Knauff. Capiteel

[596] Knauff.1 Capiteel. (Baukunst)

Der oberste Theil einer Säule, oder eines Pfeilers, der den Kopf, oder das oberste Ende derselben vorstellt. Wie alle wesentlichen Theile eines zierlichen Gebäudes in der Natur der Sachen ihren Ursprung haben, wovon wir anderswo Beyspiele gegeben haben2, so hat es auch der Knauff. Vermuthlich hat man, noch ehe die schöne Baukunst entstanden ist, statt der Säulen Bäume genommen, die man zu oberst am Stamme, wo die Aeste ansangen, abgeschnitten. An dieser Stelle sind die meisten Bäume etwas knotig und diker, als am übrigen Stamm, und darum hatten auch die ersten ungekünstelten Säulen ihren Knauff. Die corinthische Säule, deren Knauff mit Blättern ausgeziehrt ist, hat ihren Ursprung vermuthlich im Orient gehabt, wo man Palmbäume zu Säulen gebraucht hat. Denn an diesen Bäumen wachsen am obersten Ende des Stammes große Blätter. Aber auch ohne diese natürliche Veranlassung der Säule einen Knauff zu geben, würde das Gefühl, sie zu etwas Ganzem zu machen, ihr einen Kopf gegeben haben.3

Darum findet man in den ältesten Aegyptischen Ueberbleibseln der noch sehr rohen Baukunst, in den ersten rohesten Versuchen der nordischen Völker, und in den Gebäuden der Chineser, denen die griechische Baukunst völlig unbekannt geblieben ist, überall den Knauff an den Säulen. Auch der oberste Theil des Knauffs, der Dekel, oder die Platte hat natürlicher Weise den Ursprung, daß man, um den Knauff vor der Nässe zu verwahren und dem Unterbalken eine festere Lage zu geben, ein vierekiges Brett oben darauf wird gelegt haben.

Nachdem man angefangen hatte Geschmak in die Baukunst einzuführen, ist der blos knotige oder beblättete natürliche Knauff, verziehrt und durch den Meissel regelmäßiger gemacht worden. Daher entstunden verschiedene Formen und Größen desselben, und die Griechen, die alles, was zur Schönheit gehört, verfeinerten, setzten einige Formen und Verhältnisse derselben fest, und eigneten jeder Art der Säule, oder der sogenannten Säulenordnungen, ihren eigenen Knauff zu. Sie hatten den corinthischen, jonischen und dorischen Knauff; diesen wurden hernach der toscanische und der römische, oder zusammengesetzte (denn er ist aus Vereinigung des corinthischen und römischen entstanden) beygefüget. Also sind in der heutigen Baukunst fünf Arten der Säulen aufgenommen, deren jede ihren eigenthümlichen Knauff hat, dessen Form, Größe und Verhältnis der Theile in so ferne festgesetzt sind, daß man sie auch bey den verschiedenen Veränderungen, die bald jeder Baumeister für sich daran macht, erkennen kann. Jeder ist in dem besondern Artikel [596] unter seinem Namen näher beschrieben worden. Unser deutsche Baumeister Goldman, einer der verständigsten und scharfsinnigsten Männer in dieser Kunst, der seine Vorschriften überall aus guten Grundsätzen hergeleitet hat, setzet zweyerley Grössen für die verschiedenen Arten des Knauffs feste. In den niedrigen Ordnungen4 giebt er der Höhe eines jedem Knauffs einen Model, in den höhern aber 2 1/3 Model.

1Der Ursprung dieser Benennung ist mir unbekannt. Vielleicht kömmt sie von dem niedersächsischen Worte Knub, Knubbe, welches ein etwas ausgewachsenes Stük Holz bedeutet. Der Knauff stellt allerdings eine an der Höhe eines Baumstammes ausgewachsene knotige Verdikung desselben vor.
2S. Gebälk.
3S. Ganz.
4S. Ordnung.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 596-597.
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