Oedipus

Fig. 248: Oedipus
Fig. 248: Oedipus

[358] Oedipus, (Gr. M.), Sohn des Laius und der Jocaste, von seinem Vater, eines Orakels wegen, ausgesetzt und von Periböa, der Gattin des Königs Polybus von Corinth, erzogen ( Laius). Zum Jüngling erwachsen, zeigte Oed. Eigenschaften, welche seine Pflegemutter doppelt begierig machten, das Geheimniss seiner Geburt zu durchdringen, wesshalb er nach Delphi geschickt ward, doch daselbst nur die Antwort erhielt, er möge sich hüten, in sein Vaterland zurückzukehren, weil er sonst in Gefahr komme, seinen Vater zu ermorden und seine Mutter zu heirathen. Oed., in Corinth erzogen, hielt dieses für seinen Geburtsort und wagte sich nicht mehr dorthin. Er kam jetzt nach Phocis, begegnete in einem Hohlwege dem Laius, dessen Herold Polyphontes ihm auszuweichen befahl, Oed. folgte dem Befehl nicht, und so erstach der Herold eines seiner Pferde, worüber ergrimmt, Oed. sowohl ihn als den König Laius (also seinen Vater) tödtete und sich dann nach Theben begab; die Leichen begrub der König von Platäa, Damasistratus. - Das erledigte Reich von Theben trat nun Creon, der Bruder von Laius' Gattin, an; doch während seiner Regierung traf ein schreckliches Unglück das Land: die furchtbare Sphinx war von Juno in das Land geschickt worden, verheerte die Gegend, frass viele Menschen auf, und das befragte Orakel versprach keine Erlösung von dieser Plage, wenn nicht Jemand sich fände, der das Räthsel löse, welches die Sphinx aufgab. Diess lautete: »Es ist ein Thier, welches eine Stimme hat, am Morgen vierfüssig, am Mittag zwei- und am Abend dreifüssig ist.« Jeder, der herzukam, um das Räthsel zu lösen und diess nicht vermochte, ward von den Löwenklauen zerrissen. Da verhiess Creon mit der Hand seiner Schwester, der verwittweten Königin, demjenigen das Reich, der vermögend sein würde, das Räthsel zu lösen. Oed. trat vor das Ungeheuer, hörte die geheimnissvollen Worte und sprach: »Der Mensch ist dieses Thier, welches am Morgen seines Lebens vierfüssig ist, sich dann aufrichtet, um auf zweien zu gehen, und endlich am Abend einen Stab als dritten Fuss gebraucht.« Alsbald stürzte sich die Sphinx von der Höhe des phicischen Berges herab in einen Abgrund, und das befreite Theben dankte[358] seinem Erretter durch des Vaters Thron und der Mutter Hand. Aus dieser Ehe entsprangen Eteocles, Polynices, Antigone und Ismene, und zwanzig Jahre dauerte die schreckliche Verblendung, bis alle die Gräuel an's Tageslicht kamen, indem der Diener des Laius, der den Oed. ausgesetzt, das Geschehene offenbarte, und sich ein Zweifel nach dem andern löste. Jocaste gab sich selbst den Tod, Oed., um seine Schande nicht zu sehen, stach sich die Augen aus, doch seine Söhne, damit nicht zufrieden, nöthigten ihn, Theben zu verlassen, so dass er an der Hand seiner Tochter Antigone floh, seine Söhne zu ewigem Hader verfluchend. Ihr Streit brachte dann den Krieg der sieben Helden gegen Theben hervor. - Der blinde Oed. wandelte nach Colonus, einem Flecken bei Athen, setzte sich als Hülfesuchender auf die Stufen des Altars der Eumeniden, und ward von Theseus wohlwollend aufgenommen, starb jedoch, bevor die erbetene Hülfe ihm werden konnte. Der spätere Sprachgebrauch hat den Namen des Oed. zum Symbol alles Scharfsinnes gemacht, so dass man von einer schwierigen Aufgabe zu sagen pflegt: diess Räthsel kann selbst ein Oed. nicht lösen. - Das Schicksal des Oed. gab der bildenden Kunst vielfachen Anlass zu den schönsten Darstellungen. Wir geben auf unserem Bilde, nach einem geschnittenen Stein, Oed., die Sphinx tödtend.

Quelle:
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 358-359.
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