Groteske

[499] Groteske. (Zeichnende Künste)

So nennt man eine besondere seltsame und phantastische Gattung der mahlerischen Verzierungen gewisser Zimmer. Das Groteske besteht aus kleinen Figuren von Menschen und Thieren, mit Blumen und Laubwerk so verflochten, daß man darin das Thier und Pflanzenreich in einander verflossen antrifft; Menschen und Thiere, die aus den Knospen der Pflanzen hervorwachsen, halb Thier und halb Pflanzen sind. Man hat dergleichen in alten Grotten in Rom angetroffen. Joh. von Udine soll sie zuerst in den Ruinen der Bäder des Titus gefunden haben. Vitruvius erwähnet dieser seltsamen Art zu mahlen1, und klagt über den schlechten Geschmak, der dergleichen phantastischen Dinge hervorgebracht hat. Sie überrascht, wie ein abentheuerlicher Traum, durch die ausschweiffende Verbindung solcher Dinge, die keine natürliche Verbindung unter einander haben: sie kann doch eine Zeitlang gefallen, wie etwa ein tolles Geschwätz eines sich närrisch anstellenden Menschen, wegen der ausserordentlich seltsamen Verbindung der Begriffe, lachen macht. Es gehört also überhaupt in die Gattung des Lächerlichen und Abentheuerlichen, das nicht schlechterdings zu verwerfen ist.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Groteske schon in ganz alten Zeiten in Aegypten aufgekommen sey. So viel ich mich erinnere, erwähnt der zwar nicht sehr zuverläßige Reisebeschreiber Lucas, daß er solche in alten ägyptischen Ruinen angetroffen habe. Nach der vorher erwähnten Entdekung der alten Grotesken haben auch die Neuern sie wieder in die Mahlerey aufgenommen. Der erwähnte Joh. von Udino und Per. del Vaga haben in der Gallerie des Vatikans, die wegen der darin befindlichen Gemählde die Bibel des Raphaels genennt wird, dergleichen Verzierungen angebracht, die Raphael selbst soll gezeichnet haben. Aber der Graf Caylus, der etwas von den antiken Grotesken, nach den Originalen gezeichnet und illuminirt, herausgegeben hat,2 hält sie für Copeyen derer, die in den Bädern des Titus gefunden worden.

Die Chineser haben ihre besondere Art des Grotesken, das noch abentheuerlicher ist, als das Antike, indem sie auch Gebäude und Landschaften, als in der Luft schwebend, oder wie aus Bäumen herauswachsend vorstellen.

1Lib. VII. c. 5.
2Recueil de peintures antiques. Préface.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 499.
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