Leben, das

[1954] Das Lêben, des -s, plur. doch nur in einigen wenigen Fällen, ut nom. sing. das Hauptwort des vorigen Zeitwortes.

1. Lärm, Getöse, lärmender Zank, eine nur noch im gemeinen Leben, besonders Niedersachsens, übliche Bedeutung; ohne Plural. Was ist das für ein Leben? Ein Leben anfangen, verführen. Das war ein Leben! Das Holländ. Leben hat gleiche Bedeutung.

2. Bewegung; auch ohne Plural, und nur in einigen Fällen. Es ist lauter Leben an ihm, sagt man von einem Menschen, dessen Glieder in beständiger Bewegung sind.

3. In engerer und gewöhnlicherer Bedeutung, der Zustand der willkührlichen Bewegungen, das Vermögen eigene Veränderungen hervor zu bringen, solche selbst zu bestimmen, und die Fortdauer dieses Zustandes; am häufigsten gleichfalls ohne Plural. 1) Eigentlich, der Zustand, da man das Vermögen hat, eigene Veränderungen hervor zu bringen, und dessen Fortdauer. Ein todter Körper hat kein Leben mehr. Jemanden das Leben nehmen. Ihn bey dem Leben erhalten. Noch am Leben seyn, noch leben. Er ist nicht mehr am Leben, er ist schon verstorben. Jemanden um das Leben bringen, sein Leben verkürzen. Sich selbst das Leben nehmen. Einem nach dem Leben stehen, im gemeinen Leben trachten. Das Leben lassen, aufhören zu leben, am häufigsten von einem gewaltsamen Tode. Sein Leben für einen lassen. Sein Leben beschließen, aufhören zu leben. Jemanden am Leben strafen. Es gehet ihm an das Leben, er ist in Gefahr das Leben zu verlieren. Einem etwas bey Leib und Leben verbiethen. Man wird ihm nicht an das Leben kommen, man wird keine Ursache finden, ihm das Leben nach den Gesetzen zu nehmen. Der Richter spricht einem Verbrecher das Leben ab, wenn er ihn zum Tode verurtheilet; der Arzt einem Kranken, wenn er seine Krankheit für tödtlich erkennet. Jemanden das Leben schenken, es ihm lassen, da man es ihm nehmen könnte. Einem das Leben fristen, so wohl von Gott, als auch von einem Arzte. Sein Leben für jemanden wagen. Das Leben davon bringen, mit dem Leben davon kommen. Mit dem Leben bezahlen. In diesem Leben, in dem gegenwärtigen Zustande natürlicher Veränderungen. Beym Leben, oder am Leben bleiben, fortfahren zu leben. Einem das Leben sauer machen. Ich höre solche Sachen für mein Leben gern, sehr gern. Er schiebt für sein Leben gern Kegel. Zeit meines Lebens thät ich das nicht, niemahls, so lange ich lebe nicht. Dergleichen Frau habe ich Zeit meines Lebens nicht gesehen, Gell. Wie fließet so traurig euch das Leben dahin! Zach. Zuweilen auch der Grund der eigenen natürlichen Veränderungen. Regt kein Leben sich mehr in dir?


Sieh, wie sein Leben jetzt

Aus dieser Wunde quillt,

Weiße.


Des Leibes Leben ist im Blut, 3 Mos. 17, 11, 14. Der Plural ist nur in einigen wenigen Fällen, und auch hier am häufigsten in der höhern Schreibart üblich. Tausend Mahl will ich mein Leben für das deinige geben, und immer noch fragen, ob ich nicht noch zehn tausend Leben dir zu schenken habe, Weiße.


Ich aber will in nichtigen Versuchen

Nicht solcher Männer theure Leben wagen,

Schleg.


[1954] 2) In weiterer Bedeutung ist in der Theologie und biblischen Schreibart das neue Leben, das geistliche Leben, das Leben aus Gott u.s.f. der neue von dem Geiste Gottes gewirkte Zustand der rechtmäßigen Handlungen und Veränderungen, und der Grund desselben. Das ewige Leben, so wohl die Glückseligkeit der Gläubigen in dieser Welt, als auch der Zustand der künftigen Glückseligkeit, im Gegensatze so wohl des natürlichen Lebens, als auch des ewigen Todes.

3) Figürlich. (a) Die Art und Weise der Anwendung des Vermögens eigener natürlichen Veränderungen, im Verhältnisse mit andern; ohne Plural. Ein armseliges Leben führen, armselig leben. Das Herrenleben, Klosterleben, Stadtleben, Landleben u.s.f. Ein schändliches, ein sündliches, ein frommes Leben führen. Sein Leben bessern. Wieder in sein voriges Leben verfallen. (b) Die Lebensbeschreibung, die Erzählung der Veränderungen, welche jemand in seinem Leben erfahren; mit dem Plural. Jemandes Leben beschreiben. Pauli's Leben Preußischer Helden. Die Leben der Gelehrten. (c) Dinge, welche man vorzüglich liebt, pflegt man in der vertraulichen Sprechart häufig sein Leben zu nennen; ohne Plural. Die Geschichte ist sein Leben. Diese Speise ist mein Leben. Wo es zugleich ein Ausdruck der Zärtlichkeit ist.


Ich hieß ihn mein Montan! er mich mein Herz! mein Leben!

Gell.


(d) In den schönen Künsten hat ein Kunstwerk Leben, wenn das Bild die Handlung, welche man vorstellen will, wirklich und mit aller erforderlichen Leidenschaft zu thun scheinet. (e) Wirkung, Einfluß auf den Willen; gleichfalls ohne Plural. So legt man einem Beweisgrunde, einer Rede, einem Gedichte ein Leben bey, wenn es die Empfindungen rege macht, Einfluß auf den Willen hat. (f) Im gemeinen Leben wird der fleischige empfindliche Theil an thierischen Körpern in manchen Fällen das Leben genannt, im Gegensatze des unempfindlichen. So ist das Leben an einem Pferdefuße der fleischige Theil, welcher an den Seiten und unten von dem Hufe eingeschlossen ist, und auch der Kern genannt wird. Einen Huf bis auf das Leben auswirken. Das Leben tritt einem Pferde aus, wenn es unter der Sohle des Hufes hervor tritt. Auch an den Gewächsen heißt der gesunde Theil das Leben, im Gegensatze eines verdorreten oder abgestorbenen. Einen dürren Ast bis auf das Leben abschneiden. Nach einer noch weitern Figur pflegt man auch den innern, festen, kernigen Theil eines Steines, im Gegensatze des äußern, weichen, verwitterten Theiles, das Leben zu nennen. Auch in dieser Bedeutung ist der Plural ungewöhnlich.

Anm. Im Nieders. Leven. Die ältesten Oberdeutschen Schriftsteller gebrauchen von dem Kero an dafür beständig der Lib, Leib, dagegen der Leib bey ihnen der Lichenam heißt. Im Dänischen ist so wohl Leben als Liv üblich.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 1954-1955.
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