[594] Ohne, eine Partikel, welche auf doppelte Art gebraucht wird.
I. Als ein Vorwort, welches ein nicht Daseyn, einen Mangel, eine gänzliche Abwesenheit, oder doch die Abwesenheit irgend einigen Einflusses, eine Ausschließung bezeichnet. Sie stehet im Hochdeutschen gewöhnlich vor dem Nennworte und erfordert alle Mahl die vierte Endung. Sie bezeichnet:
1. Einen Mangel, eine Abwesenheit; im Gegensatze des mit. Ohne deine Hülfe kann ich es nicht verrichten. Ohne mich könnt ihr nichts thun, ohne meine Hülfe. Er kann nicht ohne ihn seyn, oder leben, ohne seine Gegenwart, ohne seine Hülfe. Besonders mit solchen Hauptwörtern, welche den unbestimmten Artikel erfordern, welcher aber hier wegbleibet, weil das Vorwort die vierte Endung erfordert, und die Wörter, welchen es zugesellet wird, gemeiniglich schon etwas Allgemeines oder eine ganze Gattung bezeichnen, S. 1 Ein III. Ohne Sorge seyn. Ohne Geld kaufen wollen. Ein Baum ohne Blätter. Ein Buch ohne Titel. Ein Mensch ohne Tugend. Ohne Hülfe seyn. Etwas ohne Umschweife erzählen. Ohne Trost, ohne Geld, ohne Gewissen seyn. Ohne Hut einher gehen. Wie Schafe ohne Hirten seyn. Er ist ohne Tadel. Ohne Ansehen der Person. Ohne Zwang leben. Ohne Scham und Scheu. Es wird nicht ohne Schläge abgehen. Die Speisen ohne Salz essen. Ohne Luft kann man nicht leben. Ohne Gewissensbisse sündigen. Ich habe ohne dein Wissen die Musik bestellt, Gell. Ohne die Bauern (ohne Bauern) wären keine Junkern, Weiße, wenn keine Bauern wären. Ohne Unterlaß arbeiten. Ohne Ende, unendlich, endlos. Ohne Unterschied. Wohin auch einige adverbische Ausdrücke gehören. Ohne Zweifel, es ist nicht daran zu zweifeln. Ohne Scherz, ohne Spaß, es ist kein Scherz. Ohne Ruhm zu melden, ohne mich damit zu rühmen.[594] Mit der Verneinung nicht entstehet eine Bejahung, welche oft mehr Nachdruck und Wohlklang hat, als das geradezu bejahende mit. Der Abschied war nicht ohne Thränen. Ich habe es nicht ohne viele Mühe von ihm erhalten. Die völlige Abwesenheit des Subjectes zu bezeichnen, dienen die Beywörter all und einig. Ohne alle Barmherzigkeit. Ohne einige Ursache, ohne alle Ursache. Ohne einigen Verzug. Ohne alles Recht.
2. Eine Ausschließung. So wohl eine Ausschließung des Dinges selbst. Zehn Personen, ohne die Kinder. Als auch einen Mangel des Einflusses, der Mitwirkung anderer Dinge. Ohne meinen Vater darf ich nichts thun. Er thut nichts ohne ihn, ohne ihn um Rath zu fragen. Das weiß ich ohne dich. Sie werden die Pflichten der Menschlichkeit ohne mich wissen, Gell. Er wird der verödeten Natur einen Glanz geben, den die blühende ohne ihn nicht hat, Weiße. Wohin auch das so häufige ohne dieß gehöret, wo dieß der zusammen gezogene Accusativ dieses ist, welcher in dieser R.A. nur allein in der Zusammenziehung üblich ist. Ich hätte es ohne dieß gethan. Das versteht sich ohne dieß. Mein Geliebter wird sich ohne dieß noch nicht zur Ehe entschließen, Gell. Wo es denn zuweilen auch für über dieß oder über dieses stehet. Ich habe heute ohne dieß eine angenehme Nachricht von Hofe erhalten, ebend. wo es denn zur folgenden Bedeutung der Ausnahme gehöret. Im gemeinen Leben, und selbst bey manchen guten Schriftstellern ist es sehr gewöhnlich, das Fürwort in diesem Ausdrucke in die dritte Endung zu setzen, ohne dem, da es denn manche wohl gar als Ein Wort zu schreiben pflegen, ohnedem. Ich wollte es ohne dem thun. Sie zweifelt ohnedem sehr an der Aufrichtigkeit meiner Tugend, Gell. Die Sache hat sich ohne dem zerschlagen. Doch das gehöret zu dem Fehler, von welchem sogleich geredet werden wird. Für ohne dieß ist in der vertraulichen Sprechart auch ohnehin üblich, wo hin das alte Fürwort hin, jener, jenes, Hebr. ה# ist. Ich wollte es ohnehin thun. Der Ort ist mir ohnehin verhaßt. S. Hin Anm.
3. * Eine Ausnahme, für ausgenommen, außer. Ich habe keinen Freund ohne dich, außer. Es war niemand in dem Hause, ohne ein kleines Kind. Das darf niemand essen, ohne die Priester und Leviten. Es war nichts in der Lade ohne die zwey Tafeln. Im Hochdeutschen gehöret diese Bedeutung, wenigstens in der edlen und anständigen Schreibart, unter die veralteten. S. das folgende Nebenwort, wo sie noch ein Mahl vorkommt.
Anm. Dieses Vorwort ist von je her mit der vierten Endung verbunden worden. Anoh mih, im Isidor; an inan, Ottfried; ane in, Notker. Erst in den spätern Zeiten ist man, vermuthlich durch Verleitung des Lat. sine und absque, in Versuchung gerathen, es mit der dritten Endung zu verbinden. Daß ihr waret ohne Christo, Eph. 2, 12.
Der Herr schickt freye Ruh,
Dem, den er liebt, ohn Ängsten zu,
Opitz Ps. 127.
Wohin besonders das vorhin schon gedachte ohne dem gehöret. Doch, daß diese Verbindung ein Sprachfehler ist, ist schon von den meisten Sprachlehrern erkannt worden, einen ältern ausgenommen, den Hentschel, welcher es zur Regel machen wollte, daß ohne, wenn es bey einem eigenthümlichen Nahmen oder Lateinischen Worte stehet, den Ablativ regiere. Ohne dem billiget auch Aichinger, der es auch ohnedem geschrieben wissen will.
Im Oberdeutschen ist es sehr gebräuchlich, dieses Vorwort hinter sein Nennwort zu setzen, in welchem Falle dieses alle Mahl in der zweyten Endung stehet.
Wol ir wie si valsches ane
In wiblichen zuihten lebet,
Kristan von Hamle,
[595] für ohne Falsch. Im Hochdeutschen ist dieser Gebrauch gleichfalls veraltet, außer daß die R.A. Zweifels ohne für ohne Zweifel noch hin und wieder vorkommt. In dieser Stellung bekam das Vorwort noch die besondere Bedeutung der Beraubung, des Verlustes, besonders mit den Zeitwörtern seyn und werden. Einer Sache ohne werden, sie verlieren, ihrer los werden. Jetzund bin ich seiner ohne, bin ich seiner los. Weil wir doch unser Lebelang der Sünden nicht gar ohne sind, Luther. Wo man es auch wohl mit der vierten Endung gebraucht. Alle seine Waaren ohne werden, los werden. Im Oberdeutschen ist diese Bedeutung noch sehr üblich, und das anwerden der gemeinen Sprecharten ist ein Überbleibsel davon. S. Anwerden, wo umständlich davon gehandelt worden.
II. Als ein Nebenwort, welches in manchen Fällen die Gestalt eines Bindewortes bekommt, und dessen Bedeutungen mit den Bedeutungen des Vorwortes genau zusammen hangen. Es bezeichnet:
1. Den Mangel, die Abwesenheit eines Dinges, wo es die Gestalt eines Bindewortes hat, und das daß unmittelbar nach sich hat. Er that es, ohne daß ich es wußte, ohne daß ich das geringste davon gewußt hätte, d.i. er that es ohne mein Wissen. Ich habe alles gehöret, ohne daß ich es gewollt hätte. So stirbt er, ohne daß ers nützt, Weiße. Ich kann nicht den ersten menschlichen Gedanken denken, ohne daß ich in meiner Seele dialogire, oder zu dialogiren strebe, Herd. Wo das daß noch besser weggelassen, und das Zeitwort mit dem Worte zu in den Infinitiv gesetzt wird. Die Raupen tödten, ohne den Gewächsen zu schaden, für, ohne daß man den Gewächsen schade. Ich habe mit ihm gesprochen, ohne zu wissen, wer er war, ohne daß ich wußte. Er ging fort, ohne sich etwas merken zu lassen. Ich that es, ohne zu wissen warum. Kannst du dich einen Engel nennen hören, ohne zu erröthen? Dusch, für, und nicht erröthen? Wo das ohne mit seinem Zubehör auch die Rede anfangen kann. Ohne aus meiner Fassung zu kommen, muß ich ihnen doch ein Paar Worte sagen. Ohne mir einen Grund des Abscheues anzugeben, verwirfst du einen würdigen Mann, Weiße. Oft enthält diese Art zu reden eine Bedingung, und läßt sich alsdann durch wenn nicht auflösen. Man kann nicht richten, ohne sich in die Lage desjenigen gesetzt zu haben, den man richtet. Der Elephant kann sich nicht wenden, ohne einen großen Umfang zu nehmen. Der Freund kann nicht Freund seyn, ohne sich mit mir zur Tugend zu vereinigen, Gell.
2. Eine Ausnahme, für außer, ausgenommen, wo sich das folgende Nennwort in seiner Endung nach dem vorher gegangenen Zeitworte richtet, oder auch von Vorwörtern abhänget. Es ist kein Erbe ohne du und ich, Ruth 4, 4. Kein Gott ist ohne ich, Es. 45, 5; wo es ohne mich heißen müßte, wenn es das Vorwort wäre. Wo ist ein Gott ohne der Herr? oder ein Hort, ohne unser Gott? Ps. 18, 32. Es war überall finster, ohne allein zu Gofen.
Sy waren all mit freud beladen
On allein der valsch Nevdelhart,
Theuerd. Kap. 85.
Doch diese Bedeutung ist in der anständigen Schreibart der Hochdeutschen eben so sehr veraltet, als der ausnehmende Gebrauch des Vorwortes.
3. Es ist nicht ohne, eine nur noch in den Kanzelleyen und zuweilen noch in der unterrichtenden Schreibart übliche Formel, für, es ist nicht ungegründet, wahr ist es, es ist nicht zu läugnen.
Es ist nicht ohn, wer recht thut, wird gehaßt,
Opitz.
Ohne ist es zwar nicht, daß sich die Sache so verhält, aber u.s.f.
[596] Anm. 1. Diese alte Partikel lautet bey dem Ulphilas inuh, im Isidor anoh, im Kero ano, im Schwabensp. aun, im Nieders. ane, aun, im Schwed. utan, im Griech. ανε, ανευ, und im Latein. mit dem vorgesetzten müßigen Zischlaute sine, wie super von über, ober. Ihr Alter erhellet aus dem Hebr. א#ן, mangeln, fehlen, welches eben so gewiß damit verwandt ist, als unser von, Wahn, Mangel, Schwed. Ån, und un. S. diese Wörter.
Anm. 2. Die mit diesem Worte zusammen gesetzten Wörter, sind im Hochdeutschen bis auf einige wenige veraltet; im Oberdeutschen aber sind sie noch völlig gangbar. Man hat es mit Zeitwörtern, ohnermangeln, ohnverhalten, für nicht ermangeln, nicht verhalten oder verschweigen, welche man im Hochdeutschen gar nicht kennet. Man setzt es auch mit Nennwörtern und Participien zusammen, wie ohngleich, ohndenklich, ohnentgeldlich, ohnverfänglich, ohnweigerlich, ohnmöglich, ohnwissend, ohnerachtet, ohnmaßgeblich, ohnparteyisch u.s.f. ingleichen mit Nebenwörtern, ohnfern, ohnlängst, ohnschwer u.s.f. wofür man aber im Hochdeutschen das Wort un hat, welches in allen diesen Zusammensetzungen gebraucht wird, und darin mit dem Latein. in überein kommt, indem beyde die Abwesenheit des Dinges bezeichnen, welchem dieses Wort vorgesetzt ist. Nur ein Paar derselben haben sich im Hochdeutschen erhalten, nähmlich ohngefähr, wofür aber doch auch schon viele richtiger ungefähr schreiben, und Ohnmacht, mit seinem Beyworte ohnmächtig, welches vielleicht auch noch einmahl in Unmacht und unmächtig übergehen wird. In den neuern Zeiten hat man ein Paar neue dazu gemacht, das α privativum der Griechen auszudrucken, nähmlich Ohngötter und ohnschattig, welche aber von den etymologischen Kenntnissen ihrer Erfinder eben keinen vortheilhaften Begriff zurück lassen. S. diese Wörter.
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