natur nachzuahmen. Nicht nur jede Hauptleidenschaft, sondern bey nahe jede Schattirung derselben Leidenschaft, hat ihren eigenen Ausdruk in der Stellung und Bewegung des Körpers. Diese sind die wahren Elemente, das Alphabeth des ächten Tanzens, oder diese Kunst beruhet auf gar keinen Grundsätzen. Diese Elemente aufzusuchen, sie in ordentlichen und zusammenhängenden Bewegungen wieder darzustellen, aus verschiedenen zusammenhängenden Bewegungen ein ganzes Ballet zusammen zu setzen, das eine bestimmte Handlung ausdrükt, ist das eigentliche Werk des Tänzers.
Ausdruk in der Musik. Der richtige Ausdruk der Empfindungen und Leidenschaften in allen ihren besondern Schattirungen ist das vornehmste, wo nicht gar das einzige Verdienst eines vollkommenen Tonstükes. Ein solches Werk, das blos unsre Einbildungskraft mit einer Reihe harmonischer Töne anfüllt, ohne unser Herz zu beschäfftigen, gleichet einem von der untergehenden Sonne schön bemahlten Himmel. Die liebliche Vermischung mannigfaltiger Farben ergötzt uns; aber in den Figuren der Wolken sehen wir nichts, das unser Herz beschäfftigen könnte. Bemerken wir aber in dem Gesang, außer der vollkommenen Fortströhmung der Töne, eine Sprache, die uns die Aeusserungen eines fühlenden Herzens verräth, so dienet die angenehme Unterhaltung des Gehörs der Seele gleichsam zu einem Ruhebette, auf welchem sie sich allen Empfindungen überläßt, die der Ausdruk des Gesanges in ihr hervor bringt. Die Harmonie sammelt alle unsre Aufmerksamkeit, reizet das Ohr, sich ganz dem höhern Gefühl, das die Nerven der Seele angreift, zu überlassen.
Der Ausdruk ist die Seele der Musik: ohne ihn ist sie blos ein angenehmes Spielwerk; durch ihn wird sie zur nachdrüklichsten Rede, die unwiderstehlich auf unser Herz würket. Sie zwingt uns, itzt zärtlich, denn beherzt und standhaft zu seyn. Bald reizet sie uns zum Mitleiden, bald zur Bewundrung. Einmal stärket und erhöher sie unsre Seelenkräfte; und ein andermal fesselt sie alle, daß sie in ein weichliches Gefühl zerfließen.
Aber wie erlangt der Tonsetzer diese Zauberkraft, so gewaltig über unser Herz zu herrschen? Die Natur muß den Grund zu dieser Herrschaft in seiner Seele gelegt haben. Diese muß sich selbst zu allen Arten der Empfindungen und Leidenschaften stimmen können. Denn nur dasjenige, was er selbst lebhaft fühlt, wird er glüklich ausdrüken. Das Beyspiel der zwey Tonsetzer, welche in Deutschland am meisten bewundert werden, Grauns und Hassens, beweist die Würkung des Temperaments auf [109] die Kunst. Dem erstern hatte die Natur eine Seele voll Zärtlichkeit, Sanftmuth und Gefälligkeit gegeben. Wiewol er nun alle Geheimnisse der Kunst in seiner Gewalt hatte, so war ihm nur der Ausdruk des Zärtlichen, des Einnehmenden und Gefälligen eigen, und mehr als einmal scheiterte er, wenn er das Kühne, das Stolze, das Entschlossene auszudrüken hatte. Hasse hingegen, dem die Natur einen höhern Muth, kühnere Empfindungen, feurigere Begierden gegeben hat, ist in allem, was seinem Charakter nahe kömmt, weit glüklicher, als in dem Zärtlichen und Gefälligen.
Es ist sehr wichtig, daß der Künstler sich selbst kenne, und wenn es bey ihm steht, nichts unternehme, das gegen seinen Charakter streitet. Allein dieses hängt nicht allemal von seiner Willkühr ab. So wie ein epischer Dichter sich in alle, selbst einander entgegen gesetzte, Empfindungen muß setzen können, indem er jetzt einen friedfertigen, oder gar feigen, denn einen verwegenen Mann, muß sprechen machen, so begegnet es auch dem Tonsetzer. Er muß also da, wo ihm die Natur weniger Beystand leistet, sich durch Fleiß und Uebung helfen.
Hiezu dienet überhaupt das, was wir in dem vorhergehenden Artikel den Künstlern zur Uebung empfohlen haben. Außer dem aber muß der Musikus sich ein besonders Studium daraus machen, den Ton aller Leidenschaften zu erforschen. Er muß die Menschen nur in diesem Gesichtspunkt sehen. Jede Leidenschaft hat nicht bloß in Absicht auf die Gedanken, sondern auf den Ton der Stimme, auf das Hohe und Tiefe, das Geschwinde und Langsame, den Accent der Rede, ihren besondern Charakter. Wer genau darauf merkt, der entdekt oft in Reden, deren Worte er nicht versteht, einen richtigen Verstand. Der Ton verräth ihm Freude oder Schmerz, ja so gar unterscheidet er in einzeln Tönen einen heftigen oder mittelmäßigen Schmerz, eine tief sitzende Zärtlichkeit, eine starke oder gemäßigte Freude. Auf die genaueste Erforschung des natürlichen Ausdruks muß der Musikus die äußerste Sorgfalt wenden; denn wiewol der Gesang unendlich von der Rede verschieden ist, so hat diese doch allezeit etwas, welches der Gesang nachahmen kann. Die Freude spricht in vollen Tönen mit einer nicht übertriebenen Geschwindigkeit, und mäßigen Schattirungen des starken und schwächern, des höhern und tiefen in den Tönen. Die Traurigkeit äußert sich in langsamen Reden, tiefer aus der Brust geholten, aber weniger hellen Tönen. Und so hat jede Empfindung in der Sprache etwas eigenes. Dieses muß der Tonsetzer auf das allerbestimmteste beobachten, und sich bekannt machen. Denn dadurch allein erlangt er die Richtigkeit des Ausdruks.
Hiernächst befleiße er sich, die Würkungen der verschiedenen Leidenschaften in dem Gemüthe selbst, die Folge der Gedanken und Empfindungen genau zu erkennen. In jeder Leidenschaft treffen wir eine Folge von Vorstellungen an, welche mit der Bewegung etwas ähnliches hat, wie das bloße Wort, Gemüthsbewegung, wodurch man jede Leidenschaft ausdrükt, schon anzeiget. Es giebt Leidenschaften, in denen die Vorstellungen, wie ein sanfter Bach, einförmig fortfließen; bey andern ströhmen sie schneller, mit einem mäßigen Geräusche und hüpfend, aber ohne Aufhaltung; in einigen gleicht die Folge der Vorstellungen den durch starken Regen aufgeschwollenen wilden Bächen, die ungestüm daher rauschen, und alles mit sich fort reißen, was ihnen im Wege steht. Bisweilen gleicht das Gemüth in seinen Vorstellungen der wilden See, die itzt gewaltig gegen das Ufer anschlägt, denn zurüke tritt, um mit neuer Kraft wieder anzuprellen.
Die Musik ist vollkommen geschikt, alle diese Arten der Bewegung abzubilden, mithin dem Ohr die Bewegungen der Seele fühlbar zu machen, wenn sie nur dem Tonsetzer hinlänglich bekannt sind, und er Wissenschaft genug besizt, jede Bewegung durch Harmonie und Gesang nachzuahmen. Hiezu hat er Mittel von gar vielerley Art in seiner Gewalt, wenn es ihm nur nicht an Kunst fehlt. Diese Mittel sind 1) die bloße Fortschreitung der Harmonie, ohne Absicht auf den Takt, welche in sanften und angenehmen Affekten leicht und ungezwungen, ohne große Verwiklungen und schweere Aufhaltungen; in widrigen, zumal heftigen Affekten aber, unterbrochen, mit öftern Ausweichungen in entferntere Tonarten, mit größern Verwiklungen, viel und ungewöhnlichen Dissonanzen und Aufhaltungen, mit schnellen Auflösungen fortschreiten muß. 2) Der Takt, durch den schon allein die allgemeine Beschaffenheit aller Arten der Bewegung kann nachgeahmt werden. 3) Die Melodie und der Rythmus, [110] welche an sich selbst betrachtet ebenfalls allein schon fähig sind, die Sprache aller Leidenschaften abzubilden. 4) Die Abänderungen in der Stärke und Schwäche der Töne, die auch sehr viel zum Ausdruk beytragen; 5) die Begleitung und besonders die Wahl und Abwechslung der begleitenden Instrumente; und endlich 6) die Ausweichungen und Verweilungen in andern Tönen.
Alle diese Vortheile muß der Tonsetzer wol überlegen, und die Würkung jeder Veränderung mit scharfer Beurtheilung erforschen; dadurch wird er in Stand gesezt, jede Leidenschaft auf das bestimmteste und kräftigste auszudrüken. Wir haben Beyspiele, daß Leidenschaften, die sich nur durch ganz feine Schattirungen von andern ihrer Art unterscheiden, die Kunst der Musik nicht übersteigen. So hat der fürtrefliche Graun in der Operette Europa Galante betittelt, in der Arie Dalle labbre del mio Bene, die Art der Zärtlichkeit, welche mit gänzlicher Ergebung in den Willen des Gebieters verbunden und dem Ottomannischen Serail vorzüglich eigen ist, vollkommen ausgedrukt. Ein großer Beweis von den Fähigkeiten der Musik, den schweersten Ausdruk zu erreichen.
Aber die öftern Fehler gegen den Ausdruk, welche so wol dieser große Mann, als andre Tonsetzer vom ersten Range, begehen, zeigen auch die Nothwendigkeit der allergenauesten Ueberlegung und des äußersten Fleißes, den der vollkommene Ausdruk erfodert. Wir wollen dem, der dieses Wesentlichste der Kunst zu erreichen sucht, über das bereits angeführte noch folgende Anmerkungen zu seiner Ueberlegung empfehlen.
Jedes Tonstük, es sey ein würklicher von Worten begleiteter Gesang, oder nur für die Instrumente gesezt, muß einen bestimmten Charakter haben, und in dem Gemüthe des Zuhörers Empfindungen von bestimmter Art erweken. Es wäre thöricht, wenn der Tonsetzer seine Arbeit anfangen wollte, ehe er den Charakter seines Stüks festgesezt hat. Er muß wissen, ob die Sprache, die er führen will, die Sprache eines Stolzen, oder eines Demüthigen, eines Beherzten oder Furchtsamen, eines Bittenden oder Gebietenden, eines Zärtlichen, oder eines Zornigen sey. Wenn er auch durch einen Zufall sein Thema erfunden, oder wenn es ihm von ohngefehr eingefallen ist, so untersuche er den Charakter desselben, damit er ihn auch bey der Ausführung beybehalten könne.
Hat er den Charakter des Stüks festgesezt, so muß er sich selbst in die Empfindung setzen, die er in andern hervor bringen will. Das beste ist, daß er sich eine Handlung, eine Begebenheit, einen Zustand vorstelle, in welchem sich dieselbe natürlicher Weise in dem Lichte zeiget, worin er sie vortragen will; und wenn seine Einbildungskraft dabey in das nöthige Feuer gesezt worden, alsdenn arbeite er, und hüte sich irgend eine Periode, oder eine Figur einzumischen, die außer dem Charakter seines Stüks liegt.
Die Liebe zu gewissen angenehm klingenden und auch in Absicht auf den Ausdruk glüklich erfundenen Sätzen verleitet die meisten Tonsetzer, dieselben gar zu ofte zu wiederholen. Man muß aber bedenken, daß diese Wiederholungen dem Ausdruk ofte ganz entgegen sind. Sie schiken sich nur zu gewissen Empfindungen und Leidenschaften, in denen das Gemüth sich gleichsam immer nur um einen Punkt herum bewegt. Es giebt aber auch andre, wo die Vorstellungen sich beständig ändern, nach und nach stärker, oder auch schwächer werden, oder gar allgemach in andre übergehen. In diesen Fällen sind öftere Wiederholungen desselben Ausdruks unnatürlich.
Sind dem Tonsetzer die Worte vorgeschrieben, auf welche er den Gesang einrichten soll, so erforsche er zuerst den wahren Geist und Charakter derselben; die eigentliche Gemüthsfassung, in welcher sich eine solche Rede äußert. Er überlege genau die Umstände des Redenden und seine Absicht; dadurch setze er den allgemeinen Charakter des Gesanges fest. Er wähle die tüchtigste Tonart, die angemessene Bewegung, den Rythmus, den die Empfindung würklich hat; die Intervalle, wie sie der anwachsenden oder sinkenden Leidenschaft am natürlichsten sind. Dieses Charakteristische muß durch das ganze Stük herrschen; aber vorzüglich an Stellen, wo ein besonderer Nachdruk in den Worten liegt.
In besondere, umständliche Betrachtung einzeler Dinge, lassen wir uns hier nicht ein. Die Absicht ist hier nur, den Meister der Kunst aufmerksam und behutsam zu machen. Was die besondern Würkungen der Tonart, der Bewegung, des Rythmus, der Intervalle, auf den Ausdruk betrifft, [111] davon ist in den besondern Artikeln über diese Kunstwörter verschiedenes angemerkt worden.
Es ist auch guten Meistern in der Kunst begegnet, in zweyerley ganz ungereimte Fehler gegen den Ausdruk zu fallen. Der eine ist, daß sie den Ausdruk auf einzele Wörter angewendet haben, welche sie außer dem Zusammenhang genommen; da sie denn eine Empfindung erweken, welche der Hauptempfindung, die im Ganzen herrscht, zuwider ist. In der Rede drükt man oft eine Sache durch ihr Gegentheil aus, in dem man eine Verneinung dazu sezt. Anstatt: seyd nun wieder fröhlich, sagt man auch wol; weinet, oder trauret nicht mehr. Die Verneinung, nicht mehr, ist ein abgezogener Begriff, den die Musik nicht ausdrüken kann. Sie muß also den ganzen Gedanken zusammen nehmen, und etwas tröstendes ausdrüken. Wollte man den Ausdruk blos auf das Wort weinet oder trauret legen, so würde man gerade das Gegentheil dessen sagen, was man sagen soll. Und doch haben große Meister diesen Fehler begangen.
Der andre Fehler, der über den rührendsten Gesang einen Frost streut, der alles verderbt, entsteht aus der unzeitigen Begierde, Dinge zu mahlen, die entweder ganz außer dem Gebiete der Musik liegen, oder doch an dem Orte, wo man sie bey Gelegenheiten gewisser Worte anbringt, eine sehr widrige Würkung thun. Wir haben aber davon in einem besondern Artikel gesprochen. (S. ⇒ Gemähld in der Musik.)
1 | S. ⇒ Wolklang. |
2 | Haller im Gedichte vom Ursprung des Uebels. |
3 | Copia verborum. |
4 | Nobis prima sit Virtus perspicuitas. L. VIII. c. 2, 22. |
5 | S. ⇒ Klarheit. |
6 | Propria verba, rectus ordo, non in longum dilata conclusio; nihil neque desit, neque superfluat. Ita sermo et doctis probabilis et planus imperitis erit. Inst. L. VIII. c. 2, 22. |
7 | DeLege agr. Or. I. |
8 | Il. E vs. 194. 195. |
9 | S. ⇒ Kraft. |
10 | An. VIII. 641. |
11 | Od. L. I. 4. |
12 | ἀ ϑο ποιητος τι[..] |
13 | S. ⇒ Leidenschaften. |
14 | S. Iunius de pictura Veterum L. III. c. 4. |
15 | Ein verdienstvoller berlinischer Künstler, Herr Bernhard Rode, hat mit rühmlichem Eifer sein möglichstes gethan, diesen großen Mann bekannter zu machen. Er hat so wol seine Larven, die das berlinische Zeughaus zieren, als verschiedene andre Werke auf eine geistreiche Art geäzt. Möchte er doch fortfahren, auch die übrigen grössern Werke dieses fürtrefflichen Mannes bekannter zu machen! |
16 | S. die Schauspielkunst in Leßings Beyträgen zur Historie des Theaters im 1. Th. S. 506. |
17 | Riccoboni im angeführten Orte. S. 509. |
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