[1131] Der Hêrr, des -en, zusammen gezogen Herrn, plur. die -en, so wohl ein jeder, welcher einem andern zu befehlen hat, in Beziehung auf denselben, als auch der eigenthümliche Besitzer einer Sache.
1) Überhaupt, in welcher weitesten Bedeutung es auch von weiblichen Personen gebraucht wird. Ich muß Herr im Hause seyn. Die Frau ist hier Herr im Hause. Herr zu See seyn, die höchste Gewalt zur See haben. Sein eigener Herr seyn, seine Veränderungen nach eigenem Gutdünken bestimmen können. Ich bin nicht Herr meines Herzens, habe dasselbe nicht in meiner Gewalt. Herr über seine Leidenschaften seyn. Sich zum Herren seiner Begierden, einer Stadt, eines Landes machen. Herr über etwas seyn, frey damit schalten können. Er ist nicht Herr über sein Vermögen. Der Herr eines Hauses, eines Gutes, eines Feldes, der eigenthümliche Besitzer desselben, der Hausherr, Eigenthumsherr, Grundherr.
2) Besonders, in vielen derjenigen Stufen, deren die Macht zu befehlen, oder die Gewalt über andere fähig ist. Die vornehmsten Fälle dieser Art sind etwa folgende. Im höchsten und vorzüglichsten Verstande bezeichnet dieses Wort in der Deutschen Bibel und biblischen Schreibart, Gott, den höchsten Oberherren, so wohl für sich allein, als mit allerley Beysätzen, z.B. Gott der Herr, der Herr Herr, d.i. der Herr aller Herren, das Hebr. Jehovah Elohim auszudrucken. Ehedem pflegte man das Wort Herr, wenn es Gott bedeutete, entweder ganz, oder den ersten zwey Buchstaben nach mit großen Anfangsbuchstaben zu drucken, HERR oder HErr, welches aber jetzt immer mehr aus der Gewohnheit kommt. Auch Obrigkeiten, von dem höchsten Landesherren an, bis zu geringern Unterbeamten werden mit diesem Nahmen beleget. Der Kaiser, unser allergnädigster Herr. Der König, mein Herr. In den Titulaturen pfleget man es in diesem Verstande zu verdoppeln: Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Fürst und Herr, Herr; welches doch nicht in allen Gegenden üblich ist. Eine Person weiblichen Geschlechtes wird in diesem Falle Frau genannt. Strenge Herren regieren nicht lange. Große Herren, vornehme Personen von hohem Range und Ansehen, welche zuweilen auch nur schlechthin Herren genannt werden, wohin auch die im gemeinen Leben üblichen R.A. gehören: Herren-Feuer wärmt und brennt; Herren-Gunst währet nicht lange; große Herren haben lange Hände; mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen; Herren Sünde Bauern-Buße, quidquid delirant reges u.s.f. Herren und Narren haben frey reden u.s.f. Besonders adelige Personen männlichen Geschlechtes. Ehedem war das Wort Herr vorzüglich dem hohen Adel eigen, indem auch Fürsten und Grafen auf den Titel edler Herr stolz waren. Die Grafen von Reuß pflegten sich noch in den neuern Zeiten nur Herren Reußen oder Herren von Reuß zu schreiben. Nachmahls ward dieses Wort den Freyherren und Baronen eigen, in welcher Bedeutung es noch nicht ganz veraltet ist, ob es gleich jetzt am häufigsten einer jeden adeligen männlichen Person beygeleget wird; der Herr von N., welche von ihren Unterthanen auch nur der Herr schlechthin genannt werden. S. Herrenbank, Herrenstand. Auch die bürgerliche Obrigkeit in den Städten, die Rathsglieder, werden von ihren Bürgern nur schlechthin die Herren genannt, vollständig die Rathsherren, oder Herren des Rathes. Wohin auch die Zusammensetzungen Bauherr, Feuerherr, Fruchtherr u.s.f. gehören. Ingleichen der Besitzer eines Land- und Rittergutes, der Gutsherr, in Absicht auf die Unterthanen und Leibeigenen. S. Herrenarbeit u.s.f. Aus Höflichkeit nennt man auch eine jede männliche Person von einigem Stande, auch wenn es nicht der bloße Titel ist und den Nahmen begleitet,[1131] einen Herren, welches auch der einzige Fall ist, in welchem das Diminut. das Herrchen von jungen Personen dieser Art gebraucht wird. Schulgelehrte und modische Herren. Ein artiger junger Herr. Ein süßer Herr; im Franz. Petit Maitre, welches einige sehr ungeschickt durch Kleinmeister übersetzt haben. Die weiß gepuderten Herrchen, Weiße. Was gilts, darum hat sich das junge Herrchen noch nicht bekümmert? Less. Im mittlern Lateine waren dafür die Diminut. Herilis, Domicellus, Domnulus u.s.f. üblich. S. auch Junker. In der häuslichen Gesellschaft heißt der Hausvater in Rücksicht auf das Gesinde dessen Herr. Herr und Frau, der Hausherr oder Hausvater und dessen Gattinn. Sprichw. Wie der Herr so der Knecht. Auch Ehegattinnen pflegen ihre Ehegatten in der anständigen Sprechart ihren Eheherren oder nur Herren schlechthin zu nennen. Mein seliger Herr, d.i. Ehemann.
3) In weiterer Bedeutung ist dieses Wort, so wie das weibliche Frau, auch ein Ehrenwort oder Titel, welchen alle männliche Personen von einigem Stande, so wohl von Geringern, als von Personen ihres Standes und von Vornehmern zu bekommen pflegen, wenn man sie anredet, oder auch ihrer mit Achtung erwähnet; da man es denn so wohl ihrem Nahmen, als auch ihrer Würde oder dem Nahmen ihres Verhältnisses vorzusetzen pflegt. Der Herr Graf von N. der Herr Baron von X. (aber nicht Herr Freyherr, ob man gleich sagt der Herr Kammerherr von F.) der Herr Amtmann, der Herr Pfarrer u.s.f. Herr Peter, Herr Hofmann u.s.f. Ihr Herr Vater, ihr seliger Herr Bruder, mein Herr Verleger u.s.f. Oft gebraucht man auch dieses Wort, besonders im Oberdeutschen absolute, solche Personen anzureden, die man nicht kennet, oder auch, denen man eben keine vorzügliche Achtung schuldig zu seyn glaubt. Wie heißt der Herr? d.i. wie heißen sie, mein Herr? Wer ist der Herr? wer sind sie, mein Herr? Ich bin des Herren ergebener Diener. Bey Personen, welche schon über den Herrenstand erhaben sind, dergleichen Kaiser, Könige, Herzoge und Fürsten sind, pfleget man das Herr dem Nahmen ihrer Würde oder ihrem eigenthümlichen Nahmen nicht mehr vorzusetzen, obgleich solches ehedem üblich war. Herr König kommt noch in der Deutschen Bibel vor. Die komische Schreibart ahmet solches noch zuweilen nach.
Ich, sprach der Wolf, kann heilig schwören,
Herr König, ich war nicht dabey,
Lichtw.
Indessen geschiehet solches doch noch in einigen Kanzelleyen, wo man noch der Herr Erbprinz, des Herrn Herzogs Durchlaucht u.s.f. spricht und schreibt. Wenn Herr dem eigenthümlichen Nahmen vorgesetzet wird, läßt man im gemeinen Leben und in der vertraulichen Schreibart den Artikel zuweilen aus. Ich habe es Herrn Brausebart gegeben. Nicht so richtig ist es, wenn man Herr unverändert läßt, und dafür den eigenen Nahmen biegt. Ich weiß mir die Welt und Herr Simonen nicht verbindlicher zu machen, Gell. für Herrn Simon oder den Herrn Simon.
Anm. 1. Gottsched behauptete, dieses Wort habe in der dritten Endung der einfachen Zahl nur dem Herrn, ohne e, zum Unterschiede von der dritten Endung im Plural, den Herren. Vermuthlich hatte er diese Regel sehr gedankenlos hingeschrieben, sonst würde ihm eingefallen seyn, daß es noch tausend andere Wörter gibt, welche im Singular und Plural gleich lauten, und eben so vieles Recht auf einen solchen Unterschied haben, als Herr. Hätte er gesagt, daß dieses Wort in der zweyten, dritten und vierten Endung der einfachen Zahl gemeiniglich, im Plural aber nur selten zusammen gezogen werde, des Herrn, dem Herrn, aber nicht leicht die Herrn, so hätte er etwas sehr[1132] wahres gesagt. Doch findet sich auch der unverkürzte Singular nicht selten.
Den Herren, der mir helfen kann,
Floh ich mit meinem Rufen an,
Opitz, Ps. 142
Und so in vielen andern Stellen mehr.
Anm. 2. In dem weiblichen Geschlechte ist in den meisten Fällen Frau üblich, S. dasselbe. Herr und Frau; der Landesherr, die Landesfrau; der Erbherr, die Erbfrau. In solchen Fällen, wo Frau nicht üblich ist, oder eine Zweydeutigkeit verursachen könnte, bedienet man sich anderer Ausdrücke, Gerichtsherrschaft, die Hausbesitzerinn u.s.f. Von Freyherr ist im Fämin. so wohl Freyfrau als Fryherrinn üblich. Das letzte gebraucht man auch, wenn man bloß die Gattinn eines Mannes bezeichnen will, dessen Ehrennahme in der letzten Hälfte das Wort Herr hat; die Feldherrinn, nicht Feldfrau; die Kammerherrinn, welche von der Kammerfrau sehr verschieden ist; die Rathsherrinn. Aber von Pfarrherr sagt man häufiger Pfarrfrau als Pfarrherrinn.
Anm. 3. Dieses alte Wort lautet schon im Isidor Herr, bey dem Willeram Herro, in dem alten Gedichte auf den heil. Anno Heirri, Hero, in Oberschwaben Heer, Heir, in Nieders. Heer und Herr, im Angels. Hearra, im Isländ. Schwed. und Dän. Herre. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es zu dem Geschlechte der Wörter ar, hoch, hehr, erhaben, heilig, ehe, eher, erst, Ehre u.s.f. gehöret, welches dadurch wahrscheinlicher wird, weil dieses Wort wirklich bey dem Ottfried Herero und im Tatian Heristo lautet, wovon ersteres der Comparativ, letzteres aber der Superlativ von hehr oder eher ist. Das Latein. Herus und das Griech. Κυριος sind vermuthlich sehr genau damit verwandt.
Bey dem Worte Ehr ist schon angemerket worden, daß man im Hoch- und Oberdeutschen unter Ehr und Herr, und im Niedersächsischen unter Heer und Herr einen Unterschied macht, und letzteres für anständiger und höher hält, als die erstern Ausdrücke. Dieser Unterschied beruhet mehr auf dem Gebrauche, als auf der Abstammung und ursprünglichen Bedeutung. Beyde sind allem Ansehen nach ein und eben dasselbe Wort. Vermuthlich wurde Ehr, Hehr und Heer, welches älter zu seyn scheinet, durch den langen Gebrauch und durch die weite Ausdehnung zu gemein und niedrig; ein ungefährer Zufall brachte vielleicht das Herr einer härtern Mundart in Ansehen, und man behielt es als ein minder bekanntes und folglich edleres Wort, für solche Personen bey, welche man durch das gemeinere Heer und Ehr nicht genug geehrt glaubte. Wenigstens ist unser Herr auf eine ähnliche Art in die Niedersächsische Mundart gekommen, wo es sich auch noch neben dem ältern Heer erhält. In einer alten Nieders. Übersetzung einer ältern Urkunde von 1318, in den Bützolschen Ruhestunden St. 12, S. 36 kommen beyde zugleich vor. Herzog Johann zu Meklenburg heißt daselbst Herr tho Wenden, und der Pfarrer zu Jördenstorp Er Cordt Gamme. Im mittlern Lat. wurden Domnus und Dominus auf ähnliche Art unterschieden; jenes gebrauchte man von geringern, dieses von vornehmern Herren.
Coelestem Dominum, terrestrem dicito Domnum,
sagt der Verfasser des Graecismi bey dem Du Fresne. Siehe auch Ehr.
In einigen Gegenden ist Herr auch ein Geschlechtswort. Es ist ein Herr, heißt es alsdann von einem neu gebornen Kinde männlichen Geschlechtes. Geschiehet es hier nur aus Achtung, oder ist es das Geschlechtswort er. S. 1. Er.
Buchempfehlung
Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.
88 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro