Chemīe

[910] Chemīe, die Wissenschaft von der stofflichen Verschiedenheitder Körper; sie lehrt, aus welchen einfachern Stoffen die Körper bestehen, wie siein diese stofflich verschiedenen Bestandteile zerlegt, zersetzt, geschieden (daher Scheidekunst) und wie sie aus denselben zusammengesetzt werden können. Wenn der geruchlose Schwefel an der Luft mit blauer Flamme verbrennt, verbreitet er erstickenden Geruch und hinterläßt keinen Rückstand. Eisen rostet an der Luft und verwandelt sich allmählich vollständig in Rost, der nichts mehr von den das Metall charakterisierenden Eigenschaften erkennen läßt. In verdünnter Schwefelsäure löst sich Eisen unter Entwickelung eines brennbaren Gases, und beim Verdampfen der grünen Lösung bleibt ein grünes Salz zurück. Bei diesen chemischen Prozessen ändert sich die stoffliche Natur der Körper, und die Produkte, die chemischen Verbindungen, lassen auf den ersten Blick nicht ihre Abstammung erraten. Beim Rosten, beim Glühen des Eisens an der Luft beobachtet man eine erhebliche Gewichtszunahme, das Eisen hat sich mit einem andern Stoffe, dem Sauerstoff der Luft, auf Grund der chemischen Verwandtschaft (s.d.) chemisch verbunden, aber die Partikelchen der entstandenen Produkte lassen auch unter der stärksten Vergrößerung niemals ungleichartige Teilchen erkennen. Nicht nur das Eisen, sondern auch der Körper, mit dem es sich verband, hat alle seine Eigenschaften eingebüßt, und es ist ein vollkommen gleichartiger neuer Körper entstanden. Wenn man Kalkstein mit Säure übergießt, so braust er lebhaft auf, und es entweicht ein säuerlich riechendes Gas. Durch starkes Glühen erleidet der Kalkstein einen bedeutenden Gewichtsverlust, der gebrannte Kalk braust nicht mehr beim Übergießen mit Säure, und wir schließen, daß beim Erhitzen jenes säuerlich riechende Gas sich von dem Kalke getrennt hat. Hier fand eine chemische Zersetzung statt, der Kalkstein lieferte ein Gas und einen neuen Körper, der sich beim Übergießen mit Wasser sehr stark erhitzt und zu vollkommen trocknem Pulver zerfällt. Dies Pulver wiegt wieder bedeutend mehr als der gebrannte Kalk, der letztere hat sich beim Löschen chemisch mit dem Wasser verbunden, und durch kein noch so scharfes Trocknen ist das chemisch gebundene Wasser auszutreiben. Dagegen entweicht es alsbald, der gelöschte Kalk wird zersetzt, wenn man gasförmige Kohlensäure auf denselben einwirken läßt; in einem geeigneten Apparat ist das durch die Kohlensäure ausgetriebene Wasser leicht sichtbar zu machen, und das zurückbleibende Pulver braust wieder beim Übergießen mit Säuren, es ist regenerierter Kalkstein.

Die Erforschung von Vorgängen, wie die geschilderten, bildet die Aufgabe der C. Die analytische C. ermittelt die qualitative Zusammensetzung der Körper und bestimmt die Mengenverhältnisse der gefundenen Bestandteile (quantitative Analyse, s. Analyse). Ihre Resultate werden durch die synthetische C. bestätigt, die sich mit der Herstellung chemischer Verbindungen beschäftigt. Es ist gelungen, zahlreiche Mineralien und sehr viele der durch den Lebensprozeß der Pflanzen und Tiere gebildeten chemischen Verbindungen künstlich zu erzeugen; unvergleichlich größer aber ist die Zahl solcher Verbindungen, die erst durch das chemische Experiment bekannt geworden sind und niemals in der Natur vorkommen, weil die Bedingungen zu ihrer Entstehung dort nicht gegeben sind. Während die spezielle, praktische oder Experimentalchemie die Verbindungen der Elemente, ihre Eigenschaften, ihre nähere Zusammensetzung, ihre Konstitution oder Struktur erforscht, hat die theoretische oder allgemeine C. das Aufsuchen des Gemeinsamen, des Gesetzmäßigen in tatsächlich festgestellten Erscheinungen, die Erkenntnis des Zusammenhanges verschiedener Erscheinungen zur Aufgabe. Sie zerfällt in chemische Statik, die den einheitlichen Körper, also die Ansichten über den Bau der Materie, die Molekular- und Atomauffassung, die Konstitutionsbestimmung hinauf bis zur Ermittelung der Konfiguration behandelt, und in chemische Dynamik, die der gegenseitigen Verwandlung mehrerer Körper gewidmet ist, also der chemischen Umwandlung, der chemischen Verwandtschaft, der Reaktionsgeschwindigkeit und dem chemischen Gleichgewicht. Eine dritte Abteilung bespricht die Beziehungen zwischen Eigenschaften und Zusammensetzung der Körper. Die physikalische C. untersucht die Erscheinungen, die auf dem Grenzgebiet zwischen Physik und C. liegen, die Beziehungen zwischen chemischen und physikalischen Eigenschaften der Körper, die Thermochemie beschäftigt sich mit den Wärmevorgängen bei chemischen Prozessen und die Elektrochemie mit den durch den elektrischen Strom erzeugten chemischen Umwandlungen.

Der auf alltägliche Beobachtung basierte Gegensatz zwischen belebten und toten Körpern führte auch zu einer Einteilung der speziellen C. in organische und unorganische. Letztere ist die Mineralchemie, sie handelt von den Eigenschaften der die Mineralien, die toten Körper, zusammensetzenden Stoffe, von deren Verbindungen und Zersetzungen, während die organische C. sich mit den Stoffen beschäftigt, aus denen Pflanzen und Tiere bestehen, die also als Produkte des Stoffwechsels in Pflanzen und Tieren zu betrachten sind. Kompliziertheit der chemischen Vorgänge in den Organismen entzog dieselben lange Zeit und entzieht sie zum großen Teil auch noch heute dem vollkommenen Verständnis, und dies führte zu der Annahme, daß die Elemente in den lebenden Organismen andern Gesetzen gehorchen als in der unbelebten Natur: man sprach von einer Lebenskraft, welche die Verbindungen und Zersetzungen modifiziere, und betrachtete den Tod als den Sieg des Chemismus über die Lebenskraft. Die unter der Herrschaft dieser Lebenskraft entstehenden Verbindungen hielt man deshalb auch für ganz eigentümliche und nahm als selbstverständlich an, daß sie außerhalb des Organismus nicht herzustellen seien. Nun setzte aber Wöhler 1828 den Harnstoff aus den Elementen zusammen,[910] und seitdem sind sehr zahlreiche organische Verbindungen, Pflanzen- und Tierstoffe, aus unorganischen Körpern durch Synthese gewonnen worden. Sämtliche Bestandteile der Pflanzen und Tiere bis auf das Wasser und die als Asche beim Verbrennen zurückbleibenden bestehen aus Verbindungen des Kohlenstoffs mit Wasserstoff u. Sauerstoff, und einige enthalten auch Stickstoff; aber es gibt auch Verbindungen des Kohlenstoffs, die außerhalb der Organismen vorkommen, und von den überaus zahlreichen im chemischen Laboratorium dargestellten Verbindungen des Kohlenstoffes kommt die große Mehrzahl niemals in lebenden Organismen vor. Man hat daher die Einteilung in organische und unorganische C. im obigen Sinn allgemein aufgegeben, behandelt aber die Kohlenstoffverbindungen, die so ungemein zahlreich sind und vielfach besondere Erscheinungen darbieten, für sich (wobei man die C. der Kohlenstoffverbindungen noch immer organische C. im Gegensatze zur C. der andern Elemente, der anorganischen C., nennt), und an ihrem Studium hat die C. einige ihrer größten Fortschritte gemacht. Die neuen Theorien sind zunächst speziell für die Kohlenstoffverbindungen ausgebildet und erst später auf die sogen. anorganische C. angewendet worden.

Der reinen C., die sich lediglich der Erforschung der chemischen Verhältnisse der Elemente und ihrer Verbindungen widmet, steht die angewandte C. gegenüber, welche die bei andern Disziplinen in Betrachtkommenden chemischen Verhältnisse kennen lehrt. Die C. tritt als Hilfswissenschaft sehr vieler andern Wissenschaften auf, und fast alle verdanken ihr einen großen Teil ihrer Erfolge. Die C. lehrt die Zusammensetzung der Mineralien und ihre Wandlungen durch die in den Gesteinen verlaufenden chemischen Prozesse (mineralogische C.). In der Geologie datiert eine neue Epoche von jener Zeit, wo man anfing, bei der Deutung geologischer Erscheinungen die C. zu Rate zu ziehen (geologische C.). Und nicht bloß mit unserm Erdkörper hat sich die C. in solcher Weise beschäftigt, sie wurde durch die Spektralanalyse (s.d.) auch befähigt, ferne Weltkörper und die Nebelflecke zu untersuchen, und hat in dieser Anwendung auf die Astronomie eine ganz neue Wissenschaft begründet. Die Pflanzenchemie lehrt die Bestandteile der Pflanzen kennen, erforscht deren Bildung und Umwandlung in der Pflanze und gewährt uns damit eine Vorstellung vom Leben dieser Organismen. Dabei kommen auch das Verhältnis der Pflanze zum Boden und die C. des letztern in Betracht, und so entsteht die Agrikulturchemie, deren Ergebnisse als eine der wesentlichsten Grundlagen der modernen rationellen Landwirtschaft gelten können. Die Tierchemie verfolgt ähnliche Zwecke im Tierreich, sie befähigt den Landwirt, seine Haustiere rationell zu ernähren, um den größten Ertrag an Fleisch, Fett, Milch etc. zu erzielen; aber sie stellt sich auch höhere Aufgaben und sucht vor allem die Erscheinungen des Lebens zu deuten, auf chemische Verhältnisse, soweit solche dabei in Frage kommen, zurückzuführen. Die so durch die physiologische C. gewonnene Erkenntnis wird dann die Basis der Diätetik und der Heilkunde für Menschen und Tiere, denn auch die krankhaften Vorgänge bilden ein Objekt der Forschung (pathologische C.), und indem man die chemische Natur dieser Vorgänge erkennt, ergibt sich in vielen Fällen zugleich das Mittel, durch das sie bekämpft werden können. Die C. hat der Heilkunde reinere Arzneimittel geliefert, sie hat aus den Pflanzenstoffen die wirksamen Bestandteile abgeschieden und in diesen viel zuverlässigere Arzneimittel hergestellt, als die Kräuter und Rinden mit ihrem wechselnden Gehalt sein konnten (pharmazeutische C.). Sie hat aber auch ganz neue Heilmittel entdeckt, die heute z. T. die wichtigsten Dienste leisten. Die durch das Mikroskop ermöglichte Erforschung des feinsten Baues der Organismen mußte lange auf Unterscheidung der stofflichen Verschiedenheit der sichtbar gemachten morphotischen Teile verzichten, bis die Mikrochemie die Reagenzien auffand, die, zu dem mikroskopischen Präparat hinzugefügt, charakteristische Färbungen hervorbringen. Auch die Gestalt und die Gruppierung mikroskopischer Kristalle boten Gelegenheit zur Unterscheidung minimaler Mengen verschiedener Körper. Mit großem Erfolg wurde die Mikrochemie für die mikroskopische Erforschung der Gesteine ausgebildet. – Die Technik, die so lange auf die roheste Empirie angewiesen war, hat durch die technische C. eine ganz neue Gestalt gewonnen. Hier kommen in Betracht die chemische Großindustrie (Darstellung von Säuren, Soda, Pottasche, vielen Salzen, Chlorkalk etc.), die Hüttenchemie (Gewinnung der Metalle und mancher Metallpräparate), die Farbenchemie, Nahrungsmittelchemie etc. Es gibt kaum noch einen Zweig der Technik, der, soweit bei demselben chemische Umwandlung von Stoffen in Betracht kommt, der C. entraten könnte. Die Fabrikate der chemischen Großindustrie werden meist mit Angabe ihres Gehalts auf den Markt gebracht, und der Konsument erhält dadurch eine Sicherheit, die auf keine andre Weise zu erreichen ist (Handelschemie). Nur durch öffentlich geübte chemisch-analytische Überwachung der Waren kann der Verfälschung wirksam vorgebeugt werden. Die C. weist genau den oft durch künstliche Mittel verdeckten wahren Wert der Handelsartikel nach und entlarvt den Schwindel, der sich besonders im Geheimmittelwesen breit macht. Hier beginnt auch das Gebiet der gerichtlichen C., die das Verbrechen verfolgt, durch den Nachweis von Gift, Blut, Sperma etc. ein Corpus delicti von hoher Beweiskraft schafft, die Fälschung von Urkunden dartut oder durch die Enthüllung der wahren Beschaffenheit einer Ware u. dgl. den Streit schlichtet.

Der Chemiker bedarf zu seinen Arbeiten eines ziemlich umfangreichen Apparats. Derselbe besteht größtenteils aus Glas-, Porzellan- oder Metallgeräten und enthält Becher und Schalen, Zylinder, Trichter. Kochflaschen, Retorten, Kolben, gerade und gebogene Röhren, z. T. mit angeblasenen Kugeln, graduierte Röhren und solche, die mit absorbierenden Stoffen (Chlorcalcium etc.) gefüllt sind, dann Gasometer, Aspiratoren, Luftpumpen, Papinianische Töpfe, Tiegel, Schmelz- und Glühöfen von verschiedener Form. Sand-, Wasser-, Metall- und Luftbäder, Trockenapparate, Heizvorrichtungen, das Lötrohr, Zangen, Mörser etc., vor allem aber die Wage, durch die in die Untersuchungen Sicherheit gebracht und viele Verhältnisse überhaupt erst erkennbar werden. Das chemische Laboratorium (s. Laboratorium) bietet Gelegenheit zur bequemen und möglichst vollkommenen Ausführung der Experimente und enthält alle Vorrichtungen, die diese erleichtern und Schutz vor giftigen Gasen, Dämpfen etc. gewähren.

Geschichte der Chemie.

(Hierzu die Porträttafeln »Chemiker I u. II«.)

Zweifellos sind chemische Prozesse zu irgend welchen Zwecken bei allen Kulturvölkern schon sehr früh ausgeführt worden, aber in Ägypten scheint man zuerst[911] chemische Tatsachen zusammengestellt und chemische Untersuchungen in solcher Weise ausgeführt zu haben, daß von einer Wissenschaft die Rede sein konnte. Die Ableitung des Wortes C. ist unsicher. Im Arabischen bezeichnet al-Kîmijâ ein flüssiges Mittel zur Metallverwandlung und ist vom griechischen Xνμεια oder Xημεἰα abzuleiten. Nach dem arabischen Historiker Ibn chaldûn (gest. 1405) ist die Wissenschaft der Kîmijâ diejenige Wissenschaft, durch die Gold und Silber zum vollkommenen Sein gebracht werden. Das ägyptische Wort Chemi bedeutet das Land Ägypten mit Bezugnahme auf sein schwarzes Erdreich (Plutarch, »De Iside et Osiride«), dann aber auch das Schwarze im Auge, das Symbol des Dunkeln und Verborgenen, und so bedeutete C. ursprünglich die ägyptische oder geheime Wissenschaft, wie sie später noch die geheime oder schwarze Kunst genannt wurde. Der Ausdruck Scientia chimiae findet sich schon bei Julius Firmicus Maternus (Ende des 3. oder Anfang des 4. Jahrh.), und Diokletian soll die Bücher der Ägypter »Über die C. des Goldes und Silbers« verbrannt haben; jedenfalls ging das alte Wissen bei Zerstörung der alexandrinischen Bibliothek (640) größtenteils verloren, und wissenschaftliche Tätigkeit begann erst wieder unter der Herrschaft der Araber.

Tabelle

Dem Namen der Wissenschaft wurde der arabische Artikel al angefügt, und es begann das Zeitalter der Alchimie (s.d.). Die Lehren des Aristoteles, die so viele Jahrhunderte hindurch das ganze geistige Leben beherrschten, gaben auch der Entwickelung der C. ihre Richtung an. Allem Seienden liegt nach Aristoteles der Urstoff (die Materie) zu Grunde; dieser ist das völlig Prädikatlose, Unbestimmte, Unterschiedlose, in allem Werdenden das Bleibende, das die entgegengesetzten Formen annimmt, seinem Sein nach aber von allem Gewordenen verschieden ist und an sich gar keine bestimmte Form hat. Durch Zweijochung der Grundeigenschaften oder Gegensätze auf dem Urstoff entstehen die vier »Elemente«: Feuer, Wasser, Erde, Luft, die ihrer Art nach nicht weiter teilbaren Grundbestandteile der Körper, die man gleichsam als Allotropien des Urstoffes betrachten könnte (s. obenstehende Figur).

Diese Elemente sind einfache materielle Körper, Träger gewisser physikalischer Eigenschaften und besitzen die Fähigkeit, durch Wechsel der Eigenschaften ineinander überzugehen. Gilt dies aber als feststehend, so kann alles aus allem werden, und von diesem Standpunkt aus hat man die Bestrebungen zu beurteilen, die jahrhundertelang in der C. vorherrschten. Die Metallverwandlung, in erster Linie die Erzeugung von Gold, galt als Hauptaufgabe, deren Ausführbarkeit auch, abgesehen von allen theoretischen Spekulationen, denen einleuchten mußte, die bei der Verarbeitung von Bleiglanz durch gewisse Operationen Silber erhielten, während ihnen die Möglichkeit fehlte, den natürlichen Silbergehalt des Bleiglanzes zu erkennen. Männer von unzweifelhaft hoher wissenschaftlicher Bedeutung sprechen aus voller Überzeugung von der Wahrheit der alchimistischen Theorie, und nichts berechtigt uns, eine absichtliche Täuschung anzunehmen. Es kommt noch hinzu, daß ein gewisser mystischer Zug, der jene Zeiten beherrschte, und dann auch der Eigennutz die allgemeine Verwertung der Erfahrungen des einzelnen verhinderten, so daß jeder ganz allein auf sein eignes Erkenntnisvermögen angewiesen blieb. Unter allen Chemikern dieser Periode ragt der arabische Arzt Geber (Dschabir al Kufi), der im 9. Jahrh. in Kufa lebte, hervor. Er beschrieb Ofen zum Kalzinieren und Destillieren, kannte die Kupellation von Gold und Silber mittels Bleies, das Quecksilberchlorid und das rote Quecksilberoxyd, das salpetersaure Silber, Salmiak, Eisen- und Kupfervitriol, Pottasche und Soda, machte die Sodalösung durch Kalk ätzend, löste Schwefel in Ätzlauge auf und schlug den Schwefel durch Säuren als Schwefelmilch nieder; er stellte Schwefelkupfer und Zinnober dar, gewann durch Destillation des Alauns die rauchende Schwefelsäure, durch Destillation von Salpeter mit Vitriol die Salpetersäure und aus Salpetersäure mit Salmiak das Königswasser, in dem er Gold auflöste. Albertus Magnus (1193–1280) verbesserte die chemischen Manipulationen, stellte metallisches Arsenik dar, kannte rotes Bleioxyd, Schwefelleber und Schwefelkies, wußte, daß Kupfer durch Arsenik weiß wird, daß Schwefel alle Metalle bis auf das Gold angreift, und beschrieb auch die Darstellung des Schießpulvers. Roger Bacon (1214–94) kannte den Braunstein und die Wirkungen des Schießpulvers. Ein andrer Zeitgenosse, Arnold Villanovanus aus der Provence, wurde wichtig durch die Anwendung chemischer Präparate als Heilmittel. Über Raimundus Lullus (geb. 1235) und Basilius Valentinus (im 15. Jahrh.) s.d.

Die Aristotelische Lehre fand durch die Alchimisten eine gewisse Ausbildung, sie nahmen Schwefel und Quecksilber als nähere Bestandteile der Metalle an; Basilius Valentinus fügte als dritten Bestandteil aller Körper das Salz hinzu und sah die Verschiedenheit der Körper in der ungleichen Proportion, Reinheit und Fixation der Bestandteile begründet. Letztere. die nicht mit dem metallischen Quecksilber, dem gewöhnlichen Schwefel und gemeinen Salz identisch sind, bestehen aus den Aristotelischen Elementen.

Die C., die bis zum 16. Jahrh. hauptsächlich das Ziel der Metallverwandlung verfolgte, spaltete sich von nun an in zwei Richtungen, indem sie bis gegen das Ende des 17. Jahrh. auch zu Zwecken der Heilkunde bearbeitet wurde. Begründer dieser neuen Richtung war Paracelsus (1493–1541), der die Medizin aus den Fesseln des Galenus befreite, neue, selbständig aufgestellte Lehren in die Wissenschaft einführte und die Lehre der Alchimisten von den Grundbestandteilen der Körper in einem gewissen Gegensatz zu Aristoteles schärfer und klarer begründete. Vielen aus dieser Periode hervorragenden Ärzten erschien die ganze Heilkunde nur als angewandte C. (Chemiatrie, Iatrochemie, Chemismus); sie suchten im Organismus alles den chemischen Erscheinungen anzupassen und durch den Gegensatz des Basischen und Sauren zu erklären. Diese Ansichten und die Streitigkeiten über die beste Bereitungsart der vielfach als Geheimmittel behandelten Arzneikörper hinderten jede gründliche Forschung, wenn auch durch das Suchen nach den wirksamen Bestandteilen der Körper viele neue Tatsachen entdeckt wurden. Besondere Erwähnung verdient Libavius (gest. 1616), der die groben Verirrungen und sophistischen Träumereien seiner Zeit energisch bekämpfte, das Zinnchlorid entdeckte, künstliche Edelsteine darstellte, Glas mit Gold rot zu färben verstand und die Identität der aus Alaun, Eisenvitriol oder durch Verbrennen von Schwefel mit Salpeter zu gewinnenden Säuren nachwies. In gleichem Sinne wirkten Angelus Sala, der die [912] Zusammensetzung des Salmiaks aus Ammoniak und Salzsäure lehrte, und van Helmont (1577–1644), der das Wort Gas einführte, um luftartige Stoffe von der gewöhnlichen Luft zu unterscheiden. Er kannte das an der Luft rot werdende Stickstoffoxyd (Salpetergas), die Kohlensäure und die bei Fäulnisprozessen sich entwickelnden brennbaren Gase. Er wagte zuerst, das Aristotelische Lehrgebäude anzugreifen, und lehrte die Unveränderlichkeit der Stoffe, wenn sie Verbindungen eingehen, indem er nachwies, daß sie als dieselben wieder aus den Verbindungen austreten können. Glauber (1603–68) benutzte die Schwefelsäure statt des Vitriols zur Darstellung schwächerer Säuren und zahlreicher Salze, unter denen das schwefelsaure Natron (sein Sal mirabile) seinen Namen bis auf unsre Zeit erhalten hat (Glaubersalz); er studierte die Löslichkeit der Metalle in Salzsäure und entdeckte viele Chlormetalle. Ganz vereinzelt steht lange Zeit Agricola (1494–1555), der Vater wissenschaftlicher Hüttenkunde und der Mineralogie, der in seinen Büchern »De re metallica« alles ausführte, was man damals über Metallurgie kannte, wohlgeordnet und mit vielen wertvollen eignen Beobachtungen. Brandt schied 1669 in Hamburg den Phosphor aus dem Urin ab, hielt aber sein Verfahren geheim, so daß Kunkel, der denselben Körper einige Jahre später gewann, als zweiter Entdecker angesehen werden muß.

Die Mitte des 17. Jahrh. bezeichnet den Anfang einer neuen Periode, die durch Rob. Boyle (1627 bis 1691) eröffnet wird. Er bekämpfte erfolgreich die Lehren des Aristoteles und wies nach, daß dessen Elemente für die C. ebenso unzulässig seien wie die Annahme der drei alchimistischen Elemente. Er riet, jeden Stoff als einfach anzusehen, bis er durch chemische Mittel weiter zerlegt sei, und gelangte bei den Spekulationen über die Beschaffenheit der Elemente zu der Ansicht, daß sie aus einer und derselben Urmaterie beständen und ihre Verschiedenheit auf der verschiedenen Größe, Gestalt etc. ihrer kleinsten Teilchen beruhe. Boyle erkannte, daß Verbrennung nur bei Gegenwart von Luft erfolgt, daß dabei ein Teil der Luft verschwindet, und daß das Verbrennungsprodukt schwerer ist als der unverbrannte Körper. Diese Lehren, die in konsequenter Durchführung nicht nur der Aristotelischen Lehre den Todesstoß versetzt, sondern auch die C. ganz außerordentlich gefördert haben würden, fanden vorderhand noch nicht die gebührende Beachtung. Vielmehr gelangte noch einmal eine Theorie zur Herrschaft, die mit jenen Tatsachen in schneidendem Widerspruch steht. Der Begründer dieser Theorie war Stahl (1660–1734), der seinem Vorgänger Becher (1635–82) den Hauptanteil an der Entstehung seiner Theorie zuschrieb. Stahl nahm in den brennbaren Körpern etwas Gemeinsames an, was ihnen die Eigenschaft der Entzündlichkeit, der Brennbarkeit, verleihe, und nannte den Träger dieser Eigenschaft Phlogiston. Die Darstellung dieses hypothetischen Stoffes wurde aber weder versucht, noch für erforderlich gehalten. Blei besteht nach Stahl aus Bleikalk (Bleioxyd) und Phlogiston. das bei der Verbrennung ausgetrieben wird; erhitzt man Bleikalk mit Kohle, so erhält man wieder metallisches Blei, denn die sehr phlogistonreiche Kohle gibt an den Bleikalk Phlogiston ab. Diese Annahme wurde nicht erschüttert durch die den Phlogistikern bekannte Tatsache, daß der Bleikalk schwerer ist als das Blei, aus dem er entstanden ist. Man hat gesagt, sie hätten nur die qualitative Seite des Verbrennungsprozesses berücksichtigt und die Anwendung der Wage vernachlässigt; indes haben sie, wo sie es vermochten, auch die quantitativen Verhältnisse sehr genau untersucht, aber die Gewichtszunahme bei der Verkalkung wußten sie nicht zu erklären, und die Phlogistontheorie galt so lange, bis man den Schlüssel zu dieser Erscheinung gefunden hatte.

Die Zeit der Phlogistiker hat eine lange Reihe ausgezeichneter Chemiker aufzuweisen. Der holländische Arzt Boerhaave (1668–1738) gab ein System der C. heraus, das alle damals bekannten Tatsachen aus unzähligen Quellen zusammengetragen und geordnet umfaßte. In Deutschland konzentrierte sich die chemische Tätigkeit in Berlin, wo vor allen Marggraf (1709–82), der intellektuelle Begründer der Zuckerrübenfabrikation, wirkte. In Frankreich trug Lemery (1645–1715) die C. frei von allem mysteriösen Dunkel in der Landessprache vor und gewann der Wissenschaft dadurch viele Förderer und Freunde. Duhamel (1700–1781) unterschied zuerst das Natron vom Kali, Macquer (1718–84), die letzte Stütze der Phlogistontheorie in Frankreich, entdeckte die Arsensäure und verfaßte das erste chemische Wörterbuch, während von Rouelle (1718–79) die Einteilung der Salze in saure, basische und neutrale herrührt. Schweden besaß den Begründer der analytischen C., Bergman (1735–84), und Scheele (1742–86), der unter anderm das Mangan, Chlor und den Baryt, die Weinsäure, Zitronensäure, Oxalsäure, Apfelsäure, Gerbsäure, Harnsäure, Milchsäure, Molybdän- und Wolframsäure und das Glyzerin entdeckte; er erkannte die Zusammensetzung des Berlinerblau und der Blausäure; unabhängig von Priestley und gleichzeitig mit diesem entdeckte er den Sauerstoff, lehrte dessen Darstellung aus Salpetersäure, Salpeter, Braunstein, Arsensäure und den Oxyden der edlen Metalle. Er ermittelte die Zusammensetzung der Luft aus Sauerstoff und einem die Verbrennung und Atmung nicht unterhaltenden Gase sowie die Zusammensetzung des Ammoniaks und des Schwefelwasserstoffes. In England zeigte Black (1728–99), daß beim Ätzendwerden der kohlensauren Alkalien einer ihrer Bestandteile, die Kohlensäure, abgeschieden wird. Durch diese Entdeckung wurde man mit dem Gedanken vertraut, daß ein Körper eine Luftart absorbieren, zum Verschwinden bringen, dadurch selbst schwerer werden und andre Eigenschaften erhalten könne. Black zeigte auch, daß der Aggregatzustand der Körper von einem größern oder geringern Wärmegehalt abhängt, daß die Gase gleichsam als Verbindungen fester Körper mit Wärme zu betrachten sind und befestigte die Überzeugung von der freilich schon durch Boerhaave nachgewiesenen Unwägbarkeit der Wärme. Black ist der erste unter den pneumatischen Chemikern, von denen Henry Cavendish (1731–1810) das Wasserstoffgas, die Zusammensetzung des Wassers (das dadurch seines Charakters als Element entkleidet wurde), die konstante Zusammensetzung der Luft (er hatte auch das Argon in Händen) und die Bildung von Salpetersäure in der Luft durch den elektrischen Funken entdeckte. Bei ihm findet sich zuerst der Begriff von der chemischen Äquivalenz, und dies beweist ebenso wie die Bemühungen Bergmans um die quantitative Analyse, daß den Phlogistikern die Gewichtsverhältnisse durchaus nicht gleichgültig waren, und daß sie sich von der Unveränderlichkeit des Gewichts der Materie bei allen chemischen Wandlungen überzeugt hielten. Die Arbeiten von Cavendish gehören z. T. einer spätern[913] Zeitan als die Priestleys (1733–1864), der viele Gase untersuchte und 1774 den Sauerstoff entdeckte.

Diese Entdeckung und vor allem die Arbeiten Blacks bildeten das Fundament, auf dem Lavoisier (1743 bis 1794, Tafel I) seine Oxydationstheorie aufbaute, die den Anfang der neuesten Epoche in der C. bezeichnet. Lavoisier, der den Erscheinungen als Physiker entgegentrat und durch die Phlogistontheorie nicht befangen war, sah in Gasen nur Verbindungen fester Körper mit Wärme und schloß daraus, daß die Verminderung der Luft von einer Fixierung des in der Luft mit Wärme verbundenen festen Körpers herrühren müsse. Da die Luft Gewicht besitzt, Wärme aber nicht, so muß diese Fixierung mit einer Gewichtszunahme des fixierenden Agens verbunden sein. 1774 wies Lavoisier nach, daß die Gewichtszunahme eines Metalls bei der Verkalkung gleich ist dem Gewichte der absorbierten Luft, und nach der Entdeckung des Sauerstoffes durch Priestley und Scheele vollendete er seine Oxydationstheorie, deren Anhänger als Antiphlogistiker bezeichnet wurden. Mit Guyton de Morveau stellte er die den neuen Ansichten entsprechende Nomenklatur fest und gab damit auch äußerlich der C. die Form, die sie noch heute besitzt. In dieser neuen Periode, die man als die der quantitativen Forschung bezeichnet hat, häuften sich die wichtigsten Entdeckungen. Berthollet (1748–1822) gab 1803 seine chemische Statik heraus, erforschte die quantitative Zusammensetzung des Ammoniaks, führte das Chlor als Bleichmittel in die Technik ein, verbesserte die Salpeterfabrikation und lieferte auch sonst zahlreiche wertvolle Untersuchungen. Die Berliner Akademie der Wissenschaften unterzog auf Klaproths (1743–1817) Vorschlag die Fundamentaluntersuchungen Lavoisiers einer Prüfung und erkannte sie als richtig an. Klaproth erwarb sich außerdem große Verdienste um die Analyse; er untersuchte mehr als 200 Mineralspezies und entdeckte das Uran, die Zirkon- und Strontianerde, das Titanoxyd, Tellur. Gleich erfolgreich wirkte in Frankreich Vauquelin (1763–1829), der Chrom und Beryllerde auffand, in England Wollaston (1767–1829), der Entdecker des Palladiums und Rhodiums, und Tennant (1761–1815), der das Iridium und Osmium auffand. Infolge dieser Entdeckungen war die Zahl der bekannten Elemente auf 32 gestiegen. Viel folgenreicher als diese Entdeckungen waren die theoretischen Arbeiten, die den weitern Forschungen eine sichere Basis gaben. Bergman und Kirwan hatten bereits die relativen Gewichtsmengen verschiedener Basen ermittelt, die sich mit derselben Menge einer gewissen Säure zu vereinigen vermögen. Proust (1755–1826) wies dann nach, daß in jeder Verbindung die Bestandteile nach einem bestimmten Gewichtsverhältnis vorhanden sind, und daß, wenn zwei Körper mehrere Verbindungen eingehen, auch in diesen die Bestandteile stets in festen Verhältnissen zusammentreten, daß nicht alle Mischungsverhältnisse zwischen zwei Körpern möglich sind, sondern daß die Mengen stets sprungweise größer oder kleiner werden. Zur Feststellung allgemeiner Gesetze erhob sich Proust aber noch nicht. Dagegen sprach Richter (1762–1807) zuerst das Neutralitätsgesetz aus und wußte richtige Folgerungen aus demselben zu ziehen. Er bestimmte die Mengen der Metalle, wie sie sich gegenseitig aus ihren Lösungen niederschlagen, und entwarf die ersten stöchiometrischen Tafeln. Kann Richter als der Entdecker des Gesetzes von den konstanten Proportionen angesehen werden, so haben wir in Dalton (1766–1841, Tafel I) den Begründer des Gesetzes von den multipeln Proportionen und namentlich der Atomtheorie zu erkennen. Gay-Lu ff ae (1778–1840) fand dann weiter, daß sich die Gase nach einfachen Volumverhältnissen miteinander verbinden, und Berzelius (1779–1848, Tafel I) stellte die Beziehungen zwischen den Volumen und Gewichten der gasförmigen Körper fest. Gay-Lussacs Volumtheorie machte es möglich, aus dem spezifischen Gewichte der Bestandteile und der Raumverminderung, die bei der Verbindung vor sich geht, das spezifische Gewicht einer Verbindung sicherer zu bestimmen als durch den unmittelbaren Versuch und umgekehrt aus der Vergleichung des spezifischen Gewichts einer Verbindung und den spezifischen Gewichten ihrer Bestandteile auf die Zusammensetzung der erstern zu schließen. Davy (1778–1829) stellte 1807 Kalium, Natrium, Baryum, Strontium, Calcium und Magnesium elektrolytisch dar und wies nach, daß Chlor ein Element, Salzsäure eine Verbindung desselben mit Wasserstoff und daß die salzsauren Salze eine eigentümliche Klasse von sauerstofffreien Salzen (Haloidsalze nach Berzelius), bestehend aus Chlor und dem betreffenden Metall, sind. 1811 entdeckte Courtois das Jod. Berzelius schuf in seiner elektrochemischen Theorie ein einheitliches System, das auf alle bekannten Tatsachen anwendbar war. Er nahm an, daß die Elektrizität eine Eigenschaft der Materie sei, daß zwar in jedem Atom zwei entgegengesetzte elektrische Pole vorhanden seien, der eine von diesen aber bedeutend vorherrsche und mithin jedes Atom, also auch jedes Element, entweder elektropositiv oder elektronegativ erscheine. Aus der Nebeneinanderlagerung der Atome entstehen Verbindungen erster Ordnung, die ihrerseits wieder zu Verbindungen zweiter Ordnung führen, etc. Diese Theorie wurde die Basis der dualistischen Anschauungsweise, nach der jeder zusammengesetzte Körper, welches auch die Anzahl seiner Bestandteile sein mag, in einen elektrisch positiven und einen negativen Teil zerlegt werden kann. Von hoher Bedeutung waren auch Berzelius' Bestimmungen der in einer Verbindung enthaltenen Anzahl Atome, indem er bei diesen Arbeiten rein chemischen Verhältnissen Rechnung trug. Er brachte das Lötrohr zur verdienten Anerkennung in der qualitativen Analyse, gab zweckmäßige Scheidungsmethoden für die quantitative Analyse an und erleichterte das Verständnis der chemischen Vorgänge durch Ausstellung der chemischen Formeln als Ausdruck für die Atomzusammensetzung der Verbindungen, die ihm zuerst als Prüfstein für die Angaben der Analysen dienten. Seit er 1814 der Kieselerde ihre richtige Stelle unter den Säuren angewiesen und die Kieselverbindungen als kieselsaure Salze erkannt hatte, unterwarf er das große Gebiet der natürlichen Silikate den Gesetzen, die für die übrigen Sauerstoffsalze gelten; später unterschied er unter den Schwefelmetallen Sulfobasen und Sulfosäuren und wies deren Zusammentreten zu Sulfosalzen nach. 1830 entdeckte er in der Trauben- und Weinsäure den ersten Fall von Isomerie. Für das Verständnis der verwickelten Mineralverbindungen war von Wichtigkeit Mitscherlichs (1794–1863) Lehre vom Isomorphismus, von nicht geringerer seine Entdeckung des Dimorphismus, auch stellte er zuerst Mineralkörper aus ihren Bestandteilen künstlich dar. Eine wichtige Erweiterung erfuhr 1840 die C. durch den Nachweis der sogen. allotropischen Zustände der Körper, indem Schönbein das Ozon entdeckte, das sich als Sauerstoff erwies, aber in einem besondern Zustand, begabt[914] mit wesentlich verschiedenen Eigenschaften. Die Zahl der Elemente wurde in dieser Zeit außerordentlich vermehrt; 1817 entdeckte Berzelius das Selen, Arsedson das Lithion, Stromeyr und Hermann das Kadmium, 1823 Berzelius das Silicium, 1824 das Zirkonium, 1828 Wöhler das Aluminium, Beryllium, Yttrium.

Weitere Förderung hat die C. durch das Studium der Kohlenstoffverbindungen gefunden. Die Verbesserung der Elementaranalyse durch Gay-Lussac und Thénard ermöglichte die Anwendung der stöchiometrischen Gesetze auf organische Verbindungen, die zuerst 1814 Berzelius versucht hatte. Anfänglich schien es unmöglich, die Ansichten, welche die Grundlage der anorganischen C. bildeten, auf die organische anzuwenden. Indes hatte schon Lavoisier ausgesprochen, daß sich der Sauerstoff mit einem Element zu einer anorganischen, mit einem »zusammengesetzten Radikal« zu einer organischen Verbindung verbinde. Gay-Lussacs Arbeit über das Cyan gab dem Begriff des Radikals eine bestimmtere Bedeutung, und die organische C. ward jetzt die C. der zusammengesetzten Radikale; aber erst durch Liebigs und Wöhlers glänzende Untersuchungen über das Bittermandelöl und die damit verwandten Verbindungen wurde die Lehre vom Radikal vollkommener ausgebildet. Die Entdeckung des Dimorphismus, der Isomerie, Metamerie und Polymerie regte zu weitern Studien über die Konstitution der Körper an, und besonders wurden die Äthylverbindungen Gegenstand lebhafter Debatten im Sinne der Radikaltheorie. Dumas (1800 bis 1884), Liebig (1803–73, Tafel I) und Wöhler (1800–1882, Tafel II) führten seit 1823 die organische C. zur glänzendsten Entwickelung; Liebig vor allen beherrschte die ganze geistige Strömung, und aus seinem Laboratorium in Gießen gingen zahlreiche Untersuchungen der wichtigsten Art hervor. Die Anschauungen in der organischen C. gewannen nun zunächst eine wesentliche Wandlung durch die Entdeckung des Substitutionsprozesses, die besonders durch Dumas, Péligot, Regnault, Malaguti und Laurent verfolgt wurde. Laurent knüpfte daran seine Kerntheorie, die Gmelin seinem großen Lehrbuch zu Grunde legte; Liebigs und Grahams Arbeiten über die mehrbasischen Säuren wurden die Basis, auf der Dumas, der inzwischen auch die Chloressigsäure entdeckt hatte, seine Typentheorie errichtete. Durch diese Theorie vollzog sich der Bruch mit der von Berzelius aufgestellten dualistischen Anschauungsweise. Man hatte erkannt, daß in einer organischen Verbindung elektropositiver Wasserstoff durch elektronegatives Chlor vertreten werden kann, ohne daß die Natur der Verbindung dadurch wesentlich verändert wird, und somit ergab sich, daß die Eigenschaften der Körper weit mehr durch die eigentümliche Lagerung der Atome als durch deren Natur bedingt werden. Die Typentheorie fand in der Folge mehrfach weitere Ausbildung und beherrschte eine Reihe von Jahren hindurch die gesamte Forschung. Der nächste große Fortschritt wurde aber durch die von Laurent und Gerhardt veranlaßte Revision der Atomgewichte herbeigeführt. Laurent unterschied in scharfer Weise Atom, Molekül und Äquivalent, und als man dann erkannte, daß die Atome verschiedenwertig sind, gelangte man zur Bestimmung der rationellen Konstitution der Körper in dem heutigen Sinne. Die Arbeiten von Kekule, Frankland, Berthelot, Hofmann, Wurtz, Buttlerow, Williamson, Wislicenus und zahlreichen jüngern Chemikern haben zum Ausbau dieser Theorien mächtig beigetragen. Einen der glänzendsten Punkte der neuern C. bildet die von Kekule (Tafel II) 1867 begründete Theorie der aromatischen Verbindungen, die das vorhandene Material systematisch zu ordnen erlaubte und eine Fülle neuer Tatsachen brachte, die z. T. durch die Theorie vorhergesehen waren. Wie weit Übereinstimmung zwischen Theorie und Tatsachen hier vorhanden ist, zeigt sich z. B. daran, daß die zwölf vorhergesehenen Chlorbenzole, aber auch nicht mehr, haben dargestellt werden können. Die überwiegende Zahl der Chemiker widmete sich in der neuesten Zeit der Erforschung der Konstitution der Körper und wurde hierin nicht nur durch die fortgeschrittene theoretische Erkenntnis, sondern auch durch die Anwendung der Synthese wesentlich gefördert, deren Bedeutung für die organische C. Berthelot nachdrücklich betont hatte. Er gewann durch Synthese Ameisensäure, Alkohol und Benzol, Kolbe die Essigsäure, Volhard das Kreatin, Zinin das Senföl, Haarmann und Tiemann das Vanillin, Baeyer den Indigo, Fischer den Traubenzucker, und von andern wurden Methoden ausgearbeitet, welche die Synthese ganzer Körpergruppen, wieder Kohlenwasserstoffe, der Alkohole, Phenole, Säuren und Basen, gestatten. Einer der bedeutsamsten Fortschritte in der Erkenntnis der Struktur der chemischen Verbindungen bildetdie Begründung der Stereochemie durch Le Bel und van't Hoff (Tafel II), welche die Isomerien bei Strukturidentität erklärt. Die in der organischen C. gewonnenen Anschauungen wurden in der jüngsten Zeit mehr und mehr auch auf die anorganische C. übertragen und dadurch wieder eine einheitliche Auffassung hergestellt. Die Entdeckung der Spektralanalyse durch Kirchhoff und Bunsen (1860, Tafel II) wirkte in vielen Gebieten fördernd und aufklärend und führte zur Auffindung mehrerer neuer Elemente. Mendelejew zeigte durch die Ausstellung seines periodischen Systems, daß fast alle Eigenschaften der Elemente periodische Funktionen der Atomgewichte sind. Diese Erkenntnis führte zur Richtigstellung von Atomgewichten bei Elementen, deren bisher angenommenes Atomgewicht eine richtige Einordnung des Elements in das System nicht zuließ. Auch ließen Lücken im System auf die Existenz noch nicht bekannter Elemente von bestimmten Eigenschaften schließen, und durch die Entdeckung des Galliums, Scandiums und Germaniums wurde die Berechtigung derartiger Spekulationen dargetan. Den größten Einfluß auf die neuere C. übte die Erforschung der Beziehungen zwischen Stoff und Energie, die physikalische C., deren Anfänge schon bei Gay Lussac zu suchen sind, der die Beziehungen zwischen dem spezifischen Gewicht eines Gases und seiner chemischen Zusammensetzung ermittelte. Seine Arbeiten führten zu der für moderne C. grundlegenden Hypothese von Avogadro. Dulong und Petit zeigten, daß man aus der spezifischen Wärmedas Atomgewicht der Elemente ermitteln kann, und in der neuesten Zeit haben die Arbeiten von Arrhenius, van't Hoff, Raoult, Ostwald, Nernst, Le Bel u. a. auf zahlreiche Verhältnisse neues Licht geworfen.

Literatur.

Lehrbücher: Berzelius, Lärebok i kemien (Stockh. 1808–18, 3 Bde.; 2. Aufl. 1817–30, 6 Bde.; 5. Aufl., deutsch, Leipz. 1843–48, 5 Bde.); Gmelin, Handbuch der anorganischen C. (6. Aufl. von Kraut u. a., Heidelb. 1874–97, 3 Bde.) und »Handbuch der organischen C.« (4. Aufl., das. 1872, 5 Bde.); Graham-Otto, Ausführliches Lehrbuch der C. (Bd. 1; [915] Physikalische und theoretische C., 3. Aufl. von Horstmann, Landolt u. Winkelmann, Braunschw. 1885ff.; Bd. 2: Anorganische C., 5. Aufl. von Michaelis, 4 Tle., 1878–89; Bd. 3: Organische C., 2. Aufl. von Kolbe, Meyer u. a., 2 Tle., 1884); Roscoe und Schorlemmer, Ausführliches Lehrbuch der C. (Anorganische C., 3. Aufl. von Roscoe und Classen, das. 1895 bis 1897, 3 Bde.; Organische C., von Brühl u. a., das 1901, 6 Bde.); Dieselben. Kurzes Lehrbuch der C. (10. Aufl. von Roscoe und Classen, das. 1894); Hofmann, Einleitung in die moderne C. (6. Aufl., das. 1877); Schmidt, Ausführliches Lehrbuch der pharmazeutischen C. (4. Aufl., das. 1901, 2 Bde.); Krafft, Kurzes Lehrbuch der C. (Anorganische C., 4. Aufl., Wien 1900; Organische C., 3. Aufl. 1901); Pinner, Repetitorium (9. u. 10. Aufl., Berl. 1893 u. 1894, 2 Bde.); Liebig, Chemische Briefe (6. Aufl., Leipz. 1878); Johnston, C. des täglichen Lebens (deutsch, 2. Aufl., Stuttg. 1887); Lassar-Cohn, C. im täglichen Leben (4. Aufl., Hamb. 1900); Stöckhardt, Schule der C. (20. Aufl. von Lassar-Cohn, Braunschw. 1900); Emsmann und Dammer, Experimentierbuch (7. Aufl., Leipz. 1899).

Anorganische C.: Lorscheid, Lehrbuch der anorganischen C. (13. Aufl. von Hovestadt, Freiburg 1895); Remsen, Anorganische C. (Tübing. 1890); Dammer, Handbuch der anorganischen C. (in Verbindung mit andern, Stuttg. 1892–94, 3 Bde., Supplement 1902); Richler, Lehrbuch der anorganischen C. (ll. Aufl. von Klinger, Bonn [902); Erdmann, Lehrbuch der anorganischen C. (3. Aufl., Braunschw. 1902); Ostwald, Grundlinien der anorgan. C. (Leipz. 1900); Bodländer, Lehrbuch der C. (Stuttg. 1896).

Organische C.: Kekule, Lehrbuch der organischen C. (Erlang. 1861–66, Bd. 1–3; Bd. 4, 1887); Erlenmeyer, Lehrbuch der organischen C. hrsg. von Hecht, R. Meyer, Goldschmidt, Buchka (Leipz. 1867–94, 3 Bde.); Schorlemmer, Lehrbuch der Kohlenstoffverbindungen (3. Aufl., Braunschw. 1897); Beilstein, Handbuch der organischen C. (3. Aufl., Leipz. 1892–99, 4 Bde., Ergänzungsband 1 u. 2, das. 1900ff.); Richter, C. der Kohlenstoffverbindungen (9. Aufl., hrsg. von Anschütz und Schroeter, Bonn 1901, 2 Bde.); Bernthsen, Kurzes Lehrbuch der organischen C. (8. Aufl., Braunschw. 1902); Elbs, Die synthetischen Darstellungsmethoden der Kohlenstoffverbindungen (Leipz. 1890, 2 Bde.); Vikt. Meyer und Jacobson, Lehrbuch der organischen C. (das. 1891ff., 2 Bde.); Richter, Lexikon der Kohlenstoffverbindungen (2. Aufl., Hamb. 1899).

Theoretische C.: Loth. Meyer, Die modernen Theorien der C. (6. Aufl., Bresl. 1896); Derselbe, Grundzüge der theoretischen C. (2. Aufl., Leipz. 1893); Ostwald, Lehrbuch der allgemeinen C. (2. Aufl., das. 1891–93, 2 Bde.); Derselbe, Grundriß der allgemeinen C. (3. Aufl., das. 1899); Mendelejew, Grundlagen der C. (deutsch, Petersb. 1891); Nernst, Theoretische C. vom Standpunkte der Avogadroschen Regel und der Thermodynamik (2. Aufl., Stuttg. 1898); van't Hoff, Dix années dans l'histoire d'une théorie (2. Aufl. von »La chimie dans l'espace«, Rotterd. 1887); Derselbe, Vorlesungen über theoretische und physikalische C. 1. Heft: Chemische Dynamik (2. Aufl., Braunschw. 1901), 2. Heft: Chemische Statik (2. Aufl., das. 1903); Laar, Lehrbuch der mathematischen C. (Leipz. 1901); Vaubel, Lehrbuch der theoretischen C. (Berl. 1903, 2 Bde.).

Experimentalchemie: Heumann, Anleitung zum Experimentieren (2. Aufl., Braunschw. 1893); Arendt, Technik der Experimentalchemie bei Vorlesungen über anorganische C. (2. Aufl., Leipz. 1891). – Literatur über die chem. Laboratorien s. Laboratorium.

Enzyklopädien: Liebig, Poggendorff und Wöhler, Handwörterbuch der reinen und angewandten C. (Bd. 1 u. 2, 2. Aufl., Braunschw. 1857–63; Bd. 3–9,1848–64); Fehling, Neues Handwörterbuch der C. (das. 1871ff.); Ladenburg, Handwörterbuch der C. (Bresl. 1883–95, 13 Bde.); Watts, Dictionary of chemistry (Lond. 1863–68, 5 Bde.; 3 Supplementbände 1872–81; 2. Aufl. von Muir u. Morley, 1888–92, 4 Bde.); Wurtz, Dictionnaire de chimie pure et appliquée (Par. 1869ff., 5 Bde. und Supplemente); Frémy, Encyclopedie chimique (das. 1881–91, 10 Bde.); Dammer, Kurzes chemisches Handwörterbuch (2. Aufl., Stuttg. 1885).

Geschichte: Gmelin, Geschichte der C. (Götting. 1797–99, 3 Bde.); Kopp: Ge. chichte der C. (Braunschweig 1843–47, 4 Bde.), Beiträge zur Geschichte der C. (das. 1869–75, 3 Tle.), Die Entwickelung der C. in der neuern Zeit (Münch. 1871); Dumas, Die Philosophie der C. (deutsch von Rammelsberg, Berl. 1839); Chevreul, Introduction à l'histoire des connaissances chimiques (Par. 1866); Derselbe, Histoire des principales opinions de la nature chimique des corps (das. 1869); Kekule, Geschichte der organischen C. (Erlang. 1867); Wurtz, Geschichte der chemischen Theorien seit Lavoisier (deutsch, Berl. 1870); Ladenburg, Vorträge über die Entwickelungsgeschichte der C. in den letzten 100 Jahren (2. Aufl., Braunschw. 1887); Rau, Die Entwickelung der modernen C. (das. 1879–84); E. v. Meyer, Geschichte der C. (2. Aufl., Leipz. 1895); Schorlemmer, Ursprung und Entwickelung der organischen C. (Braunschw. 1889); Berthelot, La chimie an moyen-âge (Par. 1893, 3 Bde.); Ahrens, Entwickelung der C. im 19. Jahrhundert (Stuttg. 1900); »Monographien zur Geschichte der C.« (hrsg. von Kahlbaum, Leipz. 1897ff.). Vgl. auch Alchimie.

Zeitschriften: Liebigs und Wöhlers »Annalen der C. und Pharmazie« (Leipz. u. Heidelb.); Poggendorffs »Annalen der Physik« (Leipz.); »Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft« (Berl.); »Chemisches Zentralblatt« (Leipz.); »Journal für praktische C.« (das.); »Monatshefte für C.« (Wien); »Chemiker-Zeitung« (Köthen); »Deutsche Chemiker-Zeitung« (Berl.); »Zeitschrift für anorganische C.« (Leipz.); »Zeitschrift für physikalische C.« (das.); »Zeitschrift für angewandte C.« (Berl.); »Jahresbericht über die Fortschritte der C.« (Gießen); »Jahrbuch der C.« (Frankf. a. M.); »Journal of the Chemical Society of London«; »Chemical News«; »Annales de physique et de chimie«; »Bulletin de la Société chimique de Paris«; »Gazetta chimica«; »American Journal of chemistry«. – Bibliographie: Zuchold, Bibliotheca chemica 1840–1858 (Götting. 1859); Ruprecht, Bibliotheca chemica 1858–1870 (das. 1872).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 910-916.
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