Die antiphlogistische Chemie

[63] Die antiphlogistische Chemie, das System der Chemie, welches das Dasein des brennbaren Wesens verwirft. Stahl, ehemahliger königl. Preuß. Leibarzt zu Berlin, hat zu Anfange dieses Jahrhunderts die Lehre verbreitet, welcher noch heut zu Tage sehr viele Chemisten ergeben sind, daß ein gewisser Grundstoff in verschiedenen Körpern sei, welcher mache, daß sie, wenn sie angezündet werden, mit einer Flamme brennen. Er nannte diesen Grundstoff brennbares Wesen oder Phlogiston, und glaubte zugleich, daß die Metalle aus Phlogiston und metallischer Erde zusammen gesetzt seien. Wenn man z. B. Mennige, welche eine Bleierde oder Bleikalk ist, mit Kohlenstaub, als welcher sehr viel brennbares Wesen enthält, vermischt und glühet, so vereinigt sich das brennbare Wesen mit der Bleierde; und diese wird dadurch zu Blei. – Lavotsier, ein berühmter Französischer Chemist, hat dagegen in den neuern Zeiten eine andere Theorie der Chemie erfunden, nach welcher er das Stahlische Phlogiston für ein Unding erklärt, und alle die Erscheinungen, die man für eine Wirkung des Phlogistons gehalten hat, aus der Einwirkung der dephlogistisirten Lust, welche er Sauerstoff (oxigen) nennt, herleitet. Nach ihm brennen entzündliche Körper dadurch, daß sie den Sauerstoff aus der Luft anziehen und sich mit ihm vereinigen; daher kommt es, daß kein Körper ohne den Zutritt der freien Lust brennen kann. Durch die Vereinigung des Sauerstoffes mit irgend einem Körper entstehet allezeit eine andere neue Substanz: z. B. wenn vermittelst des Brennens der Sauerstoff sich mit dem Holze verbindet, so entstehet daraus Kohle; wenn sich der Sauerstoff, ebenfalls vermittelst des Verbrennens, mit Schwefel verbindet, so entstehet daraus Vitriolöhl; wenn sich der Sauerstoff mit einem Metall verbindet, so entstebet daraus eine metallische Erde oder ein so genannter metallischer Kalk. Diese Theorie des Lavoisier wird die antiphlogistische Chemie genannt. Es ist nicht zu läugnen, daß sie sehr sinnreich und durch unzählige dieserhalb[63] angestellte Versuche größtentheils bestätiget worden ist. Es lassen sich auch nach derselben viele Erscheinungen in der Chemie, welche den Stahlianern ein unauflösliches Räthsel sind, auf eine sehr einleuchtende und einfache Weise erklären. – Man vergleiche hiermit den Artikel dephlogistisirte Luft.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 63-64.
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