Erklärung

[349] Erklärung. (Beredsamkeit)

Erklären ist so viel, als klar oder verständlich machen; so daß die Erklärung überhaupt ein solcher Theil der Rede ist, wodurch etwas klar gemacht wird. Man braucht aber das Wort besonders von den Fällen, wo der genaue Sinn eines Worts klar, oder wo der Begriff, den das Wort ausdrükt, deutlich gemacht wird. Im ersten Fall erklärt man das Wort oder den Namen der Sache, im andern Fall den Begriff.

Die Redner brauchen beyde Arten der Erklärungen, wie die Philosophen, aber nicht so ofte, weil sie nicht in dem Fall sind, die ersten Begriffe aller Sachen, wovon sie reden, festzusetzen, wie diejenigen Philosophen, welche für Personen schreiben, die Wissenschaften erlernen wollen. Der Redner spricht selten, oder vielleicht gar nie von Materien, die seinen Zuhörern ganz unbekannt sind, und davon er ihnen die Begriffe erklären müßte. Er würde sich daher sehr lächerlich machen, wenn er den steifen Vortrag des Philosophen, jede Materie durch Vorausschikung der Erklärung der dabey vorkommenden Begriffe anzufangen, nachahmen wollte, wie ehedem einige unverständige Redner und Schriftsteller in Deutschland, als die Wolffische Methode zu philosophiren noch neu war, gethan haben. Doch muß man auch auf der andern Seite nicht denken, daß der Redner nie erklären dürfe: es kommen Fälle vor, wo die Erklärungen ihm höchst wichtig sind. Die Betrachtung dieser Fälle, und wie der Redner mit der Erklärung verfahren soll, gehören also in die Rhetorik.

Es ist an seinem Ort1 angemerkt worden, daß die Erklärungen unter die Beweisgründe gehören. Sie werden dem Redner nothwendig, wenn das, was er zu beweisen hat, aus genauer Entwiklung und Gegeneinanderhaltung der Begriffe kann erhärtet werden. In den beweisenden Reden kommt es meistentheils darauf an, daß gezeiget werde, ob ein gewisser allgemeiner Begriff auf eine besondere Sache, auf eine Person, eine That, ein Unternehmen, angewendet werden könne oder nicht. Dieses kann selten geschehen, ohne daß der allgemeine Begriff durch die Erklärung bestimmt und entwikelt werde. Der Redner muß also, wie der Philosoph, eine Fertigkeit im Erklären besitzen. Was hiezu gehöre, und wie man dazu gelange, wird in der Vernunftlehre gezeiget.

Nicht nur in den Hauptbeweisen, sondern auch gar oft in Nebensachen, hat der Redner Erklärungen nöthig, um zu zeigen, daß das worauf er dringt schon würklich in den Begriffen seiner Zuhörer liege, und also ohne Widerspruch nicht könne verworfen werden. Er hat tausend Gelegenheiten auf Namenerklärungen zurük zuführen, die ihm weit größere Dienste thun, als dem Philosophen. Dieser braucht sie blos um verständlich zu seyn; der Redner aber wendet sie zur Ueberredung an. Diese entsteht meistentheils aus der Klarheit sinnlicher Begriffe, die gar oft blos der Erfolg einer etymologischen Erklärung ist. Die meisten Wörter aller Sprachen sind Metaphern, auf deren Ursprung man selten zurükedenkt. Man braucht sie also meistentheils als bloße Töne, die abgezogene Begriffe bezeichnen, da sie doch im Grunde Bilder sind, die dem anschauenden Erkenntnis [349] richtige Begriffe der Sachen geben. Wer weiß, daß das Wort Ehe ursprünglich ein Gesetz bedeutet, der kann blos durch eine etymologische Erklärung gewisse Vorurtheile bestreiten. Er kann blos dadurch begreiflich machen, daß diese Verbindung gesetzmäßig seyn müsse. Diese Erklärungen sind in der Beredsamkeit um so viel wichtiger, weil sie durch ihre Neuigkeit überraschen, und weil sie abgezogene Begriffe plötzlich in sinnliche verwandeln.

Bey dem Vortrag der Erklärung verfährt der Redner insgemein ganz anders, als der Philosoph. Denn so wie dieser einen Vernunftschluß in sehr wenig Worten vorträgt, da der Redner oft eine große Rede daraus macht2, so wendet dieser auch bisweilen einen Haupttheil der Rede dazu an, daß er die Erklärung des Begriffs, worauf die Hauptsach ankommt, weitläuftig ausführet und bestätiget. Andre male hingegen ist er darin kürzer als der Philosoph, weil er mit einem einzigen Wort, und wie im Vorbeygang, den Zuhörer mehr an die wahre Bedeutung des Worts erinnert, als durch eine förmliche Erklärung davon unterrichtet.

1Art. Beweisgründe. S. 163.
2S. Beweisarten S. 161.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 349-350.
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