Kleidung

[592] Kleidung. (Zeichnende Künste. Schauspiel)

Da in den Werken der schönen Künste alles, bis auf die Kleinigkeiten mit Geschmak und Ueberlegung muß gemacht seyn, damit nirgend etwas anstößiges, oder nur unschikliches darin vorkomme1; so muß auch überall, wo man uns Personen für das Gesichte bringt, die Bekleidung derselben von dem Künstler in genaue Ueberlegung genommen werden. Darum macht die gute Wahl der Kleidung einen [592] Theil der Wissenschaft aus, die sowol zeichnende Künstler, als Schauspieler besitzen müssen.

Umständlich wollen wir uns hier über diesen Punkt nicht einlassen; weil ein paar allgemeine Grundsätze hinlänglich scheinen einem verständigen Künstler über diese Sache das nöthige Licht zu geben. Die Kleidung muß überhaupt nach Beschaffenheit der Umstände schön und schiklich seyn.

Um uns nicht in eine vielleicht ganz unnütze Speculation über das, was in der Kleidung absolut schön seyn könnte, einzulassen, wollen wir über den Punkt des Schönen in der Kleidung nur so viel anmerken, daß darin nichts offenbar ungereimtes, unförmliches und unnatürliches seyn müsse. Daß es dergleichen Fehlerhaftes in Kleidern gebe, beweisen verschiedene Moden in denselben, die nur ein völliger Mangel des Geschmaks kann eingeführt haben. Schuhe mit ellenlang hervorstehenden Spitzen, wie vornehme Frauen in dem XIII und XIV Jahrhundert trugen, sind doch eine absolute Ungereimtheit. Und in diesem Falle befinden sich die steiffen und weit herausstehenden Halskragen, womit an einigen Orten, Magistratspersonen und Geistliche prangen; nicht weniger verschiedene feyerliche Kleidertrachten des weiblichen Geschlechts, die in einigen Reichsstädten und an verschiedenen Orten in der Schweiz aus den alten Zeiten der Barbarey nicht nur übrig geblieben, sondern durch neue Zusätze noch abgeschmakter gemacht worden sind. Ueberhaupt rechnen wir hieher alles, was der menschlichen Gestalt, die von allen sichtbaren Formen die schönste ist, ein unförmliches ekigtes Ansehen giebt. Der Künstler muß jede Kleidung verwerfen, die die natürliche Schönheit der menschlichen Gestalt verstellet; und die Verhältnisse der Theile völlig verderbt, wie z. E. den Kopfputz, der den Kopf noch einmal so groß macht, als er ist; die ungeheure Fischbeinröke, die dem obern Theil des Körpers, der in der Natur doch die grössere Hälfte ausmacht, zu einem kleinen und unansehnlichen Theile des Ganzen macht. Eben diese Regel schließt von der Kleidung alles steife und ungelenkige aus, weil es eine der größten Schönheiten des Körpers ist, daß er überall gelenkig, und zu unendlich mannigfaltigen Wendungen geschikt ist. Diese Fehler vermeiden in ihren Kleidungen Personen von Geschmak, es sey daß sie sonst nach chinesischer, türkischer oder europäischer Art sich kleiden.

Man schreibet sonst den Künstlern vor, daß sie sich in ihren Vorstellungen nach dem Ueblichen, oder dem sogenannten Costume richten sollen; und es ist gut, daß sie es bis auf einen gewissen Grad beobachten: aber wo die Mode einen völlig verkehrten und der Natur geradezu entgegenstreitenden Geschmak anzeiget, müssen sie das Uebliche verbessern.2

Ungereimte Kleidungen, kann man dem Künstler nur in dem einzigen Fall erlauben, wenn er die Personen nach dem Zwek seiner Arbeit lächerlich vorzustellen hat, und die Kleidung gerade eines der Mittel ist, das wesentlich dazu gehört. Aber auch in diesem Falle muß die Sache nicht zu sehr ins Abgeschmakte getrieben werden, wie es die Schauspieler bisweilen thun. Ganz verrükte Köpfe, die man überall ins Tollhaus setzen würde, sind bey keinerley Gelegenheit ein Gegenstand des Spotts; und darum muß auch die Narrheit in der Kleidung nicht übertrieben werden, damit sie nicht ekelhaft werde, da sie nur lächerlich seyn soll. Es ist um so viel nöthiger, daß die, welche die Aufführung der Schauspiele anordnen, dieses ernstlich bedenken; da es nur gar zu gewöhnlich ist, das ganz Alberne und Abgeschmakte an die Stelle des blos Lächerlichen gesetzt zu sehen. Dadurch aber verfehlt man seinen Zwek ganz.

Die Schiklichkeit der Kleidung erfordert mehr Nachdenken, als ihre Schönheit. Die Kleider unterscheiden vielfältig den Stand und die Würden der Personen, und selbst die Geschäfte, oder die Handlung darin sie begriffen sind. In der ganzen Welt ist man bey Feyerlichkeiten anders gekleidet, als bey häuslichen Verrichtungen, und der Mahler würde eine Narrheit begehen, der einen im Krankenbette liegenden König, mit Krone und Zepter vorstellte, wie bisweilen von Künstlern, die ausser der Kunst keinen Verstand zeigen, geschehen ist. Etwas von dieser Unschiklichkeit, ist auch aus der ehemaligen Barbarey des Geschmaks hier und da in Schauspielen übrig geblieben, wo man noch bisweilen vornehmere Personen in völlig feyerlichem Staat sieht, da sie kaum aus dem Bette aufgestanden sind, und nun blos häusliche Verrichtungen haben. Die Schauspieler sollen bedenken, daß dergleichen Ungereimtheiten die Täuschung so völlig aufheben, und dem feinen Theil ihrer Zuschauer so anstößig sind, daß die ganze Würkung, die ein [593] Drama haben sollte, dadurch völlig gehemmet wird. Einige Schauspieler scheinen zu glauben, daß in dramatischen Stücken von einiger Würde, die Personen nie anders, als in gewissem Staat erscheinen können. In der That ist es ein zarter Punkt, das völlig Natürliche mit einiger Würde zu verbinden. Wir wollen auch nicht sagen, daß man auf der Bühne jemand so natürlich im Bette liegen lasse, wie er es etwa in seiner Schlafkammer gewohnt ist. Aber auch die allergewöhnlichste Hauskleidung kann mit Anständigkeit und Würde verbunden seyn; wenn nur der, der diese Sachen angiebt ein Mann von Nachdenken ist und einige Kenntnis der Welt hat.

Zu dem Schiklichen können wir auch das rechnen, was von dem Ueblichen charakteristisch ist. Darauf hat der Künstler vorzüglich Acht zu geben. Der Mahler ist ofte in Verlegenheit seine Personen bestimmt zu bezeichnen; und da kommt ihm das charakteristische der Kleidung sehr zu statten. Es giebt ganze Kleider, einzele Theile, so gar Farbe des Gewandes, besondere Arten des Schmuks, die völlig charakteristisch sind, und sogleich den Stand, oder die Würde, oder eine ganz besondere Verhältnis derselben, oder eine ganze Handlung genau bezeichnen. Diese muß der Künstler, aus der alten und neuen Geschicht und von mehrern Nationen kennen. Aber dieses schlägt schon in das Uebliche ein.3

Dem zeichnenden Künstler empfehlen wir zum fernern Nachdenken über diese Materie ein aufmerksames Lesen, dessen, was der Herr von Hagedorn über diese Materie mit großer Gründlichkeit angemerkt hat.4 Von der besondern Behandlung der Kleidung, und der Kunst sie gut zu legen und zu falten ist in einen besondern Artikel gesprochen worden.5

1S. Werke der Kunst.
2S. Ueblich.
3S. Ueblich.
4Betrachtung. über die Mahlerey. II Buch 1 Absch. im 16 und 17 Cap.
5S. Gewand.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 592-594.
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