Sehnen

[27] Sêhnen, verb. regul. reciproc. einen hohen Grad des herrschenden Verlangens nach einer Sache empfinden, wobey diese Sache allemahl das Vorwort nach bekommt; sich nach etwas sehnen.


Ich sende nach der schonen mich.

Heinrich von der Mure.


Ein Knecht sehnet sich nach dem Schatten, und ein Tagelöhner, daß seine Arbeit aus sey, Hiob 7, 2. Meine Seele sehnet sich nach den Vorhöfen des Herrn, Ps. 84, 3. Ein Durstiger sehnet sich nach einem frischen Trunke, ein Hungriger nach der Speise. Sich nach seinem Vaterlande, nach Hause sehnen. So auch das Sehnen.

Anm. Bey den Schwäbischen Dichtern kommt dieses Wort sehr oft vor, wo es auch, obgleich seltener, ohne Reciprocation gebraucht wird. Nach der besten minne senet min lip, Walth. von Clingen. Den Niederdeutschen und nördlichen Mundarten scheinet dieses Zeitwort unbekannt zu seyn; die Niederdeutschen gebrauchen dafür janken und anken, und einige Oberdeutsche ameren, welches schon bey dem Horneck vorkommt. Was die Abstammung betrifft, so lässet sich selbige nur muthmaßlich bestimmen. Da wir eine eigene Ableitungssylbe -nen haben, welche Intensiva bildet, so kann sehnen ein solches Intensivum von sehen seyn, wie lehnen von legen, dehnen von ziehen, u.s.f. und für sehenen stehen, wie schon Wachter und Frisch angenommen haben, da es denn eigentlich bedeuten würde, scharf und mit Begierde nach etwas sehen. Da aber send und sen, ein altes bey den Schwäbischen Dichtern sehr häufiges Wort ist, welches schmerzhaft, ängstlich u.s.f. bedeutet, so kann sehnen ehedem auch Kummer empfinden, sich kränken überhaupt bedeutet haben, wovon in dem folgenden sehnlich noch eine Spur übrig ist. Das er ein senendes herze treit, ein betrübtes, Ditmar von Ast; sende klage, traurige schmerzliche. Des Herrn Ihre Ableitung, der unser sehnen von dem Schwed. sen, langsam, im Oberd. senlich, (S. Frisch) abstammen lässet, da es denn zu unserm senden gehören würde, scheint zu sehr gesucht zu seyn, obgleich das Franz. tarder und Engl. to long, sich sehnen, selbige dem Anscheine nach bestätigen, welche aber auch eine andere Ableitung leiden, S. Verlangen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 27.
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