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Nach einer unausgesetzten, äusserst anstrengenden Arbeit von nahe drei Jahren bin ich zu meiner Genugthuung in der Lage, wieder einen Band des Deutschen Sprichwörter-Lexikon, den dritten, aus dem Buchstaben L bis in das S führenden, mit einigen Worten schliessend zu begleiten.
Die Fortführung ist, der Aufgabe entsprechend, welche das Werk zu lösen sich gestellt hat, erfolgt. Die Jahre, in denen ich stehe, legen mir einerseits den Wunsch sehr nahe, das Werk sobald wie möglich zu beenden. Auf der andern Seite fordert die Gewissenhaftigkeit, jede Erscheinung auf dem entsprechenden Literaturgebiet zu beachten, das geeignete Material, welches im Volksmunde, wie in Schriften zerstreut, noch vorhanden ist, zu sammeln und im Deutschen Sprichwörter-Lexikon, als dem Mittelpunkte dieser Literatur, niederzulegen. Um nun weder auf der einen Seite die Vollständigkeit zu beeinträchtigen, noch auf der andern dem ohnehin umfangreichen Werke eine ungerechtfertigte Ausdehnung zu geben, habe ich, um einen Masstab zu haben und mir Zaum und Zügel anzulegen, vom Beginn des Drucks an die Sprichwörter jeder Spalte gezählt und in mein Handexemplar das Verhältniss der deutschen zu den sinnverwandten fremden durch Zahlen angemerkt. Dies Verhältniss ist im ganzen festgehalten worden. Jeder der beiden ersten Bände enthält in runder Zahl 45000 deutsche Sprichwörter und 15000 sinnverwandte fremde. Trotz der grossen Anzahl von Sprichwörtern, die im dritten Bande mit einer Erklärung zu begleiten waren, trotzdem auch die Einführung mittelhochdeutscher Lesarten eine häufigere ist, ward dies Verhältniss erhalten; auch er enthält, wie jeder der beiden vorhergehenden Bände, in runder Zahl wieder 45000 deutsche und gegen 15000 sinnverwandte fremde, sodass die bisjetzt erschienenen drei Bände gegen 135000 deutsche und 45000 fremde, also in runder Summe einen wohlgeordneten Sprichwörterschatz von nahe 180000 enthalten. Diejenigen, welche damals, als ich in der Einladung zur Unterzeichnung auf das Werk 80000 Sprichwörter in Aussicht stellte, meinten, es möchte etwas Uebertreibung dabei sein, werden sich wol längst überzeugt haben, dass mehr geleistet als versprochen worden ist, selbst dann, wenn einige Tausend auf Wiederholungen und ähnliche Mängel, die bei solchem Umfange für eine einzelne Arbeitskraft kaum vermeidlich sind, abgezogen werden. Und ich will von dem Grundsatz, der mir durch mein ganzes Leben zur Richtschnur gedient hat, nicht erst am Abend desselben abweichen; auch was die Anordnung und Behandlung des gesammelten Stoffs, die gesammten Arbeiten der Herausgabe betrifft, will ich es nicht. Als Aufgabe gilt, das unter den gegebenen Verhältnissen Erreichbare zu leisten. Ich trage nicht das mindeste Bedenken, den Schmeissfliegen gegenüber, die darauf herumkriechen, mir dies Zeugniss selbst auszustellen; aber ich fühle mich auch verpflichtet, hinzuzufügen, dass alle bei der Herausgabe betheiligten Factoren von demselben Streben erfüllt sind; obenan die Verlagshandlung, welche für gute und correcte Ausstattung alle Einrichtungen getroffen hat und dafür Sorge trägt, die Correctoren, welche den möglich fehlerfreien Druck überwachen, und der wackere Setzer, der vom Anbeginn an aus persönlichem Interesse an dem Werke auch seine Musse dem durch die fortlaufenden Eintragungen für einen gewöhnlichen Schriftsetzer gar nicht zu bewältigenden Manuscripte widmet. Ohne dies Zusammenwirken der Kräfte war die Herausgabe in dieser Weise, soviel sie für den einen oder andern noch zu wünschen lassen mag, geradezu unmöglich. Ich werde unten auf diesen Punkt zu sprechen kommen.
Hieran knüpfe ich meinen Dank für die fortgesetzte Unterstützung von Beiträgen zur Bereicherung unsers Sprichwörterschatzes. Nichts ist irriger als die Annahme, dass nichts mehr zu sammeln sei. Abgesehen davon, dass der Volkswitz unausgesetzt Neues schafft, sind an jedem Orte noch Sprichwörter in Umlauf, die noch nie in Schrift gefasst worden sind. Es fehlt nur an den meisten Orten an einem Ohr, das sie auffasst, wie an einer Feder, die sie festhält. Und in tausend Büchern und Schriften sind noch Tausende vergraben. Noch hat man kaum mit einer planmässigen sprichwörtlichen Ausbeutung der Literatur begonnen; es sind nicht einmal unsere Classiker in dieser Hinsicht gelesen; wir haben noch nicht einmal eine vollständige Sammlung der Sprichwörter Luther's, Fischart's, Brant's u.s.w. aus ihren Schriften. Einen zur Nachfolge auffordernden Anfang hat Hr. Dr. Cholevius (s. Quellenverzeichniss) gemacht. Es ist zu bedauern, dass sich unter den vielen Zeitschriften Deutschlands nicht eine einzige findet oder dass nicht eine gegründet wird, welche sich die Aufgabe stellt, die Ausbeute der geeignetsten Schriften zu veranlassen, die Ergebnisse abzudrucken, der Besprechung alles auf das Sprichwort sich Beziehenden zu dienen und alles darauf Bezügliche zu sammeln. Ich habe im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen (Gotha 1836, Nr. 15) diesen Gedanken angeregt. Im folgenden Jahre ging ich noch einen Schritt weiter; ich lud zur Unterzeichnung auf eine Vierteljahrschrift unter dem Titel ein: Der Sprichwörterfreund, Sprechsaal für alles in das Bereich des Sprichworts Gehörende und Stoffmagazin für künftige Sprichwörterbearbeiter. [5] Aber der Mangel an Theilnahme liess die Idee nicht zur Ausführung kommen. So oft ich indess den geretteten Abdruck des Prospects ansehe, wird in mir der Wunsch nach einer Vereinigung von Kräften für den in Rede stehenden Zweck wieder neu.
Als ich die Herausgabe des Deutschen Sprichwörter-Lexikon begann, rechnete ich darauf, dass die deutschen Lehrer es als eine volksthümliche, ihrer Stellung entsprechende Aufgabe betrachten würden, in jeder Kreisversammlung ein Exemplar des Deutschen Sprichwörter-Lexikon zu halten und dadurch zum Sammeln in ihrem Kreise veranlasst werden würden. Auf diese Weise glaubte ich durch Mitwirkung von hunderttausend deutschen Volksschullehrern den im Volksmunde wie den in der Literatur befindlichen Sprichwörterschatz, wenn jeder derselben jährlich auch nur Ein Buch ausgebeutet hätte, zu heben. Aber das Schöpfen aus den Tiefen der preussischen und andern Schulregulative, die Behandlung der biblischen Geschichte und das Einprägen alter Kernlieder scheint sie so in Anspruch genommen zu haben, dass für das deutsche Sprichwort, obgleich es auch Kernsprüche darunter gibt, Sinn oder – Zeit gefehlt haben.
Aus dem Verzeichniss der Mitarbeiter ist zu ersehen, dass einige derselben vom Beginn des Drucks an bisjetzt ihre Unterstützung und Mitwirkung gewährt haben. Aber wie klein ist die Zahl derselben! Und ich bin nicht in Gewissheit darüber, ob sie mitgewirkt, weil oder trotzdem dass sie Lehrer sind.
Einige Namen der Mitwirkenden finden sich in diesem Bande nicht wieder, dagegen begegnen wir andern. Zwei der fleissigsten Mitarbeiter hat unser Werk wieder durch den Tod verloren; am 12. Aug. 1872 starb der Maler und Redacteur Eunom Elssner in Hirschberg und den 10. Oct. desselben Jahres der Oberlehrer und Stadtbibliothekar Dr. A. Tobias in Zittau, der einzige Bibliothekar in Deutschland, der seine Stellung als solcher benutzte, um Beiträge aus tiefer Verborgenheit herauszufinden.
Das Quellenverzeichniss zeigt, wie gross die Anzahl der Schriften ist, welche zu den bisherigen in der Benutzung herangezogen worden sind; sie werden einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Literatur der Spruchweisheit bieten. Es sind theils ältere, bisher in sprichwörtlicher Beziehung unbeachtet gebliebene, theils neu erschienene Schriften. Soweit als irgend möglich, habe ich durch ein Wort auf sie als Quellen bei den betreffenden Sprichwörtern verwiesen; denn die Verweisungen auf die gedruckten Quellen sind das Band, mit dem das Deutsche Sprichwörter-Lexikon als Mittelpunkt des betreffenden Zweigs mit der Literatur in Verbindung steht. Der in der Literatur in tausend Schriften zerstreute Sprichwörterschatz des Volks kann nicht in seinem Umfange und Werthe erkannt werden. Die aus diesen Schriften entlehnten und in Ein Werk zusammengedrängten Sprichwörter aber ohne Hinweisung auf ihre Quellen sind eines grossen Theils ihrer befruchtenden Lebenskraft beraubt. Ich habe mich immer mehr davon überzeugt, dass die Quellenangabe da, wo sie möglich, wo das Sprichwort nicht auf dem Markte des Lebens aufgegriffen worden ist, zu den wesentlichsten Erfordernissen eines Werks, wie das Deutsche Sprichwörter-Lexikon ist, gehört; und ich habe keine Zeit- und Kraftopfer gespart, um dem gestellten Ziele, soweit als die Umstände gestatten, mich zu nähern. Man wird auch wol schwerlich eine Spalte finden, in welcher die Verbindung mit den Quellen vermisst würde. Ich muss unten noch auf diesen Punkt zurückkommen.
Zu den Schriften der neuern Zeit, auf die sehr häufig verwiesen ist, gehört die Sammlung von K. Simrock, weil sie zur Zeit ihres Erscheinens (1846) die vollständigste wie wohlfeilste war und daher wol die verbreitetste Sammlung ist. Von diesem Buche ist 1863 eine neue Auflage, und zwar ein völliger Neudruck, aber, wie die erste, ohne Jahreszahl erschienen, die jedoch, den Verweisungen im Deutschen Sprichwörter-Lexikon gegenüber, fast werthlos ist, da der Verleger die neue Ausgabe dadurch zu verbessern geglaubt hat, dass er die fortlaufende Zählung weggelassen. Im übrigen ist die zweite Auflage der ältern vollständig gleich, und zwar in einer Weise, dass die Sorgfalt, die Fehler des ersten Drucks zu erhalten und der Nachwelt zu überliefern, als nicht zu übertreffen bezeichnet werden muss. Abgesehen davon, dass sich 228 völlig gleichlautende Sprichwörter, die in der ersten Auflage ohne allen Grund doppelt abgedruckt sind, wiederfinden, sind auch sämmtliche Druckfehler (ich rede blos von sinnentstellenden) gewissenhaft erhalten. Schwerlich hat der Name, welcher auf dem Titelblatt steht, weder bei der ersten noch zweiten Auflage eine Correctur gesehen.28 Wenn sich nun in der zweiten Auflage einer mit einem geachteten [6] Namen versehenen Sprichwörtersammlung solche Fehler befinden, so werden sich einsichtsvolle Leser eine Vorstellung von den Schwierigkeiten machen können, welche der Herausgeber des Deutschen Sprichwörter-Lexikon Hunderten von Sammlungen gegenüber zu überwinden hat, und es wird als keine Kunst erscheinen, auf Tausenden von Spalten einige Fehler und Irrthümer zu entdecken.
Wenn ich das Gebiet der Sprichwörterliteratur überblicke, so sind mir besonders hervorragende Erscheinungen auf demselben wenig begegnet. Das bedeutende Werk über die Literatur des Sprichworts, das, wie ich in der Vorrede zum zweiten Bande bemerkt, Herr J. Franck in Annweiler seit länger als dreissig Jahren vorbereitet, ist infolge seiner Versetzung nach Landau in der Vollendung aufgehalten worden. Kleinere Schriften habe ich im Verzeichniss genannt; auch die Zeitschriften, welche Sprichwörtliches enthalten, soweit sie mir bekannt geworden sind, aufgeführt; denn oft sind es gerade Artikel oder Bemerkungen in Tagesblättern, die über irgendein dunkles Sprichwort Licht verbreiten, oder ein geflügeltes Wort der Gegenwart durch Mittheilung des betreffenden Vorgangs erklären. Ein grösseres Werk muss ich hier noch besonders hervorheben, das in holländischer Sprache erschienen, aber für unsere Sprichwörterliteratur von Bedeutung ist, nämlich das von Dr. Suringar, der sich in demselben die Aufgabe gestellt hat, die germanischen Elemente in dem grossen Werke des Erasmus von Rotterdam nachzuweisen, mit Stellen aus demselben wie mit verwandten Sprichwörtern der deutschen Literatur zu belegen. Schon Eiselein (S. XXVIII) hat in der Einleitung zu seiner von uns oft erwähnten Sprichwörtersammlung darauf hingewiesen, dass Erasmus in seinem Werke gegen hundert der deutschen Sprichwörter bei passenden Anlässen in seiner lateinischen Manier angebracht habe. Weit eingehender hat Latendorf in Agricola's Sprichwörtern in dem Abschnitt Tappius und sein Verhältniss zu den Sammlungen der Niederländer diesen Punkt behandelt.29
Die Lösung dieser schwierigen Aufgabe, welche der gründliche Forscher auf diesem Felde in seiner erwähnten trefflichen Schrift Agricola's Sprichwörter bis S. 228 weiter behandelt, hat sich Dr. Suringar, Rector des Gymnasiums in Leyden, in der oben erwähnten Schrift gestellt. Ich halte sie für die bedeutendste aller Arbeiten auf diesem Felde, welche seit dem Erscheinen des zweiten Bandes unsers Deutschen Sprichwörter-Lexikon hervorgetreten sind. Ihre ausführliche Würdigung kann sie nur in gelehrten Zeitschriften finden. Ich habe auf Grund der Aushängebogen, seit sie mir durch die Güte des Verfassers zugegangen sind, bereits an den geeigneten Stellen auf sie verwiesen. Das gegen 600 Seiten Lexikonformat starke Werk behandelt über 250 Sprichwörter aus Erasmus, in denen er das lateinische Sprichwort an die Spitze stellt, Belegstellen beifügt und auf niederländische, deutsche, wie Schriftsteller anderer Völker verweist. Für die Sprichwörter jedes Volks oder Volksstamms ist ein sehr sorgfältig gearbeitetes alphabetisches Register beigefügt. Das mit grosser Genauigkeit bearbeitete Werk des gelehrten Verfassers füllt eine wissenschaftliche Lücke in der Sprichwörterliteratur aus.
Ich kann die literarische Umschau auf diesem Gebiet nicht schliessen, ohne noch einer Arbeit zu gedenken, wobei ich aber die Erlaubniss der Leser für den Zweck erbitten muss, zur Abwehr eines schmuzigen Angriffs auf unser Deutsches Sprichwörter-Lexikon das Wort zu nehmen. Wenn es sich blos um den Theil des Publikums handelte, in dessen Händen sich das Deutsche Sprichwörter-Lexikon befindet, um die, welche es von seinem ersten Erscheinen bisjetzt theilnehmend begleitet haben und wissen, wie es sich innerlich fortentwickelt hat und was es ist und leistet; so könnte eine Abwehr gehässiger Angriffe vielleicht überflüssig erscheinen. Allein es ist auch wol die grössere Zahl derer zu beachten, die es aus eigener Anschauung nicht kennen, wie es mir aber dann auch als Ehrenpflicht des Schriftstellers erscheint, sein Werk nicht von unberufener, unbefähigter Seite anfechten und dem Publikum Sand in die Augen streuen zu lassen.
Bald nach dem Erscheinen der ersten Lieferungen des Deutschen Sprichwörter-Lexikon erfuhr ich, dass es von dem Freih. von Reinsberg und seiner Frau unangenehm empfunden werde, weil sie die Absicht hätten, mit einer grossen Sprichwörterarbeit hervorzutreten. Zwar hatte damals Deutschland sein [7] Elsass und Lothringen noch nicht zurückerworben; aber es war wol schon gross genug, um beiden Arbeiten nebeneinander Raum zu gewähren, und man durfte dem Publikum ausreichend Urtheil zutrauen, die bessere Arbeit aus den beiden herauszufinden. Nach diesem Grundsatz haben alle andern Verfasser von Schriften dieses Zweiges gehandelt, keinem derselben ist meine Arbeit, wie der meinigen keine andere im Wege gewesen; sie waren im Gegentheil alle davon überzeugt, dass ein Mittelpunkt für die sprichwörtliche Literatur noththue, und dadurch gerade die Bearbeitung einzelner Zweige ihre Förderung erhalte. So sandte mir Herr Lehrer Frischbier in Königsberg seine Sammlung, die inzwischen eine zweite Auflage erlebt hat, noch bevor sie gedruckt war, handschriftlich und ohne Bedenken zur Benutzung; dasselbe that Herr J. Franck in Annweiler, der ein Vierteljahrhundert hindurch die Literatur sprichwörtlich ausgebeutet hatte und ein grosses Literaturwerk vorbereitet; auch er stellte mir sein Manuscript zur Verfügung, ohne für sein Werk Beklemmungen zu bekommen. Und Herr Dr. Konst. von Wurzbach sagt in der Einleitung zu seinem Glimpf und Schimpf (S. 10): »Das unvergleichliche und in jeder Beziehung vortreffliche Deutsche Sprichwörter-Lexikon von Wander kann meine Arbeit nicht beeinträchtigen.« Von dieser Ansicht sind alle Schriftsteller dieses Feldes – ich will nur noch an Herrn Prof. Baumgarten in Kremsmünster, Herrn Dr. Zingerle in Innsbruck und Herrn Prof. Birlinger in Bonn erinnern – geleitet worden. Nur das freiherrlich von Reinsberg-Düringsfeld'sche Schriftstellerpaar glaubte keinen Raum für seine Arbeit zu finden und fürchtete, das deutsche Volk würde nicht eigenes Urtheil genug besitzen, den unterschiedlichen Werth zweier Arbeiten selbst zu erkennen. Es wurde daher jede Gelegenheit ergriffen und benutzt, meine Arbeit in den Augen des Publikums herabzusetzen, so z.B. eine literarische Anzeige im Magazin für die Literatur des Auslandes (1869, Nr. 14), um für das deutsche Volk die Offenbarung einzuschmuggeln, dass mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon »für die Wissenschaft ganz werthlos sei«; als wenn der Freih. von Reinsberg ein Mandat hätte, die Wissenschaft zu vertreten. Jos. Lehmann, der kürzlich verstorbene Herausgeber des Magazins, bedauerte die ohne seine Kenntniss erfolgte Aufnahme dieses Artikels um so mehr, als in seiner Zeitschrift schon früher (1865, Nr. 43, s.u.) der Werth des Deutschen Sprichwörter-Lexikon hervorgehoben worden war, und erbot sich sofort zur Aufnahme einer Entgegnung, die in Nr. 19 (1869) erfolgte.
Das Verfahren, mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon zu überwinden, hätte für den Freih. von Reinsberg sehr nahe gelegen, er hätte nur ein besseres Werk liefern dürfen, was ihm bei seiner Vielzüngigkeit und da er in Compagnie arbeitet, um so leichter sein konnte. Aber er zog den Weg der Herabsetzung vor. Nicht vom Standpunkte des strengen Kritikers besprach er das Werk; er ging in demselben als Kammerjäger herum, um auf dessen Blättern Insekten abzulesen, die er dann, wenn er eine Menge beisammen hatte, fürs Publikum ausstellte. Eine solche Ausstellung ist neulich wieder in den Grenzboten veranstaltet worden, und zwar meist in wiederholt ausgestellten und längst abgestorbenen Exemplaren. Es beeinträchtigt den »wissenschaftlichen Werth« des Freih. von Reinsberg-Düringsfeld, dass sich im deutschen Texte fremde Sprichwörter und »selbstgemachte« befinden. Diesen Ausstellungen, die dem Kenner ja sofort als Schminke für die eigentlichen Gründe, aus denen sie flossen, erscheinen, wurden, obgleich in der Vorrede zum ersten Bande die Veranlassung dazu dargelegt ist, von dem Freih. von Reinsberg in der Vorrede zu seinem germanisch-romanischen Opus, dem mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon im Wege steht, wiederholt, wo es heisst: »Desto mehr bedauern wir, das mundartlich so reiche Material, welches dem Wander'schen Sprichwörter-Lexikon zugeflossen ist, gänzlich beiseite lassen zu müssen, weil wir schon aus der ersten Lieferung desselben ersehen, dass es zur wissenschaftlichen Benutzung völlig unbrauchbar ist.«
Weil in der ersten Lieferung meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon fremde und angeblich selbstgemachte Sprichwörter stehen, deshalb soll das meinem Werke mundartlich so reich zugeflossene Material zur »wissenschaftlichen Benutzung unbrauchbar« sein. Diese freiherrliche Compagnieweisheit liegt jenseit der Grenze meines Verständnisses.
Als mir der aus längst wiederholt zurückgewiesenen und mit Moos bewachsenen Ausstellungen, aus völliger Unkenntniss entsprungene, aus falschen oder gefälschten Citaten, von wirklichen, aber mehr erfundenen Druckfehlern u.s.w. zusammengesetzte Artikel zuging, stellte ich Material zur Berichtigung zusammen, sandte es der Verlagshandlung mit der Ermächtigung ein, nach Massgabe davon Gebrauch zu machen oder die Redaction Gebrauch machen zu lassen; aber der jetzige Redacteur der Grenzboten, Dr. Hans Blum, wies die Aufnahme jeder, ihm zur Auswahl sogar völlig überlassenen, Berichtigung zurück. Ich wandte mich selbst an ihn, sprach mein Befremden über ein solches Verfahren gegen einen alten langjährigen, persönlichen und literarischen Freund seines Vaters aus und bat um Aufnahme einer kurzen Erklärung von etwa sechs bis acht Zeilen gegen einen Angriff von sieben Seiten. Aber ich erhielt als Antwort30 die witzige Mittheilung: »dass die Grenzboten nicht dazu da seien, ihre Mitarbeiter in denselben[8] beschimpfen zu lassen«, woraus logisch folgt, dass sie, wenigstens unter der jetzigen Redaction, dazu da sind, diejenigen zu beschimpfen, die nicht die Ehre haben, zu diesen Mitarbeitern zu gehören.
Es liegt mir fern, alle Einzelheiten des aus unlauterer Gesinnung entsprungenen Angriffs zu widerlegen. Ich werde vielmehr die gemachten Ausstellungen gruppenweise behandeln und schliesslich meine Arbeit mit der freiherrlichen vergleichen. Wenn ich dabei die Feder nicht mit Glacéhandschuhen führe so wird dies durch die Natur der Sache entschuldigt sein. In Betreff des Angriffs ist stets im Auge zu behalten, dass sich dessen Verfasser, um Platz für sein Fabrikat zu gewinnen, die Aufgabe gestellt, mittels längst widerlegter Ausstellungen den wissenschaftlichen Werth meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon anzufechten, obgleich in seinen Leistungen der Beruf, die Wissenschaft zu vertreten, nicht zu erkennen ist.
Der Umstand, dass W. Körte in der Einleitung zu seinem 1837 erschienenen: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen, nachdem er dreimal in meine neuen Sprichwörter (Scheidemünze) hineingesehen, sie für werthlos erklärt hat, ist für den Verfasser des Schmähartikels in den Grenzboten der erste Grund für seine Behauptung.31 Eine solche Logik beweist nichts gegen den wissenschaftlichen Werth meiner Arbeit. Ich beziehe mich im allgemeinen, was diesen Punkt betrifft, auf S. XIX der Vorrede zum ersten Bande. Es ist ein Beweis von der ganzen Armseligkeit des Machwerks, nach dem dort Gesagten immer wieder darauf zurückzukommen.
Körte, auf den sich der »gute Mann« in den Grenzboten beruft, hat drei Sprichwörter aus der Scheidemünze als Beispiele ausgezogen, um den Lesern den Beweis zu führen, dass sie werthlos sind. Dieselben drei hat der »gute Mann« auch seinen Lesern aufgetischt, aber nicht ohne wenigstens eins zu verdrehen. Das Sprichwort lautet bei mir: »Die Steuer vom Kümmel verdient nicht den Himmel.« Die Grenzboten, deren Artikel mehr Druckfehler oder Entstellungen, Fälschungen, Verdrehungen u. dgl. enthält als ein ganzer Band meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon Irrthümer zählt, haben den Gedanken in sein Gegentheil verwandelt: die Steuer verdient dort den Himmel. Für den Zweck des Verfassers, meine Arbeit in den Augen des Publikums herabzusetzen, ist ein solches Verfahren ganz geeignet, wie es die Zeitschrift selbst charakterisirt, die keinen Raum für eine Berichtigung hat. Nachdem er nun die von mir 1831 verfassten Sprichwörter theilweise falsch abgeschrieben hat, sucht er aus der ersten Lieferung meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon, welche 4743 Sprichwörter enthält, sechs32 Sprichwörter heraus, die er den Lesern der Grenzboten [9] als von mir fabricirte bezeichnet, um daran zu zeigen, dass mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon »keinen wissenschaftlichen Werth« besitzt. Wenn nun auch ein derartiger Beweis an sich schon Blödsinn ist, so ist die ganze Behauptung unwahr, oder genauer nach der Form, in der sie auftritt, eine lügenhafte.
Dass Druckfehler unvermeidlich sind, ist jedermann bekannt, und so ist auch das Deutsche Sprichwörter-Lexikon nicht frei davon, obgleich von jedem Bogen vier Correcturen und zwar nicht blos von mir, sondern zwei von wissenschaftlich gebildeten Philologen gelesen werden.33 Wenn sich nun jemand Mühe gibt, aus einem Werke, wie das Deutsche Sprichwörter-Lexikon, von dem jetzt 360 Bogen mit mehr als 800000 Zeilen vorliegen, jeden Irrthum herauszusuchen und, mit einer schlechten Brühe versehen, in einer Schüssel als Ragout aufzutragen; so kann er schon ein gut Gericht zusammenbringen, besonders wenn er es an falschen Behauptungen, Entstellungen und Verdrehungen nicht fehlen lässt.
In der seitenlangen Auslassung der Grenzboten kann ich keine Kritik, sondern nur ein Misbehagen über die Theilnahme erblicken, welche meiner Arbeit von allen Vorurtheilsfreien geschenkt wird. Der Artikel wird vielleicht am besten durch das deutsche Wort »Hänselei« bezeichnet, wie er nur durch das Verfahren der Redaction der Grenzboten übertroffen werden kann, die ihn aufgenommen hat.
Es bleibt mir noch ein Doppeltes übrig; zuerst der freiherrlich von Reinsberg-Düringsfeld'schen Behauptung, meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon gebreche der wissenschaftliche Werth, einige andere[10] Urtheile entgegenzustellen34, und dann einen Blick auf die Leistungen des reisenden Schriftstellerpaars selbst zu werfen.
Vor allem will ich aber noch einmal mit einigen Worten die Aufgabe bezeichnen, deren Lösung ich mir gestellt habe und fortgesetzt nach Massgabe der mir zu Gebote stehenden Mittel und Kräfte anstrebe. Ich will den deutschen Sprichwörterschatz so vollständig als er zu erreichen ist aus Literatur und Volksmund in einer übersichtlichen, leicht zugänglichen Ordnung unter Angabe der Quellen zusammenstellen, mit Belegstellen, wie mit sinnverwandten Sprichwörtern anderer Völker begleiten. Ob zur Zeit auf dem Boden der Sprichwörterliteratur diese Aufgabe nicht als eine wissenschaftliche gelten sollte, kann ich mir nicht vorstellen, da die Wissenschaft überall mit dem Anfange, mit den Grundlagen beginnt. Mögen die Männer der Wissenschaft mit den Sprichwörtern thun, was sie wollen, so müssen sie dieselben doch zuerst besitzen und an einem bestimmten Orte finden. Das Sammeln und Ordnen wird also nach dem einfachen Menschenverstande die erste wissenschaftliche Aufgabe sein. Daran schliesst sich die Beifügung des dazu gehörigen Materials und der Nachweis der Quellen, damit im gegebenen Falle am betreffenden Orte das Weitere nachgesehen werden kann. Wer zur Zeit von einer solchen Arbeit mehr verlangt, wer etwa fordert, jedes einzelne Sprichwort solle geschichtlich bis zu seinem Ursprunge zurück in seinen verschiedenen Ausdrucksformen nachgewiesen werden; oder wer verlangt, es sollen keine [11] Wiederholungen, keine Irrthümer und Druckfehler vorkommen, der macht Anforderungen, die theils nie, theils erst viel später am Orte sein werden. Wer sich z.B. daran stösst, dass zuweilen fremde Sprichwörter nicht als Belegstelle in Notenform, sondern mit fortlaufender Zahl im Text stehen, der beweist blos, dass er kein Verständniss für eine Arbeit wie diese und die Aufgabe hat, die sie sich gestellt.
Ich habe nun seit dem Anfange der dreissiger Jahre Sprichwörter gesammelt, sie später geordnet, seit dem Jahre 1862 hat der Druck begonnen, während dessen das Schöpfen aus den beiden Quellen von einer grossen Anzahl unterstützender Freunde, die auch etwas von Wissenschaft verstehen, fortgesetzt worden ist und fortgesetzt wird. Das allgemeine Urtheil, mit Ausnahme Einer Stimme35, war, von einzelnen Ausstellungen abgesehen, die meist begründet waren, ein anerkennendes, zum Theil freudige Ueberraschung ausdrückend.
Diese einzige Stimme ist der Freih. von Reinsberg-Düringsfeld, der sich mit seiner Feder auf das Sprichwörterfeld begeben hat und es dort nicht dem öffentlichen Urtheil überlässt, den Werth seiner Arbeit mit dem anderer zu vergleichen. Diesem Auftreten gegenüber wird es erlaubt sein, seine Leistungen näher anzusehen und seine Befähigung zu Arbeiten auf diesem Felde zu prüfen.
Freih. von Reinsberg betont bei jedem Anlass den Besitz seiner vielen Sprachen, den auch ich als ein vorzügliches Hülfsmittel zu Arbeiten auf diesem Gebiete erachte; doch reicht derselbe allein nicht aus. Nirgends thut es der Besitz eines Dinges an sich, sondern die richtige Anwendung desselben. Es kann jemand mit Einem Thaler mehr ausrichten als ein anderer mit zehn. Freih. von Reinsberg ist seit 1845 in der Welt umhergezogen, hat in Italien, in der Schweiz, in Dalmatien, Belgien, Frankreich, Böhmen und, wissen die Götter, wo sonst noch gelebt. (Vgl. Brockhaus' Conversations-Lexikon, 11. Aufl., V, 595.) Da hat er denn das Leben des Volks, seine Sitten und Gebräuche gesehen und mit Hülfe von Büchern, die er aus den Bibliotheken herausgelangt hat, beschrieben. Ich habe diese Arbeiten, wo ich sie gefunden, wie alles, was mir seit vierzig Jahren und länger auf meinem Felde begegnet ist, beachtet, und darauf, wo es mir geeignet schien, verwiesen, da ich das Verfahren der Biene befolge, welche sich aus allen Blumen das herauszieht, was sie für ihren Zweck bedarf, ungleich dem Freih. von Reinsberg, der aus dem »reichen Material«, was mir für mein Werk zugegangen ist, für seinen Zweck nichts gebrauchen kann, womit er sich selbst, wie ich meine, kein geringes Armuthszeugniss ausstellt.
In den das Volksleben, Sitten und Gebräuche einzelner Gegenden und Landstrecken schildernden, zum Theil in Zeitschriften zerstreuten Aufsätzen, theils in besondern Schriften erschienenen Arbeiten ist die Feder des Freih. von Reinsberg an ihrem Platz. Ich habe schon früher bemerkt, dass es sich lohnen würde, die einzelnen Aufsätze gesammelt erscheinen zu lassen. Um das Jahr 1861 lebte er in Prag, wo die Idee seiner volksfasslichen Sprichwörterbücher in einer wahrscheinlich blos auf dem Wege des Spiritualismus zu erklärenden Ideenassociation entstanden zu sein scheint, über die man in Wurzbach's Glimpf und Schimpf (Wien 1864, S. 8 fg.) Andeutungen finden wird. Es erschienen nun kurz nacheinander eine Reihe von Sprichwörterbüchern, deren Titel im Quellenverzeichniss zum ersten Bande des Deutschen Sprichwörter-Lexikon (S. XLI) angegeben sind, das eine aus der männlichen, das andere aus der weiblichen Feder des Schriftstellerpaars, wenigstens auf dem Titel, wenn auch in der Bearbeitung eine Verschiedenheit durchaus nicht zu entdecken ist. Auch der Inhalt der einzelnen Bücher (Das Sprichwort als Philosoph, Das Sprichwort als Praktikus, Das Sprichwort als Humorist) ist schwer zu unterscheiden.36
Obgleich alle diese Bücher darin übereinkommen, dass sie keine Quelle für die Sprichwörter angeben, sondern sich darauf beschränken, am Ende eine Anzahl Schriften zu nennen, die der Verfasser benutzt zu haben versichert, und in denen man, wenn man neugierig ist, das betreffende Sprichwort heraussuchen, vielleicht auch, wenn man besonderes Glück hat, finden kann; so habe ich sie doch nicht nur in meinem Quellenverzeichniss aufgeführt, ich habe auch bei vielen Sprichwörtern darauf verwiesen, weil es sich für einen grossen Theil des Volks nicht sowol um Kenntniss der Quelle als darum handelt, die Theilnahme am Sprichwörtlichen anzuregen. Darin habe ich den Werth dieser Schriften, die ich als Volksbücher betrachte, erblickt.
Jetzt kam aber Freih. von Reinsberg auf den unglücklichen Gedanken, ein grosses Sprichwörterwerk zu schaffen, über das er sich gar nicht klar geworden zu sein scheint. Mag er sich nun dieselbe Aufgabe [12] gestellt haben, wie mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon oder eine andere; in jedem Falle musste er etwas Vollkommeneres liefern; vor allen Dingen musste er alle die Fehler vermeiden, die er an meiner Arbeit gerügt hatte. Aber bei ihm muss es rasch gehen37, wie man sich nach dem Abendbrot etwa niedersetzt und eine Novelle schreibt. Es scheint ihm ja auch nur darauf angekommen zu sein, den Inhalt der bereits erschienenen acht Bücher in eine andere Form zu bringen.38 Da aber das Sprichwort ein »Praktikus« ist, so konnte sich Freih. von Reinsberg unmöglich, wie die wiener Presse meint, auf ein einziges Buch beschränken. Es galt mit Einem Schuss zwei, vielleicht drei Hasen zu erlegen. Die Menge muss es bringen. Daher wurden zwar die Sprichwörter der sämmtlichen deutschen Mundarten, deren man habhaft geworden war, in Gruppen und zwar der leichtern Arbeit wegen und, um nicht unnütze Zeit zu verschwenden, ohne alle und jede Quellenangabe39 zusammengestellt. Diesen Gruppen wurde ein hochdeutsches Sprichwort als Anführer gegeben, wenn man eins fand; sonst nahm man dazu ein Sprichwort aus einer andern germanischen oder romanischen Sprache. Denn das vergleichende Werk bietet Sprichwörter der deutschen, dänischen, englischen, französischen, italienischen und spanischen Sprache. Der erste Band enthält 960 Gruppen und geht bis K; schliesst der folgende Band mit Z und bietet ebenso viel, so wird das Werk ungefähr 2000 Sprichwörter in sechs Sprachen enthalten und zwölf Thaler kosten. Da die Slawen aber auch nicht übersehen werden dürfen, und inzwischen nicht zweihundert neue deutsche Mundarten entstanden sein werden, so wird ein neues Sprichwörterbuch folgen, das die Sprichwörter der zweihundert deutschen Mundarten mit den slawischen Sprachen zusammenstellt und etwa auch zwölf Thaler kostet. Mittlerweile wird sich das Bedürfniss herausstellen, es wäre besser, bequemer, leichter zu übersehen, wenn die Sprachen alle in Einem Werke vereinigt wären, wie etwa in dem »wissenschaftlich werthlosen« von Wander, und man veranstaltet ein grosses europäisches Sprichwörterbuch, etwa unter dem Haupttitel Das Sprichwort als Pfiffikus, für sechzehn bis zwanzig Thaler.
Ich erblicke nur Einen Fehler in diesem Plane, den, dass die germanischen und romanischen Sprachen nicht getrennt behandelt worden sind, dann konnten die zweihundert deutschen Mundarten viermal verwerthet werden. Versteht sich bei Freih. von Reinsberg von selbst – ohne Quellenangaben, die ihm nur ein »Leichtes«, also nicht wissenschaftlich sind.40 Hierin unterscheiden wir uns nun wesentlich; denn ich betrachte eben als erste Bedingung eines wissenschaftlichen Sprichwörterwerks die Quellenangaben.
Hätte mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon auch sonst gar kein Verdienst; hätte es selbst noch mehr Fehler, als ihm Freih. von Reinsberg andichtet: so wird doch niemand, der auch nur einen Anflug von wissenschaftlicher Bildung besitzt, darüber in Zweifel sein, welche von beiden Arbeiten er zu wählen hat, wenn er sich in Besitz des geordneten Sprichwörterschatzes setzen will. Es gibt keine Spalte, selten einen Absatz, der nicht auch die Quellen angibt und so die Beziehungen zur Literatur nachweist.41
Ich bin um so berechtigter davon zu sprechen, als ich bisjetzt mehr als zehn Jahre meines Lebens dieser Aufgabe gewidmet habe; die ursprüngliche Handschrift war ohne Quellennachweis. So weit mir die[13] deutsche Sprichwörterliteratur bekannt ist, gab es vor dem Erscheinen meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon nur Ein Buch in unserer Literatur mit sorfältigen Quellenangaben, die Biblischen Sprichwörter der deutschen Sprache von K. Schulze, (Göttingen 1860). Einige Freunde meiner Arbeit haben besonders darauf hingewirkt, dem Deutschen Sprichwörter-Lexikon durch Hinzufügung der Quellen den wissenschaftlichen Charakter und damit bleibenden Werth für die Zukunft zu verleihen. Ich will nur ein paar Namen nennen, denen ein besonderes Verdienst dabei gebührt: die Herren Kreisgerichtsdirector Ottow in Landeshut und der Rector J. Franck, jetzt in Landau, Namen, die sicher ein Urtheil über die Ansprüche der Wissenschaft auf diesem Gebiet besitzen. So ist denn gerade mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon bisjetzt neben der erwähnten Schrift das erste Werk auf dem deutschen Sprichwörtergebiet, welches die Quellen der Sprichwörter mit möglicher Treue nachweist und sie mit ihr, aus der sie Erklärung und Lebenskraft erhalten und der sie durch ihren Witz, ihre Schlag- und Beweiskraft dienen, in Verbindung bringt und erhält. Wer über irgendein Sprichwort Auskunft haben will, darf jetzt nur das Deutsche Sprichwörter-Lexikon aufschlagen42; er weiss, wo er es zu suchen hat und wo er es finden muss; und er begegnet dort nicht blos dem betreffenden Sprichwort, sondern er findet auch dessen Literatur. Wo aber eine Angabe fehlt, so wird in der Regel anzunehmen sein, dass zur Zeit eine Quelle nicht nachgewiesen ist. Wo es sich thun liess, sind Verweisungen auf verwandte Sprichwörter gegeben und eine grosse Anzahl Zusammenstellungen sinnverwandter Gruppen von Redensarten beigefügt.
Wer nun hier noch von wissenschaftlicher Unbrauchbarkeit redet, der will entweder nicht sehen oder er ist völlig unfähig, in der Sache zu urtheilen.
Wenn ich nun dem Deutschen Sprichwörter-Lexikon gegenüber das Sprichwörterbuch des Freih. von Reinsberg ansehe, so weiss ich nicht, welchem Zweck das dienen soll.43 Die obenerwähnten acht erschienenen Volksbücher können, wie ich durch Verweisung anerkannt habe, vielfach nützlich sein, indem sie den Sinn für das Sprichwort anregen und einen Blick in die Anschauungen auch anderer Völker thun lassen. Ob sich aber jemand 960 Sprichwörter für sechs Thaler blos der Zusammenstellung wegen kaufen wird, bezweifle ich. Und ein wissenschaftlicher Gebrauch ist davon gar nicht zu machen. Wem an deutschen Sprichwörtern etwas liegt, der findet deren in jeder Lieferung meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon, die zwanzig Silbergroschen kostet, über 3000 mit Quellenangaben und oft mit Erklärung; wer fremde Sprichwörter wünscht, der findet deren in jeder Lieferung gegen 1000 nicht blos in germanischen und romanischen, sondern auch in slawischen, nicht in sechs, sondern in zehn bis zwölf Sprachen, nur mit dem Unterschiede, dass er ebenfalls die Schriften genannt findet, aus denen sie entlehnt sind, womit auch der Weg zur Berichtigung gegeben ist, falls ein Fehler vorkommt. Wer mundartliche Sprichwörter verlangt, der findet sie in derselben Lieferung mit Hinweis auf die literarischen Quellen; und es werden schwerlich viel deutsche Mundarten unvertreten sein. Die Leistung des Freih. von Reinsberg hält sich von solchen Mühseligkeiten fern. Er macht seine Bücher nach einer neuen wissenschaftlichen Methode. Er ist hin-und hergewandert, hat hier in eine breslauer, dort in eine prager, schweizer, italienische Bibliothek geschaut, sich herausgeschrieben, was ihm zugesagt, und die Titel der Bücher notirt. Jetzt bringt er die Sprichwörter in eine gewisse Ordnung; woher sie entlehnt sind, weiss er selbst nicht, daher fehlen in seinem Buche die Nachweise darüber. Er hat sich bisher damit begnügt, am Ende seiner kleinen Bücher eine Anzahl Titel aufzuführen, die er als Quellenschriften bezeichnet, und so hat er auch für sein neues Opus den gläubigen Lesern ein ausführliches Quellenverzeichniss in Aussicht gestellt, wiewol es ihm, wie er im Vorwort versichert, ein »Leichtes gewesen wäre, zu jedem Sprichwort die Quelle anzugeben«.44
[14] Welchen Grad von Verstandesschwäche muss ein Schriftsteller seinen Lesern zutrauen, der ihnen so etwas vorzureden wagt! Nachdem also das Buch zu Ende sein, also mindestens zweitausend hochdeutsche, mehrere tausend fremde und mehrere tausend mundartliche Sprichwörter enthalten wird, werden die sämmtlichen Bücher, aus denen angeblich entlehnt ist, dem Titel nach genannt; und nun, ihr glücklichen Besitzer, ihr nach der Quelle neugierigen Leser, geht hin und sucht euch das betreffende Sprichwort heraus. Welche Freude werdet ihr haben, falls ihr es nach mehrmaligem Durchblättern von hundert und mehr Büchern im »Originaltext« findet.
Um ein solches Verfahren zu bezeichnen, weiss ich in der deutschen Sprache kein Wort, aber die Amerikaner besitzen ein sehr bezeichnendes, das besonders durch die Leistungen Barnum's stark in Umlauf gekommen ist; sie nennen es Humbug.
Um das Quellenverzeichniss zu ergänzen, falls ja ein Sprichwort in den genannten Titeln nicht gefunden werden sollte, hat Freih. von Reinsberg noch die Güte gehabt, mitzutheilen, dass er die Bibliotheken in Altenburg, Baireuth, Berlin, Breslau, Dresden, Gotha u.s.w. benutzt hat, sodass also der neugierige Leser, welcher im Quellenverzeichniss aprilgeschickt sein sollte, weiter nichts zu thun hat, als die genannten elf Bibliotheken zu durchforschen, um dem »Originaltext« auf die Spur zu kommen; endlich bietet noch, falls auch auf diesem Wege kein Erfolg erzielt werden sollte, die kaiserliche Widmung vollen Ersatz für den fehlenden Nachweis. Das ist die neu-wissenschaftliche Methode, nach welcher der Baumeister das Material zusammensetzt, den verbindenden Mörtel danebenschüttet und die Verbindung herzustellen denen überlässt, welche eine solche wünschen.
Der grösste Werth des Freih. von Reinsberg'schen Buchs liegt in den Mundarten; aber es kann niemand mehr als ich bedauern, dass von dem darin niedergelegten mundartlichen Schatze kein wissenschaftlicher Gebrauch gemacht werden kann. Denn man findet dabei auch nicht die geringste sprachliche Erläuterung, nicht eine einzige Hinweisung auf ein mundartliches Wörterbuch. An und für sich ist schon schwer einzusehen, was eine Zusammenstellung von zweihundert Dialekten mit nichtdeutschen Sprachen nützen soll. Was werden die Franzosen, Spanier u.s.w., die kaum das Hochdeutsch bewältigen, mit so viel Dialekten beginnen? Was uns gebricht, ist eine möglichst vollständige sprichwörtliche Ausbeutung der deutschen Mundarten. Aber ein auch nur in bescheidenem Umfange vollständiges Sprichwörterbuch der sämmtlichen deutschen Mundarten wird zur Zeit nicht herzustellen sein. Wir befinden uns hier noch in der Zeit der Vorarbeiten, die wir dankbar begrüssen müssen. Uns fehlen noch mundartliche Wörterbücher und dann ein deutsches Universal-Idiotikon. Auf diesem Felde hätte sich Freih. von Reinsberg grosses Verdienst und viel Dank verdienen können; aber eine herumziehende Lebensweise kann wol Bücher fabriciren, aber keine Arbeit dieser Art liefern.
Während Freih. von Reinsberg aus meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon Druckfehler heraussucht oder hineinträgt, lässt er die Correctur für sein neu-wissenschaftliches Opus in Kassel lesen und bittet im Vorwort wegen etwa stehengebliebener Fehler um Nachsicht45, von der er mir gegenüber nichts weiss, wiewol die Correctur seines Buchs, das ohne Erklärungen, ohne Citate, in grosser Schrift, also in einer weniger enthaltenden Druckform erscheint, der meinen gegenüber bei weitem nicht so schwierig ist. Ich empfehle ihm, in der Brockhaus'schen Officin einmal eine Correcturfahne anzusehen, damit er eine Vorstellung von dem bekommt, was es heisst, einen Bogen meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon in mehrern Schriftarten, mit Erklärungen, Hunderten von Verweisungen und Citaten zu lesen; vielleicht hört er dann auf von Dingen zu reden, die ihm völlig fremd sind.
Ich kann keinen Bogen oder Fahnenabzug lesen, ohne Hunderte von Büchern und Handschriften zur Hand zu haben und nachzuschlagen, die sich nicht gut in den Reisekoffer packen lassen. Die freiherrliche Methode, Bücher zu fabriciren, ist dagegen sehr einfach und leicht. Da es nach seinem Vorwort »fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen«, da die »Hülfsmittel dazu mangelhaft sind oder nicht zu Gebote gestanden haben«; so muthet er die Lesung einem Manne zu, der die Sprichwörter aus den elf Bibliotheken nicht gesammelt hat, und noch viel weniger wissen kann, ob sie richtig sind; so benutzt er auch die vorhandenen Hülfsmittel nicht. Denn in dem ganzen Buche ist auch nicht eine Spur von mundartlicher Literatur zu finden; weder auf das Bremer Wörterbuch, noch auf Schmeller, weder auf Dähnert, Schütze, Stürenburg, noch auf Schmid, Tobler, Stalder, Danneil u.s.w., nicht einmal auf Frommann's Deutsche Mundarten, diese reiche Quelle von Belehrungen auf diesem Gebiet, ist verwiesen.
[15] Ist der fehlende Quellennachweis bei hochdeutschen und fremdsprachlichen Sprichwörtern zu beklagen, so raubt er bei den mundartlichen dem Buche jeden wissenschaftlichen Werth. Tadelt der Freih. von Reinsberg an meinem Deutschen Sprichwörter-Lexi kon, dass sich angeblich von mir selbst »fabricirte« Sprichwörter darin finden, so ist ohne Quellenangabe der gesammte Inhalt seines Buchs gleich einem selbst fabricirten, da wir bei keinem Sprichwort eine andere Garantie besitzen, als, um mit der oben angeführten wiener Presse zu reden, Otto und Ida.
Dem Freih. von Reinsberg hat vielleicht die Idee eines mundartlichen Sprichwörterbuchs vorgeschwebt, die ich für sehr interessant halte und in deren Durchführung ich ein wissenschaftliches Verdienst erblicken würde, wenn ich auch glaube, dass sie zur Zeit noch nicht vollständig ausgeführt werden kann, weil es an den dazu unbedingt erforderlichen Hülfsmitteln gebricht; aber auch als Vorarbeit wäre sie dankenswerth, und ich würde sie mit Freude begrüsst haben, wenn sie mit der vorhandenen mundartlichen Literatur in Verbindung stände, resp. an sie anknüpfte, oder wenn sie die Sprichwörter eines Landes, einer bestimmten Gegend, aus dem Volksmunde geschöpft, dargestellt hätte, wie Baumgarten, Birlinger, Eichwald, Frischbier, Raabe, Sutermeister u.v.a. in eigenen Schriften, andere in den werthvollen Quellenwerken von Firmenich und Frommann gethan haben.
Die Ausführung eines grossen mundartlichen Werks beansprucht ein ganzes Menschenleben oder die Kräfte einer Gesellschaft für lange Zeit; denn sie setzt die Kenntniss, Durchforschung und Ausbeutung unserer gesammten mundartlichen Literatur, sie setzt für jede Hauptmundart ein gutes Wörterbuch und dann, auf diese begründet, ein Gesammtwörterbuch der deutschen Mundarten, ausserdem aber unterstützende Kräfte in allen Theilen Deutschlands, »wo die deutsche Zunge klingt«, voraus. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann mag der mit der deutschen Sprache gründlich vertraute Herausgeber mit dem Wunsche an die Arbeit gehen: O dass ich tausend Zungen und – recht viel Sitzfleisch hätte! Ein Nomadenleben eignet sich für solche Arbeit nicht.
Ueber deutsche Gründlichkeit hat mir ein Schreiber, wie der in den Grenzboten, keinen Unterricht zu ertheilen; ich habe diese schon vor fünfzig Jahren als Lehrer consequent geübt. Federn, die in der Welt umherziehen, aus allen Bibliotheken etwas herausnaschen, um es in irgendeiner Zeitschrift abzulagern oder zu einem Buche zusammenzukneten, spreche ich jede Befugniss ab, über das zu urtheilen, was arbeiten heisst und was eine Arbeit ist.
Ich schliesse hier meine Zurückweisung eines leichtfertigen und völlig ungerechtfertigten Angriffs mit der Versicherung, dass ich nur mit Widerstreben darauf eingegangen bin. Aber ich habe es für eine Pflicht gehalten, die Ehre des gewissenhaften Schriftstellers zu vertheidigen. »Grob war's freilich«, sage ich mit Börne, »aber was liegt daran, wie eine Katze die Maus abthut.« Solchem Gebaren gegenüber hat die Bescheidenheit aufgehört, eine Tugend zu sein. Neben meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon haben noch viel andere Bücher Raum; wer aber den geordneten, durchgehends mittels Quellennachweis mit der Literatur in Verbindung gebrachten Sprichwörterschatz besitzen will, der wird, wenn er einen Blick in mein Deutsches Sprichwörter-Lexikon gethan und dann einen zweiten in das neu-wissenschaftliche Buch des Freih. von Reinsberg thut, insofern er überhaupt ein Urtheil in der Sache besitzt, in der Wahl nicht zweifelhaft sein können; denn während an jenem Fehler, Irrthümer und Mängel haften, ist dieses selbst ein einziger grosser Gesammtirrthum.
Auch diesem Bande habe ich wieder ein Verzeichniss derjenigen beigefügt, die mich freundlichst in der schweren Arbeit unterstützt haben, und ersuche sie, mir bis an den Schluss ihre Mitwirkung zu erhalten.
Ebenso ist eine Uebersicht der in diesem Bande enthaltenen Zusammenstellung sinnverwandter Sprichwörtergruppen gegeben.
Die Befürchtung, dass es unbeendet bleiben möchte, welche manche öffentliche Bibliotheken und Besitzer von Privatbibliotheken vom Ankauf des Werks abgehalten hat, wird nun wol ziemlich geschwunden sein, und ich darf wol hoffen, dass der deutsche Sprichwörterschatz in immer mehr Büchersälen einen Platz finden werde; ich darf hoffen, dass die Freunde desselben feindseligen Angriffen gegenüber um so kräftiger dafür wirken werden, dass es bald keine gute Bibliothek mehr gibt, in der man vergeblich danach fragt.
Der Druck des vierten Bandes hat bereits begonnen. Möchte es mir vergönnt sein, ihn zu beendigen und das reiche Material zu verarbeiten, was während des Drucks eingegangen ist und nicht mehr in die bereits im Druck beendigten Buchstaben zu bringen war!
Hermsdorf bei Warmbrunn, 24. Juni 1873.
K.F.W. Wander.
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