Harlekin

[511] Harlekin. (Comödie)

Der Harlekin ist eine besonders charakterisirte Person, die aus der italiänischen Comödie in die französische aufgenommen worden, und in der deutschen den Platz des Hanswurst einzunehmen verdienet. Sein Charakter besteht darin, daß er dem Anschein nach ein einfältiger, sehr naiver und geringer Kerl, oder allenfalls ein Possenreisser, im Grund aber ein sehr listiger, dabey witziger, scharfsichtiger Bube ist, der an andern jede Schwachheit und Thorheit richtig bemerkt, und auf eine geistreiche aber höchst naive Art, blos stellen kann. Einige Kunstrichter halten dafür, daß eine solche Person dem guten Geschmak des Schauspiels entgegen sey und die comische Bühne erniedrige. Es ist aber nicht schweer zu zeigen, daß dieses Urtheil übereilt, und daß der Harlekin in vielen Fällen beynahe unentbehrlich sey.

Wenn es darum zu thun ist, daß ein ernsthafter Narr in seiner völligen Lächerlichkeit erscheine, so därf man ihm nur einen guten Harlekin zur Seite setzen. Man weiß, mit was für Nachdruk ehedem witzige Hofnarren die Thorheiten der Großen gerüget und wie lebhaft sie dieselben beschämt haben. [511] Ein vornehmer Narr, und ein Schalk der angesehen oder mächtig ist, kann durch nichts herunter gebracht werden, als wenn er dem Spotte recht blos gestellt wird. Dieses aber kann nicht besser, als durch solche Leute geschehen, die den Charakter eines ächten Harlekins haben. Es ist demnach gut, wenn witzige Hofnarren, wenigstens auf der Schaubühne, beybehalten werden.

Freylich ist es eben nicht nöthig, daß er ein Narrenkleid trage, und überall Possen anbringe; denn dadurch fällt er leicht ins Pöbelhafte. Seine Hauptverrichtung muß seyn, das Lächerliche, das in den Schein des Ernsts oder der Würde eingehüllet ist, an den Tag zu bringen; dem Schalk die Maske abzunehmen, und ihn dem Spotte Preis zu geben. Dieses ist ohne Zweifel der größte Nutzen, den man von der comischen Bühne zu erwarten hat, und er ist an sich selbst nicht gering Es giebt Menschen, die ruchlos genug sind, sich über alles wegzusetzen, was gesetzmäßig, was billig, was menschlich ist, bey denen die stärksten Vorstellungen, von Vernunft und Recht hergenommen, schlechterdings nicht den geringsten Eingang finden, deren Thorheit und Schalkheit durch nichts zu hemmen ist: diese muß man dem Harlekin Preis geben. So sehr sie über allen Tadel weg sind, so empfindlich wird ihnen der Spott seyn. Denn solche Leute dünken sich eben dadurch groß, daß sie sich über alles wegsetzen; sie glauben ihr Ansehen, ihren Rang, ihre Macht erst alsdenn recht zu fühlen, wenn sie sich über das Urtheil andrer erheben: durch den Spott aber stürzen sie von ihrer Höhe herunter, und itzt fühlen sie, daß sie selbst verachtet und erniedriget sind.

Im Grunde thut der Harlekin auf der Schaubühne nichts anders, als was Lucian und Swifft in ihren Spottschriften thun, wo sie den eigentlichen Charakter des Harlekins annehmen. Es giebt also gewisse Comödien, wo er die wichtigste Person ist. Dieses haben auch die comischen Dichter gefühlt, denen er zu niedrig war. Sie haben an seiner Stelle Bediente gebraucht, denen sie seine Verrichtung aufgetragen haben. Im Grund aber sind solche Bediente Harlekine in Liverey eingekleidet, und da wo sie nöthig sind, würde der Harlekin selbst immer noch schiklicher seyn. Aber freylich erfodert die Behandlung desselben einen völligen Meister der Kunst. Es ist schweer ihn da, wo er die wichtigsten Dienste thun kann, natürlich anzubringen; und dann kann nur ein zum Spotten aufgelegter Geist ihn völlig nutzen. Unter allen Talenten aber scheinet der ächte Spöttergeist der seltenste zu seyn.1 Ein witziger Kopf2 hat vor einigen Jahren eine mit viel Geist geschriebene Vertheidigung des Harlekins herausgegeben, die man mit Vergnügen ließt.3

1S. Lächerlich, Spott.
2Herr Möser in Osnabrik.
3Harlekin, oder Vertheidigung des Groteskekomischen 1761.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 511-512.
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